[274] 30S. Martinus, Ep. (11. Nov. al. 4. Juli). [274] Der hl. Martinus von Tours119 heißt der Apostel Galliens und wird überhaupt öfter den Aposteln an die Seite gestellt. Von ihm schrieben schon im J. 461 (Boll. Oct. VIII. 22.) die auf dem zweiten Concil von Tours versammelten Bischöfe: »Obwohl er nicht zu den Zeiten der Apostel lebte, so hat ihm doch die Gnade der Apostel nicht gemangelt.« Sein Jünger und Biograph Sulpicius Severus (dial. III. 21) äußert sich: »Wohl ist Griechenland glücklich zu preisen, denn es hat den Apostel (Paulus) predigen hören, aber auch die Gallischen Länder sind von Christus nicht verlassen worden, denn ihnen hat Er den Martinus gegeben.« Derselbe nennt ihn an einem andern Orte (de reb. Priscill. bei Florez, Esp. Sagr. XIV. 362) »einen den Aposteln vergleichbaren Mann«. Er ist allenthalben hoch verehrt, unzählige Kirchen sind ihm geweiht, Tausende trugen und tragen seinen Namen. Sein Geburtsort ist Sabaria in Pannonien, d.h. Stein am Anger (Sarvar, Magyarisch Szent Marton). Sein Vater war Heide und Römischer Tribun. Das Geburtsjahr schwebt im Dunkeln. Der hl. Martinus war noch in Windeln, als sein Vater nach Ticinum (Pavia) versetzt wurde. Er war von Kindheit an ein Auserwählter des Herrn; schon in seinem zehnten Lebensjahre ließ er sich, ohne vorher die Einwilligung seiner Eltern zu erholen, entflammt von den Tugendbeispielen und dem heiligen Wandel der Christen, oder vielmehr, weil die Gnade Christi ihn an sich zog, unter die Katechumenen aufnehmen. Der christliche Unterricht, den er mit unermüdlichem Eifer sich einprägte, war die einzige Schule, in welcher er lernte; gelehrte Studien machte er nicht. Ein bevorzugtes Kind der göttlichen Gnade war er am glücklichsten, wenn er der Beschaulichkeit und frommen Uebungen sich hingeben konnte. Bereits als zwölfjähriger Knabe äußerte er oft den Wunsch, das einsame und abgetödtete Leben eines hl. Antonius und seiner Schüler nachahmen zu können. Vorläufig mußte er nach dem Willen des Vaters, der diese Geistesrichtung seines Sohnes sehr ungern sah, wie es die Römische Gesetzgebung vorschrieb in den Kriegsdienst eintreten. Er war fünfzehn Jahre alt, als er in die Römische Reiterei eingereiht wurde. Nach einer Andeutung des Sulpicius Severus wurde er bald nach seinem Eintritte Circuitor, d.i. Runde-Offizier, und hatte als solcher die Wachen zu beaufsichtigen. Diese Stellung veränderte nicht im geringsten seine Demuth und seine tief gewurzelte Frömmigkeit. Er begnügte sich mit nur einem Diener, welchem er in gottgefälliger Selbstentäußerung zuweilen sogar selbst Dienste leistete, ohne zu befürchten, hiedurch sich etwas zu vergeben. Von den Fehlern, in welche ein Soldat so leicht sich verstricken läßt, hielt er sich vollkommen frei. Gegen alle seine Waffenbrüder legte er eine große Güte, eine wundersame Liebe an den Tag. Im Essen und Trinken überaus enthaltsam, lebte er inmitten der Strapazen so abgetödtet wie ein Einsiedler. Seine Kameraden liebten ihn alle mit ungewöhnlicher Zuneigung. Von seinem Kriegssolde nahm er das Wenige was er jeden Tag für seine kleinen Bedürfnisse nöthig hatte, das Uebrige gab er den Armen. Im J. 351 machte er die Feldzüge des Kaisers Constantius gegenden Usurpator Magnentius mit, und war noch beim Heere, als Cäsar Julian, der nachmals vom Christenthume abfiel, die Franken und Alemannen mit Krieg überzog, also ungefähr bis zum J. 355 oder 356. Noch als Soldat empfing er, wahrscheinlich zu Amiens, wo er die Winter-Quartiere bezogen hatte, die hl. Taufe. Kurz vorher hatte er einem vor Kälte zitternden halbnackten Bettler, der ihn an einem Thore der Stadt Amiens um ein Almosen angefleht hatte, unbekümmert um den Spott der Umstehenden, die ihn verlachten, die Hälfte seines Mantels geschenkt. Nachts darauf sah er im Traume den Heiland in der Gestalt des Bettlers mit seinem Mantel bekleidet, vor sich stehen, und hörte Ihn sprechen: »Martinus, obwohl noch Katechumene, hat mich mit diesem Mantel bekleidet.« Darin erkannte er nicht bloß eine Belohnung seiner That, sondern auch eine Aufforderung, die hl. Taufe zu empfangen. An jener Stelle, wo der hl. Martinus den Bettler beschenkt hatte, wurde nachmals eine Kapelle erbaut; ebenso an dem Orte seiner Wohnung. Er blieb noch zwei Jahre beim Heere, auf seinen Kriegsobersten wartend, der nach dieser Frist sich mit ihm zurückzuziehen versprochen hatte, und erhielt sodann den verlangten Abschied. Damals [275] saß (seit dem J. 340) der hl. Hilarius2 auf dem bischöflichen Stuhle von Poitiers. Zu diesem berühmten Kirchenlichte begab sich der hl. Martinus, kaum erst in »späterer Zeit« (Stolberg Bd. XIII. S. 72. Wien, vgl. W.W.K.-L. VI. 903), sondern sogleich. Sulpicius Severus deutet dieß wenigstens an, wenn er sagt (c. 4.) unter dem Cäsar Julian habe der Heilige dem Kriegsleben entsagt, und sich zum hl. Hilarius2 begeben. Fällt also der Austritt aus dem Heere frühestens ins J. 355 oder 356, so ist »eine Lücke im Leben des Heiligen« nicht vorhanden. Der hl. Hilarius2 war damals (vgl. H.-L. II. 719 ff.) nicht nur bereits Bischof, sondern schon in die heftigsten Kämpfe mit den Arianern verwickelt. Von ihm empfing der Heilige bald darauf die niedern Weihen, war aber nicht zu bewegen, sich auch die Diakonats-Weihe ertheilen zu lassen, obwohl der hl. Hilarius ihn oft und dringend (saepissime) hiezu ermahnt hatte. Mit Ehrfurcht und Gehorsam vollzog er alle Aufträge seines geistlichen Vaters, namentlich unterzog sich der demüthige und allzeit opferbereite Jüngling mit allem Eifer dem ihm besonders übertragenen Amte eines Exorcisten, mit welchem die Gefahr, mancherlei Unbill zu erleiden, verbunden war. Einem Traumgesichte folgend, in welchem er ermahnt worden war, die Bekehrung seiner Eltern zu versuchen, machte er eine Reise nach Pannonien, nachdem er vorher dem hl. Hilarius2 seine Rückkehr nach Poitiers versprochen hatte. Auf dem Wege überfielen ihn Räuber, die ihn anfänglich tödten wollten, dann aber gefänglich abführten. Der ihn bewachende Räuber fragte ihn, wer er wäre. Der hl. Martinus gab zur Antwort: »Ein Christ.« Er fragte ihn weiter, ob er sich nicht fürchte. »Keineswegs«, war die Antwort, »denn ich weiß, daß uns Gottes Barmherzigkeit sonderlich in Nöthen und Bedrängnissen gegenwärtig ist.« Nach weiterm Gespräch, in welchem der Heilige Veranlassung nahm, dem Räuber die Liebe Christi zu schildern, schenkte ihm dieser, sich in sein Gebet empfehlend, die Freiheit. Das Gebet und die Ermahnungen des hl. Martinus bewegten sogar den Räuber sich zu bekehren; er wurde Mönch; als solcher erzählte er später dem Verfasser der Lebensgeschichte des hl. Martinus was mit ihm vorgegangen war. Ohne weitern Unfall reiste der Heilige weiter. In der Nähe von Mailand begegnete ihm der Teufel in Menschengestalt und fragte, wohin er gehe; der hl. Martin gab zur Antwort: »wohin Gott will«, und als der böse Geist darauf versetzte: »du magst hingehen wo du willst, immer wird der Teufel dir widerstehen«, antwortete er unerschrocken: »der Herr ist mein Helfer, ich werde nichts Böses fürchten«, worauf die Erscheinung verschwand. Die Biographie erzählt weiter, der Heilige habe seine Mutter zum Christenthum bekehrt, über den Vater jedoch nichts vermocht, dann aber während seines Aufenthalts in seinem Vaterlande von den Arianern Vieles, sogar Ruthenstreiche gelitten. Sie brachten es selbst dahin, daß er aus Pannonien verbannt und zur Rückkehr nach Italien genöthiget wurde. Er wollte in Mailand eine klösterliche Niederlassung gründen. Auch der hl. Hilarius2 war nämlich damals in die Verbannung geschickt worden. Dem hl. Martinus wurde aber von dem Arianischen Bischof Aurentius, der ihn gleichfalls mißhandeln ließ, der Aufenthalt in Mailand verboten, worauf er um d.J. 359 auf der Insel Gallinaria (Isola d'Albenga) im Tyrrhenischen Meere sich niederließ. Eine tödtliche Krankheit, in Folge des Genusses von Nießwurz, wendete Gott glücklich von ihm ab. Als der hl. Hilarius2 im Jahre 360 in Folge eines Dekrets des Kaisers Constantius nach Gallien heimkehrte, folgte ihm der hl. Martinus auf dem Fuße. Es wurde ihm der Unterricht der Katechumenen übertragen. Als einer derselben, ehe er noch getauft war, schnell von einer schweren Krankheit weggerafft wurde, brachte ihn der Heilige durch sein Gebet, indem er sich über die Leiche legte, wieder zum Leben. Sein Biograph, Sulpicius Severus, hat den Erweckten (nach c. 5) selbst noch gekannt und gesprochen. Derselbe setzt hinzu: »Von dieser Zeit an ist des seligen Mannes Name sehr berühmt worden, so daß er, wie vorhin für heilig, so jetzt auch für viel vermögend und wahrhaft apostolisch gehalten wurde.« Bald darauf erweckte er auf dem Landgute eines gewissen Lupicinus einen Knecht, der sich erhenkt hatte, zum Leben. Der Heilige lebte damals in einem Kloster, unfern von Poitiers. Es hieß Locociacum, nach Andern Legudiacum, später Ligugé – die älteste klösterliche Stiftung Galliens. Es wird (Gallia christ. H. 1222 u. XIV. 7) als gewiß angenommen, es sei vom hl. Martinus gebaut und längere [276] Zeit geleitet worden. Hier sah den Heiligen zum ersten Mal sein Biograph, der römische Rhetor Sulpicius Severus. Aus keines Menschen Munde, erzählt derselbe, vernahm ich je so viel Wissen, so viel Talent, eine so gute und reine Sprache. Und dieß, ohne daß er gelehrte Schulen besucht hätte. Geist und Gemüth war immer dem Himmel zugewandt. Es gab für ihn keine Zeit, die von gottesfürchtigen Thaten leer geblieben wäre. Das Gebet unterbrach er nie, mochte er äußerlich wie immer beschäftiget seyn. Sein Antlitz verklärte ein himmlischer Freudenglanz, so daß er wie ein überirdisches Wesen angesehen wurde. Von leidenschaftlicher Erregtheit, Lust oder Trauer, fand sich in ihm Nichts. Wer ihn sah, erkannte sogleich, daß er jetzt schon geistiger Weise im Lande des Friedens und der ewigen Ruhe wandelte. Seine Lehrweise war höchst anziehend. Am liebsten redete er in Gleichnissen und Bildern. Was er sah und hörte, benutzte er alsbald zur Einprägung heilsamer Wahrheiten. Beim Anblick eines frisch geschorenen Schäschens sprach er einmal zu seinen Jüngern: »Seht da ein Schäflein, welches das Gebot des Evangeliums erfüllt hat. Zwei Röckchen hatte es: da schenkte es eines dem, der keines besaß. So sollet auch ihr thun!« Als er bei rauhem Wetter einen Schweinehirten auf dem Felde erblickte, der nur einen kleinen Theil seines Körpers mit einem Thierfelle bedeckt trug, und vor Frost zitterte, rief er aus: »Sehet da den Adam, wie er aus dem Paradiese verstoßen mit Thierhaut die Schweine hütet; wir aber wollen den alten Adam, der sich in diesem noch so anschaulich zeigt, ausziehen und den neuen anlegen.« Ein anderes Mal durchzogen sie eine große Wiese, ein Theil derselben war abgeweidet, ein Theil durch die Schweine aufgewühlt, der übrige Theil prangte in reichem Blumenflor. Der hl. Martinus wandte sich zu den Seinen und sprach: »Der abgeweidete Theil der Wiese gibt uns ein Bild des Ehestandes; in ihm findet sich noch die Schönheit der grünenden Halme, aber keine Blumenzier; der von den Schweinen unterwühlte Theil zeigt uns das häßliche Bild des unzüchtigen Lebens; der übrige Theil, welcher keinerlei Art von Verletzung erfahren, veranschaulicht uns die Glorie der Jungfräulichkeit.« Sein Wort war allzeit einfach, kurz und klar, ohne weitere Beweisführung. Wann er Bischof geworden, ist aus seinem Biographen nicht zu entnehmen. Seit dem Tode des hl. Lidorius war die bischöfliche Kirche von Tours verwaist. Beiläufig im J. 371 oder 372 suchte man den hl. Martinus zu bewegen, ihr Hirte zu werden. Er schlug das Anerbieten aus. Aber hierauf wurde er (nach Gregor von Tours im achten Jahre des Kaisers Valens) unter dem Vorwande eines dringend verlangten Krankenbesuches aus dem Kloster gelockt und dann mit Gewalt nach Tours gebracht, wo man ihn mit Jubel empfing. So wurde er zum bischöflichen Amte weniger gewählt als gezwungen. In der That verweigerten ihm einige Bischöfe die Anerkennung, nicht wegen Unregelmäßigkeit der Wahl, sondern weil sie an der nachlässigen Kleidung und an den struppigen Haaren des Heiligen Anstoß nahmen. Als Bischof blieb der Heilige was er vorher gewesen, demüthig im Herzen und einfach im Aeußern. Er führte so die bischöfliche Würde, daß er zugleich die Regeln und Uebungen des Klosterlebens fortsetzte. Anfänglich baute er sich eine Zelle neben die Kirche des hl. Lidorius, später bezog er eine Einsiedelei zwei Stunden vor der Stadt, wo er viele Schüler an sich zog, die sich immer je eine Zelle bauten oder in den Felsen der Bergwand eingruben, mit denen er in größter Strenge dem enthaltsamen und betenden Leben oblag. Privatbesitz behielt keiner; sie hatten was für die leibliche Existenz nothwendig war gemeinsam. Ihre Mahlzeit nahmen sie erst spät am Nachmittage. Von Wein wollte Niemand etwas wissen, nur für Kranke blieb der Genuß desselben üblich. Die Kleidung war rauh, Viele trugen ein Gewand von Kameelhaaren. Jede Art von Gewerbe war untersagt, ebenso alles Kaufen und Verkaufen. Die ältern Mönche sollten gar keine Handarbeit verrichten, sondern nur dem Gebete und der Betrachtung obliegen, die jüngern aber, welche bei ununterbrochener Beschaulichkeit noch leicht ermüden und dann gänzlich ablassen konnten, wegen des zu steilen Weges der Vollkommenheit, beschäftigte er einen Theil des Tages mit Bücherabschreiben. Aus dem Kreise seiner achtzig Schüler wurden Viele später Bischöfe: »denn«, setzt der Biograph hinzu, »welche Stadt oder Kirche hätte nicht von ihm einen Bischof haben wollen?« Aus dieser Zellen-Colonie entstand später ein förmliches Kloster. Zur Zeit des Gregor von Tours befand sich [277] bei demselben eine den Apostelfürsten geweihte Kirche. Das Kloster hieß Mar tins-Kloster. Das Volk hieß den Ort majus monasterium, später Marmoutier. Unter seinen bischöflichen Amtshandlungen erzählt Sulpicius Severus (c. 8) die Abstellung einer auf leeren Aberglauben gegründeten Martyrerverehrung. Niemand wußte nämlich anzugeben, wer ein vorgeblicher Martyrer, über dessen viel besuchtem Grabe sich gleichwohl ein Altar befand, gewesen sei. Umsonst forschte der hl. Martinus über den Grund und Ursprung desselben nach. Um dem Volke einerseits durch vorzeitiges Einschreiten kein Aergerniß zu geben, andererseits durch eigene Mitwirkung nicht vielleicht eine unrechtmäßige Verehrung zu bestätigen, hielt er sich von dem Orte fern. Zuletzt, als er sah, daß alles Forschen vergeblich sei, und zugleich der Verdacht, es sei hier nichts als Aberglauben im Spiele, immer höher stieg, beschwor er an dem Altare des vorgeblichen Martyrers, nach vorausgehendem eifrigen Gebete, denselben, er möge offenbaren wer er sei. Da sah er von der linken Seite des Altars einen dunkeln Schatten aufsteigen, und vernahm, daß kein Martyrer sondern ein Missethäter hier begraben liege, worauf er ohne Zögern den Altar beseitigen ließ. Dagegen brachte er aus Mailand Reliquien der hhl. Gervasius und Protasius, die er zu Tours beisetzte. Auch erhob er (Gall. chr. n. XIV. 8) den Leib seines Vorgängers, des hl. Gatianus († 20. Dec. 301) und setzte ihn in einer bereits vom hl. Liborius hiezu erbauten Capelle bei. Auch von Agaunum holte und erhielt der Heilige Reliquien der Thebäischen Martyrer. (S. S. Mauritius et Soc. M. M.) Die Kirchen zu Seissel (Condate) in der Gegend von Rennes, Seuilly (Sulleium, Solonacum), Amboise (Ambasia) u. A. betrachten ihn als ihren ersten Stifter. Bald nach dem Antritte des bischöflichen Amtes mußte er in Angelegenheiten seiner Kirche an den Hof des Kaisers Valentinian I. Als er nicht vorgelassen wurde, faßte er nach siebentägigem Zuwarten den Entschluß, ohne auf irgend ein Hinderniß zu achten, zum Kaiser vorzudringen. Der Kaiser war anfänglich sehr ungehalten über die unangemeldete Ankunft des Bischofs, wurde aber durch seine Demuth und Mäßigung allmählich milder gestimmt und genehmigte alle seine Bitten. Worin diese bestanden, ist leider von dem Biographen nicht angegeben. Nach seiner Rückkehr bemühte sich der Heilige, die vielen im Bereiche seines Sprengels noch befindlichen Heiden zur Annahme der hl. Taufe zu bewegen. Die christliche Kirche war damals noch so wenig in diesen Gegenden befestiget oder wieder so geschwächt worden, daß die Christen an vielen Orten in Schlupfwinkeln und Höhlen ihren Gottesdienst feierten. Wenn sie von den Heiden entdeckt wurden, so mußten sie Mißhandlungen und selbst den Tod befürchten. Er bereiste also das Land, um christliche Kirchen zu errichten und die Sammelplätze des heidnischen Aberglaubens in Versammlungsorte zur Anbetung Jesu Christi umzuwandeln. Er vertraute dabei fest auf die Hilfe von Oben, die in ihm in der That wunderbar wirkte. Einst nahm er sogar die ihm auferlegte Probe an, daß ein sogenannter heiliger Baum unter der Bedingung umgehauen werden sollte, daß er selbst gegenwärtig sei und den Baum auf sich niederstürzen lasse. Würde er unbeschädiget bleiben, so solle dieß als Zeichen gelten, daß er die Wahrheit predige. Der Heilige nahm die Bedingung an. Als der Baum zu fallen drohte, machte er das Kreuzzeichen, und siehe, wie wenn ein heftiger Windstoß es bewirkt hätte, fiel der Baum auf die entgegengesetzte Seite, ohne daß der hl. Bischof im mindesten Schaden litt. Auch mit dem Schwerte wurde der Heilige bei seinem Bekehrungswerke öfter angefallen, blieb aber wunderbarer Weise jedesmal verschont. Dazu kam, daß mit dem Worte Gottes, das er predigte, die Kraft der Krankenheilungen und vielfacher Wunder sich verband. Er bediente sich dabei theils des heil. Kreuzzeichens, theils geweihten Oeles, manchmal auch der Handauflegung oder der Auflegung eines Stückchens Tuch, das er von seinem Kleide abgeschnitten hatte. Einen Aussätzigen heilte er, als er einst in Paris einzog, durch einen liebreichen Kuß. Besonders stark bewährte sich die Kraft des Namens Jesu in ihm durch zahlreiche Heilungen besessener Personen. Während der hl. Martinus in solcher Weise wirkte, erlitt das abendländische Kaiserthum schreckliche Erschütterungen. In Großbritannien riefen die Römischen Legionen im J. 383 den Maximus zum Kaiser aus. Dieser setzte nach Gallien über, und schlug in Trier den Sitz seiner Regierung auf. Der Kaiser Gratian erlitt in der Nähe von Paris, verrathen von [278] seinen eigenen Soldaten, eine Niederlage, und wurde am 25. Aug. genannten Jahres zu Lyon gemeuchelt. Theodosius mußte damals den Maximus als Kaiser der Gallischen Präfectur anerkennen, auch Spanien und Britannien waren ihm unterworfen; Italien und das westliche Illyrien blieben dem jungen Valentinian II., welcher von seiner Mutter Justina geleitet ward. Der hl. Martinus zögerte lange, mit dem Usurpator Gemeinschaft zu machen, und bewies zu Trier eine solche Unabhängigkeit des Charakters, daß der Kaiser sich höchlich darüber verwunderte und ihm die vollständige Amnestie, um welche er für die Anhänger Gratians bat, gerne ertheilte. Noch berühmter ist der hl. Martinus wegen seiner Verwendung für die Häupter der Priscillianistischen Irrlehre. Diese war ein Ausläufer des Manichäismus, sie interessirt uns aber nur soweit, weil der hl. Martinus dabei betheiliget ist. Sulpicius (hist. de reb. Priscill.)120 erzählt darüber: die Ankläger Idacius und Ithacius, namentlich letzterer, waren sittlich wenig besser als die Angeklagten. Alle, die nicht gleich ihm der Unmäßigkeit ergeben waren, beschuldigte er des Priscillianismus; daß er nicht desselben schuldig sei, bewies er durch seine große Eßlust. Der hl. Martinus war ihm gegenüber offenbar Priscillianist, und er schalt ihn auch einen solchen. Dennoch erhielt der Heilige vom Kaiser Maximus das Versprechen, er wolle sich mit der Entsetzung der Priscillianistischen Bischöfe begnügen und ihr Leben schonen. Nachdem er aber abgereist war, übergab der durch die Bischöfe Magnus und Rufinus zu andern Gesinnungen verleitete Kaiser die Sache dem harten und grausamen Präfekt Evodius, der den Priscillian, nach zweimaligem Verhör, worin er Schändliches bekannte, einkerkerte und nachdem er zuvor noch an den Kaiser berichtet und ein neues Verhör gepflogen hatte, zum Tode verurtheilte. Mit ihm wurden verurtheilt: Felicissimus und Armenius, Latronianus und Euchartia, später noch die Diakonen Asarinus und Aurelius. Verbannt wurden: Instantius, Tiberianus, Tertullus, Potamius und Johannes. Damit war die Häresie nicht unterdrückt, sondern lebte vielmehr, wenigstens für den Augenblick, neu auf. Priscillianus wurde fast als Martyrer verehrt. Daher schickte der Kaiser auf das Gutachten einiger Bischöfe Bevollmächtigte (Synode von Trier i. J. 385) nach Spanien, mit dem Auftrage, die Anhänger der Sekte durch Confiscation der Güter und selbst am Leben zu bestrafen. Das Ketzergericht urtheilte aber, wie Sulpicius Severus (dial. III. 15) berichtet, weniger nach dem Glauben als nach dem bleichen Angesicht und der Kleidung. Abgesehen davon, daß leicht auch Unschuldige gestraft werden konnten, lag dem hl. Martinus daran, nicht allein die Rechtgläubigen, sondern auch die Ketzer zu retten. Dadurch brachten ihn die verfolgungssüchtigen Bischöfe neuerdings in den Verdacht der Ketzerei, welchem er vielleicht auch unterlegen wäre, wenn er nicht an Heiligkeit, Glaubenskraft und Tugenden alle Andern übertroffen hätte. Obwohl er einmal, um die in Gefahr Schwebenden zu retten, namentlich Narces und Leocadius, die des Hochverraths beschuldigt waren, am Tage der Ordination des übrigens persönlich sehr würdigen und später als Heiliger verehrten Felix von Trier mit Ithacius, dem Urheber der Enthauptung des Ketzerhauptes Priscillian, Communion hielt, reute ihn bald auch diese kurze Nachsicht, und er vermied nachher aufs Neue alle Gemeinschaft mit den verfolgenden Bischöfen und kehrte schon des andern Tags nach Tours zurück. Mit Thränen bekannte er später, daß er seitdem einen »Abgang der Kräfte« empfunden habe. Auch ging er während der 16 Jahre, die er noch lebte, nie mehr zu einer Versammlung von Bischöfen. Insbesondere war er nicht (Hefele, Concil-Gesch. II. 57) bei der im J. 394 gehaltenen Synode zu Nimes (Nemausum); doch erzählt Sulpitius Severus (dial. II. 15), er sei durch einen Engel von allem was dort geschehen in Kenntniß gesetzt worden.121 Noch dürfen wir eine Anfechtung des hl. Bischofes nicht mit Stillschweigen übergehen, welche Sulpitius Severus (c. 25) erzählt: Einst, als er in seiner Zelle betete, sah er eine Gestalt in purpurfarbenem Lichte glänzend, königlich gekleidet, mit einer Krone von Gold und Edelsteinen die Stirn bedeckt, mit goldbekleideten Schuhen, freundlichen Gebärden und freudigen Angesichts. Schweigend und staunend stand[279] Martinus. Endlich sprach die Gestalt: »Lerne kennen den du siehst. Ich bin Christus. Ich will wieder kommen auf die Erde, mich aber dir vorher offenbaren.« Als Martinus abermals schwieg, sprach die Gestalt neuerdings: »Was zweifelst du über das was du siehst? Ich bin Christus.« Dem Heiligen hatte unterdessen der Geist gesagt, daß es der Teufel wäre; er gab also zur Antwort: »Es hat der Herr Jesus Christus nichts davon gesagt, daß er mit köstlichem Purpur umkleidet und mit herrlich glänzender Krone wieder kommen werde. Ich glaube nicht, daß Christus anders, als in der Gestalt, in welcher er gelitten hat, die Wundmale seines Kreuzes zeigend, erscheinen wird.« Auf diese Worte verschwand der Feind, einen übeln Geruch hinter sich lassend. Der Biograph setzt bei, daß Martinus selbst ihm dieß erzählt habe, und macht diese Bemerkung deßhalb, »damit Niemand es für eine Erdichtung halte.« Von zwei Todtenerweckungen, die der Heilige vollbrachte, haben wir oben schon erzählt. In der Nähe von Chartres vollzog er die dritte, indem er einer Mutter den einzigen Sohn wieder zuführte. Sulpitius Severus erzählt noch viele andere Beispiele seiner Heilkraft. Wir wollen dieß Kürze halber nur andeuten. Daß er aber in großer Demuth eine arme und elende Kleidung trug, und seine bischöflichen Amtsreisen zu Fuß machte (Sulpit. Sev. dial. II. 4. 10 u. 13), dürfen wir nicht übergehen. Geschenke nahm er nie, nicht einmal vom Kaiser, an. Nur einmal machte er eine Ausnahme. Eine Jungfrau, die als Recinsin lebte, und nie Besuche von Männern annahm, hatte (dial. II. 13) sogar den hl. Martinus abgewiesen. Weit entfernt, ihr dieß übel zu nehmen, freute er sich darüber, und nahm die fromme Verehrung an, die sie ihm zusenden ließ, indem er sagte, ein Priester dürfe die Gabe einer Jungfrau, die vielen Priestern vorzuziehen sei, nicht ausschlagen. Ebenso speiste er nur dann bei Hof, wenn er hoffen durfte, für das Wohl der Kirche und zum besten der Gläubigen etwas zu wirken. So ein Mal bei dem Kaiser Maximus und ein Mal bei dessen Gemahlin. Sehr merkwürdig ist auch folgende Episode aus dem Leben dieses großen Bischofes. Als der Bischof Liborius von Le Mans gestorben war, begab er sich in diese Stadt, um seinem Mitbruder und Suffragan die letzte Ehre zu erweisen. Vor dem Thore traf er einen Mann, welcher in einem Weinberge arbeitete. Er war verheirathet. Der hl. Martinus nahm ihn mit und zwang ihm die bischöfliche Würde auf. Seine Frau, welche Maura hieß, willigte ein und begab sich in ein Kloster. Auch ihren einzigen Sohn, der wie sein Vater Victurius hieß, nahm der hl. Martinus mit sich. Der unfreiwillige Bischof regierte seine Kirche mit großem Segen und wird wie sein Sohn, der ihm im bischöflichen Amte folgte, zu den Heiligen gezählt. Jener wird am 25. August, dieser am 1. September verehrt (Gall. chr. n. XIV. 342). Ueber seine Güte und Nachsicht erzählt uns Sulpitius Severus (dial. III. 20) ein sehr schönes Beispiel. Ein Priester, Namens Brictius, wurde eines Tags vom bösen Geiste angetrieben, den Heiligen zu lästern; er war ein ungerathener Zögling desselben, und hatte verdienten Tadel empfangen; dieß brachte ihn so auf, daß er der Art wider seinen Bischof sich stellte, daß er kaum der Fäuste sich enthielt. Der Heilige entgegnete ihm sanft, mit gelinden Worten und freundlichen Gebärden. Er verzieh ihm gerne, indem er sagte, er lasse sich durch Schmähworte nicht anfechten, denn sie schadeten mehr denen die sie ausstoßen als ihm. Nie konnte der hl. Martinus dahin vermocht werden, den Brictius des Priesteramtes zu entsetzen, damit Niemand denken möge, er habe seine eigene Schmach rächen wollen. Oefter hörte man ihn sagen: »Hat Christus den Judas ertragen, warum soll ich den Brictius nicht ertragen?« Ein anderer schöner Zug ist in folgender (Sulpit. Sev. dial. II. c. 1) Geschichte enthalten. Beim Eintritt zur Kirche bat ihn einst ein halb entblößter Mann um ein Kleid. Er gab dem Archidiakon den Auftrag, ihm ein solches zu geben, und begab sich in seine Sakristei. Bald darauf kam der Arme ihm nach, klagend daß er noch kein Kleid bekommen habe, und daß es ihn so friere. Der Heilige zog seinen Rock aus, legte ihn dem Armen an, und blieb ohne Kleid hinter einem Vorhange bis der Archidiakon erschien, und ihm anzeigte, das Volk sei versammelt, und warte auf ihn in der Kirche. Der hl. Bischof antwortete ihm, man müsse den Armen zuvor kleiden. Der Archidiakon, der nicht wußte, wie das gemeint sei, gab zur Antwort, der Arme sei nicht da, aber der hl. Martinus befahl das Kleid ihm zu bringen, der Arme werde sich finden. So [280] mußte der Archidiakon gehorchen. Er brachte ein rauhes, schlechtes Kleid, das er im nächsten Laden schnell kaufte, und gab es dem hl. Manne, der es für sich verwendete. Ueber das Jahr seines Hinscheidens können wir nicht im Zweifel seyn, denn er lebte nach seinem Aufenthalt in Trier im J. 383 noch 16 Jahre (Sulpit. Sev. dial. III. c. 15). Also starb er im J. 399 oder in runder Zahl 400. Letzteres nimmt auch Hefele (Concil-Gesch. II. 60) als sicher an. Tillemont und Cointius, deren Autorität nicht weniger groß ist als die der eben genannten Forscher, setzen d.J. 397. Der neueste Bearbeiter seines Lebens (Gall. chr. n. l. c. fol. 4) setzt 396 als beiläufiges Todesjahr. In der That wäre der hl. Brictius, der Nachfolger des hl. Martinus, nach dem Berichte Gregors von Tours im zweiten Jahre der Regierung des Honorius und Arcadius, also 396 ordinirt worden. Er war eben in Condate (Candes in Touraine), um die dortige dissidirende Geistlichkeit wieder zu vereinigen. Schon im Begriffe heimzureisen, überfiel ihn eine gänzliche Kraftlosigkeit. Er rief also seine Schüler zusammen, und zeigte ihnen seinen nahen Hintritt an. Da trauerten und klagten sie Alle: »Vater, warum verlassest du uns? Reißende Wölfe werden deine Heerde anfallen. Wer soll ihnen das Beißen wehren wenn der Hirt davon ist? Wir wissen, daß du zu Christus begehrest, aber du bist deiner Belohnungen versichert, die durch keinen Verzug gemindert werden. Erbarme dich unser, die du verlassest!« Der Heilige wurde bis zu Thränen gerührt und betete: »Herr, wenn ich für dein Volk noch nöthig bin, so weigere ich mich der Arbeit nicht. Dein Wille geschehe!« Etliche Tage lang hatte er heftiges Fieber. Doch ließ er nicht nach am Werke Gottes, wachte und betete ganze Nächte hindurch, nöthigte die schwachen Glieder dem Geist zu dienen, und lag auf dem bloßen Boden im Bußkleide auf Asche. Als man ihn bat, er solle sich ein wenig Stroh unterlegen lassen, gab er zur Antwort: »Es geziemet sich nicht, meine Söhne, daß ein Christ anders als in Asche sterbe.« Augen und Hände hob er stets zum Himmel, nie ließ er, unermüdet im Geiste, vom Gebete ab. Als einige Priester ihn auf die Seite wenden wollten, sprach er: »Lasset mich, Brüder, lieber den Himmel als die Erde anschauen, damit der Geist bei seiner Wanderung die rechte Richtung nehme.«Nachdem er dieß gesprochen, sprach er zum Teufel, der sich gleichfalls eingefunden hatte: »Was willst du, blutige Bestie? du Mörder, an mir wirst du nichts finden, der Schoos Abrahams wird mich aufnehmen.« Mit diesen Worten gab er den Geist auf. Sein Biograph setzt hinzu: »Die dabei Stehenden haben uns bezeugt, am todten Leibe die Herrlichkeit eines glorificirten Menschen gesehen zu haben. Sein Angesicht erschien ihnen heller als das Licht, alle seine Glieder waren weiß und ganz fleckenlos und sein Leib wurde so zart und anmuthig wie der eines siebenjährigen Knaben. Wer hätte das glauben sollen, da dieser Leib doch stets mit Cilicium und Asche bedeckt war!« Seine Leiche war so außerordentlich besucht, daß sie mit dem Triumphzuge eines Kaisers verglichen werden konnte. Wie bei diesem die Gefangenen vor dem Triumphwagen, so zogen der Leiche des hl. Martinus die Schaaren jener voraus, die unter seiner Führung die Welt verlassen hatten. Es sollen nämlich über 2000 Mönche gegenwärtig gewesen seyn. Dazu kamen viele Leute aus allen Ständen und Lebensaltern. So legte man den Leichnam des Heiligen in seine Ruhestätte. Dabei wurde viel gesungen. Was die Kirche noch heute in der hl. Messe betet: »Martinus, arm und demüthig auf Erden, zieht reich in den Himmel ein,«mag der Kern dieser Gesänge gewesen seyn. Er wurde, wie es zu jener Zeit allgemein üblich war, außerhalb der Stadt Tours begraben. Den Ort nannte man später »die Stätte des hl. Martinus« (Martinopolis); der Heilige hatte selbst in der Gottesackerkirche, die er dem hl. Stephan zu Ehren erbaut und eingeweiht hatte, sich sein Grab gewählt. Umsonst bemühten sich die Mönche von Poitiers den heiligen Leib für sich bekommen. »Euch«, antworteten ihnen die Mönche von Tours, »ist er von Gott genommen, uns aber gegeben worden.« Der hl. Gregor von Tours erzählt, daß die hhl. Bischöfe Ambrosius von Mailand und Severin von Cöln von seinem Hintritt Offenbarung erhielten und Ersterer seine Leichenfeier auf Erden, Letzterer aber seinen Triumph im Himmel im Gesichte geschaut habe. Der Nachfolger des hl. Martinus, dessen schlimmem Anfang ein gutes Ende folgte (H.-L. I. 512), ließ am Grabe eine Cellula, d.h. eine kleine aber kunstvolle (opere loculentam) Innerkirche errichten [281] (Gall. chr. XIV. 10). Bischof Perpetuus (460–490) errichtete an dieser Stelle eine schöne Basilika, welche eine Länge von 160 und eine Breite von 60 Fuß hatte und von Sidonius als das achte Wunder der Welt besungen wurde. Die Säulen waren von glänzendem Marmor und die Altäre strahlten von Gold und Edelsteinen. Inschriften in großer Zahl verherrlichten in wohl gebauten Versen den Ruhm des Heiligen. In der Apsis z.B. las man ein Gedicht von Sidonius Apollinaris, das mit den Worten begann: Martini corpus totis venerabile terris. Die Marmorplatte, mit welcher das Grab eingedeckt wurde, hatte Bischof Euphronius von Autun gesendet. Im J. 913 wurde gleichwohl diese Basilika noch zu klein befunden und deßhalb erweitert. Hundert Jahre später wurde sie glänzend restaurirt und nach Erhebung der Reliquien des hl. Martinus am 14. Juli 1014 durch Bischof Hugo I. zu Ehren der hhl. Apostel eingeweiht. Hatte schon in früher Zeit der hl. Eligius für die Gebeine des Heiligen einen großen, mit Goldplatten überzogenen und kostbaren Steinen reich geschmückten Schrein angefertiget, so verherrlichten später eine Menge herrlicher Weihegeschenke, namentlich ein von Ludwig XI. geschenktes Silbergitter122 (Gall. chr. XIV. 158) dieses berühmte Grab. Besonders schön und anziehend ist die Schilderung, die Sul pitius Severus am Schlusse seiner Lebensbeschreibung von der Lebensweise dieses hl. Bischofes überhaupt gibt. Ich will einiges davon hersetzen: »O wohl ein seliger Mann, an dem kein Betrug gewesen, der Niemanden verurtheilt, gerichtet, Keinem Böses mit Bösem vergolten hat. Für das Leiden war er so eingenommen, daß er, obgleich Bischof, vom geringsten Kleriker sich ungestraft beleidigen ließ; weder entsetzte er sie deßhalb, noch schloß er sie, so viel an ihm war, aus seinem Herzen und von seiner Liebe aus. Niemand hat ihn je zornig, traurig oder lachend gesehen: er war immer derselbe, immer zeigte er himmlische Freudigkeit in seinen Gebärden, als wäre er übermenschlicher Natur. Nie hatte er etwas Anderes im Munde als Christus, nie etwas Anders im Herzen als Andacht, Friede, Barmherzigkeit. Oft hat er für die Sünden derer, die ihm übel nachredeten und ihn verleumdeten, gebetet. Denn Einige beneideten ihn, und haßten an ihm was sie an sich selbst nicht sahen.« Das anfänglich kleine, unansehnliche Kloster des Heiligen wurde das capitulum nobile et insigne des hl. Martinus, dessen erster Dignitar der König von Frankreich war. Sein Fest wurde weit über die Grenzen des Landes hinaus, besonders auch in vielen deutschen Bisthümern, ein gebotener Feiertag. Zu Tours beging man besonders seit der Eingangs erwähnten Synode d.J. 461 seinen Festtag unter dem Namen receptio Domni Martini, d.h. Aufnahme Martins in den Himmel. Eine besonders eingehende Verordnung über die Ordnung des Psaltirens zu Ehren des hl. Martinus wurde auf der Synode zu Tours i. J. 567 erlassen. (Hefele Concil-Gesch. II. 567. III. 22.) Das Mart. Rom. gedenkt seiner Wunder und insbesondere seiner Todtenerweckungen zum 11. Nov. und im Brevier hat er ein Officium mit seiner Lebensgeschichte entnommenen Antiphonen und Responsorien. In mehreren deutschen Diöcesen, z.B. Mainz, wo er Patron ist, hat er eigenes Officium. Er heißt hier in den Antiphonen zur ersten Vesper ein »ausgezeichneter Vorstand«, – »welcher in diesem Pilgerthal nur körperlich sich aufhielt, mit den Gedanken und Wünschen in jenem ewigen Vaterlande weilte«, – »durch dessen Verdienste jene, die von ganzem Herzen ihn aufsuchen, von jeder Drangsal frei werden«, »den Propheten vergleichbar, den Aposteln beigezählt, die Perle der Bischöfe« u.s.w. Im Hymnus finden wir unter andern die schöne Strophe:
Cunctis candelabrum luminis extitit
A multis tenebras mortis et expulit
Virtutum statuit crescere germina
In quorum fuerant pectora crimina.
Zu Deutsch:
Allen hat er Licht gebracht,
Vielen nahm er Todes Nacht,
Der Tugend Saat hat er gelegt
In Herzen lasterhaft erregt.
Das Evangelium handelt (Luc. 11,33–36) von dem auf den Leuchter gestellten Lichte, das der Heilige in so hohem Grade gewesen ist. Seine Translation wird zu Mainz am 5. Juli gefeiert. Aber auch alle andern Martyrologien verkünden seinen Ruhm. In Tours werden einige Tage besonders gefeiert: z.B. der 12. Mai als S. Martini [282] subventio,123 und der 4. Juli, der Tag seiner Ordination, der Uebertragung seines Leibes und der Einweihung seiner Basilika. Wie bei Menzel (Symbolik II. 112) gesagt ist, heißt sein Todestag Martinus frigidus (11. Nov.), der 4. Juli aber Martinus calidus. Wo derselbe Schriftsteller die Angabe entlehnt hat, daß überall, wo die Leiche vorbeigeführt wurde, alles gegrünt und geblüht habe, ist uns unbekannt. Ohne Zweifel rührt es daher, daß man in England einen schönen Spätherbst St. Martins-Sommer nennt. Seine Verehrung dort ist (Piper, die Kalendarien und Martyrologien der Angelsachsen, Berlin 1862 S. 97) uralt, älter sogar als die Einwanderung der Angelsachsen. Als der hl. Augustinus im J. 597 dorthin kam, fand er bei Stadt Canterbury eine Kirche (worin die Königin Berhte zu beten gewohnt war), »die zu Ehren des Martinus in alter Zeit erbaut war, als noch die Römer Britannien bewohnten.« (Beda h.e. gent. Angl. I. 26.) In Spanien hatte der hl. Martinus schon vor dem J. 450 ein eigenes Officium sammt Messe. (Florez, Esp. sagr. III. 217 ff.) Die Kirchen des hl. Martinus mehrten sich besonders in Gallien schnell. An dem Thore von Amiens und in dem Hause, wo der Heilige das berühmte Traumgesicht hatte, entstanden Oratorien zu seiner Verehrung. Ferner erhob sich eine Kirche zu Ehren des hl. Martinus zu Candes, dem Orte seines Heimganges, eine andere zu La-Latte (Ciran-La-Latte), welche Reliquien des Heiligen bewahrte. So gab es auch eine St. Martinskirche zu Marueil-sur-Cher. Alle Klöster in Gallien, sowohl Männer- als Frauenklöster, ehrten im hl. Martinus ihren Stifter und Beschützer. So war es, bevor Benedikt von Nursia berühmt wurde, selbst in Italien. Nach Spanien kam die Verehrung des Heiligen durch den Jünger des Heiligen, Martinus von Gallicum. Der hl. Patricius, Apostel der Iren, verpflanzte seine Verehrung nach Irland. Als wie gesagt der hl. Mönch Augustinus zu Canterbury bei König Ethelbert erschien, fand er dort eine Kirche aus der Zeit der Römerherrschaft, welche dem hl. Martinus geweiht war. Auch zu Rom wird im J. 500 eine Kirche seines Namens erwähnt. Zu den Zeiten Gregors des Großen hatte dieses Beispiel bereits in ganz Italien Nachahmung gefunden. Auch die griechische Kirche nahm den hl. Martinus unter die Zahl der besonders verehrten Heiligen auf, wie das die griechischen Menologien darthun, in welchen er den Ehrennamen des Thaumaturgos, des Wundere thäters, erhält. Deutschland zählt zahlreiche, mitunter sehr alte Kirchen, welche diesem großen Heiligen geweiht sind. In Cöln besteht das Kloster S. Martini majoris schon seit dem J. 690. In diesem Bisthum hatte der hl. Martinus gegen das Ende des 12. Jahrhundert sogar mehr Kirchen, als die Mutter Gottes und der hl. Petrus zusammen. Der hl. Martinus wird am gewöhnlichsten als Ritter mit weißem Rosse, wie er den zerschnittenen, blauen Mantel dem Bettler reicht, dargestellt (»Mantelmartin«). Man findet ihn aber auch als Bischof, eine feurige Kugel über sich, oder eine Gans neben sich, wie er eben die Messe liest, Kranke heilt und Todte erweckt, oder wie Christus im Traumgesichte ihm den geschenkten Mantel zeigt, abgebildet. Venantius Fortunatus gedenkt in seinem Gedichte auf den Heiligen eines in der ihm geweihten Kirche vorhandenen Wandgemäldes, unter welchem in einer Mauernische eine beständige Lampe brannte.124 Frühzeitig scheinen sich an die Verehrung des hl. Martinus allerlei Mißbräuche angehängt zu haben. So verbietet z.B. die Diöcesan-Synode von Auxerre im J. 578 die Nachtwachen zu Ehren des hl. Martinus, wahrscheinlich um Aberglauben und Unsittlichkeit zu verhüten (Hefele, Conc.-Gesch. III. 39). Dagegen wurden die s.g. Martinsbrode oder Martinshörner d.i. Brode in Hörnerform im Zeitalter des hl. Bonifacius von den christlichen Priestern an die Stelle ähnlicher heidnischer Brode in Götzengestalt eingeführt (Ebend. III. 476). Die Martinsfeuer (Reinkens, S. 239) werden vielfach gedeutet. Es ist schwer, den ursprünglichen Sinn festzustellen, weil wir den ersten Ursprung derselben überhaupt nicht kennen. Naheliegend ist, daß sie auf den Winteranfang hinweisen. Die Gallische Kirche begann mit dem St. Martinstage (11. Nov.) ihre Adventzeit; in Deutschland beginnt mit demselben [283] Tage an vielen Orten ein neues Pacht- oder Miethjahr. Das deutsche Sprüchwort lautet: »St. Martin macht Feuer im Kamin«, und »das Martinsmännchen hüllt sich in Stroh«. Nach Simrock sollten die Martinsfeuer die Wiedergeburt des setzt verdunkelten Sonnenlichtes verheißen. Aber sie könnten auch eine Erinnerung an die Wunderkräfte, welche der hl. Martinus diesem verheerenden Elemente entgegensetzte, enthalten. In Beziehung auf die Helle, welche das Feuer verursacht, ist zu bemerken, daß er »Galliens Sonne« heißt, welche die Finsterniß des Heidenthums überwand. Ins Bild übertragen, stellte man daher den Heiligen dar, wie eine feurige Kugel beim hl. Meßopfer über ihm erscheint, welche Darstellung im Laufe der Jahrhunderte allmählich zur Begebenheit wurde. Als Curiosum sei noch erwähnt, daß Martinus im Munde des Volkes »der Steuerheilige« genannt wird. Man hat nämlich folgende Fabel erfunden. Chlodwig hatte vor der Schlacht mit den Visigothen sein Pferd dem hl. Martinus geweiht, und wollte es ihm um 100 Goldthaler wieder ablösen. Aber es ging nicht. Erst als der König noch hundert Thaler darauf gelegt hatte, konnte es wieder laufen. Um Martini waren die Abgaben zu entrichten, weil, wie Gretser (de festis Christian. II. 7) bemerkt, um diese Zeit die Aernte vollständig eingeheimst und alle Speicher voll sind.125 Die Schweizerischen Reformatoren, gegen welche dieser schrieb, waren die Urheber auch des gewaltigen Sturms gegen die Reliquien dieses großen Heiligen. Im J. 1562 entweihten nämlich die Calvinisten den heiligen Ort. Ihr Anführer war Franz Graf de la Rochefoucauld (Rupefulcaudus). Der Sarg wurde geplündert, die hl. Gebeine verbrannt! Nur ein Arm und ein Theil der Hirnschale wurden gerettet. Uebrigens hatte die Kirche von Tours bis zum J. 1070 unter allen 118 Bischöfen, nur noch einen der den Namen Martinus führte und von 1520–1527 als Bischof wirkte. Die Chronologie im Leben unsers Heiligen ist noch immer nicht hinreichend klar gemacht. Wir geben im Folgenden zunächst eine Uebersicht der bisher von den Forschern aufgestellten Daten. Das Geburtsjahr wird von den Aeltern ins J. 310, spätestens ins J. 316 gesetzt; Neuere nehmen erst 333 und 335, der neueste Forscher, Reinkens, 336 an. Das gleiche Schwanken begegnet uns hinsichtlich des Todesjahrs des Heiligen. Damberger (synchron. Gesch. der Kirche und der Welt im M.-A. I. 80 und 407) setzt den Tod des Heiligen auf das J. 370, in dem dazu gehörigen Kritikheft auf das J. 397 und sein Begräbniß in d.J. 400. Pagi meint, er sei im J. 400 gestorben. Reinkens glaubt mit Sicherheit behaupten zu können, der Tod des berühmten Heiligen könne erst gegen Ende des J. 401 erfolgt seyn. Wer die Gründe von Reinkens gelesen und gewürdiget hat, muß ihm wenigstens darin beistimmen, daß der Heilige unmöglich schon im J. 310 oder 316 geboren seyn konnte. Dennoch glauben wir ihm nicht unbedingt folgen zu dürfen. Er setzt Folgendes fest (dem Sulpitius Severus folgend): 336 Geburtsjahr; 348 Sehnsucht nach dem Einsiedlerthume; 351 Eintritt ins Heer; 356 Verlassen des Militärdienstes und Besuch bei Hilarius; 401 Todesjahr. Dagegen besteht aber eine Einwendung, die wir nirgends gelesen haben und die daher hier Platz finden mag. Unmittelbar nach seinem Austritt aus dem Heere, also noch im J. 356 begab sich der Heilige zum hl. Hilarius, der ihn sofort zum Diakon weihen wollte. Zu dieser Weihe gehörte nach der damaligen Kirchen-Disciplin, die vom großen Bischofe von Poitiers am wenigsten mißachtet wurde, ein Alter von wenigstens 25 Jahren, während er nach Reinkens um volle fünf Jahr jünger gewesen wäre, also nicht einmal Dispense hätte erlangen können. War er aber damals 25 Jahre alt, so fällt [284] sein Geburtsjahr nicht später als ins J. 331; seine Sehnsucht nach dem Einsiedlerleben ist ins J. 343 zu setzen; sein Eintritt ins Heer 346, sein Austritt ins J. 356, seine Taufe zwei Jahr früher, also 354; seine Weihe zum Exorcisten mag ins J. 357 gefallen seyn; ein Jahr später reiste er in seine Heimath, von welcher er im J. 360 wieder nach Poitiers zurückkehrte. Im J. 371 oder 372 wurde er Bischof von Tours, und kam bald darauf an den Hof des Kaisers Valentinian nach Trier, wirkte daselbst im J. 385 zu Gunsten der blutig verfolgten Priscillianisten, und starb im J. 400.126 Daß er mit der Taufe bis zu seinem dreiundzwanzigsten Jahre wartete, hat nach der damaligen Kirchendisciplin gar keine Schwierigkeit und wirst auf seine Frömmigkeit, schon als Katechumene, nicht den mindesten Schatten. Bei dieser Chronologie braucht man, was gewiß von Vortheil ist, die Stelle bei Sulpitius Severus (Dial. II. c. 7) nicht für unterschoben zu erklären. Dort heißt es nämlich, als der hl. Martinus sich von der Gemahlin des Kaisers Maximus bei Tisch bedienen ließ, sei er bereits ein siebenzigjähriger Greis gewesen. Reinkens kann nach seiner Chronologie die Stelle nicht erklären, er muß sie beseitigen. Dieß ist nun immerhin mißlich, während nach unserer Annahme Sulpitius Severus sein Recht behält, indem der Heilige wirklich damals das 69. Jahr bereits überschritten hatte.
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