[95] S. Rictrudis (12. Mai al. 7. Febr.), Abtissin zu Marchiennes (Marchianum) in Flandern, war von vornehmen aber heidnischen Eltern um d. J. 614 in der Gascogne geboren. Ihr Vater hieß Ernold, ihre Mutter Lichia. Sie hatte die Gnade, von dem hl. Bischof Amandus, der damals vom König Dagobert vertrieben, nach Gascogne gekommen war, im Christenthume unterrichtet zu werden. Als sie zur Jungfrau herangewachsen war, ehlichte sie einen edeln Franken Adalbald (s. d.), dessen Mutter Gerberla eine Tochter der hl. Gertrudis gewesen. Mit diesem reichen, dabei aber gottesfürchtigen Gemahl lebte Rictrudis in glücklicher Ehe und gebar ihm vier Kinder, welche sämmtlich als Heilige verehrt werden, einen Sohn, Maurontus, der als Abt sein Leben heilig schloß, und drei Töchter Clotsendis, Eusebia und Adalsendis.23 Als ihr Gatte auf einer Reise nach Guienne in Perigord von den Gascognern ermordet wurde, im J. 652, ließ sie sich durchaus nicht mehr bereden, eine zweite Ehe zu schließen, welche der König selbst mit ihr eingehen oder (nach Andern) ihr vermitteln wollte. Die Legende erzählt, daß sie den König zu Gast geladen, und als er vom Mahle angeheitert war, ihn gebeten habe, ob er erlaube, daß sie das Liebste, was sie in ihrem Hause habe, sich aneigne. Der König habe die Bitte auf sich bezogen, und sie sogleich bewilliget. Darauf habe die Heilige den vom Bischofe geweihten und auf seinen Rath bereit gehaltenen heiligen Schleier sich auf das Haupt gesetzt, während der König unwillig sogleich von der Tafel wegging. Unter der Leitung des hl. Amandus weihte sie sich und ihre drei Töchter dem Dienste Gottes und begab sich in das Kloster zu Marchiennes, wo sie zur Abtissin gewählt wurde. Nachdem sie Allen in Gehorsam, Geduld und Keuschheit, im Fasten, Wachen und Beten, in Sanftmuth, Bescheidenheit und Wohlthätigkeit sich viele Jahre hindurch als Muster dargestellt hatte, legte sie einige Zeit vor ihrem Tode ihr Amt nieder und entschlief, 74 Jahre alt, am 12. Mai d. J. 688. Ihr Leib wurde im Kloster begraben. Bald ereigneten sich bei ihrer Ruhestätte viele Wunder, die sich bei verschiedenen Translationen, die mit ihren heil. Reliquien vorgenommen wurden, zahlreich erneuerten. Nicht zu verwechseln ist die hl. Rictrudis mit der hl. Jungfrau Rotrudis, deren Fest auf den 22. Juni fällt. Das Fest der hl. Rictrudis (ihre Erhebung) wird an verschiedenen Orten, welche sie zur Patronin erwählt haben, zu verschiedenen Zeiten gefeiert, nämlich am 7. Febr., 12. und 29. Mai, 2. Aug. und 29. Oct. Einige ihrer Reliquien werden zu Douay aufbewahrt. Auf Bildnissen findet man das eben erwähnte Begebniß mit dem Könige Dagobert dargestellt. Auf ihrem Grabsteine las man die [95] Inschrift: virtutis ager, pietatis imago, d. h. ein Ackerland der Tugend und ein Abbild der Frömmigkeit. (III. 79–154.)