[390] S. Sturmius, Abb. (17. Dec. al. 19. Apr.). Die Lebensgeschichte dieses heil. Abtes ist durch seinen Schüler und dritten Nachfolger Eigil verfaßt worden. Er ist großentheils selbst Zeuge seines Lebens und Wirkens gewesen und verdient deßhalb unbedingten Glauben. Er verordnete, daß seine Aufzeichnung alle Jahre am 17. Dec. bei der Mahlzeit vorgelesen werde. Im Drucke ist dieselbe zuerst von Brower (sidera) nach einer Bamberger Hds., dann von Mabillon und Surius und in neuester Zeit von Pertz (mon. II. scr 365–377), Strunck, Giefers und Migne herausgegeben worden. Eine Uebersetzung ins Deutsche ist zu Berlin im J. 1863 von Arndt geliefert worden. Als vorzügliche Bearbeitungen müssen die von Kayser (Paderborn, 1868), der die lang vernachlässigte Verehrung des Heiligen in der Pader borner-Diöcese neu angeregt hat und Nick (Fulda, 1865) hervorgehoben werden. Auch die Biographien von Raderus, Schannat, Bruns, Jocham, Stabell u. A. sind besonders zu erwähnen. Alle diese sagen übereinstimmend, daß der heil. Sturmius, eigentlich Sturm, (Sturmi, Stormi, Styrme, Sturmus), von edlen, wenigstens ehrbaren Eltern in Noricum (Nordgau) stammte. Andere bezeichnen mit großer Sicherheit Bayern (Bojoarien) als sein Vaterland. Wenn das jetzige Bayern gemeint ist, wie Kampschulte ausdrücklich hervorhebt (K.-P. S. 76), so ist dagegen nichts zu erinnern. Eine Ortsbezeichnung ist bei dem Schweigen aller Urkunden hierüber nicht möglich. Sein Geburtsjahr fällt zwischen die Jahre 710 und 715. Als der hl. Bonifacius um d. J. 735 den Nordgau (die Gegend um Nürnberg) bereiste, gewann er den wohl gestalteten, hoch begabten, damals beiläufig 23 Jahre zählenden Jüngling als Schüler. Eltern und Verwandte sahen ihn mit großem Schmerze scheiden, wenn auch, wie nicht zu bezweifeln, ihre Einwilligung nicht gefehlt hat. Wir schließen hieraus auf die großen Erfolge auch dieser zweiten Missionsreise des Apostels der Deutschen im südlichen Deutschland. Von jetzt an finden wir den hoffnungsvollen Jüngling in Fritzlar (Friedenslehre, -Stätte) in Hessen, wo er das Noviziat durchmachte und den Studien oblag. Das Kloster daselbst war im Jahre 732 durch den heil. Bonifacius gegründet worden. Zur Zeit als der heil. Sturmius eintrat, stand es unter der umsichtigen und einsichtsvollen Leitung des hl. Abtes und Priesters Wigbert. Den Hauptgegenstand des Unterrichtes bildete die heil. Schrift, hauptsächlich die Psalmen, die vier Evangelien und das neue Testament überhaupt. Der lern- und heilsbegierige Jüngling lernte vieles davon auswendig. Hiedurch erhielt er eine gründliche Kenntniß der Geheimnisse und Wahrheiten des kathol. Glaubens, die er zugleich mit vollem Herzen erfaßte und in seinem Wandel zu bethätigen suchte. Sein Benehmen war voll edeln Anstandes, sein Wandel ohne Tadel. Sein freundliches, heiteres, lebhaftes Wesen, gemäßiget durch Demuth und Sanftmuth, gewann ihm die Zuneigung und Liebe der Lehrer und der Schüler. Nachdem er das vorschriftsmäßige Alter erreicht hatte, wurde er, etwa im J. 740, Priester. Die Worte des Propheten: »Diejenigen, welche Viele unterrichten zur Gerechtigkeit, werden ewiglich glänzen wie die Sterne des Himmels«, trieben ihn an, in der ganzen Gegend ringsum (circumquaque) das Wort Gottes zu verkünden. Er bekräftigte seine Predigt nicht bloß durch sein Beispiel, sondern er that auch durch besondere ihm verliehene Gnadengaben sehr viele Wunder (sacrae [390] etiam virtutes per divina Sancti Spiritus charismata fiebant ab eo plurimae). Es wichen auf sein Gebet die unreinen Geister, und viele Kranke wurden durch die Auflegung seiner Hände gesund. Nach drei Jahren gesegneter Wirksamkeit begab er sich mit zwei Genossen, unter Einwilligung des hl. Bonifacius, in die Einöde von Buchonia, d. i. in die ungeheure Waldstrecke, die sich damals noch zwischen Oberlahn und Saale, der Werra und dem Mittelmain hinzog, um dem beschaulichen Leben zu obliegen, und eine neue Niederlassung für seinen Orden zu begründen. Sie kamen nach mehrtägiger Wanderung nach Hersfeld (Herolfisfeld31, das Feld des Herolf oder Heerwolf) an der Fulda, wo sie kleine Hütten aus Holz errichteten, die sie mit Baumrinden zudeckten. Hier blieben sie geraume Zeit (tempus non modicum). wenigstens während des ganzen Frühjahres 743 in Gebet und geistlichen Uebungen. Der heil. Bonifazius aber fand den Ort für eine Niederlassung nicht geeignet, sondern rieth den Eremiten – als solche bezeichnete er sie jetzt, – einen Ort zu suchen, welcher den feindlichen Ueberfällen der noch heidnischen Sachsen weniger ausgesetzt wäre. Der heil. Sturmius begab sich also zum zweiten Male auf die Reise in die Einöde. Er ruderte mit seinen Gefährten den Fuldafluß herauf, wobei sie oft das Fahrzeug verließen, ob sie nicht den Platz fänden, der ihnen vom Herrn bestimmt sei. Sie kamen dis an die Stelle, wo das Lüderflüßchen in die Fulda mündet (jetzt Lüdermünd), nachdem sie vorher sich am Roden bach (Rohenbach, jetzt Rombach) umgesehen hatten, fanden aber auch hier die passende Stelle nicht, und kehrten unverrichteter Dinge nach Hersfeld zurück. Hier überraschte sie ein Bote des hl. Bonifacius mit der Weisung, daß Slurmius baldthunlichst zu ihm komme. Schon am folgenden Tage machte sich dieser auf den Weg, und begab sich über (Groll-) Seelenheim nach Fritzlar, wo der hl. Bonifacius neuerdings zu ihm sagte: »In jener Einöde liegt aber dennoch ein Ort, den Gott zum Wohnsitze bereit hält, und Er wird ihn euch zeigen, sobald es sein Wille ist; darum höre nicht auf, ihn zu suchen, und sei fest überzeugt, daß du ihn findest.« Nochmals ging also der Heilige von Hersfeld aus, dießmal zu Land, auf einem Esel reitend, durch unbewohnte und waldige Gegenden, sich einen Wohnsitz zu suchen Wann ihn die Nacht überraschte, machte er eine Verzäunung, damit sein Thier vor den Anfällen der wilden Thiere sicher sei, er selbst aber legte sich, nichts fürchtend, auf den Boden zur Ruhe nieder, nachdem er sich im Namen Gottes das Zeichen des Kreuzes auf die Stirne gedrückt und gesegnet hatte. Den Tag über betete er ununterbrochen Psalmen, am öftesten wohl solche, die vom Schutze Gottes handeln, dessen die Frommen sich erfreuen. Auf dieser Wanderschaft kam er an die Straße, die von Thüringen nach Mainz führte, gerade wo sie über die Fulda ging (bei dem jetzigen darmstädtischen Dorfe Hennen). Hier traf er eine Menge Badende, die ihn zwar fragten, was er wolle, aber gleichwohl unbeschadet ziehen ließen. So kam er nach Ortessueca, wo die Ginsel (Gysilibacha) in die Fulda fließt. Hier schickte ihm Gott einen Führer aus der Wetterau (Widebereica), der ihn über Eichloch (Aichlocus) nach Bronzell und an den Kretzbach (Grezibach) wies, von wo er endlich an den Ort gelangte, wo jetzt die Domkirche von Fulda sich erhebt. Er segnete denselben, bezeichnete sich ihn sorgfältig, und zog dann hocherfreut nach Hersfeld zurück. Nachdem er die Brüder von dem glücklichen Funde benachrichtigt hatte, begab er sich nach Seelenheim, um auch dem heil. Bonifacius diese Nachricht zu überbingen. Doch konnten sie von dem gewählten Platze nicht Besitz ergreifen, ehe ihnen derselbe förmlich als Eigenthum zugewiesen war. Das hatte aber keine Schwierigkeit. Nachdem der hl. Bonifacius die Ueberzeugung gewonnen hatte, daß dieser Ort der ihm von Gott zubereitete sei, ließ er die Brüder einstweilen in Chrichlar (Trihiar, bis jetzt nicht aufgefunden) Wohnung nahmen, und reiste dann zu dem Hausmaier Carlmann, um sich den gefundenen Ort zum Geschenke zu erbitten. Der Fürst gab sogleich 4000 Schritt ins Gevierte für Gott als Eigenthum. Am 12. März d. J. 744 wurde der Klosterbau unter Psalmengesang und Gebet in[391] Angriff genommen. Schon nach zwei Monate nahm der hl. Bonifacius Einsicht von demselben. Sieben Benedictiner bezogen unter Führung des hl. Sturmius die neue Ansiedelung. Nach vier Jahren war Alles fertig. Man befolgte die Regel des heil. Benedictus in ihrer ursprünglichen Strenge, aß nie Fleisch und trank nie Wein, sondern nur Bier und Wasser. Was noch fehlte, suchte der heil. Sturmius nach den Mustern zu ergänzen, welche er in den Klöstern Italiens, namentlich auf Monte Cassino, gesehen hatte. Er war nämlich zu diesem Zwecke im J. 747 mit zwei Ordensbrüdern vom hl. Bonifacius dahin gesendet worden. Ueber seine Beobachtungen machte er schriftliche Notizen, welche er später zu einem geordneten Ganzen sammelte. So bewährte er durchweg seine Gottesfurcht, seinen Gehorsam, seinen Eifer für die Ausbreitung des Ordenslebens. Je frömmer und abgetödteter der Missionär, desto gesegneter sein Wirken. Es war eine Ansiedelung für Missionäre gewonnen, welche den sächsischen Brüdern nahe und doch vor plötzlichen Ueberfällen sicher war, und durch seine Lage zugleich hinreichende Verbindung mit der Bischofs stadt Mainz darbot. Die Benedictiner wollten nicht blos predigen, sondern mehr noch durch ihre Gebete und durch das Beispiel eines frommen, der Welt abgestorbenen Lebens die Herzen der Heiden für den göttlichen Heiland gewinnen. Das Kloster wurde monasterium S. Salvatoris in Silva Buchonia genannt. Deßhalb wurde auch der erste Altar zu Fulda zur Ehre des Erlösers, der Mutter Gottes und der zwölf Apostel geweiht. Der heil. Sturmius erkrankte aber auf der Rückreise von Rom zu Kitzingen (apud Chitzzinga monasterium), und mußte vier Wochen daselbst bleiben. Nach seiner Genesung begab er sich zum hl. Bonifacius und berichtete, wie viel Treffliches und Schönes er in den Klöstern Italiens gesehen hätte. Dieser aber ermahnte ihn, nach jenen Vorbildern das Ordensleben in Fulda einzurichten. Der hl. Abt vollzog nach Kräften diesen Auftrag. Unablässig übte, lehrte und erklärte er die Regel des heil. Benedictus und goß durch sein erhabenes Beispiel Wärme und Eifer zur Befolgung derselben in die Herzen seiner Schüler, die ihn zärtlich wie ihren Vater liebten (amabilis omnibus in monasterio ministerium suum studiosissime exercuit, prius semper sanctitatis exemplum proponens caeteris, quae verbis docuit, factis ante monstrabat). Der Ruf des Klosters nahm mit jedem Tage zu; es wuchs unter Gottes sichtbarem Segen innerlich und äußerlich immer mehr empor. Die Mönche waren arm und lebten nur vom Ertrage ihrer Arbeit. Sie hatten keinerlei Dienstleute wie sie auch keine Leibeigenen besitzen durften, und geriethen durch den Zuwachs der Novizen nicht selten in fühlbaren Mangel. Aber sie unterzogen sich um Gottes willen gerne den anstrengendsten Arbeiten. »Wie einst der hl. Zimmermann,« heißt es bei Nick. S. 28, »bald den Gottmenschen auf seinen Armen trug, bald das Bauholz bearbeitete, so führten dieselbe Hände, die das hl. Opfer am Altare verrichteten, auch den Hobel und das Zimmermannsbeil.« Wie sehr der hl. Bonifacius diese Stiftung liebte, bewies er auch dadurch, daß er dem heil. Sturmius die Stelle zeigte, wo er hier begraben sein wollte. Trauer und Freude zugleich erfüllten das Herz des treuen Schülers, als er im J. 755 diesen letzten Willen erfüllen mußte. Zu Mainz stieß die Abführung der Leiche auf dieselben Schwierigkeiten, wie früher in Utrecht. Doch wurden dieselben durch eine Erscheinung des hl. Bonifacius selbst beseitigt. Hiedurch nahm Fulda einen noch größern Aufschwung, der zuletzt selbst dem heil. Erzbischofe Lullus1 bedenklich wurde, weil er mit der Zeit das Ansehen und den Einfluß der Mainzex Mutterkirche schädigen mußte. Dieß war ohne Zweifel der eigentliche und wahre Grund der nachfolgenden schweren, Zerwürfnisse, die für beide – für den Bischof nicht minder wie für den Abt – die Ursache großer Leiden wurden. Es ist unzweifelhaft, daß der heil. Bonifacius, um der neuen Stiftung eine möglichst große Unabhängigkeit zu sichern, bei dem Papste Zachaxias das Ansuchen gestellt hatte, daß das Kloster sowohl der bischöflichen Gerichtsbarkeit entzogen, als auch mit dem Rechte der Selbstverwaltung seines weltlichen Besitzthums betraut werde. und daß dieses Vorrecht dem Kloster wirklich von Papst Zacharias verliehen und vom Könige Pipin genehmiget wurde. Die letzte Urkunde ist. im Originale [392] noch vorhanden. Das auf das Pergament geheftete Siegel des Königs (Nick, S. 97) in dunkelm Wachse zeigt das Brustbild des Königs. Er ist dargestellt mit mäßigem Barte und der Krone. Die Umschrift lautet: »Christus schütze den König der Franken.« Der hl. Sturmius hatte angeblich (die Aechtheit der betreffenden Urkunde ist bestritten) von Papst Stephan III. sich eine neue Bestätigung dieses Vorrechtes erworben. Ebenso gewiß ist andererseits, daß der hl. Bonifacius diese Gunst von dem Papste Zacharias für das Kloster als Erzbischof von Mainz erlangt hatte, weßhalb sein Nachfolger, der hl. Lullus, sich auch in dieser Beziehung als seinen Erben ansah. Hatte doch der hl. Bonisacius sich selbst vor seiner Abreise nach Friesland in diesem Sinne ausgesprochen, und die Hoffnung geäußert, daß die Mönche überhaupt an ihm einen würdigen Vorsteher finden würden, und deßhalb ihm ausdrücklich die Fürsorge für das Kloster und die Vollendung der Klosterkirche übertragen. Er hatte also nicht blos das allgemein geltende kirchliche Recht. sondern auch eine sichere Auslegung, wie die dem Kloster zugewiesenen Privilegien zu verstehen seien, für sich. Der König selbst hatte dieselben, wie das nachfolgende gegen den hl. Sturmius lautende Urtheil bewies, in keinem andern Sinne verstanden. (Man vgl. hieher auch Bd. III. S. 958.) Vielleicht wäre der Zwiespalt friedlich beigelegt worden, wenn nicht sowohl zu Mainz als zu Fulda sich Männer gefunden hätten, welche den Streit schürten. Zu Fulda hieß es: »Es ist dem Lullus der Ruf des Abtes von Fulda zuwider und was er thut, geschieht aus Neid gegen ihn.« Dagegen sagte man in Mainz: »Allerdings ist der Abt ein ausgezeichnetes Talent und ein heiliger Mann, aber seine Gemüthsart ist heftig und unbändig.« Als nun im Kloster selbst sich drei falsche Brüder fanden, welche ihn feindseliger Gesinnung gegen den König beschuldigten, wurde er an den Hof geladen und verhört. Er nahm die wahrscheinlich ganz allgemein gehaltenen (crimen nescio quod de inimicitia regis objicientes ei, heißt es bei Eigil) falschen Anschuldigungen schweigend hin und sagte zu seiner Rechtfertigung nichts als die Worte der heiligen Schrift: »Mein, Zeuge und Mitwisser wohnt im Himmel. Der Herr, mein Gott, ist mein Helfer, darum werde ich nicht zu Schanden.« Der König hielt ihn für schuldig und schickte ihn ins Kloster Ju miegez (Vnnedica, Venedica, Ynda, Gemeticum) an der Seine in die Verbannung, wo er zwei Jahre, etwa von 760 bis 762, lebte. Dagegen erhielt Lullus die Oberherrlichkeit über Fulda, was hier als ein ungerechtes Geschenk angesehen wurde (Lullus interim obtinuit apud Pippinum regem munera injusta tribuendo, ut monasterium Fulda in suum dominium donaretur). Tiefer setzte sofort einen andern Abt, den Priester Marcus ein, den die Mönche nur kurze Zeit duldeten. Hierauf ließ ihnen der heil. Lullus, um einigermaßen geordnete Zustände herzustellen, die Wahl eines Abtes frei, welche auf einen bisherigen Liebling des heiligen Sturmius, Namens Preszold (Pressold) fiel. Es ist kein Zweifel, daß dem heil. Abte großes Unrecht geschehen war, für welches er zunächst den Erzbischof, seinen »immerwährenden Gegner« (qui mihi semper adversabatur). verantwortlich machte. Es mußte also eine Ausgleichung gesucht und gefunden werden. Zu Fulda waren die Mönche geradezu untröstlich. Doch hatten sie die Brücke zur Versöhnung durch die Wahl Pressold's schon zur Hälfte geschlagen und nun konnte ihnen auch der Erzbischof entgegenkommem, ohne seinem Ansehen etwas zu vergeben. Zu gleicher Zeit kam der heil. Abt auch bei dem Könige wieder zu Gnaden. Eines Morgens sprach dieser zu dem heil. Abte, er wisse nicht mehr, was für Klagen seine Mönche gegen ihn gehabt hätten, und warum er über ihn erzürnt war. Der Heilige antwortete: »Von Sünden bin ich nicht frei; aber gegen dich, o König, habe ich niemals etwas verbrochen.« Darauf sprach Pipin: »Nun denn, es sei! Solltest du je gegen mich etwas Unbilliges gedacht oder gethan haben, so möge Gott dir alles vergeben, wie auch ich dir von ganzem Herzen verzeihe; sei versichert, daß ich von nun an allezeit dir meine Gnade und Freundschaft bewahren werde.« Dann zog er ausseinem Ueberwurfe einen Faden, und warf ihn »zum Zeichen seiner vollständigen Verzeihung« (in testimonium perfectae remissionis) auf den Boden. Eine Gesandtschaft, die bald hernach vom [393] Kloster an den Hof kam, um die Rückkehr des hl. Abtes zu erbitten, fand geneigtes Gehör. Er wurde ehrenvoll vom Könige entlassen. Die Geschichtschreiber des Klosters verhehlen hiebei nicht zu bemerken, daß er für die Zukunft von der Oberherrlichkeit des Bischofes vollkommen frei gesprochen worden sei (absolutum ah omni dominio Lulli episcopi, heißt es bei Eigil). Die Brüder in Fulda gingen ihm mit dem goldenen Kreuze und den Reliquien der Heiligen eine weite Strecke Weges entgegen und führten ihn unter Lobgesängen ins Kloster. Jetzt begann er mit neuem Muthe unter Anrufung der göttlichen Hilfe seine Thätigkeit zum Aufschwunge des Klosters und zur Ausbreitung des Evangeliums. Hiedurch stieg das Ansehen und der Ruhm des Klosters immer höher. Von allen Seiten flossen ihm die reichsten Gaben zu. Nachdem Pipin dem hl. Sturmius schon im J. 760 das Landgut Deiningen in Bayern geschenkt hatte, gab er ihm im J. 766 Umstadt. Später verlieh ihm Carl der Große das Kloster Holzkirchen, ferner Solenhofen und im J. 777 den ansehnlichen Flecken Hammelburg. In kurzer Zeit sah sich Fulda (Seiters, Gesch. des hl. Bonifacius S. 484) im Besitze von 15000 Hufen Land und die Besitzungen dehnten sich aus über Hessen, Thüringen, Bayern und Schwaben bis nach Graubündten, aber auch über Westphalen bis an die Nordsee. Durch diese und andere Schenkungen hoben sich die am Anfange so dürftigen Verhältnisse des Klosters, und der hl. Abt sah sich in den Stand gesetzt, dasselbe seiner Aufgabe entsprechend einzurichten. Die größte Sorgfalt verwendete er auf eine würdige Ausstattung der Kirche Er versah sie im Innern mit reichem Schmucke, und ließ über der Ruhestätte des heil. Bonifacius einen Grabaltar errichten, der mit einem Ciborium, d. h. einem auf einem Säulen ruhenden, kunstvoll aus Gold und Silber gearbeiteten Altarüberbau geschmückt war. Sodann verschönerte und festigte er das ganze Klostergebäude durch Säulen und kräftige Tragbalken. und gab ihm ein neues Dachwerk. Ferner legte er, um es den München möglich zu machen, die zahlreichen Gewerde, zu deren Betriebe Wasser nöthig ist, im Kloster auszuüben, einen Kanal an, der durch den Klosterbezirk führte, und hier alle Werkstätten mit Wasser versah. Den seitherigen Gebäuden wurden wegen des immer wachsenden, Zudranges zu dem Kloster neue geräumige Wohnungen angereiht. Auch das Eremitenleben in einzelnen dem Kloster nicht zu entfernt gelegenen Zellen wurde durch ihn begünstiget. Sie waren angewiesen, alle Fremden und Pilger, die in den Buchenwald kamen, gastfreundlich aufzunehmen und zu bewirthen. Allmählich entstanden aus diesen Zellen Ortschaften. Zu Fulda selbst bildeten sich um das Kloster herum Ansiedlungen, welche nach und nach zu einer Stadt heranwachsen. Bald zählte man zu Fulda 400 Mönche, die unter der Leitung des heil. Sturmius Gott dienten. Das Kloster war damals und noch lange Zeit später wahrhaftig ein »Haus der Knechte Gottes.« Man sah die Segnungen des Mönchthums, wie Nick S. 44 sagt, dem wir hier und öfter wörtlich folgen, in der herrlichsten Entfaltung. Man beobachtete mit Staunen das Leben dieser heiligen Männer, die so hart waren gegen sich selbst, und doch gegen Andere so voll Sanftmuth und Hingebung. Man sah, wie sie an Allen, die der Hilfe bedurften, das zarteste Erbarmen übten, und bewunderte die liebevolle Sorge, welche sie den Bedürfnissen der anwohnenden Bevölkerung widmeten. Man fühlte sich hingerissen durch die erhebende Pracht ihrer Feste, durch die hehren Klänge ihres Chordienstes. Nach dem Vorgange der übrigen Klöster legte der hl. Sturmius auch den Grund zu einer Klosterschule, denn der hl. Bonifacius hatte ihm auch die Aufgabe gesetzt, eine Leuchte christlicher Wissenschaft für ganz Deutschland zu werden. Die Aebte Ratger, Pressold und Eigil wurden unter dem hl. Sturmius gebildet. Außer Jenen, die im Kloster blieben, verdankten viele Andere, welche in die Welt zurückkehren mußten, demselben ihr Wissen und ihre Tugenden. Außer St. Gallen kannte man zu jener Zeit keine Schule, die so Großes leistete. Deßhalb schenkte ihm auch Carl d. Gr. (seit dem J. 768) sein ganzes Vertrauen und verwendete ihn öfter auch zu Gesandtschaften. So sollte er z. B. den dayrischen Herzog Thassilo II. zu friedlichen Gesinnungen bewegen, und des Königs Mutter auf ihrer Reise nach Italien bis nach Bayern begleiten. [394] Sorgie auf diese Weise das Kloster unter der umsichtigen und eifrigen Leitung des hl. Sturmius für das »Salz der Erde«, Bischöfe, Priester und Mönche, so war er nicht weniger thätig, um den andern, Zweck desselben, die Bekehrung und geistliche Führung der Sachsen, d. h. sämmtlicher Völkerschaften zwischen dem Niederrhein und der Elbe, zu erreichen. Er konnte um so freudiger arbeiten, als Carl d. Gr. ihn mit allem Eifer unterstützte und »theils durch Kriege, theils durch Gesandtschaften, theils auch durch Geschenke dieses Volk dem größten Theile nach zum Glauben an Christus bekehrte.« Ein großes Feld der mühsamsten und gefahrvollsten Pastoration wurde unserm Heiligen zugewiesen. Der König, »ein jederzeit gottesfürchtiger Mann, lebte nur in dem Gedanken, das ganze Volk für Christus zu gewinnen.« Wirklich gelang es dem hl. Sturmius durch seine eindringlichen Ansprachen an die Sachsen, durch sein heiliges Leben und durch seine apostolische Liebe und Aufopferung ihren Stolz zu brechen, so daß sie dem Evangelium Jesu Christi sich unterwarfen. Er brachte es dahin, daß sie freiwillig ihren Götzen entsagten, ihre Bilder zerstörten, und ihre früheren »heiligen Haine« niedermachten. Viele folgten dem Heiligen sogar nach Fulda, und ließen sich in der Umgegend nieder. Namentlich hatte der Bezirk an der Diemel, die Gegend von Stadtberge, und wo später das Bisthum Paderborn errichtet wurde, sich der Wirksamkeit des Heiligen zu erfreuen. Besonders in den J. 776 und 777 taufte und unterrichtete er hier eine große Menge Sachsen. Aus dieser Ursache wurde er auch: »der Apostel der Sachsen« und der Paderborner insbesondere genannt. Hätte aber der kräftige Arm Carls d. Gr. die junge Pflanzung nicht geschützt und vertheidigt, so hätte sie den verwüstenden Einfällen der heidnisch Gebliebenen nicht widerstehen können. Als sich Carl d. Gr. im J. 778 in Spanien befand, schwebte sogar Fulda in der grüßten Gefahr und der hl. Sturmius befahl deßhalb den Brüdern, mit dem Leichnam des hl. Bonifacius nach Hammelburg zu fliehen, während er selbst sich in die Wetterau (Wettereiba) begab, um das drohende Unglück auf irgend eine Weise abzuwenden. Da erschien ein Hilfsheer des Königs, welches die Aufrührer theils niedermachte, theils zum Rückzuge zwang. Bald nachher vollendete auch der Heilige seinen Siegeslauf. Zwar folgte er im J. 779 noch einmal dem Könige, der den Feldzug gegen die Sachsen erneuerte, aber seine Kraft war so gebrochen, daß er zu Eresburg (Heresburg), dem Mittelpunkte seines Missionsgebietes, zurückbleiben mußte. Der bekümmerte Kaiser ließ ihn durch seinen Leibarzt Wintarus nach Fulda bringen. Hier bot man Alles auf, den geliebten Abt wieder herzustellen; jedoch die verordnete Arznei, anstatt das Uebel zu mindern, diente nur dazu, es noch zu steigern. Als der hl. Sturmius fühlte, daß seine Stunde gekommen und menschliche Hilfe vergeblich sei, befahl er zu beten und mit allen Glocken zu läuten. Dann gab er den Seinigen als scheidender Vater die letzten Ermahnungen, und sprach zu ihnen unter Anderm: »Seid in euren Gelöbnissen beharrlich und treu! Bittet Gott den Allerhöchsten für mich, und wenn ich jemals böse gehandelt oder Einen unter euch ungerechter Weise beleidigt habe, so verzeihet mir.« Daß er an die früher bestandenen Zerwürfnisse mit dem hl. Lullus1 vor seinem Tode wieder gedacht habe, ist möglich. Wir glauben aber, daß wenigstens 5 Jahre rüher eine aufrichtige Versöhnung erfolgt war, da im J. 774 die (Bd. III. S. 958) schon erwähnte Schankung des heil. Bischofs an Fulda sonst kaum geschehen wäre. Als die Brüder ihn baten, daß er ihr Fürsprecher bei Gott werden möge, gab er zur Antwort: »Erweiset euch nur würdig und seid so gesittet, daß ich mit Fug für euch bitten kann und euer Verlangen Erhörung findet.« Nach diesen Worten »wanderte er zu Christus, dessen Reich ewiglich besteht.« Es war der 17 (27.) Dec. des J. 779. Von den Brüdern zu Fulda wurde sein Andenken allzeit in Ehren gehalten und festlich begangen. Schon sein Biograph Eigil verordnete (Nick, a. a. O. S. 73) mit Zustimmung des ganzen Convents, daß der Todestag des Heiligen durch ein feierliches Hochamt und durch besondere Chorgebete und Psalmengesänge ausgezeichnet werde. Zu Anfang des 11. Jahrh. verfaßte der Mönch Meginfried eine Lebensbeschreibung des heil. Sturmius in Versen, die jedoch verloren gegangen ist. Aber erst am 19. Apr. des J. 1139 wurde [395] er durch Papst Innocenz II. auf dem Concilium im Lateran, dem auch der damalige Abt Conrad beiwohnte, auf den Grund »seines ruhmwürdigen Lebens und zum Theile auch der Wunder, die der Herr in Anbetracht seiner Verdienste wirkt,« feierlich canonisirt. Das Kirchengebet zu seiner Ehre gedenkt des von ihm gegebenen Versprechens der Fürbitte, die uns bei Gott empfehlen möge. Das Mainzer- und das Paderborner-Proprium enthält ihn nicht, wahrscheinlich weil nach seinem Tode das Bisthum Würzburg die Verwaltung des Fuldaer-Sprengels in die Hand nahm, wohl aber steht er im Mart. Rom. In dem Officium zu Fulda heißt es:
»Ruhe Sturmius sanft, es ruft dich des Himmels
Ew'ge Belohnung, zu der du, Vater, emporfliegst.
Weinend stehen die Deinen, aber auch jetzt noch
Wirst uns Fürbitter sein, du hast es versprochen!«
Zu Fulda wird er am 17. Dec verehrt, und sein Fest in foro am vorhergehenden Sonntag begangen. Ehedem feierte man auch seinen Canonisationstag, den 19. Apr. Der Leichnam des Heiligen ruhet noch in der Kirche zu Fulda, und die Domkirche hat einen zu seiner Ehre geweihten Altar. Für die Feier des 1000jährigen Jubiläums im J. 1779 erhielten die heiligen Ueberreste ihre dermalige Fassung. In einem Schreine, dessen Vorderseite aus vergoldetem Kupfer gearbeitet und mit silbernen Arabesken verziert ist, ruht auf einem Kissen das Haupt des Heiligen, bedeckt mit einer kostbaren Inful. Außerdem enthält dieser Schrein zwei Beinröhren und andere größere Gebeine, alle mit reicher Stickerei umgeben. In vier andern Kästen, die in gleichem Geschmacke gearbeitet sind, befinden sich die übrigen Gebeine gleichfalls in reicher Fassung. Sämmtliches Schmuckwerk wurde in Augsburg nach einer Zeichnung von Bruns gefertiget. Abbildungen zeigen ihn als Abt, wie er seine Mönche unterrichtet. Im Dome zu Fulda steht sein Standbild aus Alabaster; zu dessen Füssen halten zwei Engel die Zeichen der Abtswürde, Insul und Stab. während Engelsgruppen, Wolken und Strahlen um und hinter ihm die himmlische Glorie sinnbilden. Daneben, rechts und links, zeigen 10 Bilder die oben beschriebenen Scenen aus seinem Leben, dis zu deiner Heiligsprechung. In der Bav. S. ist er dargestellt, wie er mit seinen Mönchen einen Wald urbar macht. Auf seinem Stabe befindet sich ein Einhorn abgebildet. Auch sieht man ihn (Hack, S. 337) als Benedictinerabt mit einem Buche in der Hand.
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