Dogmaticismus

[420] Dogmaticismus, auch Dogmatismus, ist allgemein jedes wissenschaftliche und besonders jedes philosophische System, welches irgend ein Prinzip stillschweigend oder ausdrücklich ohne Prüfung oder Erweis als wahr voraussetzt, folglich als Dogma oder Glaubenssatz annimmt und davon ausgehend und von Folgerung zu Folgerung fortschreitend ein abgeschlossenes Lehrgebäude aufzubauen sucht. In diesem Sinne muß trotz aller Widerrede jedes bisherige System D. genannt werden, weil keines seine höchsten Prinzipien bewies od. beim Mangel des Menschen an absoluter Erkenntniß zu beweisen (vergl. Beweis) vermag. Näher nannte man D. im Gegensatze zum Skepticismus und Criticismus diejenige Methode der Philosophie, welche die Sicherheit und Gewißheit unserer Erkenntniß gar nicht bezweifelt oder mindestens nicht untersucht, sondern die Uebereinstimmung von Denken und Sein unbefangen voraussetzt, wie dies namentlich in der griech. Philosophie bis zur Sophistik der Fall gewesen. Endlich wurde vom Philosophismus die speculative Theologie D. genannt, weil sie das christl. Dogma als absolut wahr voraussetzt u. dasselbe systematisch zu ordnen und zu gliedern oder dessen Verhältniß zur Zeitwissenschaft festzustellen und auszusprechen strebt. – Dogmatisiren, Lehr- und Glaubenssätze aufstellen und vortragen.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1854, Band 2, S. 420.
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