[186] erhaben heißt das Große, insofern es das Gemüt und den Gedanken zum Unendlichen und Ewigen hinführt. Es erscheint als ein anschauliches Unendliches, obgleich es nur ein Begrenztes ist. – Kant (1724-1804, Krit. d. Urteilskraft) nimmt an, daß der erhabene Gegenstand nur als ein Begrenztes sinnlich erfaßt wird, und daß der Gedanke der Unendlichkeit im Gegensatz zu dem Objekte erst von dem urteilenden Menschen gefaßt werde, also nur im Subjekte vorhanden, nicht im Objekte gegeben sei; er sagt: »Erhaben ist, was auch nur denken zu können ein Vermögen des Gemüts beweiset, das jeden Maßstab der Sinne übertrifft.« (Kr. d. U. S. 84.) Dem Erhabenen schreibt Kant daher eine größere Subjektivität zu als dem Schönen. Schönheit ist Zweckmäßigkeit der Form des Gegenstandes für das Subjekt, Erhabenheit dagegen Zweckmäßigkeit des Subjekts hinsichtlich des Gegenstandes. Das Schöne ist Gegenstand eines unmittelbaren Wohlgefallens, das Erhabene ruft zunächst durch den sinnlichen Anblick eine Hemmung und dann erst eine stärkere Ergießung der Lebenskräfte hervor, sobald die Vernunftidee in uns rege wird. – Aber die Kantische Definition, die sich auch Schiller und Schopenhauer im wesentlichen angeeignet haben, widerspricht dem tatsächlichen Vorgang. Der angeschaute Gegenstand wird unmittelbar Bild und Symbol des Unendlichen, und das Gefühl des Erhabenen ist einheitlich und schließt nicht den Widerstreit der Lust und Unlust ins ich ein. (Vgl. Kant, Kritik der Urteilskraft, S. 73 bis 129 und H. Lotze, Geschichte der Ästhetik in Deutschland, S. 324ff.) – Man kann das Erhabene mit Kant in ein mathematisch und ein dynamisch Erhabenes einteilen. Das mathematisch Erhabene wirkt durch seine Ausdehnung, das dynamisch Erhabene durch seine Macht. Beispiele des Erhabenen sind das Meer, der Sturm, hohe Felsen, der Sternenhimmel Am erhabensten erscheint uns der sittliche Charakter, welcher über die Macht des Schicksals triumphiert, selbst indem er leiblich untergeht. Vgl. Schiller, Vom Erhabenen 1792/93. Über das Pathetische 1793. Über das Erhabene 1801. B. Zimmermann, Ästhetik 1865. Fr. Th. Vischer, Über das Erhabene und Komische. Stuttg. 1837.
Kirchner-Michaelis-1907: Pathetisch-erhaben