[71] Dieser aus dem Lateinischen abgeleitete Ausdruck bezeichnet die Befugnisse und Verbindungen, welche bei einem Lehn (feudum) vorkommen. Unter einem Lehn versteht man aber im allgemeinsten Sinne jedes Grundstück, dessen Nutzungen und Gebrauch an jemand unter der Bedingung gewisser Dienstleistungen überlassen werden. Es hat nicht an Männern gefehlt, welche den Ursprung dieser Einrichtung schon in dem grauesten Alterthume zu finden geglaubt haben; eigentlich aber ist er bei den alten Deutschen zu suchen. Diese kannten von den frühesten Zeiten an gewisse Einrichtungen, welche mit den spätern Lehnsverbindungen einige Aehnlichkeit hatten, und bildeten sie nach den Zeiten der Völkerwanderungen weiter aus. Da die deutschen Völkerschaften von den Römern große Provinzen erobert hatten, und bei ihnen an baarem Gelde, wie bei allen noch unkultivirten Völkern, Mangel war; so erhielten die Krieger von den Heerführern Ländereien zu ihrem Gebrauche, und mußten dafür gewisse Dienste leisten. [72] Man fand dieses Verhältniß so brauchbar, daß man bald anfing, auch andre Dinge, z.B. gewisse Vorrechte oder Bedingungen, auf die nämliche Art zu vergeben. In den stürmischen Zeiten des Mittelalters, wo Raub und Befehdungen eben so gewöhnlich waren, als in neuern Zeiten Hofränke und Kabalen, schlossen sich die Schwächern an die Mächtigern an, und wurden, um in dem ruhigen Besitze ihrer Güter zu bleiben, Lehnsleute von ihnen. Kein Wunder also, daß sich das Feudalsystem über das ganze christliche Europa ausbreitete, und überall Bewunderer und Nachahmer fand. Anders urtheilte man in neuern Zeiten darüber, nachdem zumal ein sehr rascher Schluß der französischen Nationalversammlung in der Nacht vom 4. Aug. 1789 alle Lehnsverbindungen in Frankreich aufgehoben und als einen schädlichen Ueberrest der ehemaligen gothischen Barbarei gänzlich verworfen hatte. Im Auslande erhielt dieses Dekret beinahe eben so viele Bewunderer als in Frankreich selbst, und der schon gesunkene Credit der Feudalverfassung fiel dadurch noch mehr. Man ging [73] aber bei der Würdigung dieser alten Einrichtung zu tadelsüchtig zu Werke, und übersah dabei das Gute, das ehemals durch sie bewirkt worden ist, und auch jetzt noch bewirkt wird, weil sie als ein allgemeines Band anzusehen ist, welches die verschiedenen Land- und Staatseigenthümer mit ihren Oberhäuptern näher vereinigt. Und wenn auch der Nutzen der Lehnsverbindung jetzt nicht mehr so auffallend ist, als ehemals; so würden doch die bedenklichen Folgen, welche unausbleiblich zu erwarten ständen, wenn man eine Verbindung, die mit den Grundgesetzen der meisten europäischen Staaten aufs innigste verwebt ist, aufheben wollte, allein hinreichend seyn, dieselbe nicht zu rasch wegzuwünschen. Frankreichs Beispiel ist für die Meldung des Gegentheils nicht hinlänglich; denn in keinem andern Lande ist mit dem Lehnswesen so viel Unfug und Mißbrauch getrieben worden, als in diesem; und es war daher den Einwohnern nicht zu verdenken, wenn sie sich davon je eher je lieber befreit zu sehen wünschten.