Feuerprobe.

[69] Die Feuerprobe, dies berühmte Gottesurtheil unsrer deutschen Vorfahren, bestand gewöhnlich in Proben mit glühenden Eisen, die auf verschiedene Art in Gegenwart der Richter vorgenommen wurden. Es mußte nämlich die angeklagte [69] Person, um ihre Unschuld darzuthun, dieses Eisen entweder in bloßen Händen tragen, oder mit entblößten Füßen darüber gehen, in welchem letztern Falle man immer einige glühend gemachte Pflugscharen zusammenlegte. Bemerkte man Spuren der Verletzung, so wurde das unglückliche Schlachtopfer zur Strafe verurtheilt, die gemeiniglich im Tode bestand; fand man die von Eisen berührten Glieder unversehrt, so hielt man dies für ein Zeichen, daß Gott selbst die Unschuld des Angeklagten offenbart habe. Statt des glühenden Eisens bediente man sich aber auch andrer Gegenstände; z.B. glühender Handschuhe; auch mußte zuweilen die verdächtige Person durch ein Feuer oder mit bloßen Füßen über glühende Kohlen gehen. Zu Anfang des sechszehnten Jahrhunderts kam dieser ungewisse und grausame Beweis der Unschuld, der Tausende auf die ungerechteste Art hingeopfert hatte, zur Ehre der Menschheit ganz außer Gebrauch.

Michael Paläologus, einer der größten griechischen Kaiser, sollte sich, da er noch ein blosser [70] Privatmann war, von einer Anklage durch die Feuerprobe reinigen. Er weigerte sich aber schlechterdings, die Probe auszuhalten, und versicherte, er wolle sich jedem andern Beweise seiner Unschuld unterwerfen, allein er sey schlechterdings in dem Geheimnisse unerfahren, wie man, ohne von Stein oder Metall zu seyn, ein glühendes Eisen in die Hand nehmen, und sich nicht verbrennen könne. Niemand drang heftiger in ihn, sich dennoch der Probe zu unterziehen, als der Erzbischof Phokas von Philadelphia.

»Herr Erzbischof,« antwortete ihm Michael, »ich bin ein armer Sünder, der im Staube kriecht, und zu blind ist, etwas Göttliches in dem allen entdecken zu können. Ihr aber seyd ein heiliger Mann, dem die Geheimnisse des Himmels enthüllt sind, und der Wunder thun kann. Nehmt mit Euren heiligen Händen dies glühende Eisen, und legt es in die meinigen, so will ich es mit Zuversicht auf meine Unschuld tragen, wohin Ihr wollt.« – Der Erzbischof war weit entfernt, diesen Antrag anzunehmen, und die Richter erklärten den angeklagten Michael für unschuldig.

Quelle:
[Anonym]: Sitten, Gebräuche und Narrheiten alter und neuer Zeit. Berlin 1806, S. 69-71.
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