3.

[81] Nicht früher noch später habe ich so stark den Wandel des Schicksals erfahren als in diesen Tagen. Unstet und obdachlos, ein bettelnder Wanderbursche, war ich durch die Welt geirrt. Alle Demütigungen der Armut hatte ich durchgekostet. Müde und fremd war ich nach Deutschland heimgekehrt. Jeder folgende Tag blieb ungewiß. Mit einem Male fand ich mich aus öder Entbehrung in geregelte Verhältnisse, in eine trauliche Stube hineinversetzt, in die dichteste Nähe zweier junger Mädchen, deren Leben mir Überraschung auf Überraschung brachte.

Ich brauchte anfangs nur ihr Zimmer zu betreten und wähnte mich im Märchen. Der Fuß versank in türkischen Teppichen; ein breiter Diwan lehnte, kissenüberschwellt, an der Wand und bildete die heimlichste Ecke.[81] Reichbestickte Vorhänge verschleierten die Fenster; auf einem etwas erhöhten Platze stand ein kostbarer Flügel, den eine Büste Mozarts krönte; von der Decke hing ein goldglänzender Kronleuchter.

Und erst die Schlafzimmereinrichtung mit den Betthimmeln, den Toilettetischchen! Und die Kleiderschränke mit all der Seide, den Spitzen, den durchbrochenen Strümpfen, den zierlichen Hemden und dem Duft! Hier zum ersten Male fand ich Anmut und Vornehmheit, die mein Auge entzückte und mein Herz in süße Verwirrung setzte.

Der tägliche Verkehr mit den jungen Damen brachte mir die Schwerfälligkeit meiner Bewegungen und meiner rohen Gewohnheiten zur Empfindung. Ich fing an, auf mich zu achten, ward reinlicher in Wäsche und Schuhwerk, besorgte Nägel und Schnurrbart und war vor allem noch emsiger als sonst bedacht auf die Bildung des Geistes, auf die Verfeinerung meines Geschmacks.

Fräulein Sannchen übte natürlich den stärkeren Reiz auf mich aus. Meine Schwester war hübsch. Sie sang auf der Bühne einen prächtigen Sopran, stellte aber zugleich selbstgefällig die Fülle ihrer Büste zur Schau und litt häufig an Launenhaftigkeit. Ihre Freundin war zarter und sinniger, sie gab sich aufrichtig und natürlich und hielt sich auch auf den Brettern von aller schauspielerischen Übertriebenheit frei. Sie erwies mir kleine Aufmerksamkeiten von Anfang an. Das rührte mich um so mehr, als ich ihr doch damals nur wie ein abenteuernder Landstreicher erscheinen mußte. Sie plauderte gern mit mir, suchte mich in den freien Stunden auf, brachte Geschenke: hübsche Ansichtskarten, besseres Obst, Heines »Buch der Lieder«. Den kleinen Gaben folgten wertvollere: ein Stock mit Silbergriff, eine goldene Vorstecknadel und, die liebste von allen, ihr Bild in versilbertem Rahmen. Diese Aufmerksamkeiten erfreuten mich nicht allein: sie machten mich stolz. Es war also doch noch etwas an mir, das sogar die Augen eines schönen Mädchens auf sich zog! Dieses Bewußtsein[82] gab mir eine ungekannte Sicherheit. Ich schätzte mich höher ein, vor allem in meiner Wirkung auf das andere Geschlecht.

Ich hatte den Frauen seit meinem Kindheitserlebnis mit der kleinen Josefa ziemlich fern gestanden. Im ersten Jahre meiner Hamburger Lehrzeit suchte ich mich im Theater einem neben mir sitzenden jungen Mädchen zu nähern. Da die Fremde meinem Entgegenkommen nicht auf der Stelle entsprach, wurde ich entmutigt und unterließ jeden ferneren Versuch. Von einem unmittelbaren Verkehr mit Weibern hielt mich eine Schüchternheit fern, die mich eigentlich nur in der Nähe von Frauen ankam; sonst flößte mir sogar ein preußischer Gendarm nicht sonderlich Furcht ein.

Um so heißer beschäftigte ich mich mit ihnen in der Einsamkeit. Ich träumte von Mädchen mit bekannten Gesichtern: ich hatte im Traum allerlei Abenteuer; ich durchkostete sämtliche Tiefen der Lust. Die Aufregung endete natürlich, wie sie halt enden mußte. Stand ich dann morgens auf, so hatte ich Kopfweh und fühlte mich über der Arbeit geschwächt.

Das unregelmäßige, aber ermüdende Wanderleben hatte meinem Körper Stetigkeit und meinem Gemüte Ruhe gebracht. Jetzt trat mir das Engelskind Sannchen entgegen und ließ mich erkennen, daß auch der arme linkische Arbeiter bei einem hübschen Mädchen Aufmerksamkeit, Achtung, ja Liebe hoffen darf.

Sannchen saß besonders an den Abenden nach dem Theater häufig bei mir und ließ mich von meinen Reisen erzählen. Meine Erlebnisse fesselten sie. Ich verschwieg alles, was mich in ihren Augen hätte heruntersetzen können. Im übrigen übertrieb ich kaum und erfand nichts.

Einen besonderen Beweis des Vertrauens gab sie mir eines Morgens, da sie noch zu Bette lag. Sie liebte es überhaupt, mit Behagen im Morgenbette zu verzögern. An dem Morgen, meine Schwester übte im gemeinsamen[83] Gesellschaftszimmer, bat sie mich zu sich. Sie habe sehr unruhig geschlafen, erklärte sie mir, und fühle sich abgespannt, ich möchte mich neben sie setzen und erzählen.

Ich zog meinen Stuhl an ihr Lager, das erstemal, wo ich einem jungen Weibe so nahe kam, und nun war es gar so eine Feine. Anfangs saß ich verlegen und wagte kaum, die Augen auf sie zu lenken. Allmählich, durch die Unbefangenheit ihres Wesens sicher gemacht, meine Schwester hätte sich nicht einfacher geben können, ließ ich die Blicke behaglich über sie wandern. Welch entzückendes Bild! Das zarte Gesicht, von der glattgescheitelten Nachtfrisur umrahmt, ruhte rosig überhaucht in dem Spitzenkissen. Das blauseidene Nachthemd zog sich über die Brust empor und endete in einem breiten Spitzenbesatz, durch dessen bläuliche Maschen die Haut durchschimmerte. Unter den Spitzen arbeitete, ruhig auf und ab schwellend, die junge Brust. Sannchen sah mich klar und voll an, als ob sie die Richtung meiner Augen nicht merkte.

Nachdem ich eine kleine Viertelstunde mit ihr geplaudert hatte, meinte sie lächelnd: »Nun muß ich Sie fortschicken, Herr Franz, ich will aufstehen. Ich fühle mich wohler. Das ist die Wirkung Ihrer Erzählerkunst. Besten Dank.« Damit hob sich ihr Oberkörper aus den Kissen und sie reichte mir die Hand. Nun kam die Anmut ihrer Bildung erst recht zur Geltung. Das braune Haar fiel in einem dicken Zopf den Rücken hinab und ringelte sich in der Hüftgegend nach vorne. Unter den Spitzen zeichneten sich geschmeidige, volle Formen in festen Umrissen ab. Mir schwindelte plötzlich. Ich wagte kaum die dargereichte weiße Hand zu berühren, warf noch einen letzten Blick auf das weiche Weib und eilte schweratmend von dannen.

Der Tag verging mir ungemein langsam. Die Arbeit bereitete mir Widerwillen. Ich war zu nichts aufgelegt. Am Abend sah ich Sannchen nicht. Ich verbrachte eine schlimme Nacht.[84]

Seither trat ich dem Mädchen nicht mehr so ruhig gegenüber. Sannchen wich um keines Haares Breite von der Linie ihrer unbefangenen Liebenswürdigkeit ab. An ihr Lager rief sie mich allerdings nicht mehr. Ich aber umfing, wo sie mir begegnete, ihre schlanke Gestalt mit immer kühneren Wunschaugen. Dabei ward mir manchmal so weich zumut, als brächen die Füße unter mir fort.

Nun kam der Tag, wo das selige Zusammenleben aufhören sollte. Fräulein Sannchen hatte sich nach Dresden verpflichtet. Meine Schwester wollte einige Wochen in Königsberg verbringen. Sie lud mich ein, die Heimat zu besuchen. Ich lehnte schroff ab. Ich hielt es auf einmal für demütigend, auf Kosten meiner Schwester zu reisen und mich mit leerem Beutel, gewissermaßen als verlorener Sohn, der Familie vorzustellen.

Sophie reiste vorerst allein. Sie hatte in Frankfurt eine kleine Gastrolle zu geben. Inzwischen sollte Sannchen die Auflösung des gemeinsamen Haushaltes zu Ende führen und sie in Frankfurt treffen.

Wir geleiteten die Schwester zur Bahn. Den letzten Abend widmeten wir uns. Wir gingen ins Theater. Man gab den ersten Faust. Die wundersame Dichtung, die ich sonst mit allen Sinnen in mich aufgenommen hätte und heute wortwörtlich auswendig weiß, glitt an dem Abend fast ganz an mir vorbei. Ich dachte nur an mein Gretchen, ich glühte an der Seite meiner Helena. Sannchen folgte dem Dichter mit scheinbar ungeteilter Aufmerksamkeit; ich merkte es an dem Spiel ihrer Hände, an dem so unregelmäßigen Atmen ihrer Brust. Einmal, während der unvergleichlichen Liebesorakelszene, wandte sie mir ihr Antlitz zu: ich blickte in wunderbar flammende Augensterne. Ihre Hand suchte zu mir herüber, sie streifte mein Knie und faßte meine Hand. Ihre leise Berührung brannte mir bis in die Knochen hinein.

Wir schritten nach der Vorstellung geradewegs nach Haus. »Den letzten Abend,« sagte Sannchen, »dürfen wir[85] uns gehören und unserer Freundschaft. Sie sollen mein Gast sein. Ich mache die Wirtin.«

Es regnete stark. Ich hatte keinen Schirm. Sannchen gab nicht nach; ich mußte unter ihrem Schirm zugleich Platz suchen. Ich hakte mich in ihren linken Arm. Ihre rechte Hand trug uns das schützende Dach vorauf. Wir schritten eng aneinander gedrückt. Ich preßte ihren runden Arm fest an mich. Ein sanfter Gegendruck gab Antwort.

Durch den auftrommelnden Regen, durch das Plätschern des in der Straße hochspringenden Wassers hindurch, sang mir ins Herz die Musik ihres Seidenunterrockes. Dann und wann streifte mich ihr in dem engen Kleide stark vorwärtsstrebendes Knie. Das gab mir jedesmal einen Ruck durch die Wirbelsäule, und wonniges Prickeln lief mir am Hinterkopf hoch und hinunter bis in die Fingerspitzen.

Mit schwimmenden Augen blickte ich zu ihr hinüber. Sie wandte mir regelmäßig ihr Antlitz zu, ihre Veilchensterne lächelten feucht. Dann flogen vor meiner fast erstickenden Seele die Tore der Erfüllung weit auf.

Wir betraten die so liebgewonnenen Räume. Bald glühte die trauliche Gasflamme auf, liebkoste unter dem Schirm hervor die gemütlichen Möbel, die mir nun bald entfremdet werden sollten, und spann bis in die heimlichsten Winkel ihr feines Goldnetz hinein. Sannchen legte ab. »Machen Sie sich's bequem, Franz!« Wie mir diese Anrede zu Herzen ging. »Haben Sie auch Hunger?« »Nicht eigentlich viel, Fräulein Sannchen.« Sie lachte und strich sich einige störrige Löckchen hinters Ohr. »Na, wir werden ja sehen. Der Appetit kommt über dem Essen.« Damit schwebte sie voll Anmut zur Küche. Ich hörte klirren und klingen.

Nach einigen Minuten kehrte sie zurück und setzte eine breite Silberplatte auf den Tisch. »Natürlich nachtmahlen wir kalt. Mehr als diesen Aufschnitt habe ich nicht zusammenbringen können. Erst aber erlauben Sie, daß ich[86] mich umkleide. Vor Nässe klebt mir der Rock an.« Sie schwebte hinaus.

Mehr als diesen Aufschnitt? Es war ein Herrengericht! Sogar die Negerköpfe, Kibitzeier mit Kaviar, fehlten nicht. Na, das brauchte nur so weiter zu laufen.

Als Sannchen wieder erschien, erschrak ich bei ihrem Anblick vor Seligkeit. Das graue Straßenkleid hatte sie gegen einen himmelblauen Kimono vertauscht. Die Japanseide fiel in breiten Falten an den Ellenbogen hinunter und kreuzte sich in weitem Ausschnitt über der Brust.

Die Erscheinung war im ersten Augenblick ganz Hoheit. Dann aber löste sie sich in unendliche Weichheit aus und der zitternden Sehnsucht kam das Gefühl, daß diese Hülle nur die eine Bestimmung habe, leichter zu geben und rascher zu fallen.

Ich schlug bewundernd die Hände zusammen. Sannchen sank mit selbstbewußtem Lächeln in einen tiefen Menuettknix hinein und zupfte zugleich den Rock mit den Fingerspitzen hoch; da sah ich, sie hatte sich bis in die verborgensten Heimlichkeiten festlich gewandelt.

Und schon wieder war die holde Fee in der Küche und brachte in einem Eimerchen – zwei Flaschen Sekt. Welch liebliches Bild! Die weiß entblößten Arme trugen das Gefäß vor sich her mit der feierlichen Anmut der Priesterin, die eine heilige Schüssel zum Tempel bringt. Dahinter die tiefwallenden Ärmel wie duftige Schleier. Und darüber, schimmernd wie eine rotüberhauchte Traumesblume, das fröhliche Antlitz im Funkeltau der Augen.

Sie setzte die Flaschen auf ein Tischchen neben die Tafel. Es war kein gewöhnlicher deutscher Kaisersekt, es war wirklicher und wahrhaftiger Champus aus Frankreich: echter Moët mit dem weißen Stern.

»Aber, Fräulein Sannchen!«

Ich rief mit geheuchelter Entrüstung, denn mein ganzes Wesen jauchzte innerlich in allen Tönen.[87]

Sie lachte, voll Zufriedenheit über die gelungene Überraschung. »I natürlich, Herr Franz. Unsere Freundschaft muß doch in Fröhlichkeit sterben.«

Ich fuhr zusammen.

»Sterben! O, wer denkt denn an Sterben! Kann unsere Freundschaft diesen Abend wirklich nicht überleben?«

»Allerdings doch, aber ... Darf ich bitten, mein Herr?«

Und schon stand sie vor mir, reichte mir unter zierlichem Knix, bei dem sich ihre Brust so augenfüllend vorwärts drängte, den weißen Arm und führte mich zum Tisch. »So, und nun, mein Herr Ritter von der traurigen Gestalt. Frisch zu und tüchtig drein!«

Sie legte mir selbst den Teller voll und entkorkte die erste Flasche. Der Pfropfen knallte gegen die Decke, das perlende Gold sang in dem Pokal. Sie hob das Glas. »Auf unsere Freundschaft, Franz!« Mich drängte das Herz. »Auf unsere Liebe, Sannchen!« Und ich pflanzte meine Augen keck mitten in ihre Sterne hinein wie Siegesfahnen.

Sie blickte verwundert, errötete und lachte. »Natürlich, Herr Franz! auf unsere Liebe!«

Die Gläser läuteten hell gegeneinander. Wir leerten sie mit einem Zug.

Dann speisten und schlürften wir nach Lust. Wir neckten uns wie übermütige Kinder. Wir suchten uns gegenseitig um besonders erwünschte Leckerbissen zu betrügen, und niemand ruhte, bis er sie dem andern zugeschmeichelt hatte.

Dabei wurden mir, gleichsam als Zwischengerichte, Freiheiten gestattet, gegen die alle Leckerbissen des Gaumens schal erschienen.

Wir saßen uns gegenüber. Unter dem Tisch berührten sich unsere Füße. Sannchens kleiner Pantoffel begann zuerst sein launiges Spiel und glitt an meinem Stiefel hoch. Da legte ich keck meine Füße um den behenden Wildfang und hielt ihn wie im Schraubstock gefangen.[88]

Dann bückte ich mich rasch unter den Tisch, um mir meinen Gefangenen näher anzusehen, aber vor meinem heißen Blicke schlüpfte der weiße Schelm, flink wie ein Silberfischlein, hinter die Spitzen des Rockes zurück. Hier, aus sicherem Versteck hervor, schabte er, an der Nasenspitze des Bruderschuhes, Rübchen mir zum Verdruß.

Bog mein zierlicher Tischgenosse die runden Arme her, um irgendein köstliches Stück unter mein Messer zu schieben, so vertiefte sich das Drosselgrübchen am Halse und wies meinem Auge einen bläulich geäderten Pfad zur Tiefe. Einmal löste sich bei Sannchens Liebesbemühungen die blaue Schleife über der Brust. Ich war eifrig bereit, sie wieder zu knüpfen. Schon berührten meine Fingerspitzen die schöne Stelle, da wehrte ein entrüsteter Schlag mich ab; aber darüber die lachenden Augen kündeten verständnisvolle Nachsicht.

Mir aber rollte es allemal wie aufgelöste spanische Fliegen durchs Blut. Die Blicke gingen mir über. Ich ward, wie ich es deutlich spürte, bleich vor innerer Glut.

Schon aber flog auch der zweite Pfropfen gegen die Decke. Den hatte meine Hand abgefeuert. Ich war die Kunst nicht gewohnt und nestelte lange an dem feinen Draht herum. Sannchen kam meiner Ungeschicklichkeit zu Hilfe. Sie erhob sich von ihrem Platz, trat an meine Seite und bog sich zur Flasche nieder. Unsere Hände verschlangen sich. Ihre Stirnlöckchen streiften meine Wangen. Ihre Brust drückte meinen linken Arm und hauchte ihren vollen Duft wie eine eben aufgeblühte Rose. Ich mußte ihr das Gesicht zuwenden. So begegnete sich unser Atem, unsere Augen tranken in einander. Da knallte der Kork auf. Die Flasche quirlte zischend über. Ich ließ sie schäumen und sprudeln. Meine Hand hatte Besseres zu tun. Sie schwang sich um ein blondes Haupt, das mit glühenden Wangen an meinem lehnte. Ich küßte Sannchen, heiß, ungestüm. Sie erwiderte meine Keckheit. Da wirbelten meine Augensterne in trunkenem Tanz, das Zimmer flammte in einer ungeheuern[89] purpurnen Lohe um mich auf, wildes Jubeln röhrte aus meinem Mund; ich riß das Mädchen an mich und vergaß, daß ich ein rechtloser Sklave war.

Als ich zu mir kam, brauchte ich Zeit, mich zurechtzufinden. Dies Zimmer, das weiße breite Bett. Vor den Vorhängen draußen die Morgenhelle. Da begriff ich. Ich langte lachend neben mich. Der Platz war leer. Von der andern Seite aber neigte es sich über mich; meine Augen wurden überschattet, meine Lippen preßte ein duftender Mund: Sannchen lachte mich an.

Sie stand im Reisekleide, lieblicher als je. Ich warf die Arme nach ihr aus. Sie blieb fest. Sie fragte: »Bist du glücklich, Franz?« »Wie im Himmel, Sannchen!« »Dann bin ich zufrieden, Liebling, du wirst meiner gern gedenken.« All mein Werben und Bitten war vergebens. Um Mittag reiste sie meiner Schwester nach.

Ich saß an dem Abend wie betäubt. War es möglich? Das Glück und dies Leid – sie waren beide zu groß.

Aber in der einen Nacht war der Knabe zum Mann geworden. Den ganzen Segen dieses inneren Wandels sollte ich erst später ganz schätzen lernen. Daher danke ich noch heute dem Weibe, dem schöne Mädchen, das mich damals mit seiner Schönheit begnadete.

Nach Sannchens Abreise litt es mich nicht mehr in Stuttgart. Ich wollte nicht mehr frieren und darben, wo ich die Fülle des Glücks mein nennen durfte. Ich warf die Erinnerung in den Rücken und setzte meinen Stab weiter.

Quelle:
Bergg, Franz: Ein Proletarierleben. Zweite Auflage, Frankfurt a. M. 1913, S. 81-90.
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