Anno 1711
§ 112

[270] Bei so gestalten Sachen trachteten die, so das sit divus, modo hic non sit vivus im Sinne hatten, durch D. Günthern dahin, wie ich etwan je eher je besser anders wohin eine Vocation bekommen möchte. Dazu fand sich auch gar bald die erwünschte Gelegenheit. Die Hirschberger in Schlesien hatten durch Vermittelung des Königes in Schweden Freiheit bekommen, ein Gymnasium zu bauen, und solches mit Professoribus zu besetzen. Der Bau war fertig, und nun war eine der Haupt-Sorgen, daß sie ein geschickt Subjectum zum Rectore bekommen möchten. Herr D. Günther, der alle Schlesier durch sein Ansehen, und Redlichkeit eingenommen hatte, mochte davon Nachricht haben, oder wohl gar sein ersucht worden, vor ein Subjectum zu sorgen. Das kam ihm a propos, und meinte nichts gewisser zu sein, als daß man auf solche Weise mich außerhalb des Landes würde befördern können. Er hatte alles auch überaus wohl ausgesonnen, um mich mit ganzer Gewalt zu überreden, daß ich glauben sollte, daß es Vocatio divina, und ein göttlicher Beruf [Berufung] sein müsse. Mir selbst sagt er davon nicht ein Wort, gleich als ob er gemerkt hätte, daß ich difficil sein, und schwer dran gehen würde, eine solche Vocation anzunehmen, ob er gleich alles wider mich aufgebracht hatte. Der bekannte M. Schwedler zur Niederwiese mußte an mich schreiben, und zeigen, daß man auch in Schulen Leute bekehren, und viel Gutes bei der Jugend stiften könnte. D. Thebesius, der mit mir auf der Universität gern umgegangen war, und nun in Hirschberg lebte, schrieb auch an[270] mich, und stellte mir die vorteilhaften Conditionen, das schöne Wohn-Haus, die 500 schlesische Taler fixum Salarium [festes Gehalt], Getreide, Holz, und was ich alles bekommen sollte, mit vielem Nachdruck vor. Das war noch nicht genug. Zu gleicher Zeit schrieb das Kirchen-Regiment, nebst den hohen Vorstehern der Schule an mich, und suchten mich zur Annehmung des Rectorats willig zu machen. Ich antwortete ihnen aber: Ich hätte einmal bei dem Hoch-Edlen Rate in Leipzig angeklopft, und es würde nicht wohl lassen, von dieser Türe wegzugehen, und an einem andern Orte zugleich anzuklopfen, sondern wollte warten, bis man mir hier aufgetan, und mir auf mein Ansuchen positive Antwort gegeben hätte. Ich hatte diesen Brief kaum bestellt, so schickte D. Günther zu mir, und zohe [zog] die Vocation herfür, die er bei sich hatte, und welche sie ihm zugeschickt, mir einzuhändigen. Er redete groß, und mit solcher Autorität, als wenn lauter besondere Providenzen und Schickungen Gottes hier vorhanden wären, als noch irgends jemals gewesen. Aber man fängt einen nicht leicht zweimal; i gattucci hanno aperto gli occhi, dacht ich. Anno 1707 hatte er durch seine Simulation und Dissimulation [Verstellung und Heuchelei] bei mir alles erhalten, was er gesuchet: also war jetzt seine Verstellung ganz vergebens, so daß ich unmöglich eine göttliche Vocation da zu sein glauben konnte, wo man nur getrachtet hatte, sich einen vom Halse zu schaffen, damit einem andern der Weg zur Beförderung dadurch möchte geöffnet werden. Ich ließ ihn ziemlich hart an, und wollte wissen, warum er so viel Leute wider mich aufgebracht, ohne mir ein einziges Wort zu sagen, und mich erst zu fragen, ob ich eine Schul-Stelle annehmen wollte. Ich hätte mein Tage zu einem Schul-Manne keine Lust gehabt, besäße auch die Conduite und Qualitäten nicht, die zu einem Schul-Rectore erfordert würden. Und das war wahr. Hatte ich schon so viel Philosophie studiret, als vor Gymnasiasten genug ist: und war ich schon auch in humanioribus nicht ungeübt; wie ich denn zur selbigen Zeit noch im Lateinischen einen solchen Stylum schreiben konnte, daß auch Herr Professor Hart, da er meine andere Disputation pro Loco censirte, bei Gelegenheit der Vorrede, welche ich davor gemacht hatte, mich recht beweglich bat, ich sollte doch ein Rectorat lieber annehmen, ehe ich so lange auf der Universität auf einen Pfarr-Dienst warten wollte; So gehöret doch mehr zu einem Schul-Manne, als dieses, wenn er nicht der jungen Leute Spott werden soll. Ich habe in meinem Leben große Trübsalen und Anfechtungen ausstehen können; aber[271] die Objecta molesta propinqua, und [d.h.] die nahen verdrüßlichen Dinge, insonderheit beim Dociren, zu vertragen, dergleichen das Plaudern der Schul-Purschen auf den Gymnasiis unter der Stunde ist, ist mir jederzeit unmöglich gewesen: gleichwie ich auch, so lange ich Collegia gelesen, jederzeit mich hart und stürmisch gegen die Murmuratores [Murmler] in Collegiis bezeiget, denen man auf Universitäten noch eher steuren kann, als der unbändigen Jugend auf Schulen. Ich war auch zur selben Zeit noch so schwach und kränklich, daß ich gar wohl merken kunte, daß ich zur Not wohl die Woche eine Predigt, und ein paar Catechismus-Examina zu halten, aber kein Rectorat zu verwalten tüchtig wäre. Da ich nun die Vocation, so er in Händen hatte, nicht annehmen wollte, so sahe er mich noch vor so einfältig an, daß er mir durch eine neue Klugheit zumuten kunte: Wenn ich nun gleich diese Vocation nicht behielte, so sollte ich nur dieselbe nehmen, und zu meinen Patronis, und in specie zu Herr D. Plazen gehen, und ihm solche zeigen; denn sie trainirten so lange, und verzögerten die Sache auf dem Rat-Hause ohne Not, und ließen mich so lange Zeit vergeblich warten; so könnt ich trotzen, und ihnen weisen, daß, wenn ich ihnen nicht anstünde, so würde es mir an anderweitigen Beförderungen nicht fehlen. Ei! dafür bedanke ich mich, sagte ich, ich würde schön damit ankommen: der Rat in Leipzig läßt sich nicht trotzen, wie sie besser, als ich wissen: wenn ich das tun wollte, so würde das Lied vom Ende sein, daß ich immerhin die Vocation behalten möchte, nachdem ich solche einmal angenommen.

So sehr ließ sichs der Herr D. Günther angelegen sein, einem andern zu der Stelle in der Peters-Kirche behülflich zu sein; doch glaub ich, seine Bemühung würde in diesem Stücke noch viel größer gewesen sein, und nicht sowohl vor seinen Consalinum [Tischgenossen], als vor sich selbst besorgt gewesen sein, wenn er zukünftige zufällige Dinge hätte vorher sehen, und meinen zukünftigen Applausum, den er sich lange so groß nicht, als er hernach in der Tat war, mochte eingebildet haben, vorher wissen sollen. Denn da er hernach Pastor Substitutus [Vertreter des Pfarrers] in der Thomas-Kirchen war, und statt des großen Zulaufs, den er in der Niclas-Kirchen als Freitags-Prediger gehabt, seine Kirche des Sonntags leer war, und die Vornehmen der Stadt samt den gemeinen Leuten Haufen-weise zu mir in die Magnaten-Kirche, wie man dazumal die Peters-Kirche nannte, kamen, so wußte er sich kaum vor Unwillen zu lassen. Ich kann ja auch predigen, sagte er einst in der Sakristei mit grober Stimme,[272] wie mir es der Küster nachmals erzählet, sind dann die Leute ganz bezaubert, was prediget der Kerl denn, daß ihm alles zuläuft?

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 270-273.
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