Anno 1688
§ 12

[45] Unter solche seltsame Dinge, die sich unter den Menschen auf Erden ereignen, und die noch in lauter Nacht und Finsternis liegen, mögen auch billig die Träume gerechnet werden; welche ich, wegen obangeführter Ursache, in diesem Tractate auch hier und dar werde zu erzählen haben, weil ich allemal dadurch in die größte Verwunderung gesetzet worden, und die ganze Sache und Materie bis diese Stunde noch nicht aufzulösen, und in ein völliges Licht zu setzen, fähig bin. Denn daß man insgemein vorgiebt, der Träume wären dreierlei, natürliche, teufelische, und göttliche, das läßt sich leichter sagen, als hernach in der Praxi appliciren [Praxis anwenden]. Die große Ähnlichkeit und Gleichförmigkeit, so unsere Glücks- und Unglücks-Fälle, oder das, was uns Merkwürdiges zustößt, mit dem haben, was uns geträumet, und mit den Bildern, so uns im Traume vorkommen, läßt uns gar nicht zweifeln, daß nicht manchmal eines des[45] andern Weissagung, und Vorbedeutung sei; und doch wissen wir nicht, wer solches unserer Seelen entdecke, und durch was vor einen Weg sie zu einer solchen Erkenntnis und Præscienz [Voraussicht] der zukünftigen, und NB. contingenten [frei gesetzten], und zufälligen Dinge gelange, welche Præscienz eine solche unbegreifliche Eigenschaft des allwissenden Gottes ist, daß sie so gar unsere Vernunft übersteiget, und wir solche nicht einmal in Gott a priori demonstriren [aus Vernunftgründen beweisen] können, sondern sie nur a posteriori [aus der Erfahrung], und aus dem absurdo [Widersinn], so auf Seiten Gottes daraus fließen würde, daferne man solche leugnen wollte, erweisen müßten; geschweige denn, daß man sagen könnte, wie solche Præscienz des Menschen, und bei den Menschen möglich; indem man in der Seelen nichts antrifft, aus welchem man den Schluß machen könne, daß sie eine natürliche Kraft habe zu weissagen, und zukünftige, NB. zufällige Dinge vorher zu wissen.

Wollen wir einige Träume dem Teufel zuschreiben, so will ich nicht gedenken, daß wir dadurch dem Teufel diese Præscienz, und große Haupt-Eigenschaft Gottes beilegen, so oft er nämlich dem Menschen im Traume solche zukünftige Dinge vorher zeigen sollte, so keine natürliche nötige Ursache, sondern wohl gar des träumenden, oder eines andern Menschen Freiheit zum Grunde haben, und folgentlich nur zufällig sind. Ja ich würde sagen, daß wir ihm beinahe ein größer Vorrecht, und ein mehrers zueignen würden, als Gotte selbst, und seinem Geiste; indem Gottes Geist entweder gar nicht, oder doch selten unmittelbar, sondern ordentlicher Weise nur durch das Wort in die Seele des Menschen würket, so oft er sie lehren, und zu Ausübung gewisser Handlungen bewegen will, wenn nicht die heilige Schrift ausdrücklich von David sagte, daß ihn der Satan das Volk zu zählen gereizet [1. Chr. 22,1], und vom Verräter Juda, daß ihm der Teufel ins Herz gegeben habe, Christum zu verraten [Joh. 13,2].

Daß endlich gewisse Träume göttlich sein können, und Gott dem Menschen im Traume seine zukünftige Fälle [Geschick] in Bildern vorstellen könne, ist wohl außer Zweifel; aber es kommen gleichwohl bei solchen göttlichen Träumen, die man nicht wohl vor natürlich halten kann, so viel Dinge vor, die man nicht kann zusammen reimen. Einmal sind solche allgemein, und ist da zwischen Frommen und Gottlosen, und zwischen Heiden und Christen schier kein Unterscheid. Alle Völker auf Erden haben zuweilen Träume, die man nicht wohl anders, als vor[46] göttliche halten kann, daferne man sie nicht dem Teufel zuschreiben will; wie der bekannte Traum des Königes in Amerika von der Ankunft der Spanier, und anderer mehr solches sattsam beweisen. Darnach hilft es vielfältigmal dem Menschen nichts, der da träumet, weil er erst des Traums unfehlbarer Ausleger wird, wenn derselbe, wie wir zu reden pflegen, ihm ausgehet und eintrifft: oder weil er erst darnach an das, was ihn geträumet, gedenket, wenn ihn das Unglück schon überfallen. Und endlich siehet der Mensch im Traume oft Dinge vorher, die von keiner Wichtigkeit sind, und bei denen man gar nicht abmerken kann, was Gott, oder der Satan vor Ursache haben sollte, ihm solche einzugeben. Ohngefähr An. 1688 hatten wir in unserm Hause einen Jungen, der, wo mir recht, ein weitläuftiger Anverwandter von uns war. Er wurde wohl gehalten; weil er aber der guten Tage überdrüssig, und gerne wegen seiner Faulheit stets müßig gegangen wäre, so stund [gefiel] es ihm nicht länger bei uns an, und nahm hinter der Türe seinen Abschied [ging ohne Abschied fort]. Ein Jahr ohngefähr darauf erzählet uns unsere Mutter, als ob ihr geträumet, daß er wiederkommen, und so und so gekleidet gewesen wäre. Es giengen nicht 3 Tage hin, so kam er in optima forma [in bestem Zustand], oder vielmehr in pessima [in schlechtestem]; denn er sahe in Kleidern, wie der ungeratene Sohn aus [Luk. 15,11–32], und so, wie ihn die Mutter im Traume gesehen, und uns beschrieben hatte. Um eben diese Zeit, da meine Begierde in der lateinischen Schule alles zu lernen, zu wissen, und zu sehen ganz ungemein war, hatte ich keine Ruh, und sann immer, wie ich auf den großen Elisabeth-Turm, der mir täglich vor Augen stand, kommen möchte, allda läuten zu helfen, und die große Glocke zu sehen, die der Erfurtischen nicht viel nachgeben sollte. Einst träumete mir, ich wäre auf diesem Turme. Ich sahe im Traum die große Glocke, das Regal, die Bet-Glocke, die kleinen Glöckgen, und beinahe alles so, als ich es hernach in kurzer Zeit befand, da ich meines Wunsches gewähret, und von einem Mit-Schüler mit auf den Turm genommen wurde.


Anno 1689

Ich war noch nicht 14 Jahr alt, so träumete meiner ältesten Schwester, als ob sie mich in einem Zuber, oder Tonne, so mit Pflaummus, oder mit einer solchen Materie angefüllet, welche demselben ähnlich geschienen, in Lebens-Gefahr, und bis in den[47] Hals stecken gesehen, so daß ich mich auf alle Weise bemühet heraus zu kommen, aber lange Zeit herauszukommen nicht vermögend gewesen. Es schien, als ob sie nicht alles so sagen wollte, was sie gedachte, und wie es ihr vorgekommen, und als ob es vielmehr wahrhafter Kot gewesen, der über meinen ganzen Leib gegangen. Weil von derselben Zeit an mein Leben großen Veränderungen unterworfen gewesen, so habe ich nach etlichen Jahren gar leicht die Auslegung zu diesem Traume finden können. Aus dergleichen und andern Träumen mehr, die noch von größerer Merkwürdigkeit sind, und die ich besser unten erzählen werde, erhellet zum wenigsten so viel, daß der Mensch in unzähligen Dingen noch ein unauflöslich Rätsel sei: daß Gott mit Fleiß viel Dinge in Dunkelheit und lauter Nacht lasse, den Menschen Gelegenheit zu geben weiter nachzudenken, und andern wichtigen Dingen Beifall zu geben, so er uns in seinem Worte zu glauben vorleget: ja daß übernatürliche Würkungen in der Welt, und unter den Menschen sich ereignen; oder Gott doch, was insonderheit die Träume anbetrifft, die menschlichen Seelen so erschaffen, daß sie zu diesen, oder jenen Zeiten solche Phantasien in der Nacht bekommen müssen, welche den Menschen, das was ihnen begegnen wird, zuvor abbilden und andeuten.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 45-48.
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