§ 148

[367] Also waren nun die Herren Leipziger endlich ihres Predigers zum Teil verlustig, zum Teil los worden: des Predigers, aus dem sie anfangs einen Abgott gemacht, den sie anfangs bis in den Himmel erhoben, zu dem sie mit haufen gelaufen, an dem sie sich nicht satt hören können, dessen Anfang und allgemeine Approbation sie vor miraculös gehalten, und dessen sie endlich nach 9 Jahren, nämlich von Anno 1721 an mit mähligem überdrüssig zu werden angefangen. Denn da hernachmals ein anderer[367] nach Leipzig kam, der mich an Beredtsamkeit, und an Gaben zu predigen bei weiten übertraf, so hätten meine, insonderheit meine vornehme Zuhörer, die Ursache des Abfalls, und des abnehmenden Applausus freilich nicht bei mir, sondern in dem überwiegenden Maße der Gaben desjenigen suchen müssen, der nach Leipzig gekommen, und der noch dazu eine so hohe Stelle im Ministerio bekleidete. Ich besuchte zur selben Zeit einen vornehmen Gönner, welcher mir nicht genug zu rühmen wußte, was der neue Prediger vor Gaben zu predigen hätte: wie er bei jedem Verse des Evangelii die schönsten Meditationes einstreuete: wie er alles mit schönen Gleichnissen und Exempeln ausschmückte, ja wie kein Paragraphus wäre, den er nicht entweder mit einem herrlichen Reali anfienge, oder beschlösse. Ich gab ihm recht, ich sagte: Er hat allerdinges nicht seines gleichen; ich freue mich selbst, wenn ich ihn nur einmal kann predigen hören. Es ist auch nicht Wunder, denn dafür ist er auch viel höher, als ich gesetzt. Wenn die obern Prediger uns niedrigen nicht an der Beredtsamkeit, und Gabe zu predigen überträfen, so würden wir uns kaum manchmal wegen des Ranges zufrieden stellen können: sintemal die Erfahrung lehret, daß sonst öfters, was die Erudition anbetrifft, hier und da in Städten zwischen einem hohen, und niedrigen Prediger wenig oder gar kein Unterscheid ist, und mancher niedriger Prediger seine 7 Sprachen, seine Philosophie und Theologie so gut als ein ander, ja wohl noch besser verstehet; bei solchen Fällen aber muß man nun hernach gegen niedrige Prediger kein Mißfallen bezeugen, wenn bei Ankunft besserer ihr Applausus nicht mehr so groß, als zuvor ist.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 367-368.
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