Anno 1704
§ 53

[125] Wenn ich mich noch recht besinne, so geschahe auch diesmal eine Woche vor Palmarum [Palmsonntag], was mir sonst zuweilen zu begegnen pflegte, daß mir es des Nachts träumete, als ob ein Küster käme, und mir eine Predigt antrüge; da ich denn Zeit hatte, die Sache zu überlegen, und den Schluß zu fassen, posito [angenommen], wenn es geschähe, ob ich solche Predigt annehmen wollte, oder nicht. Es sei dem wie ihm wolle, so schickte einige Tage vor Palmarum Herr M. Hassert aus der Johannis-Kirchen zu mir, und ließ mir die Predigt auf Mariæ Verkündigung antragen, welches Fest auf Palmarum damals verleget wurde. Ich hatte zwar bei [vor etwa] 8 Tagen her unbeschreiblichen Husten bekommen, als ich mein Lebtage nicht gehabt habe, so daß ich Tag und Nacht husten mußte, und nicht anders meinte, ich müßte Lunge, Herz, und Kopf in Stücken zersprengen; doch da mir der Herr M. Hassert, bei dem ich mich wegen des Hustens entschuldigen wollte, Angelica [Engelwurz] zu kauen riet, mit der Versicherung, daß es unter der Zeit sich schon ändern würde, so nahm ich die Predigt an, in Hoffnung, die Gedanken also auf etwas anders zu ziehen. Denn Anno 1695 wenn mich das Gewissen nagte, und plagte, so machte ich Verse, da ich denn allemal ein wenig zu mir selbsten kam, und mein Kopf an Kräften sich erholte. Und weil ich von den wunderbaren Wegen Gottes, die er seine Kinder oft führet, in meiner Predigt handelte, welche ich auch jetzt mich nicht dürfte zu halten schämen, ja vielleicht damit diejenigen beschämen würde, die, wenn sie von dieser Materie predigen, fast nicht ein einziges Exempel, noch einige Modos und Arten solcher Wege anzuführen wissen, als etwan das Exempel Josephs [wohl 1. Mos. 37–50], und der Weisen aus Morgenland [Matth. 2], da ich hingegen wohl bis zwanzigerlei Gattungen, und Species solcher Wege erzählte, und[125] bekannt machte; so kunte er nicht wohl glauben, daß diese Predigt meine eigene Erfindung sei, sondern war begierig zu wissen, was ich etwan nachgelesen hätte. Gott gab zu Haltung der Predigt viel Segen, ob ich gleich noch ein wenig heischer [heiser] war. Wer war froher, als ich? Denn ich hatte gänzlich gedacht, weil mein Herze und Haupt durch Husten, und Anfechtungen bisher erbärmlich waren zerrüttet worden, ich würde müssen ins Concept sehen, oder die Predigt zu halten ganz ungeschickt sein.

Allein ista tranquillitas tempestas erat, diese kurze Ruhe war ein Vorbote von desto größern Stürmen und Ungewittern, die über mich kommen sollten. Bisher war die Magd der Frau Schultzin, deren Sohn ich informirte, und welche auf dem roten Collegio ihre Stube neben der meinigen hatte, krank gewesen. Gleichwie dieselbe eines Temperamenti summe melancholici war, so schlugen jetzt schwere Anfechtungen bei ihrer Krankheit zu. Ob sie in Kleinigkeiten ihrer Frauen etwan mochte untreu gewesen sein, wie einige bald urteilen wollten, weiß ich nicht, und kann auch solches nicht glauben; sie sorgte aber vor das Zukünftige, und machte ihr [sich] ängstliche Gedanken, wenn die Frau Schultzin sterben, oder sie beständig krank sein sollte, und aus dem Dienste müßte, wo sie hin sollte, und wer sie würde aufnehmen. Diesen und andern Gedanken mehr hatte sie so lange nachgehangen, bis ihr Herz wie ein Stein, und ihr Haupt ganz verwüstet wurde. Sie bekam Gedanken vom Selbst-Mord, welches ich aber lange hernach erst erfahren; und, ob sie schon nach etlichen Wochen wieder ausgieng, so trug sie doch das Gift bei ihr [sich], womit sie sich vergeben [vergiften] wollte, oder gieng damit um, wie sie sich oben im roten Collegio herunter stürzen wollte, war aber immer auf eine wunderbare Weise daran gehindert worden, wie sie solches uns nach diesem, da ich bereits meiner Plage los worden, selbst erzählte. Dazumal, nämlich am Sonntage Palmarum, lag sie noch darnieder. Weil sie schreckliche Dinge redete, so ersuchte mich Herr M. Gehr nach der Predigt, als der dazumal auch auf dem roten Collegio wohnte, ich möchte doch kommen, und ihr einen Trost zusprechen. Ich kam vor Tische; und siehe, ihre entsetzliche Reden, als wenn der Satan in ihr wäre, wie sie vorgab, erneuerten meine Plagen. Ich erschrak über sie, daß mir alle Glieder meines Leibes zu zittern und zu beben anfiengen, und gedachte, geschiehet dies im grünen Holze, was will am dürren, und mit dir werden [Luk. 23,31], der du viel ein größerer Sünder bist? Es war, als spräche[126] jemand zu mir, oder der Satan selbst: Du unterstehest dich andere zu trösten, und steckst selbst im Kot der Sünden bis über die Ohren: ich will sie verlassen, und dich baß [besser] plagen. Ich konnte fast kein Wort mehr reden, absonderlich [besonders], da sie abscheuliche Gottes-Lästerungen ausstieß. Ich blieb da bei dem Essen, aber kein Bissen wollte mir schmecken. Ich gieng in die Vesper-Predigt, konnte aber vor Angst kaum in der Kirche bleiben. Ich fieng schon an auf der Gassen zu erschrecken, wenn mir Leute von häßlichem Angesichte vorkamen, und zu denken, als ob es der Teufel selbst wäre. Ich wußte wohl, daß dem nicht also sei; doch ist es bei erfahrnen Lehrern eine bekannte Sache, daß man zu solcher Zeit, und in dergleichem Zustande gleich wie vor allen ungestalten Gesichtern erschrickt, also dabei auf traurige, und erschreckliche Gedanken verfällt. Dergleichen begegnete mir auch Montags Abends, als ich bei Bertholden aß, und ein unbekannter Mann in einem Mantel in der Türe stund, und in die Stube hinein kam, und ihn niemand kannte. Was ich vor eine ängstliche Nacht darauf gehabt, ist nicht zu beschreiben. Nach der Zeit habe ich in Bunjans, des Engelländers Leben, welches er seinem Tractat: Kommen, und Willkommen zu Christo betittelt, beigefüget gefunden, daß einst seine Angst und Furcht zur Stunde der Anfechtung auch so groß worden, daß er ungestalte Leute vor Teufel ansehen wollen. Der Pfarr zur hohen Heide, der durch ein Donner-Wetter um alles das seinige gekommen, und dadurch, weil er solches ohne Maß zu Herzen genommen, schon ziemlich im Verstande verrückt war, ob er wohl noch herum gehen, und mit den Leuten reden kunte, war mit gleichen schrecklichen Gedanken eingenommen. Da ihn M. Hertzog einst zu mir brachte, und er mich das erste mal sahe, ob ich wohl zur selbigen Zeit im Gesichte besser, als jetzund aussehen mochte, so sprach er zu mir: Bist du auch einer von der Unter-Welt, welche Frage er auch dann und wann an andere Leute abgehen ließ, und alle, die er nicht kannte, und die ihm listig und verdächtig schienen, vor keine Menschen, sondern vor böse Geister ansahe, mit denen er bei seinem halb-verrückten Haupte zu streiten und zu kämpfen hätte.

Dienstags frühe kunte ich vor Schwermut nicht zu Hause bleiben, sondern lief vor Angst in das Philosophicum [Philosophievorlesung], und in die Disputation, so gehalten wurde. Es war mir höchst heiß um den Kopf, und das Herze auf das höchste zusammen gepreßt. Ich stehe, und höre der Disputation zu; und, siehe, ehe ich michs versehe, so kriege ich die Idée, und das[127] Bild eines Messers, das mir an die Gurgel gesetzt wird. Nicht, als ob ich (wie Menschen etwan aus Ungedult, die des Lebens überdrüssig sind, zuweilen tun mögen,) bei guter Überlegung gedacht und beschlossen hätte: Weil du in so schreckliche Not und Angst geraten, so willst du dich umbringen, so kommst du der Marter los. Keinesweges, sondern dies begegnete mir schnelle, wie ein Pfeil, ohne alles Denken, Raisonniren, ohne allen Schluß [Entschluß], und Vorsatz; und wollte es dir eher mündlich erklären, und zeigen, wie dies zugehet, als mit Worten recht beschreiben. Wie einem etwan, der ein Lied, oder ein musicalisches Stücke gehöret, hernach ehe er sichs versiehet, ohne Vorsatz und Entschluß daran wieder zu gedenken, ihm doch solches wider seinen Willen wieder einfällt: so schnelle entstund ein dergleichen schreckliches Bild in meinem Gehirne. So stark, so unvermutet, und lebhaftig diese Idée und Einbildung war, so tief schnitte sie in das Gehirne ein, und legte einen Grund zu den Gedanken, und zu der Furcht, das zu tun, wofür [wovor] ich doch den größten Abscheu hatte, mit der ich hernach lange Zeit bin geplaget worden. Je mehr ich vor diesem Selbst-mörderischen Bilde erschrak: je tiefer imprimirte es sich [drückte es sich ein], und je öfterer mußte es mir hernach natürlicher Weise wieder einfallen. Doch es blieb nicht bloß bei dieser Gattung und Specie; sondern ich wurde eben so stark hernach mit den Idéen von Stürzen, Ersäufen und Hängen gemartert, worbei ich im Leibe abzehrte, und ganz zu verdorren anfieng. Wann dergleichen Zufälle bloß vom Leibe herkommen, und die Melancholie nur ihren Grund in verstopften Gefäßen, und verbrannten Geblüte hat, so kann ich nicht anders, ich muß der Ärzte ihren Rat billigen, nach welchem sie in solchen Fällen das Aderlassen vorschlagen, sintemaln sie die Erfahrung gelehret, daß dieses die Patienten oft von solchem Übel befreiet. Wenn aber bei solcher Schwermut und Melancholie, und dergleichen betrübten Einfällen ein Gewissens-Kummer, und eine Angst wegen begangener Sünden zu finden, so hat mich die Erfahrung in meinem Amte gelehret, daß alsdenn das Aderlassen die Krankheit nicht hebe, ja daß, weil durch Aderlassen die Kräfte des Menschen noch mehr geschwächet werden, das Übel nur desto ärger werde, wenn das Gewissen durch Gottes Wort nicht zuvor geheilet, und beruhiget worden; sintemal die große Gewissens-Angst hernach desto leichter die durch das Aderlassen geschwächte Lebens-Geister verwirren, und den Menschen seines Verstandes berauben kann, so daß derselbe hernach ohne Verstand nach dem erschrecklichen[128] Bilde würket, was in seinem Haupte entstanden, und selbst Hand an sich leget.

Ob der Satan solche Gedanken würke, und die Imagination mit einem solchem mörderischen Bilde, wo kein Schluß [Entschluß] und Vorsatz ist, vergifte, oder ob sie natürlicher Weise entstehen, daran liegt mir wenig, oder nichts. Mir war es damals kein sonderlicher Trost, ob ich gleich diese Zufälle aus der Pneumatic, und aus der Lehre de Connexione Idearum und Influxione spirituum in poros cerebri per istos meatus facillima, per quos cum vi & vehementia vel semel tantum, vel aliquoties jam alio tempore influxerunt, herleiten kunte, wie ich solches auch besser unten deutlicher erklären werde. Genug, daß die unaussprechliche Furcht da war, daß nicht dergleichen noch geschehen möchte, und durch diese Furcht aus Aberglauben die festeste Einbildung entstand, es werde noch geschehen, und dazu kommen. Man hat keine Lust noch Reizung dazu, wie einer, der zum Stehlen, oder zum Ehebruch gereizet wird, und solches zu begehen Lust bekommt; wie sich der gemeine Pöbel, und die einfältigen Leute die Sache einbilden; sondern man hat die größte Furcht, und Abscheu vor dieser Sünde des Selbst-Mordes, und gäbe die ganze Welt drum, um nur versichert zu werden, daß solches nicht geschehen würde. Und wie ich in einem andern Buche bereits geschrieben, wenn in Leipzig die Huren alle solche Furcht vor der Hurerei kriegten, so daß sie alle ihre Hab und Gut dahin gäben, nur damit sie versichert wären, daß sie diese Sünde, vor welcher sie sich so sehr fürchten, nicht begehen würden, als dergleichen Leute Furcht vor der ἀυτοχειρία [Selbstmord] haben; so sollten die Huren gar bald alle werden; sie müßten denn wegen ihrer großen Furcht ganz und gar von Verstande kommen, und sinnlos nach dem Bilde, wie die unvernünftigen Tiere, würken, von welchem Bilde sie zur Zeit mit der Furcht solche Sünde zu begehen geplaget werden. Die größte Abscheu vor einer Sache, und die höchste Furcht haben solche nicht zu tun, und doch Lust und Neigung zu einer solchen Sache haben, können zu gleicher Zeit in einem Subjecto, und in einem Menschen nicht gefunden werden. Gesetzt auch, daß einer sich vor der Sünde des Diebstahls, und der Hurerei fürchtet zu einer Zeit, da er Lust und Liebe dazu hat, und sie gerne begehen möchte, weil er Gottes Zorn, zeitliche und ewige Strafe befürchtet; so eckelt ihm doch nicht vor der Tat des Diebstahls und der Hurerei, als nach welcher ihn gelüstet, als wie, wenn man hungerich ist, man nach einem guten und angenehmen Bissen Appetit[129] hat; da hingegen jene, die armen Melancholici, vor der Tat des Selbst-Mordes selbst den höchsten Eckel und Abscheu haben, und gar keine Lust und Neigung darzu finden.

Ist der erste Einfall nicht vom Satan, so ist es doch, als ob der Teufel sein Spiel hernach mit den Historien hätte, die man alsdenn überall von solchen Leuten erzählen höret, die selbst Hand an sich geleget. Ich hatte schier verredet [beschlossen] nicht mehr auszugehen; denn wo ich hinkam, da fielen die Discurse auf solche Menschen, die sich selbst umgebracht. Ich halte, die abscheuliche Gestalt, und das ängstliche Angesicht, das man alsdenn hat, giebt den Leuten Gelegenheit, daß sie an solche traurige Casus und Exempel gedenken. Niemals habe ich mehr geglaubet, daß es mit mir eben ein solches Ende nehmen würde, als da einst Herr Kunad, der auch im Collegio wohnte, und das Moral-Collegium bei mir hörete, mit mir redete, und weil er sich auf die Chiromantie und Gesichts-Linien zu verstehen vermeinte, mich bereden wollte, es fänden sich bei mir einige Lineamenta und Merkmale derer, die sich selbst Leides antäten.

Doch das war noch nicht alles. Ich kam ohngefähr zur Bett-Frau hinein, die gegen mir über ihre Stube, und welche allemal einen großen Vorrat von Geschichten und Märchen hatte, womit sie einen unterhalten kunte. Zu allem Unglück erzählte sie mir eine Historie von einem, der am Kar-Freitage sich selbst umgebracht hatte. Ich erinnerte mich auch selbst, daß dergleichen in meinem Vaterlande sich mit einem begeben hatte. Kaum hatte ich diese Historie mit Furcht und Zittern angehöret, so überfiel mich den Augenblick die Furcht, und Einbildung, es würde mit mir auch dahin kommen, daß ich an diesem Tage auf eine so miserable Weise mein Leben enden würde. O eine rechte Marter-Woche, die ich dazumal gehabt! Von dieser Furcht und Einbildung befreiete mich auch nicht, daß in meinem Leben der öffentliche Gottesdienst an diesem Tage allemal so ungemeine gute Bewegungen in meinem Herzen gemacht hatte; wie nicht selten bei Christen zu geschehen pflegt, die auch nur einen Anfang im Guten, und im Christentum haben. Ich hatte bei [seit] einigen Jahren her allemal am Kar-Freitage einen Macht- und Trost-Spruch, der mir sehr zu Herzen gegangen, in die Wand meiner Schlaf-Kammer, und in ein Buch geschrieben, um solchen das ganze Jahr zu meinem Troste und zu meiner Regel vor Augen zu haben; wie ich denn solches auch 39 Jahr bis auf den jüngstverflossenen Kar-Freitag continuiret und beobachtet habe. Mein Gott, dachte ich oft bei mir selbst, sollst du an dem[130] Tage so jämmerlich sterben, an welchem du Gott allezeit am inbrünstigsten geliebet, und Gottes Liebe im hohen Maße geschmecket hast. Doch das half nichts. Das zaghafte Fleisch und Blut, und das aufgewachte Gewissen, wollte sich solches nicht ausreden lassen. Ich kunte nicht leicht ein Messer sehen, ohne dafür zu erschrecken; und wenn ich aß, so mußte ich es mit ganzer Gewalt feste halten, damit ich nicht schnelle zuführe; oder wenn die Speise zerschnitten, solche mit der Hand fassen, und in den Mund stecken. Die Feder, mit der ich schrieb, das Federmesser, womit ich die Feder besserte, die Tabaks-Pfeife, die ich in den Mund nahm, die Licht-Schere, womit ich das Licht schneuzete, den Degen den ich ansteckte, die Turm-Spitze, die ich sahe, ja den Finger, den ich nahe zum Munde brachte, setzte ich mir durch einen schnellen Gedanken, der schneller, als ein Pfeil entstund, an den Hals. O entsetzliche Plage derer, welche solche erfahren! Des Nachts deuchte mich oft halb wachende und halb schlafende, als ob die Kammer ganz voller Messer, und als wenn ich sie klitschen [klappern] hörte. Ich wußte wohl, daß es nur Einbildung; es mergelte mich aber doch ab, daß ich anders nicht, als mit Herz-Klopfen schlafen kunte. Ich hatte noch nicht erfahren, wie einem Menschen zu Mute, der palpitationem cordis und Herz-Klopfen hat, welches ein verdrüßlicher Zufall auch wohl vor einen Menschen, der gesund im Gemüte ist; geschweige denn vor einen solchen angefochtenen, wo jedes geringes Ding fähig ist, die Angst zu vermehren. Trüber Himmel, Sturm-Winde, Wetter, Fasse püchen [Fässer mit Pech verschmieren] sehen etc. machen alsdenn lauter Ängstlichkeit, Zittern und Beben. Das Schreien der Pfauen, und das Krähen der Hähne, weil es eine Ähnlichkeit mit dem ängstlichen Schreien eines Menschen hat, ist einem so zuwider, daß einer sich kaum enthalten kann selbst zu schreien. (Angelus in penna, pede latro, voce gehenna, lautet der Vers, den man von den Pfauen gemacht hat.)

Diese meine betrübte Gedanken zu vertreiben hatte ich mich eben den Dienstag in der Marter-Woche [Karwoche], da sie mir eben das erstemal aufgestiegen, bewegen lassen eine Predigt auf den Oster-Dienstag in der Thomas-Kirche in der Vesper anzunehmen. Ich hielte es zwar Anfangs vor eine Schickung Gottes; es wurde mir aber gar bald eine neue Anfechtung draus, als ich in der Angst nichts zu denken, noch zu machen fähig war, und in den miserablesten Streit mit mir selbst verfiel, ob ich die Predigt behalten, oder wieder aufkündigen sollte. Aufzukündigen[131] schien mir ein Mißtrauen zu sein auf Gottes Beistand; und zu behalten, kunte ich mich auch schwer resolviren [entschließen], weil ich nicht wußte, was ich predigen sollte. Endlich nötigten mich meine guten Bekannten, Mittwochs mit ihnen zu kögeln, oder boseln [kegeln] zu gehen; da ich denn, weil durch die Motion und Bewegung mein Haupt ein wenig stärker worden, gegen Abend das Thema, so ich erfunden, vollends disponirte [aufgliederte], auch ein gut Teil von der Predigt elaborirte [ausarbeitete]. Es war zwar vom Texte weit entfernet, und schickte sich dasselbe zum wenigsten nicht auf einen Fest- und Freuden-Tag, so sehr es sich auf meinen Zustand schicken mochte. Denn nach Anleitung des Grabes, und der Auferstehung Christi redete ich von der Hölle der Kinder Gottes, in welche sie mit der gottseligen Hanna zuweilen auf eine zeitlang hineingeführet, aber hernach von Gott wieder heraus geführet werden [1. Sam. 2,6].

Und so sehr ich mich vor dem Kar-Freitage gefürchtet, so war der Tag doch leidlich, als derselbe angebrochen. Denn ich hatte den grünen Donnerstag zuvor in der Predigt frühe bei dem Herr M. Weisen in der Niclas-Kirchen einen ziemlichen Trost in mein Herze bekommen, daß ich also der Anfechtung gewachsen, und durch Vertrauen der Furcht zu steuern fähig war. Meine eigene Predigt aber anbelangend, so gieng dieselbe wohl von statten, nur daß der selige Herr Teller, und Pipping nicht begreifen kunten, wie ich zur Oster-Zeit auf dieses Thema fallen können. Auch der jetzige Hof-Rat Wolff, der denselben Dienstag Abends, als mein guter Freund, mich besuchte, und in der Predigt gewesen war, wunderte sich, warum ich doch diese Materie erwählet; ich verbarg aber vor ihm mein innerlich Anliegen, so viel ich kunte, so erbärmlich, und miserable ich ihm auch im Gesichte vorkam. Die Not lehrte mich in solchem Zustande mehr, als sonst, beten; wie denn noch die Gebete und Lieder zum Andenken aufbehalten, welche ich dazumal auf alle Tage der Woche Morgens, und Abends gesprochen, und gesungen. Ich lief in der Angst in alle Predigten, und Bet-Stunden, vor meine Seele Ruhe zu suchen, und hörte auch oft aus Gottes Wort solche Stellen, die recht schienen, als ob sie vor mich ausgelesen, und angeführet worden wären, und als ob es ein Trieb Gottes gewesen, der mich præcise in diese, oder jene Predigt oder Bet-Stunde laufen geheißen. Wo ich irgends in einem Buchladen ein geistlich Buch ohngefähr in die Hände bekam, fand ich bald etwas beim ersten Aufschlagen, was sich vor meinen Zustand schickte. Ich habe noch Erasmi Enchiridion militis Christiani[132] unter meinen Büchern, das ich zu derselben Zeit bei einem Buchhändler, der mit gebundenen Büchern handelte, zu meinem Troste antraf; denn ich fand diejenige Stelle, allwo Erasmus zeiget, daß man in Anfechtung nicht solle lassen den Mut sinken: denn wo man nur einmal in großen Versuchungen überwinde, so kämen solche insgemein nur einmal über einen Menschen, und nicht leicht auf eben die Art wieder. Ja wohl mochte er sprechen nicht leicht; denn daß solches nicht unmöglich sei, wird mein eigen Exempel besser unten bestätigen können.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 125-133.
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