Anno 1704
§ 52

[122] Aber, o mein Gott! was soll ich von dem folgenden 1704. Jahre sagen, und welche Feder ist fähig die Seelen-Not, und Höllen-Angst zu beschreiben, in welche ich geraten, und die[122] Größe der Gnade Gottes, welche mich davon befreiet! Wo große Strafen und Züchtigungen Gottes sich finden, da mögen wir wohl denken, daß gewißlich nicht kleine Sünden vorher gegangen, die Gott veranlasset, uns mit solchen bittern Ruten zu geißeln, und uns mit Skorpionen zu züchtigen, wenn er uns das erste mal, und bei der ersten Buße nur mit Peitschen gezüchtiget [1. Kön. 12,11]. Wenn ich Valerii Herbergers Schreib-Art jetz-und nachahmen wollte, so würde ich hier, nach dem gemeinen [bekannten] Sprüchwort sagen: Den ärgsten Hunden hänget man die größten Klöppel an. Denn so meine ich immer, daß es Gott auch mit den Sündern mache, so lange noch Hoffnung der Besserung ist, und wenn ihnen die Sünde nicht anders kann verleidet, noch sie von dem Schaden, und Unrecht, so sie dem Nächsten tun, abgehalten werden. Obwohl die Melancholici wegen ihres Temperamentes und verbrannten dicken Geblütes schon zu schrecklichen Zu fällen [Anfällen] geneigt sind; so halte ich doch, es würden dieselben nicht so leicht ausbrechen, daferne sie nicht mit ihren Sünden Holz zutrügen zu dem Feuer, und feurigen Ofen der Anfechtungen, in welchem sie öfters brennen müssen, bis die Schlacken ihrer Sünden verzehret sind. Die Sünden dürfen auch nicht immer ihrer Natur nach schwer, und übergroß sein; es ist genug, wenn einige merkwürdige Umstände denselben eine hohe Staffel beilegen. Ja, wenn Gott auch seine Kinder mit schweren Versuchungen zu prüfen gesonnen, so muß auch wohl ein irriger Wahn frommer Christen, da sie eine Schwachheits-Sünde [läßliche S.] vor eine Bosheits-Sünde [schwere S.] ansehen, und auf traurige Gedanken geraten, als ob sie der Gnade Gottes von neuem verlustig worden, darzu Gelegenheit geben. Höre nur, was sich mit mir zugetragen.

Ich hatte einen habituellen, eiferigen, beständigen, täglichen Vorsatz, etwas nimmermehr einzugehen, wenn mir auch dazu Anlaß gegeben wurde, welches sonst nach der besten Sitten-Lehrer Meinung, ein Argument und Beweis-Grund ist, daß die Tat, so man wider solchen Vorsatz tut, nicht eine proæretische [vorsätzliche] Tat, sondern nur eine Schwachheits-Sünde sei; und, siehe, so sehr ich neben diesem guten Vorsatz auch eiferig gebetet, in einer gewissen Sache mein Ja-Wort nicht darzu zu geben, so wurde ich doch bei der sich dazu ereignenden Gelegenheit schnelle, und in der Hitze des Affectes, willens, meinem Vorsatze contrair zu handeln, und solchen zu übertreten. Noch mehr: Es wurden mir Hindernisse in Weg geworfen, daß, so willens ich auch war, wider meinen Vorsatz zu agiren, ich solchen[123] doch nicht vollziehen, noch darwider tun konnte. Der Geschichts-Schreiber Josephus würde mich hier nach der Jüdischen Theologie, so leicht, wie den Antiochum, von der Sünde absolviret haben. Denn da Antiochus willens gewesen, den Tempel zu Jerusalem zu zerstören, und zu verwüsten, so meinte er, weil er es nur nicht getan hätte, so könnte ihm dieses zu keiner Sünde angerechnet werden. Allein die Umstände waren bei mir so merkwürdig, daß ich diesen Willen, wider meinen, ich möchte bald [beinahe] sagen, ewigen Vorsatz (weil ich ihn im ganzen Leben geheget,) zu tun vor höchst sündlich, und, welches mein Herze am meisten verwundete, vor einen wahrhaften Rückfall ansahe. Es fiel mir demnach gleich anfangs auf mein Herz, wie ein Stein, und wurde mit der höchsten Furcht umfangen. Ich suchte zwar des Sonntags drauf durch Beichte und Abendmahl dem geängsteten Herzen Luft zu machen, und erwählte so gar hernach mir noch einen zweiten Beicht-Vater in der Neuen Kirche, weil ich in der Thomas-Kirchen nur [erst] vor 6 Wochen bei meinem ordentlichen [gewohnten] Beicht- Vater gebeichtet, und demselben nicht gerne den Concept [Auffassung] beibringen wollte, als ob ich ein Sonderling wäre, und durch öfterers Communiciren, als die Gewohnheit mitbringet, heiliger, als andere Leute sein wollte; allein durch den Gebrauch des Abendmahls wurde die Angst noch größer. Denn weil ich mit lauter Furcht, und Angst dazu lief, und nicht das geringste zuversichtliche Vertrauen bei mir verspürte; (wieviel ich nicht ohne alle Hoffnung muß gewesen sein; denn wenn ich gar keine Hoffnung, wie die, so völlig verzweifeln, gehabt hätte, so wäre ich nicht gegangen;) so meinte ich gänzlich, daß ich solches unwürdig genossen, und meine Verdammnis noch größer gemacht hätte. Essen und Trinken schmeckte mir nicht mehr; und, wenn ja die große Angst des Gemütes zuweilen Hitze und Durst im Leibe machte, so hatte ich zum wenigsten doch vor den Speisen einen Eckel. Dachte ich, mein Lager sollte mirs lindern, so erschreckte mich Gott durch Träume [Hiob 7,13 f.]. Bald schwamm ich in großen Wassern, daß mich die Flut ersäufen wollte: bald brannte mir mein Haupt-Küssen [Kopfkissen], oder befand mich sonst in Feuers-Not: bald soff ich die allerabscheulichsten Getränke im Traum. Überaus oft träumte mir, als ob ich meinen Ofen heizte, und mit Holz das größte Feuer darinnen machte. Und, wenn ich dergleichen ängstliche Träume des Nachts gehabt hatte, so wurde hernach allemal des Tages die Anfechtung noch größer. Ich fieng an abscheulich im Gesichte auszusehen, so daß ich nicht[124] mehr das Herze hatte in Spiegel zu sehen. Meine Schüler erschraken über meiner Gestalt, wenn sie zu mir kamen, und waren kaum geschickt, meine Informationes abzuwarten [in meinem Unterricht aufzupassen]. Einer von meinen Auditoribus hatte gar das Urteil von mir gefället, daß ich im Gesichte aussähe, wie sie die Verdammten in der Hölle manchmal zu malen pflegten; welches mich, da man mir es wieder gesagt, schrecklich peinigte, und welches ich als lauter Merkmale meiner Verdammnis ansahe.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 122-125.
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