Anno 1704
§ 60

[144] Eben diesen Sommer tat ich am 15. Sonntag nach Trinitatis in der Vesper zu Krossen, so anderthalb Meilen von Zeitz gelegen,[144] eine Gast-Predigt. Der Herr Fletscher, der ehedessen ein reicher und berühmter Kaufmann in Leipzig gewesen, und nachmal Kammer-Rat worden, war der Patron der Kirchen. D. Seligmann, der ihm etliche gute Subjecta [Leute] hatte recommendiren [empfehlen] sollen, die er zur Probe aufstellen wollte, hatte unter andern auch mich vorgeschlagen; vielleicht, weil er gemeinet, daß meine damalige Traurigkeit, so ich im Beicht-Stuhl spüren lassen, etwan von Mangel der Beförderung unter andern herrühren möchte. Ich stellte mich zu rechter Zeit des Abends zuvor in Krossen ein. Die ganze Nacht drauf war ein schrecklich Donner-Wetter, daß niemand schlafen kunte. Und des Sonntags nach Mittag in der Versper war es sehr heiß und geschwüle, daß ich mein Lebtag in keiner Predigt so sehr, als in dieser, geschwitzet habe. Doch hatte sie dem Patrono gar wohl gefallen, so daß er gegen den Prediger, der des Morgens substituiret [die Vertretung gemacht hatte], sich gleich nach der Predigt vernehmen lassen: Diesen wollte er vociren [berufen] und keinen andern. Er hatte ein großes Wohlgefallen an den Thematibus, so des Morgens von diesem benachbarten Prediger, und in der Vesper von mir pro concione [in der Predigt] waren abgehandelt worden. Der ordinirte Morgen-Prediger hatte über seine Predigt, und über das Evangelium die Überschrift gemacht: Gott und genug; und meine Überschrift, welche ich über die Epistel an statt der Proposition [vorausgeschickte kurze Inhaltsangabe einer Predigt] machte, lautete: Nun oder niemals, occasione verborum [gelegentlich der Worte], als wir denn nun Zeit haben. Ich blieb bei ihm die folgende Nacht bis auf den Montag zu Mittage, binnen welcher Zeit, und sonderlich beim Abend-Essen, er mich auf allerhand Weise probirte [prüfte]. Nach der Predigt bekam er Briefe und Zeitung [Nachricht] von der glücklichen Weltberühmten Schlacht bei Höchstädt, und discourirte mit mir eines und das andere von Staats- und Kriegs-Sachen: fragte mich auch vielfältige Dinge, so in die Geographie und Historie laufen, welche ich ihm beantwortete. Ich mußte ihm auch Verse, oder eine Arie machen, die er künftigen Sonntag in seiner Kirche durch seine Kirch-Musicanten, deren er etliche hielt, wollte musiciren lassen. Noch mehr content [zufrieden] schien er mit mir zu sein, als er hörte, daß ich auch der französischen Sprache ziemlich mächtig, und darinnen so gar Lection zuweilen gegeben hätte, indem er der jungen Herrschaft dieser Sprache, wegen eine Französin auf diesem Schlosse zu Krossen bisher gehalten hatte.[145]

Doch auf das zu kommen, warum ich dieses erzähle, so traf ich in der Rück-Reise von Zeitz aus, einen bekannten Studiosum an, mit dem ich eines wurde zu Fuße mit nach Leipzig zu gehen, und das Geld vor die Fuhre zu ersparen. Wir giengen um 4 Uhr Nachmittag aus Zeitz, und herbergten in Pegau. Ehe ich auf der Streue, die wir in der Stube vor uns hatten machen lassen, einschlief, überfiel mich abermals eine närrische Furcht wegen des Messers, so ich noch in Bein-Kleidern bei mir, und vergessen hatte weg, und etwan auf den Tisch zu legen, wie ich sonst bei dergleichen Fällen bisher zu tun gewohnt gewesen war. Es erhub sich ein ziemlicher Streit in Gemüte, der mich eine ziemliche Zeit verunruhigte, und mich nicht einschlafen ließ: ob ich es nämlich sollte weg, und von mir legen, oder ob ich solches bei mir behalten sollte. Solches wegzulegen, schien ein Mißtrauen auf Gottes Schutz und Providenz [Vorsehung] zu sein, und selbiges zu behalten deuchte mich eine Verwegenheit und Versuchung Gottes zu sein. Denn wenn die Imagination vergiftet und angestecket ist, so daß man bei naher Anwesenheit tödlicher Waffen mit schrecklichen Gedanken und Phantasien geplaget wird, so scheinet es weislich gehandelt zu sein, daß man natürliche Mittel brauche, und die Dinge entferne, welche zu fürchterlichen Gedanken Gelegenheit geben. Was ich damals endlich resolviret [beschloß], kann ich mich nicht mehr besinnen, ich halte aber jetzt davor, daß es bei solchen Umständen noch besser getan seie, wenn einer, der Imagination zu Trutz, der Furcht durch Vertrauen auf Gott steuret, und die feste Zuversicht fasset, Gott werde nach seiner Weisheit und Macht alles Böse abzuwenden wissen. Doch kann freilich die Schwachheit des Leibes und des Gemütes, und die natürliche Furcht, welche in Spasmis [Krämpfen] des Milzes, und Contractionen der Nervulorum [Lähmungen der Nerven] ihren Grund hat, manchmal so groß werden, daß einer in diesem Stücke auch alsdenn besser tut, wenn er dem Leibe nachgiebet, und demselben zu gefallen, oder desselben wegen die Dinge aus seinem Angesichte wegtut, die zu ängstlichen Bildern, und Schrecken darüber Gelegenheit geben, ja wohl ganze schlaflose Nächte mit ihrer verdrüßlichen Gegenwart verursachen können, bis etwan Gott nach seiner Gnade dem Leibe aufhilft, oder der Seele ein größer Maß des Vertrauens schenkt, den Leib zu überwinden, und den daher entstehenden Affecten, Furcht und Angst, wodurch sie nicht wenig gequälet wird, zuwider zu tun; wie es denn ein Stücke der Weisheit Gottes zu sein scheinet, den Menschen auf solche Weise[146] eine zeitlang höchst schwach werden zu lassen, um ihm zu zeigen, was wir vor elende Menschen sind, und wie wir vor jedwedem Dinge erschrecken, ja uns wohl gar fürchten, wo wir eine Sache so, und nicht anders geleget, und gesetzet haben, da es doch was Indifferentes [moralisch Neutrales], und eines so wenig, als das andere Sünde ist, dafern uns Gott mit seiner Hülfe und Stärke nicht beistehet; ja daß das Vertrauen auf Gott selbst auch so gar in geringen Dingen eine schwere Sache, und Gabe Gottes sei, die durch Gebet von Gott müsse erkämpfet, und zur Stunde der Anfechtung durch Geduld von Gott erwartet werden.

Schier ein gleiches begegnete mir auch noch in diesem 1704. Jahre wenige Zeit hernach. Denn ohngefähr 14 Tage vor Michael [29. Sept.] resolvirten [beschlossen] unser dreizehen, unter welchen einige von meinen guten Freunden und Auditoribus waren, zur Lust nach Halle zu Fuße zu gehen. Die Reise nach Krossen hatte mein Haupt ziemlich heiter, und stark gemacht; so meinte ich also auch diesesmal durch Veränderung der Luft etwas zur Vermehrung meiner Gesundheit beizutragen. Es geschahe auch. Nun traf sichs, daß ich und Herr M. Hartmann, der jetzt ein Prediger nicht weit von Breslau ist, in einem Bette zu schlafen kamen, und weil es uns zum Kopfe zu niedrig gebettet war, wir uns geschwinde resolvirten, die Bein-Kleider zum Haupte unter das Küssen zu legen. Hier wäre nun bald ein neuer Kampf, und Angst bei mir angegangen, weil ich nicht, wie ich sonst gewohnet war, aus den Bein-Kleidern erst heraus genommen, was eine fürchterliche Idée in meinem Gemüte zu erwecken fähig war. Doch ich überwand diesen Streit gar bald durch Vertrauen auf Gott; ich geschweige, daß der Leib durch die Reise von 5 Meilen, die wir in einem Tage zu Fuße getan hatten, so müde worden war, daß ich gar leicht einschlafen kunte.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 144-147.
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