Anno 1704
§ 77

[207] Jetzt komme ich wieder zurücke in das 1704. Jahr, und in das 29. Jahr meines Alters, bei welchem ich oben [S. 147] stehen geblieben. Ich bin von Halle noch nicht zurücke gekommen, allwo ich mich damals, wie ich dir geschrieben, befand; welches ich mit andern Studiosis, und insonderheit mit einem von meinen Auditoribus, Samuel Hartmann, der jetzt ein Prediger nicht weit von Breslau ist, besuchet hatte. Das ist eben der Hartmann, der unter[207] mir noch diesen Herbst Anno 1704 disputirte. Acht Tage zuvor disputirte ich pro loco, und dedicirte die Disputation dem Herrn von Fletscher, bei dem ich die obgedachte Gast-Predigt gehalten, welches ihm eine solche Freude war, daß er auch an mich schrieb, oder, wo mir recht ist, durch die Frau Kammer-Rätin an mich schreiben ließ; Er hätte acht Pastorate zu vergeben, und wenn morgen eines offen würde, und ich wollte solches haben, so sollte ich es vor allen andern bekommen; würde mich auch zu dem Pastorate nach Krossen vociret [berufen] haben, wenn ich ihn nur in der Michaelis-Messe einer Visite gewürdiget hätte; weil aber dieses nicht geschehen, so hätte er nicht an ders denken können, als daß ich keine rechte Lust dazu müsse gehabt haben. Und es war auch wohl nicht anders. Der Eckel vor dem Dorf-Leben, und der Bauer-Nahrung hatte mich ehemals von meinen Eltern weg, und in die Stadt, und zum Studiren gebracht; und nun hätte ich wieder solche Arbeit müssen über mich nehmen, zu der mich meine Eltern beinahe in der Jugend mit Schlägen zwingen mußten, und zu welcher ich kein Geschicke hatte. Darnach merkte ich auch schon, daß der Patron gerne sehen würde, wenn die Pfarr-Witwe, oder, wo mir recht ist, ihre Tochter, bei dieser Gelegenheit zugleich versorget würde. Und dazu würde ich mich nicht haben entschließen dürfen. Denn Gott hat mich in der Welt da angegriffen, wo ich am empfindlichsten gewesen, und mich das zu verleugnen genötiget, was mich mit dem Herzen und mit dem Leibe zu verleugnen am allerschwersten angekommen, und durch schreckliche Anfechtungen, und einen gewissen unglücklichen Fall in der ersten Jugend meinen Leib in den Zustand gesetzt, daß ich an kein Heiraten jemals gedenken dürfen. Was ich vielmals vor Kränkungen ausgestanden, wenn mir zu Anfange meines Predigt-Amts solche Personen angetragen worden, die hernach an die größten Leute der Stadt, an Bürgermeister, ja an Leute von Hofe verheiratet worden, weiß ich am besten. Dies kannst du auch behalten und dir merken, wenn ich in diesem Buche hier und da von meinen Sünden rede und sie als eine Ursache meiner Plagen und großen Versuchungen angebe, damit du nicht etwan auf die Gedanken kommen mögest, als ob ich ein Hurer und Ehebrecher gewesen. Denn ich kann dich so gut, als Herr Pastor Neumeister, endlich versichern, wenn es nötig wäre, daß ich mein Lebtage keine Weibes-Person, weder in, noch außer dem Ehestand erkannt habe. Du darfst mir es aber vor keine Tugend anrechnen, denn Gott schätzt den Menschen niemals nach der sündlichen Tat, so[208] von ihm unterlassen worden, sondern nach dem Herzen und nach den Umständen, mit und bei welchen sie unterlassen worden.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 207-209.
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