Anno 1705
§ 78

[209] War das 1704te Jahr ein sehr betrübtes Jahr vor mich gewesen, so war das folgende 1705te vor mich desto erfreulicher. Das weiß ich, daß Gott nach der Anfechtung wieder tröstet, und habe es dazumal zur Genüge erfahren. Gott erhöret auch wieder und setzt zu Ehren, den er zuvor gedemütiget [vgl. 1. Sam. 2,7; Dan. 5,19]. Ich tat in der Pfingst-Woche eine Reise nach Hause in meine Vaters-Stadt, meine Dienste vor allen Dingen derselben anzubieten. Wie ich 1699 am Johannis-Feste [24. Juni] allhier zu Leitsch das erstemal gepredigt: so tat ich auch an diesem Feste in meiner Vaters-Stadt die erste Predigt. Es folgten auf diese erste bald andere Predigten in kleinen und großen Kirchen. Ich war nun munter, und stark von Leibe und Gemüte; und hatte kaum zu predigen angefangen, so wuchs der Applaus dermaßen, daß die Kirchen von gemeinen und vornehmen Leuten so voll waren, daß sie nicht voller hätten sein können. Es wußte sich niemand zu erinnern, daß ein Candidatus jemals einen so ungemeinen Applausum gehabt hatte. Ganz Leipzig wurde zwar von An. 1712 an in Verwunderung gesetzet wenn ich in den ersten Jahren meines Predigt- Amtes oft alle 3 Bürgermeister zu Zuhörern hatte, und die Peters-Kirche von Menschen, insonderheit in der Vesper angefüllet war, so daß man oft zu 40 Carossen zählete, welche haußen vor der Kirche hielten, auch jedermann certirte [wetteiferte], mir allerhand ersinnliche Ehre zu erweisen, und mir Geschenke zu bringen; aber das war nichts gegen die Ehre und Hochachtung, die man in Breslau gegen mich bezeuget. Ich war wie die Träumenden, wann hier und da harte Taler, oder Ducaten, und andere Geschenke geflogen kamen.

Als ich gegen Ende des Sommers im reichen Hospital vom Sehnen der Gläubigen nach dem himmlischen Vaterlande predigte, und als reisefertig von meiner Vaters-Stadt wieder Abschied nahm; so druckte man mir nicht nur auf dem Heimweg aus der Kirchen auf öffentlicher Gasse Geld in die Hand, sondern man schickte mir auch allerhand Presente in mein Logis. Köppel, ein Candidatus, den ich von Person nicht kannte, aber[209] viel von ihm gehöret hatte, reichte mir seine Hand auf dem Wege, und bezeugte seine Approbation [Zustimmung] über meine Predigt. Er war als ein Studiosus von Wittenberg nach Halle gegangen, weil er D. Neumanns Allegationes [Bezugnahmen] in Collegiis wider D. Spenern, wie er vorgab, vor falsch befunden, und hernach in Halle des Herrn Franckens Schoß-Kind worden, dessen er sich auch bei den gefährlichsten Patienten und Angefochtenen bedienet hatte. Gleichwie die Sünder nach der Bekehrung Anfangs manchmal ein wenig zu viel Hitze, und Eifer mit Unverstand haben, andere bald auch zu bekehren: so hatte auch dieser Köppel, welcher von Ravitsch gebürtig war, und in Breslau ehedessen frequentiret [die Schule besucht], aus Halle einen scharfen Brief an Herr Inspector Neumann in Breslau geschrieben, und demselben viel an seinen Predigten ausgesetzet. Damit aber hatte er das Kalb ins Auge geschlagen. Denn wie D. Luther um eines Juden willen allen Juden gut war: so war nunmehro der Inspector Neumann, wie es schiene, um eines Hallensers willen allen Hallensern feind worden. Da ich An. 1699 nach Leipzig auf die Universität zog, hätte er mich schier beredet, nach Halle zu gehen; denn er redete lauter Gutes von D. Spenern, und Herr Francken, hatte auch, wie mir der Herr von Haupt darnach erzählet, vielen Leuten Speners und Franckens Bücher recommendiret [empfohlen]. Aber nun bei meiner Zurückkunft von der Academie befand ich ihn ganz anders. Diesen Köppel nun, wie gedacht, kannte ich nicht. Weil er nun so vertraut mit mir auf dem Heimwege aus der Kirchen tat, und die Leute, so ihn besser, als ich kannten, solches sahen; so wurden sie noch mehr großen Teils in dem Wahn gestärket, daß ich der Hällischen Partei zugetan wäre, in welchen Wahn meine eiferigen und erbaulichen Predigten, und der Einspruch [Besuch] bei denen, so es mit Herr Francken hielten, sie gesetzet hatten. Denn ich wußte nicht, wer die Leute waren, weil ich in 6 Jahren mein Vaterland nicht gesehen hatte. Wer mich also zu Gaste bat, zu dem gieng ich; in dem ein gut Geschenk gemeiniglich gleichsam das letzte Gerichte war, das man mir vorsetzte. Es mochten gemeine oder vornehme Leute sein, wie mich denn auch einige von Adel zu sich invitirten, so trug ich kein Bedenken mich bei ihnen einzustellen. Und da erfuhr ich hernach denn freilich zu meinem größten Schaden, daß es verdächtige, oder, wie Herr D. Löscher redet, anbrüchige [verdorbene] Leute gewesen, dergleichen sich nicht wenige dazumal in Breslau befanden. Also kam gleich ein Geschrei [Gerücht] aus, weil ich mit solchen und solchen Leuten umgienge, so müsse[210] ich auch einer aus ihnen sein. Die Candidati Ministerii ergriffen dieses mit Freuden; denn es war ihnen lieb. Sie hatten meinen Applausum längst mit Neid angesehen, und meinten, ich wäre kommen, die Stelle, die damals im Ministerio vacant war, ihnen vor dem Maule wegzunehmen. Insonderheit mochte wohl Herr Brästädt, der dazumal die größte Hoffnung hatte ins Predigt-Amt zu kommen, und dem kurz zuvor Herr Aßig in der Neustadt war vorgezogen worden, welchen der Herr Prof. Krantz, (den Brästädt deshalben einen Pre diger-Mäkler [Makler] nennte,) vom Dorfe in die Stadt gebracht hatte, vor Grimm und Neid gegen mich brennen. Drum machte er so gar einige Reime auf mich, welche also lauteten:


Wie ist der Mensch von Hochmut eingenommen!

Wie trachtet er mit List empor zu kommen!

Wie kommt es, daß er selbst sich nicht mehr kennt?

Sein Name sagts, weil Adam in ihm brennt.


Im Tone: Die Sonne hat sich mit ihrem Glanz gewendet.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 209-211.
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