Anno 1705
§ 81

[214] Da es mir also so wunderlich in meinem Vaterlande An. 1705 gegangen war, so war ich froh, daß die Zeit meines Abschiedes aus Breslau heran rückte. Das Viaticum [Reisegeld] war nicht geringe, so ich mir aus den Geschenken gesammlet hatte. Ich zog fröhlich die Woche vor Michael [29. Sept.] meine Straße. Etliche Tage darauf fieng mir es zwar an im Kopfe herum zu gehen, daß mich der Herr Inspector bei der ganzen Stadt verdächtig, und zum Ketzer gemacht hatte, und daß ich mir also, so lange derselbe lebte, nimmermehr die Rechnung machen dürfte im Vaterlande befördert zu werden. Ich wäre auch bald darüber in einige Traurigkeit geraten; allein, da ich nahe bei Bautzen kam, ohngefähr da, wo ich vor 6 Jahren irre gegangen, hatte ich einen sehr erfreulichen Traum des Nachts, ob ich nur auf einer Streue lag. Der ganze Himmel schien mir so helle, und so schön glänzend, daß ich es nicht mit Worten beschreiben kann. Ich ward schier über dieser leiblichen Gestalt [sinnliches Traumbild] außer mir selber gesetzet, fieng an im Traum über diesen Glanz, und angenehmen Sonnenschein an Gott mich zu erquicken, meine Betrachtungen über Gottes Güte anzustellen, mit Gott mich zu unterreden, an den Glanz der zukünftigen Welt, und des himmlischen Jersualems [Hebr. 12,22; Offb. 21] zu gedenken, und mich damit zu trösten, ob ich gleich mein irdisches Jerusalem, die Stadt Breslau, auf ewig mit dem Rücken ansehen mußte. Die geistlichen Betrachtungen, so man des Nachts im Traum anstellet, und die Lieder, so man da träumend anstimmet, greifen auf eine viel durchdringlichere und lieblichere Weise das Herze an, als bei Tage, und wenn man wachet. Die Imagination ist alsdenn stärker, und kommt der Sension [Sinneswahrnehmung] nahe: wie mir denn auch einst in meinem Leben, weiß aber nicht mehr præcise zu welcher Zeit, das Neue Jerusalem, so wie es in der Offenbarung Johannis am 21. Cap. beschrieben wird, im Traume so natürlich, und lebhaft, und in lauter Golde vorgekommen, so daß es mir nicht deutlicher hätte sein können, wenn ich es gleich wachend, und mit offenen Augen gesehen hätte. So große Freude als ich damals hatte, hatte ich auch jetzo auf der Reise nach Leipzig. Und noch mehr, da ich erwachte. Denn ich nahm es an als eine Tröstung Gottes, der meine Seele auf diese Weise ergötzet, um mich seiner Gunst zu versichern, obgleich der Menschen Gunst aus wäre, und ich aus meinem[215] Vaterlande als ein halber Exulante [Vertriebener] gehen mußte.

Da ich nach Leipzig wieder kam, setzte ich meine Collegia activa [Kurse] fort, so ich unterbrochen, und fieng auch neue auf den Winter an. Wenn Sonntags gut Wetter war, gieng ich in Kohl-Garten nach Volckmarsdorf zum französischen Prediger Dumont in die Kirche, der mich mit seinen erbaulichen Predigten sehr contentirte [zufriedenstellte]. Nach der Predigt speisete ich im Kohl-Garten, worzu denn Herr M. Gehr nach Tische kam, der in Baunsdorf damals Substitute [Vertreter] war, und im Rück-Wege mich abholte. Ehe er kam, saß ich in einer Stube a part, und las Joh. Val. Andreæ Invitationem Fraternitatis Christi, und verknüpfte solch Lesen mit Beten und Singen, und geistlichen Betrachtungen. Wenn ich an dieses geringe [kleine] Büchlein gedenke, weiß ich kaum, was ich sagen soll von den ungemeinen Erquickungen, welche mir dazumal öfters durch dasselbe sind gemacht worden.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 214-216.
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