[29] An. 1686 im 11ten Jahre meines Alters fieng ich an auch schon einen Geschmack an dem Sublimi [Hochstilisierten] und beweglichen [bewegenden] Reden, und an scharfsinnigen Gedanken und Einfällen zu bekommen, welche das Wort Gottes, und insonderheit die Propheten Altes Testamentes, nach der Weise der morgenländischen Völker, mit andern Rednern gemein haben, als die bei ihren Weissagungen, wenn sie nur den Mund auftun, improprie und figurate reden, und dadurch die Herzen kräftig zu rühren fähig sind, obwohl die größte Bewegungs-Kraft der Mit-Würkung des Geistes Gottes zuzuschreiben. Ein gottloser Kohl-Gärtner aus Gabitz, Simon Preiler, hatte den Tag, da er zum Abendmahl gewesen, und doch hernach in der Schenke, in welche er gegangen, nach seiner Gewohnheit gefressen und gesoffen, sich zu Tode gefallen, und, da er, wie er mehrmal aus Scherz zu tun gewohnt war, zum Fenster hinaus auf die Gasse springen, und zur vörder-Türe wieder hinein kommen wollen, bei seinem Rausche den Hals gebrochen. Der damalige Prediger in unserer Kirche vor dem Schweinitzischen Tore, der bekannte M. Andreas Acoluth, von dem wir die Aquas amaras, und den Obadiam Armenum haben, hatte unter allen seinen Zuhörern keinen, der so gottlos war, als dieser, und der so viel Übles ihm nachredete, und ihn so entsetzlich verleumdete, als[29] dieser. Da er nun ein Ende mit Schrecken genommen, so war die Kirche, ich weiß nicht mehr, ob im V. post Trinitatis [5. Sonntag nach Tr.], oder in einem andern Sonntage, so voll, daß kein Apfel zur Erden konnte, und alles mit der größten Aufmerksamkeit zuhörte. Der Prediger kam gar bald auf ihn, und auf das, was mit ihm vorgegangen war, zu reden. Simon! Simon! rief er aus, der Satanas hat deiner begehret, daß er dich möchte sichten, wie den Weizen etc. [Luk. 22,31]. Simon, heißt ein Hörer, ach hättest du Gott, und sein Wort und seine Diener gehöret, so würdest du nicht eines solchen Todes, und in deinen Sünden gestorben sein. Ich habe dir niemalen geprediget, wie du fressen und saufen sollst etc. Die Worte des Predigers können leicht noch zierlicher, und wohlgesetzter abgefaßt gewesen sein, ich kann mich aber nicht mehr auf alles besinnen; so viel weiß ich nur, daß mir alles dermaßen zu Herzen gegangen, daß ich den Schauer, und den Afflatum oratorium, und warum nicht auch divinum fühlte, den die Oratorie [Redekunst], und das Wort Gottes zu machen fähig ist.
In eben diesem 1686. Jahre hatten die unsrigen die Stadt Ofen mit stürmender Hand eingenommen, so die Türken über anderthalb hundert Jahr in ihrer Botmäßigkeit gehabt. Den XIII. Sonntag nach Trinitatis war bei uns ein Dank-Fest, und geschahen Freuden-Schüsse. Dreimal wurden alle Stücke [Geschütze] um die ganze Stadt Vormittags, und dreimal Nachmittage gelöset [abgefeuert]. Die Bürgerschaft und die Stadt-Militz gaben auf dem Markte, wie bei solchen Fällen gewöhnlich, ihre Salven: auf den drei höchsten Türmen waren Trommeten und Pauken, und die schönste Music zu hören. Eben dieser Prediger redete an diesem Tage auf der Kanzel sehr viel, was sich zu einem solchem Dank-Feste schickte, die Gemüter seiner Zuhörer recht zum Lobe Gottes zu bereiten. Er accommodirte unter andern gar schön die Anfangs-Worte des Evangelii: Selig sind die Augen, die da sehen etc. [Matth. 13,16] zu seinem Absehen und Vorhaben, und sagte: Es hätten bei anderthalb hundert Jahren, und so lange diese Festung in der Türken Händen gewesen, auch viel Könige und Kaiser gewünschet, zu sehen, was wir sehen, und die gute Zeitung [Nachricht] zu hören, die wir jetzunder [jetzt] hören, und hätten es nicht gehöret [Luk. 10,24]: wir wären so glückselig etc. und andere Dinge mehr, so er überaus beweglich [bewegend] vorzustellen wußte. Auch dieses grieff mir nach dem Herzen, ob ich wohl dazumal noch nicht wußte, ob es der Oratorie, oder einer höhern Würkung zuzuschreiben; wie[30] denn auch die Bewegungen unsers Herzens, so durch den Geist Gottes verursachet werden, nicht allemal von dem, was die Oratorie, die Beschaffenheit der Sache, und die Gestalt der Worte, daferne sie von Gottes Werken handeln, leicht zu unterscheiden sind. Die Bewegung mochte nun entstehen, woher sie wollte, so war das Vergnügen doch groß, das mir durch solche Meditation und oratorische Vorstellung des Predigers gemacht wurde.
Denn so bringt es die löbliche Gewohnheit in meiner Vater-Stadt mit sich, daß bei hohen Geburten, Krönungen, Friedens-Schlüssen, oder wenn herrliche Siege wider die Feinde erhalten, und hernach öffentliche Freuden-Bezeugungen angestellet werden, die Prediger ihre ganze Predigt darnach einrichten, und viel von dem, von welchem alsdenn alle Zungen und Discourse [Unterhaltungen] voll sind, in die Predigt einfließen lassen, oder doch solches zu tun, Macht und Erlaubnis haben. Es ist solches an einem Prediger höchst zu billigen, wenn ers tut. Die Zuhörer werden ganz ungemein beweget, und im Herzen gerühret, wenn sie hören, was Gott im Reiche der Natur und der Macht tut: wie er so wunderlich [wunderbar] ist mit seinem Tun unter den Menschen-Kindern [Ps. 66,5]; wie er den Kriegen steuret in aller Welt, Bogen zerbricht, Spieße zerschlägt, und Wagen mit Feuer verbrennet [Ps. 46,10]. Sie erkennen alsdenn, daß der Herr Gott ist [Ps. 100,3], wenn er Ehre einlegt auf Erden [Ps. 46,11], und wahr macht, was er in seinem Worte geredet hat. Können sie die Fußstapfen der weisen und speciellen Regierung Gottes an Königen und Fürsten, und an den wunderbaren Wegen, die er mit ihnen gehet, handgreiflich spüren; so werden sie desto eher geneigt, auch den andern Grund-Sätzen der Religion Glauben beizumessen; ja sie erschrecken wohl gar auf eine heilsame Weise vor einem so mächtigen Gotte, so daß das, was sie hören, zu ihrer Bekehrung ein großes beiträgt. Ich weiß, wie viel mir solches genutzet. O wie bin ich vielmal mit lauter Verwunderung, Erstaunen, Liebe und herzlichen Frohlocken über Gott aus solchen Predigten nach Hause gegangen, so daß ich es jederzeit unter die geistliche Glückseligkeit meiner Jugend gerechnet, daß ich in derselben so viel dergleichen Predigten gehöret, und zu solcher Zeit so viel wichtige Dinge geschehen, die zu dergleichen Predigten Gelegenheit gegeben. Nachdem die Türken von Wien weggeschlagen wurden, so war von An. 1683 bis 1697 oder bis zum Carlowitzischen Frieden fast kein Jahr, das nicht durch einen herrlichen Sieg wider diesen Erb-Feind, oder durch Hinwegnehmung einer Festung, oder auf eine andere Weise wäre[31] berühmt gemacht worden. Eben an dem Jahre, da Wien entsetzet wurde, wurden die Türken auch bei Gran geschlagen, wo sie sich wieder gesetzt hatten, und hörte mit halber Entzückung als ein Knabe zu, wenn man hier und da erzählte, wie es dabei zugegangen, und daß bei Gran der Türken mehr, als bei Wien geblieben. An. 1685 wurde die Stadt Neuheusel erobert, und der Soldate, der im Hin-March [Hinmarsch] wie oben gedacht, nach mir hieb, und dessen vortreffliches Pferd, zu welchem er eine recht törichte Liebe hatte, war erschossen worden, kam wieder zu uns ins Quartier; und weil ich ihn gebeten hatte, er sollte mir, wenn er lebendig und gesund wieder käme, etwas zum Andenken mitbringen, so brachte er mir einen Pfeil mit, der, als er in die Approchen [Angriff] gegangen, ihm auf seine Zehe gefallen, und, weil er vergiftet gewesen, dieselbe so verwundet, daß er noch in unserm Quartier daran zu heilen hatte. An. 1686 wurde die Stadt Ofen mit Sturm eingenommen, An. 1687 die Essecker-Brücke erobert, und die Türken bei Mohatz geschlagen. An. 1688 wurde Stuhlweisenburg und Griechischweisenburg, ingleichen die Festung Mongatsch den Türken abgenommen. An. 1690 geschahe die glückliche Schlacht bei Salankement, und Josephus wurde zum römischen Könige gekrönet. An. 1692 büßten die Türken Groß-Waradein ein, und 1696 gieng die Weltberühmte Schlacht bei Zenta vor, allwo die Türken von Eugenio bis aufs Haupt geschlagen worden. Es geschiehet nicht ohne große Bewegung meines Herzens, wenn ich jetzt noch an die Predigt gedenke, die dazumal Herr Inspector Neumann bei dem öffentlichen solennen Dank-Feste hielt. Und wenn ich mir jetzund manchmal einen vergnügten Tag machen will, so lese ich eine und andere von dergleichen Predigten, die unter seinen gesammleten Früchten anzutreffen. Der Mann war ein großer Orator [Redner], und kunte wegen Vermischung seines Temperamenti Melancholico-Cholerici, welches ihm eine starke und lebhafte Imagination verursachte, überall Miracul finden, aus kleinen Dingen lauter Wunder Gottes machen, und als ein anderer [zweiter] Plinius das Merveilleux [Wunderbare] auf die höchste Staffel treiben. Und bei allem diesem war er öfters in seinen Predigten nicht nur sinn- sondern auch geistreich; und, weil viel von Gott in ihm war, so ist mir absonderlich bei solchen Casual-Predigten sein Wort öfters durch Mark und Bein gedrungen.
In vielen andern Orten ist kaum ein Schatten von solchen Solennitäten und Freuden-Bezeugungen, und dergleichen Casual-Predigten,[32] welche in andern Städten bei hohen Vermählungen, Geburten und Siegen über die Feinde gehalten werden, zu spüren. Ereignen sich ja dergleichen Gelegenheiten, so plötzen sie die Stücke [Geschütze] auf einer Burg, oder auf einem Schloß-Turm dreimal hinter einander schnell los: in Haupt-Kirchen singt man zur Not noch das Te Deum laudamus, und [aber] wohl gar zuweilen so unvermutet, daß die meisten Zuhörer nicht wissen, was es bedeutet. Wenn es hoch kommt, so läßt ein und anderer Prediger etwan einen Paragraphum in seiner Predigt von derjenigen Sache, so geschehen, und um welcher willen die Stücke gelöset [abgeschossen] werden, mit einfließen. Und das ist alles. Ich halte, daß die Weiber, so in der Messe vor dem Tore ihre Lieder von eroberten Städten, blutigen Schlachten, großen Siegen, erschrecklichen Mordtaten, Erdbeben, und versunkenen Städten und Dörfern absingen, mehr gute Bewegungen in den Seelen der einfältigen Bürger und Bauern, so ihnen zuhören, machen, als bei dergleichen Fällen durch öffentliche Reden gemachet werden, weil jene mehr davon singen und sagen, als diese. Welch ein Wunder tat Gott vor unsern Augen, ja, ich möchte bald sagen, vor den Augen der ganzen Welt, da er den ehemaligen König in Schweden [Karl XII.], der so hoch kommen war durch Siege, aber von keinem Frieden noch Neutralität hören wollte, als einen andern [zweiten] Nebucad-Nezar erniedrigte, und vom Himmel der Ehren, so zu reden, in die Tiefe des Abgrundes herunter stürzte [Dan. 4,21 f., 30; 5,18–21]: Wenn war es nötiger in den Gemeinen öffentlich zu reden von dem, was Gott getan, als da er nicht nur in der Schlacht bei Pultava totaliter geschlagen, sondern auch, da An. 1713 der Rest seiner Trouppen bei Tönningen sich ergeben, ja da er in dem härtesten und kältesten Winter, in der größten Hitze seines Eifers, und Begierde sich an seinen Feinden zu rächen, vor Friedrichs-Hall in Norwegen sein Leben einbüßen mußte? Wenn war es nützlicher allen hochmütigen Königen und Fürsten, ja allen Hochmütigen überhaupt, vom größten bis zum kleinsten, zu zeigen, daß Hochmut vor dem Fall komme [Spr. 16,18], daß Gott noch immer der alte Gott sei, und die Gewaltigen vom Stuhl stoße [Luk. 1,52]? Selbst unpassionirte schwedische Untertanen mußten zugestehen, daß dieser sonst gottselige König durch seine Ehren-volle Siege zu sehr sich erhoben, und vergessen, daß er ein Mensch sei. Es ist wahr, man feierte dazumal am VII. Sonntage post Trinitatis ein allgemeines Dank-Fest in diesen Landen, und wurde ein besonderer Text zum Grunde der[33] Predigten geleget. Aber was tut der unmäßige und unweise Eifer wegen der Religion nicht, der sonst, woferne man ihm seine rechte Maße der Zeit, und den Umständen nach setzet, allerdings sein Lob verdienet? Dieser hält vielen Menschen die Augen, daß sie nicht sehen können auf das, was Gott tut, noch schauen können das Werk seiner Hände [Ps. 8,7 u.ö.]. Viel, welche dazumal solches am meisten zu tun verbunden waren, und ihre Not, aus welcher sie Gott erlöset, zu betrachten, und Gott dafür zu preisen Ursache hatten, waren wie die, so da beten, als beteten sie nicht, und wie die, so da danken, als dankten sie nicht, und wie die, ob sich freuen, als freueten sie sich nicht [1. Kor. 7,30]. Ich meinte dazumal, ich wollte es recht gut machen, erklärte den Text kurz, und redete die ganze Predigt von dem, was Gott getan, und von dem Horn des Heils, so uns durch den Fall unsers Feindes war aufgerichtet worden [Luk. 1,69]. Nun muß ich wohl gestehen, die Predigt von jüngsten Gericht, die ich einst gehalten, ausgenommen, welche unter den 70 Predigten von mancherley Art, auf den 26. Sonntag nach Trinitatis zu finden, so ist niemals eine solche allgemeine Stille, als damals in der Kirchen gewesen; habe auch niemals so viel Tränen in den Augen der Zuhörer gesehen, noch so viel Approbation [Zustimmung] von Gelehrten, und Ungelehrten bekommen, als dasselbe mal. Aber bei einem und dem andern Zuhörer war ich doch übel damit angekommen. Man schickte jemanden aus einem vornehmen Collegio zu mir nach Hause, und ließ mir sein Mißfallen darüber, doch in sehr höflichen Terminis [Worten] zu verstehen geben. Die Predigt war zu lang gewesen; ist mir recht, so sollte sich der Stylus nicht auf die Kanzel schicken, vielweniger sollte ich dieselbe drucken lassen, daferne sie ja von mir begehret würde. Sie ist aber lange nach der Zeit gedrucket worden, und unter den 70 Predigten von mancherley Art auf den VII. Sonntag nach Trinitatis zu lesen, und zum andernmal aufgeleget worden.
Mich deucht, man sorgt in dergleichen Stücken noch zu wenig, daß unsere Predigten den Nutzen schaffen, den sie schaffen und würken könnten. Man gebe auch den Worten der heiligen Schrift, daß das Reich Gottes nicht komme mit äußerlichen Gebärden [Luk. 17,20], was vor einem Verstand [Sinn] man wolle; so wird es doch eine sichere Wahrheit bleiben, daß es doch oft auch mit äußerlichen Umständen, Pompe, Pracht, Zeremonien, Gepränge und Solennitäten in die Herzen der Menschen komme, und eindringe. Die Menschen lieben Neuerungen, Abwechselungen,[34] und Dinge, so in Verwunderung setzen, und Aufsehen machen. Nicht alle Neuerungen sind sündlich und schädlich. Passiret was Neues in Kirchen, werden Trommeten und Pauken gerühret, besondere Predigten gehalten, neue Prediger aufgestellt, Tempel eingeweihet, Kirchen renoviret, Türme gebauet, Glocken und Seiger [Uhren] aufgehänget, und ganze Predigten darnach eingericht, und erbauliche Meditationes darüber gehalten; das Volk lauft haufen-weise zu. Weil was Neues zu sehen und zu hören, so sperret es nicht nur die Augen, sondern auch die Ohren auf, und ist viel attenter [aufmerksamer] als sonst. So kann denn das Wort Gottes gleichsam per accidens [nebenbei], und mit demselben, manch Gutes in den Verstand, und in das Herze der Zuhörer ein dringen, worauf sie sonst nicht würden gemerket, und Achtung gegeben haben. Trommeten, Pauken und dergleichen Zeremonien setzen das Gemüte natürlicher Weise in Freude, Erstaunen, in Schauer, und in eine solche Bewegung, welche jeder besser fühlen, als ich jetzo beschreiben kann. Wird nun das Herze bei solcher schon verursachten Disposition auf göttliche und himmlische Dinge geleitet, so müssen dieselben notwendig tiefer und leichter in die menschliche Seele eindringen, als die [da diese] schon geschickt gemacht worden, einen solchen Eindruck anzunehmen. Hat sich einer schon zu Hause des Morgens in seinen Gedanken über seine Feinde erboset, und gehet mit solcher Bewegung und mit solchen Affecten aus; der geringste Feind, der ihm begegnet, und ihm einigen Tort tut, ist schon fähig die Funken seines Zornes in völlige Flammen zu setzen. Die Stadt hat nicht weislich getan, welche den löblichen Gebrauch aufgehoben, nach welchem in hohen Fest-Tagen in der Nacht um 12 Uhr die Stücke [Geschütze] auf den Wällen gelöset worden. Ich lese von einem bösen Menschen, der in der Christ-Nacht durch die Stücke, und durch das starke Geläute der Glocken nicht nur von seinem natürlichen, sondern auch durch die guten Gedanken, so bei ihm dadurch veranlasset worden, von seinem geistlichen Sünden-Schlaf aufgewecket worden. Mir selbst ist es allemal wie ein Donnerschlag ins Herze gewesen, wenn in meiner Vater-Stadt in der Oster-Nacht auf dem Dom die Stücke los gebrennet worden. Und wenn ich in einem Orte lebte, wo man in Pfingsten das Fest und die Gottes-Häuser mit Maien schmücket, und die Tempel mit Grase bestreuet, ich müßte eine mathematische Gewißheit haben, daß die Prediger davon krank würden, wenn ich ihnen zu gefallen in die Abschaffung solches alten Gebrauches, daferne ich dabei[35] was zu sprechen hätte, einwilligen sollte. Diejenigen Bauren haben auch mehr Verstand als ihr Edelmann gehabt, die, als derselbe dem Prediger zumuten wollen, die Worte der Einsetzung bei dem Abendmahl nicht mehr zu singen, sondern nur zu lesen, sich mit allem Ernst widersetzt haben. Ein Klang und Ton [je] nach dem er beschaffen, erweckt natürlicher Weise den Affect der Freude, der Liebe, der Furcht, der Traurigkeit, des Erbarmens, und eine gewisse Weichlichkeit ums Herze; die, wenn die Seele dabei auf göttliche Dinge geleitet wird, gar bald in geistliche und göttliche Traurigkeit und Freude kann verkehret werden. Unsere Affecten kriegen ihre Moralité, Sittlichkeit und Benennungen unter andern auch von den Objecten und Dingen, worauf sie gerichtet werden.
Gott helfe, daß nicht bei Einführung so vieler neuen Lieder die alten Gesänge, die in der Jugend den ersten und tiefsten Eindruck gemacht, und die Cantiones statæ und anniversariæ, oder gewöhnlichen jährlichen Lieder aufgehoben werden, welche auch schon einige zu dieser Zeit aus Unvorsichtigkeit und Mangel der Klugheit dann und wann zu negligiren, und hintanzusetzen pflegen. Vieler Christen erste Freude, welche sie bei solchen jährlichen Liedern haben, sobald sie dieselben hören, ist, daß ihr Herz von Dank und Lob voll ist, daß sie Gott wieder ein Jahr zurücke legen, und diesen Sonn- oder Fest-Tag wiederum erleben lassen; insonderheit, wenn sie dasselbe Jahr bei schweren Krankheiten und Anfechtungen dem Tode in Händen und Rachen gleichsam gestecket, und nimmermehr gemeinet haben, daß sie das Jahr noch überleben sollten. Ein Lied, es sei weltlich oder geistlich, gehet auch natürlicher Weise mehr zu Herzen, wenn man es eine geraume Zeit nicht gesungen. Und wenn ich meine Predigten alle durchsehe, so finde ich, daß mir keine besser geraten, als die, so mit Cantionibus statis [Festtagslieder] verknüpft gewesen, welche ich etliche Tage zuvor zu Hause, und ehe ich concipiret, gesungen, und mein Herz mit geistlicher Freude angefüllet, und zum Concipiren geschickt gemacht hatte. Herr Gott dich loben alle wir, Nun komm der Heiden Heiland, Es ist gewißlich an der Zeit, Mit Fried und Freud ich fahr dahin, O Traurigkeit! O Herzeleid! Nun bitten wir den Heiligen Geist, An Wasser-Flüssen Babylon, Christ unser Herr zum Jordan kam etc. das heiße ich Cantiones statas. Christliche Obrigkeiten, welche heutiges Tages die externam gubernationem Ecclesiæ, und die Weise des öffentlichen Gottesdienstes in ihren Händen haben, sind also verbunden, in dergleichen Dingen[36] fürsichtiglich zu handeln, und nicht leicht etwas einführen, oder etwas abschaffen zu lassen, was die Andacht, und die Erbauung der Zuhörer zu schwächen fähig ist. Vielmehr sollen sie keine Mühe scheuen, dieselbe zu vermehren und zu befördern, sollten sie auch manchmal genötiget werden, erst mit denen zu conferiren, welche in dergleichen Dingen vor andern Erkenntnis und Einsicht haben müssen, und die zum Lehr-Amt von Gott berufen sind.
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