[21] (An seinen Bruder.)
Lieber Bruder!
Deinen Brief, den Du mir vor ohngefähr 7 Monat geschrieben hast, habe ich erhalten. Du schreibst mir, daß Du Dich, Gott sey Dank, einer guten Gesundheit zu erfreuen hättest, wofür Du Gott nicht genug danken könntest, da, wenn Du mal deine Freiheit bekommen thätest, Dir doch weiter nichts übrig bliebe, als daß Du[21] Dich von Deiner Hände Arbeit ernähren müßtest; ein sehr schöner Gedanke, wenn er aus gutem Herzen kommt. Aber weißt Du wohl, was unser göttlicher Heiland spricht? »Ein guter Baum bringet gute Früchte, aber ein fauler Baum bringet arge Früchte. Ein guter Baum kann nicht arge Früchte bringen;« folglich kann aus einem bösen Herzen nichts gutes kommen. Sey nicht böse, mein Bruder, wenn ich Dir über diese beiden Punkte, die Du mir geschrieben hast, auch meine wohlgemeinte Herzens-Gesinnung sage. Was Deinen äußerlichen Körperbau anbetrifft, so freut es auch mich, daß derselbe gesund ist; aber nun lege Dir mal die höchst wichtige Frage ernstlich an Dein, in Grund verdorbenes, sündhaftes Herz: Wie steht es mit meinem inneren Seelen-Zustand? O Wilhelm! wenn Du irgend noch ein Fünkchen Gefühl und Gewissen in Dir hast und der Wahrheit Gehör giebst, ach! dann wirst Du finden, wie schrecklich tief Du gesunken bist und an dem Abgrund der ewigen Verdammniß stehst; und vielleicht morgen, ja in dieser Nacht fordert Gott schon Deine Seele von Dir, die er Dir bei Entstehung Deines Daseyns einhauchte. O, mein Bruder! wie wirst Du alsdann bestehen, wenn Du vor Gottes Richterstuhl stehen wirst, wo kein Läugnen, wie beim weltlichen Richter, hilft, wo es heißen wird: Gehet hin, ihr Verfluchten! in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln. O! wie schrecklich, Wilhelm, wie schauderhaft schrecklich ist der Tag der Rechenschaft für einen unbekehrten Sünder! Ich sage Dir, Wilhelm, wenn Du irgend noch ein Fünkchen Gefühl und Gewissen hast, dann wirst Du bald empfinden, wie krank, wie sehr Du schon hier auf dieser Welt todt-krank oder gar lebendig-todt bist. Du sagst, daß du Gott nicht genug danken kannst. Mein Bruder! Du bist zu bedauern, Du sprichst und schreibst da was hin, ohne daß Dein Herz das mindeste dabei empfindet. Wie willst Du mit Deinem, mit Sünden beladenem Herzen Gott danken können? Wenn Du mit einem solchen Herzen nur den Namen »Gott« aussprichst, so häufst Du noch mehr Sünden auf Dich. Bitten, ja flehen und[22] bitten kannst Du unsern Mittler und Erlöser, unsern Herrn und Heiland Jesum Christ, daß er Dir Dein verstocktes, mit schweren Sünden beladenes Herz erleuchte, aber danken kann Dein mit Sünden beladenes Herz nicht. Ach! wie sanft und liebevoll ruft er dem Sünder so flehend und mitleidsvoll zu: Kommt her zu mir, die Ihr mühselig und beladen seyd, ich will Euch erquicken, nehmt auf Euch mein Joch und lernet von mir; denn ich bin sanftmüthig und von Herzen demüthig, so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht. O! möchte Er dich auch erquicken. Ich weiß, mein Bruder, daß Du bei meinem Daseyn auf dem Lazareth oft in der Bibel gelesen hast, wo ich Dir selbst oft Verweise darüber gegeben habe. Du, mein göttlicher Erlöser, vergieb, vergieb Deinem sündhaften Kinde die schweren Sünden, die ich mir dadurch zugezogen habe. Ach! was habe ich dafür gebüßt, was habe ich leiden müssen, wie hat mein armes Herz Tag und Nacht gerungen und gekämpft! Ach! mein Bruder, wüßtest Du, was ich gelitten habe! Aber wüßtest Du auch, welche himmlische, glückliche Ruhe, welche Seelen-selige Zufriedenheit mir auch jetzt zu Theil geworden ist. Ach! hättest Du nur ein bischen Vorgeschmack von der himmlischen Seelen-Speise. O! es sind die glücklichsten Tage meines irdischen Daseyns, die ich hier noch seyn muß. O! mit freudetrunkenem, ruhigem Herzen und Zufriedenheit der Seele, sehnt sich mein Geist nach dem Ziele seiner Bestimmung. Da ich also weiß, daß Du so gern lesen thust, so folge mal deinem Bruder, und lies nicht so rasch und viel, wie Du zu thun pflegst, lies eine ganze Stunde. Du brauchst noch länger zu einem Kapitel, wenn du jedes Wort, den Sinn und Gefühl richtig verstehen willst, jedes Wort und jeden Satz mit fraglichem, fühlendem Nachdenken, in der Leidens- und Sterbe-Geschichte unseres göttlichen Herrn und Heilandes Jesu Christi. Lies im Evangelist Johannes das 17te und 18te Kapitel, und im Evangelist Lucas das 22te und 23te Kapitel; und Du, mein göttlicher Heiland, mein liebevoller, erbarmender Erlöser, Du Brunnquell aller Gaben,[23] sieh auf uns sündhafte, unwürdige Geschöpfe, erleuchte und erwärme sein kaltes Herz mit Deiner himmlischen, göttlichen Liebe, daß er einsehen lernt, wie schrecklich und gefährlich krank seine auf ewig verlorne arme Seele ist. Nun, mein lieber Bruder, diese große Veränderung meiner Seele war der Umstand, daß ich Dir noch nicht geantwortet habe; denn ich lebte und lebte auch nicht, ich habe nicht allein Dich, sondern alles, alles um mich her vergessen, und mich allein mit meinem, nur einzigen himmlischen Heiland und göttlichen, liebevollen Erlöser unterhalten; und das mußt Du auch, Du mußt Dich aus dem Strudel der Welt und von aller Deiner Kameradschaft losreißen, und nur einzig und allein an Dein Seelenheil denken. Thue das, mein Bruder, ja mein lieber Bruder, thue das bald, wenn ich Dich ferner noch als meinen Bruder anerkennen soll. Vielleicht wird morgen schon Deine arme Seele von Dir gesordert, und Du stirbst in Sünden dahin; und dann sind wir auf ewig getrennt. Bedenke, mein lieber Bruder, wie schrecklich es seyn muß, wie unaussprechlich schrecklich, als ein solcher großer, schwerer Sünder vor dem Richterstuhle Gottes zu erscheinen.
Nun, mein lieber Bruder! was meine Gesundheit anbetrifft, so befinde ich mich, Gott sey Dank! so wohl, wie ich mich in einer Reihe von Jahren meiner Krankheit noch nicht befunden habe. Ein freudiger, himmlischer, hoffnungsvoller Geist, ein Herz und Seele voll Ruhe und Zufriedenheit; ja ich habe alles in Allem, ich habe die Vergebung meiner schrecklichen, abscheulichen Sünden, habe die freudige Versicherung meines göttlichen Versöhners, meines himmlischen Erlösers Jesu Christi, daß ich einst bei Ihm selig werde und ewig der Seine bin. O! so segne Du, mein göttlicher Heiland und Erlöser, diese meine kindlichen Bitten, und belebe Sein Herz mit Deiner himmlischen Liebe. Du weißt am besten das arme, kalte, gefühllose Herz mit Deiner außerordentlichen Liebe zu erwärmen, und aus seinem tiefen Sündenschlaf und Strudel der Verdammniß zu wecken. Amen!
Dein Dich liebender Bruder
H. A. Busch.
Charité,
den 1sten August 1828.
[24]
* * *
Wenn das Reich Gottes, der Himmel, die Freude aus Gott und die wahre Seligkeit, die aus dem lebendigen Glauben kommt, in einem Herzen eingekehrt sind, wenn das Herz wahrhaftig erfüllt ist mit der Liebe, die von oben kommt; so will ein solch begnadigtes Herz gleich auch andere, besonders solche, die ihm näher stehen, selig wissen. Man möchte alles selig machen können, und darum will man Andere zu der Quelle des Heils weisen, aus der man selbst solche Seligkeit geschöpft hat und täglich schöpft. Voll war Busch von himmlischer Freude des Glaubens, überschwenglich gesegnet in seinem Heiland. Erfüllt war an ihm: wer an mich glaubt, von dessen Leibe werden Ströme des lebendigen Wassers fließen. Darum wollte er auch seinen Bruder davon trinken lassen und ihn damit besprengen. Was in aller Welt kann einen armen Sünder, einen rohen Verbrecher, einen ganz ungebildeten, verzogenen, versunkenen Menschen, wie Busch vor seiner Bekehrung war, so verändern, so selig, so überschwenglich reich an Gnade, Licht, Kraft und Heil machen, wie er nach seiner Umwandlung war und sich in diesen Briefen ausspricht? Was ist, will ich fragen, dem Glauben an Christus gleich? Was vermag so viel als unser Evangelium Jesu Christi? Wahrlich es ist eine Kraft Gottes, selig, überschwenglich selig und reich zu machen alle, die daran glauben.
Buchempfehlung
Schnitzlers erster Roman galt seinen Zeitgenossen als skandalöse Indiskretion über das Wiener Gesellschaftsleben. Die Geschichte des Baron Georg von Wergenthin und der aus kleinbürgerlichem Milieu stammenden Anna Rosner zeichnet ein differenziertes, beziehungsreich gespiegeltes Bild der Belle Époque. Der Weg ins Freie ist einerseits Georgs zielloser Wunsch nach Freiheit von Verantwortung gegenüber Anna und andererseits die Frage des gesellschaftlichen Aufbruchs in das 20. Jahrhundert.
286 Seiten, 12.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro