[119] statt. Der Zeitpunkt für diese Feier steht im Belieben der Eltern. Bei den Katholiken ist es Sitte, sie wenige Tage nach der Geburt des Kindes vorzunehmen; im protestantischen Deutschland wartet man damit meist drei bis sechs Wochen, wodurch die Mutter Zeit erlangt, sich zu erholen. Viel länger schiebt man diesen Akt nicht gern auf, besonders nicht an kleineren Orten, wo es Sitte ist, daß die Mutter vor demselben das Haus nicht verläßt.
Die Taufe ist eine symbolische Handlung, durch Johannes den Täufer eingeführt. Das Untertauchen des Täuflings ins Wasser, wie dies früher geschah, bedeutete die Reinigung desselben vom Bösen; zugleich wurde er dadurch, sowie durch die Ablegung des Glaubensbekenntnisses in die Gemeinschaft der christlichen Kirche aufgenommen. Einige Freunde wohnten dieser heiligen Handlung stets als Zeugen bei.
Jetzt hat sich für das kleine Kind das Untertauchen[119] in das Besprengen mit Wasser (das bei den Katholiken geweiht wird) verwandelt, und für den dazu noch unfähigen Täufling legen die Taufzeugen, die Paten, das Gelöbnis des Glaubens ab. Zugleich übernehmen sie mit der Annahme der Patenstelle die Verpflichtung, sich für das Kindlein zu interessieren, ja, im Falle die Eltern früh sterben sollten, mit über es zu wachen.
Es ist deshalb natürlich, daß die Frage: Wer soll unser Kind aus der Taufe heben? die Eltern sehr beschäftigt. Sie wählen dazu meist nahe Verwandte: bei dem ersten Kinde wohl die Großeltern, dann kommen Onkel und Tanten, intime Freunde an die Reihe. Früher nahm man oft eine größere Anzahl von Paten, sechs bis acht, jetzt begnügt man sich meist mit zweien oder dreien. Eine Patenstelle auszuschlagen, wäre eine große Beleidigung; deshalb haben die Eltern womöglich vorher zu erkunden, ob ihr Anliegen willkommen ist, um sich einer solchen Kränkung nicht auszusetzen.
Die Bitte, Patenstelle bei dem Kinde zu übernehmen, ergeht schriftlich an den Betreffenden, und zwar möglichst bald nach der Geburt des Kindes. Natürlich wird man Personen wählen, die, wenn auch nicht notwendig auf freundschaftlichem, doch nicht auf feindlichem Fuße miteinander stehen. Die eigentümliche Vorschrift der griechischen Kirche, daß Herren und Damen, welche zusammen Pate gestanden, sich nicht heiraten dürfen, weil sie dadurch in ein zu nahes verwandtschaftliches Verhältnis getreten seien, existiert glücklicherweise bei uns nicht. Dagegen hat in vielen römisch-katholischen Ländern die Patin das Recht, selbst den Paten zu wählen, so daß sich nicht selten aus diesem Taufzeugenverhältnis noch ein anderes, innigeres entspinnt. Innerhalb der protestantischen Kirche kennt man das nicht; höchstens ist es in manchen Gegenden Sitte, daß[120] die Paten sich vor der Taufceremonie gegenseitig einen Besuch abstatten, resp. der Pate der Patin. Ueberreicht ersterer dabei einen Blumenstrauß, oder schickt ihn zu der Feier, so wird diese Aufmerksamkeit wohl stets freundlich aufgenommen werden.
Eine andere wichtige Frage ist der Rufname des Kindes. Gewöhnlich wählt man dazu den Namen des Paten, den man am meisten ehren will; notwendig aber ist es nicht. In England gibt man meist dem ältesten Sohn den Namen des Vaters, der ersten Tochter den der Mutter; bei uns liebt man das nicht, schon weil es zu Verwechslungen Anlaß geben kann. Man wählt den Namen also ganz nach Belieben, läßt vielleicht den eines teuren Verstorbenen in den Kindern wieder aufleben. Vermeiden aber sollte man es, sehr beziehungsreiche oder anspruchsvolle Namen zu wählen, wie Armin, Gregor, Aspasia, Amanda u. dgl. Die Träger solcher Namen entsprechen selten den Vorstellungen, die man unwillkürlich damit verbindet, und sind meist vielen Neckereien ausgesetzt.
Die Namen, welche der Täufling erhalten soll, sowie diejenigen der Paten werden dem Geistlichen vor Beginn der Handlung, auf einem Blatt Papier aufgeschrieben, übergeben.
Der Taufakt findet entweder in der Kirche, oder im Hause statt. Letzteres zieht man vor, wenn die Handlung in eine ungünstige Jahreszeit fällt, oder die Mutter leidend ist. Man errichtet dann im Salon eine Art Altar: ein kleiner Tisch wird mit einem seinen Damasttuch bedeckt und mit Blumen geschmückt. Die protestantische Kirche gestattet auch ein Kruzifix und Lichter hinzuzufügen; die reformierte meidet diesen Schmuck. Das Taufbecken und der Krug werden, wenn man diese Gefäße nicht selbst besitzt, vom Küster mitgebracht, ebenso wie die Bibel.[121]
Die Einladungen zu der Feier werden ungefähr acht Tage vorher mit genauer Angabe der Zeit erlassen; etwa in folgender Weise:
Herrn Geheimerat N. und Frau Gemahlin beehren sich zu der am 25. ds. Mts. nachmittags vier Uhr stattfindenden Taufe ihres ersten Söhnchens ergebenst einzuladen
Dr. K. Grothe und Frau,
geb. Müller.
Man sendet die Antwort am besten ebenfalls schriftlich, und zwar so bald wie möglich. Ist Pünktlichkeit bei allen geselligen Vereinigungen wünschenswert, so erscheint sie bei dieser Gelegenheit doppelt geboten. Den Geistlichen warten zu lassen, der oft noch mehrere kirchliche Handlungen an dem Tage zu vollziehen hat, wäre eine große Rücksichtslosigkeit.
Sobald alle Gäste versammelt sind, stellen sich die Paten zu beiden Seiten des improvisierten Altars – denn die Taufe im Hause wird meist vorgezogen – auf. Für die Mutter steht ein Sessel in der Mitte; die Gäste gruppieren sich hinter diesen Kreis. Der Täufling wird, sobald der Geistliche erschienen ist, von der Wärterin oder Hebamme hereingebracht und von dieser dem Hauptpaten übergeben, der das Kind während des Taufaktes hält; oft auch übernehmen die Paten nacheinander dieses Amt.
In manchen Gegenden wird nach der heiligen Handlung vom Küster eine Sammlung für die Armen vorgenommen; die Gäste thuen also auf alle Fälle wohl, sich[122] mit Geld zu versehen. Die Paten machen der Hebamme, der Wärterin und den Dienstboten ein Geldgeschenk, dessen Höhe natürlich von ihren Verhältnissen abhängt. In einfach bürgerlichen Kreisen werden die Trinkgelder immerhin zehn bis zwölf Mark betragen.
Das Kind selbst wird gewöhnlich auch von den Paten beschenkt, die zu dem Zweck gern etwas Bleibendes: ein silbernes Besteck, einen silbernen Becher, oder dergleichen wählen. An vielen Orten aber ist das Patengeschenk zur Taufe nicht mehr Sitte, sondern man hat es auf Weihnachten oder die Konfirmation verlegt. Steht der Pate dem Pätchen sehr nahe, oder wohnt mit ihm am gleichen Orte, so ist es üblich, seiner an jeder Weihnacht oder an seinem Geburtstage zu gedenken.
Der religiösen Feier folgt gewöhnlich ein geselliges Zusammensein, zu welchem die Eltern auch den Geistlichen einzuladen haben. Bei einem kleinen Tauffeste wird, wenn dasselbe nachmittags stattfindet, nur Kaffee und Kuchen gereicht. Ein großes, geräuschvolles Fest damit zu verbinden, scheint wenig angemessen, schon wegen des meist noch zarten Gesundheitszustandes der Mutter, welcher Schonung verlangt. Das Kindlein, auf dessen Wohl man trinkt, hat dann indirekt darunter zu leiden.
»Die Jahre fliehen pfeilgeschwind!«
Wie lange ist's her, daß wir den Täufling auf unseren Armen wiegten, daß wir das Kind dann im Kittelschürzchen herumlaufen sahen, – und schon steht es vor uns erwachsen, bereit, sich als denkender Mensch zu erweisen, seine religiöse Mündigkeit darzuthun.
Buchempfehlung
Die 1897 entstandene Komödie ließ Arthur Schnitzler 1900 in einer auf 200 Exemplare begrenzten Privatauflage drucken, das öffentliche Erscheinen hielt er für vorläufig ausgeschlossen. Und in der Tat verursachte die Uraufführung, die 1920 auf Drängen von Max Reinhardt im Berliner Kleinen Schauspielhaus stattfand, den größten Theaterskandal des 20. Jahrhunderts. Es kam zu öffentlichen Krawallen und zum Prozess gegen die Schauspieler. Schnitzler untersagte weitere Aufführungen und erst nach dem Tode seines Sohnes und Erben Heinrich kam das Stück 1982 wieder auf die Bühne. Der Reigen besteht aus zehn aneinander gereihten Dialogen zwischen einer Frau und einem Mann, die jeweils mit ihrer sexuellen Vereinigung schließen. Für den nächsten Dialog wird ein Partner ausgetauscht indem die verbleibende Figur der neuen die Hand reicht. So entsteht ein Reigen durch die gesamte Gesellschaft, der sich schließt als die letzte Figur mit der ersten in Kontakt tritt.
62 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.
390 Seiten, 19.80 Euro