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[85] Der Bericht über Leben und Arbeit würde unvollständig sein, wenn ich nicht noch einiges von meinen Begegnungen mit Autoren und anderen Schriftstellern erzählen würde. Ich möchte aus meinen Erinnerungen sozusagen einen Strauß Blumen pflücken und nicht etwa eine systematische Betrachtung über das Verhältnis von Verleger und Autor schreiben.
Ich habe in der Regel zu allen meinen Autoren ein stark persönliches Verhältnis gehabt. Deswegen braucht man nicht mit ihren Ansichten durch Dick und Dünn zu gehen. Es ist wie in der Ehe. Jeder bleibt seine eigene Individualität und Lebenskunst ist, sich vertragen zu lernen. Schließlich kann kein Schriftsteller ohne Verleger leben und vice versa. Dreißig Jahre Verlagsleitung bringen es ganz allein mit sich, daß man nicht nur seine eigenen Autoren, sondern auch die Autoren anderer Verleger kennenlernt, sei es bei irgendwelchen geselligen Veranstaltungen, sei es auf Kongressen und Reisen durch gemeinsame Bekannte. Schließlich ist alles, was da kreucht, fleucht und schreibt-ein moderner Till Eulenspiegel bezeichnete es einmal als Federvieh – eine geistige Republik mit viel persönlichem Klatsch. Zwischen Klatsch und Klatsch ist aber ein Unter schied, es gibt auch sozusagen einen Edelklatsch. Das sind Geschichten, die den anderen charakterisieren, meistens seine Schwächen. Und so muß ich sagen, ich bin eigentlich immer in gutem Bilde über alle literarische Repräsentanten der geistigen Kräfte unseres Volkes gewesen. Als Verleger macht man auch Rundreisen an die Universitäten und besucht nicht nur ihre Koryphäen, sondern ganz besonders ihre jungen Privatdozenten, denn die produzieren nach meiner Auffassung die aussichtsreichsten Verlagsobjekte. Auch mit den Politikern kommt man nach und nach, zumal im späteren Alter, zusammen. Kurz und gut, wenn ich von meinen menschlichen Berührungen innerhalb der geistigen Republik Deutschland erzählen wollte, würde ich wohl nicht gleich fertig werden.
Manche Namen, wie Peter Hille, Liliencron, Otto Julius Bierbaum[85] und meinetwegen der Philosoph Eduard von Hartmann oder der Rassenforscher Ludwig Woltmann, klingen, als gehörten sie einer längst vergangenen Generation an. Als ich vor nahezu dreißig Jahren Wedekind kennenlernte und ihm nebenbei erzählte, ich wolle Novalis herausbringen, meinte er, den kaufe doch niemand. Heute verstehe ich sehr gut, warum er diese Ansicht haben mußte.
Meine erste literarische Begegnung geschah aber schon in meiner Landwirtszeit. Da lernte ich durch einen Enkel des schönen Fischermädchens sie selbst, die durch Heinrich Heine unsterblich gewordene Lotsentochter von Helgoland, kennen. Sie hatte später einen hannöverschen Offizier geheiratet und war eine Frau von dem Bussche-Lohe geworden. Jetzt war sie eine freundliche Großmutter inmitten altertümlichen Hausrates mit vielen Photographien auf Tischen und an den Wänden.
Dann ist mir als Naumburger in jener Zeit auch manchmal Friedrich Nietzsche als Kranker begegnet, zumal auf den gemeinsamen Spaziergängen in der Mittagsstunde mit seiner Mutter im Walde. Ich kann mich seines Aussehens noch sehr gut erinnern, hauptsächlich aus der Zeit nach seiner Bekanntschaft mit Langbehn, wo es schien, als könnte er doch wieder gesunden. Ich muß sagen, er sah damals nicht so stilisiert als Denker aus, wie man ihn aus den Radierungen des späteren Krankenlagers kennt. Der etwas buschige Schnurrbart hing zwar über den Lippen, aber sonst hatte er rote Backen und die braunen Augen blickten durchaus freundlich, nur die Haltung war etwas zusammengesunken. Gar zu gern hätte ich, wenn ich beiden im Walde begegnete, ihn angeredet, oder ihm ein paar Blumen in die Hand gedruckt, aber ich scheute mich, irgendein Erschrecken bei ihm hervorzurufen. Die Naumburger hatten damals noch keine Ahnung, wen sie in ihren Mauern hatten, und als ich von meinen italienischen Wanderungen im dortigen Kreisblatt berichtete, hatte ich deshalb das Prinzip, daß bei jedem Reisestimmungsbericht einmal der Name Nietzsche kommen mußte.[86]
Als er 1900 gestorben war, nahm ich sowohl an der Totenfeier im Archiv in Weimar mit teil, als auch an dem Begräbnis in Röcken bei Lützen. Es war ein besonderes Gluck, daß ich ihm nach Beendigung der Totenfeier noch einmal ins Auge blicken durfte. Wenige Menschen waren zurückgeblieben. Peter Gast nahm noch einmal besonders von ihm Abschied, indem er das Tuch vom verhüllten Antlitz zurückschlug. Wie edel geformt lag die Stirn da, kein kranker Ausdruck war im Gesicht, mehr wie ein fernes Sehen stand auf ihm geschrieben, denn die braunen Augen waren weit offen. Draußen aber vor der Veranda lärmten die Krähen und ich dachte an sein Gedicht:
Die Krähen schrein
Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt.
Bald wird es schnein.
Weh dem, der keine Heimat hat.
Zum Begräbnis in Röcken fuhr ich dann von Leipzig aus mit Nietzsches Verleger Naumann, der ja eigentlich mehr sein Buchdrucker war als ein wirklicher Verleger. Gewiß hat ihn dieser gewissenhafte, freundliche Kollege als Drucker nie übers Ohr gehauen. Wir sprachen von Nietzsches Büchern. Naumann gestand mir, daß er viele Jahre kein Wort von ihm gelesen hätte. Aber als er nun berühmt geworden sei, habe er doch eines Abends sich dazu hingesetzt. »Da war ich verwundert« – sagte er wörtlich-»was es für merkwürdige Dinge in der Welt gibt.« Wie altmodisch gegensätzlich zu dem Weltbürger Nietzsche und doch wie heimatlich für den in sein Kinderland zurückkehrenden großen Toten war dieser Friedhof mit seinen Obstbäumen, und seine Grabstätte ist direkt an der schützenden Kirchenmauer.
Ich mache gleich einen großen Sprung von Nietzsche zu Georg Brandes, den ich mehrmals gelegentlich Kopenhagener Aufenthalte in späteren Zeiten besuchte. Als Kuriosum habe ich mir seinen letzten Brief, der mich ihn zu besuchen aufforderte, aufgehoben. Er trug die Überschrift: Geehrter Herr Kollege! Ich hatte ihm kurz[87] vorher einen Aufsatz von mir geschickt. Nun, ich weiß durchaus Distanz zwischen schöpferischen Geistern und organisatorischen Helfern zu halten. Es war wohl mehr ein liebenswürdiges Versehen. Damals – es war am Ausgang des Krieges – drehte sich unser Gespräch hauptsächlich um die schleswigsche Frage. Er stand durchaus nicht auf dem Standpunkt, daß Deutschland etwa Nordschleswig zurückzugeben habe, aber erzählte allerhand von den unnötigen Schikanen der deutschen Regierung. Unser Gespräch kam auch auf seine Beziehungen zu Nietzsche. »Wissen Sie,« sagte er zu mir, »daß es sich mit der Nietzsche-Peitsche im Sinn ganz anders verhält, als wie das Wort sonst zitiert wird? Ich habe noch die Photographie gesehen, von der aus der Satz in die Welt ging. Nietzsche und Paul Ree zogen beide an einem Handwagen, auf dem die Lou Salome mit einer Peitsche stand, und darunter stand eben jenes Wort: Wenn du zum Weibe gehst, vergiß die Peitsche nicht.« – Ein Gespräch mit Brandes wirkte immer fast wie ein Sektrausch. Man spürte, man war nicht in Dänemark, sondern saß irgendwo in der Provence bei einem guten Glas Wein oder Champagner. Es war, als wenn man einen Franzosen als Gegenüber hätte.
Den tiefsten menschlichen Eindruck unter den dänischen Schriftstellern hat mir aber immer Andersen-Nexö gemacht, kindhaft naiv und vergeistigt zugleich. Wir gingen einmal längere Zeit auf der Landstraße, und ich erzählte ihm von den Lebensschicksalen Karl Brögers. Da bestätigte er mir, daß er gleichfalls seine entscheidende Entwicklung im Gefängnis durchgemacht habe. Gerade in der Einsamkeit komme man erst, sagte er, wie in einer Krankheit, zu sich selbst und erlebt dadurch das meiste.
Ein ganz anderer Typus war Hölger Drachmann, den ich einmal in Skagen, der nördlichsten Spitze Jütlands, besuchte. Ich hatte eine Empfehlung von seiner Schwägerin, der norwegischen Lautensängerin Bokken Lassen an ihn. Die nordische Monna Lisa hatte sie einst Georg Brandes genannt. Er war eine hagere, große Wikingergestalt mit scharfer Nase, weißen dichten Haaren und hatte[88] leuchtend blaue scharfe Augen. Ein Liebling der Frauen und ewiger Troubadour. Ich hatte bei ihm das Pech, beim Kaffeetrinken meine Zigarrenasche im Milchtopf abzustreichen. Damals hatte er wohl seine siebente legitime Frau. Jetzt liegt er längst unweit Skagen einsam im Dünensand begraben, und Winde und Sand wehen um sein Grab.
Als ich Henrik Pontoppidan nach einem Zeitraum von zehn Jahren das zweitemal besuchte, war sein Gesicht ganz verändert. Ich sagte zu ihm: »Früher sahen Sie doch so faustisch durchlitten aus und jetzt sind Sie ein gütiger harmonischer Mensch.« »Ja,« antwortete er, »das macht das Lebensalter. Ich bin jetzt dahin gekommen, wohin ich kommen wollte.«
Dagegen gehörte Ellen Key in keinerlei Lebensalter zu den resignierten Menschen. Sie ist öfters in Jena in meinem Hause gewesen, und ich habe sie dann auch mehrmals in Schweden auf ihrem Alterssitz Alvastra am Wettersee besucht, noch zuletzt während des letzten Kriegsjahres, und wir sprachen über ihr Verhältnis zu Deutschland. Es war ihr sehr schmerzlich, daß sie zu Unrecht als Deutschfeindin verdächtigt war. Sie hatte natürlich auch mancherlei seelische Verbundenheit mit der Kultur Frankreichs und Englands, was ja eigentlich selbstverständlich ist. Ich blieb damals bei ihr über Nacht, und es wurde an diesem Abend viel Beethoven gespielt. Ganz merkwürdig berührte es mich, wie sie im Gegensatz zu früher eine geradezu strenge Einstellung zu den Eheproblemen hatte und das selbst gar nicht merkte. Es war wohl ihr Alter die Ursache dazu, das eben soviel Menschliches ins Verstehen erlebt hatte, um fern aller Theorie zu wissen, wie notwendig Ordnungen sind, die den Menschen zur Begrenzung von außen gesetzt werden müssen.
Wie anders als Ellen Key, die sich in Alvastra sozusagen als eine Art heilige Brigitte fühlte – man merkte das deutlich z.B. in der Liebe zu ihren Blumen –, lebt Selma Lagerlöf auf ihrem väterlichen Gute Morbaka in Värmland unweit jenes Sees, den[89] sie samt seiner Umgebung durch Gösta Berling weltberühmt gemacht hat. Man kann nicht anders, wenn man sie besucht, als nach Gösta Berling fragen. Sie ist ganz Gutsherrin, und das massive Herrenhaus ist mit großem Geschmack ausgebaut, die Zimmer wirken mit ihren Möbeln schloßmäßig. Fast männlich klar und immer noch elastisch wirkt die volle und hohe Gestalt der gar nicht mehr jungen Frau. Beide waren in ihrer Jugend Lehrerinnen. Selma Lagerlöf hält heute noch zu ihren Besuchern Distanz, während Ellen Key von jeher ausströmende mütterliche Güte war. So konnte sie manchmal in Jena den ganzen Tag Menschen empfangen und war abends nur um so frischer.
Eine andere Art Heimstätte mehr nach isländischem Individualismus zu hatte sich Sv end F leur on auf seiner Besitzung am Lyngby-See unweit Kopenhagen eingerichtet. Ein isländisches Gehöft besteht stets aus einer Reihe von Häusern, deren jedes seinem bestimmten Zwecke dient. So hatte Svend Fleuron ein eigenes Holzhaus, Frau und Tochter ein zweites, der Sohn ein drittes. Man erwartet, einen ganzen Tiergarten um ihn versammelt zu finden, aber nicht einmal ein Hund ist sein Hausgenosse. Er lebt eben Sommers über in der großen Einsamkeit der nordischen Wälder. Als ich ihn besuchte, war er gerade aus Lappland zurückgekommen. Eigentlich ist er kein echter Däne, wie er mir erzählte, seine Vorfahren waren Vlamen. Doch macht er in seiner Blondheit und mit seinem willensmäßig gestrafften Gesicht doch noch ganz den Eindruck eines dänischen Offiziers.
Es hat mir immer später leid getan, daß ich nicht rechtzeitig zu Tolstoi nach Jasna Poljana gefahren bin, war ich doch lange Zeit sozusagen sein Hauptverleger für Deutschland und mehrmals hat er mich grüßen lassen. Sein naher Freund Tschertkow lud mich einmal zum Besuch der Tolstoi-Kolonie in Christchurch am englischen Kanal ein. Als ich fortfuhr, hatte ich das Gefühl: jetzt mußt du dir dort die Stiefel selbst wichsen. Aber ich wurde von ihm in einem englischen Hotel untergebracht und sah dann an seiner Erscheinung,[90] daß er sich wahrscheinlich seine Stiefel auch wichsen ließ. Es tauchten damals große Pläne auf. Ich sollte die russischen Ausgaben einiger im zaristischen Vaterland unmöglichen Geister von Deutschland aus vertreiben. Auch mit Fürst Krapotkin wechselte ich darüber einige Briefe, doch ein schüchterner Versuch blieb nach einem Jahre stecken. Diese Aufgabe führte mich zu weit weg. – Vielleicht lag es an diesen Verbindungen, daß ich 1912 beim Verlassen Rußlands an der Grenzstation auf dem Wege von Kiew nach Lemberg zu einer hochnotpeinlichen einstündigen Untersuchung abgeführt wurde. Besonderes Interesse hatte man für die Notizen in meiner Brieftasche. Ich mußte ein russisches Protokoll unterschreiben, von dem ich nicht das Geringste verstand. Dann konnte ich noch schnell in den Zug einsteigen, der rücksichtsvoll gewartet hatte. An diesem Tage hatten alle Züge bis Karlsbad hin deswegen eine Stunde Verspätung. Die polnischen Gastfreunde in Krakau nahmen mich aber um so wärmer auf.
Deutlich steht noch vor meinen Augen eine gemeinsame eintägige Wanderung mit Masaryk, dem jetzigen Präsidenten der tschechoslowakischen Republik. Er war damals noch Universitätsprofessor und Politiker zugleich und wohnte in Schandau in der Sommerfrische, wohin er mich einlud. Wenn man einen Tag lang zusammen in schöner Natur wandert, kann man sich viel erzählen. Ich war ganz erstaunt über Masaryks innere Beziehungen zu allen europäischen Kulturen, er ist wirklich ein europäischer Geist. In der deutschen Kultur war er ebenso zu Hause, wie in der russischen. Und das nicht allein, er kannte auch Amerika sehr gut. Mancherlei erzählte er mir auch von seinen Kämpfen mit dem Katholizismus. Er war dann aus der Kirche ausgetreten, was für einen österreichischen Universitätsprofessor allerhand Hindernisse in seiner Karriere brachte. Als er bei Ausbruch des Krieges geflohen war und zuerst in Genf lebte, schrieb er mir damals einen Brief, in dem es heißt: »Ich habe einige Kriegspublikationen Ihres Verlages verfolgt und auch Ihre Äußerungen gelesen. Und das führt mich zur Hauptsache:[91] Ich denke soviel über Deutschland und in concreto über meine deutschen (reichsdeutschen) Bekannten und Freunde nach, der Krieg ist mir eine Gewissensfrage, und gerne möchte ich mit Ihnen und den übrigen die Dinge besprechen, leider kann ich nicht nach Deutschland kommen. Ich würde festgenommen werden.«
1911 besuchte ich den Führer der französischen Philosophie Henri Bergson in Paris. Ich hatte ihn mir in seinem Aussehen anders vorgestellt. Es lag eigentlich wenig Intuitives in seinem Äußeren, denn er war sehr beweglich. Als ich ihn fragte, wer ihn am meisten von den heutigen deutschen Philosophen interessierte, nannte er Dilthey und speziell den Grafen Keyserling, dessen »Gefüge der Welt« er gelesen hatte. Mein Französisch war ziemlich mangelhaft, aber durch die Liebenswürdigkeit der Aufnahme ging es besser, als ich mir zugetraut hatte. Bergson konnte zwar deutsch lesen, aber doch nicht deutsch sprechen. Als dann kurz vor Ausbruch des Weltkrieges der andere führende französische Philosoph Emile B outroux nach Jena kam und entsprechend gefeiert wurde, war auch ein junger Belgier zugegen, der einer von Bergsons Schülern gewesen war. Er erzählte mir im Gespräch, daß er gerade kürzlich bei Bergson gewesen wäre und jener ihm von meinem Besuch gesprochen hätte. Wissen Sie, was Bergson von Ihnen gesagt hat, Sie können stolz darauf sein. Er sagte: C'est un homme. Nun, ich habe es ganz gern geglaubt.
Mit Maeterlinck wurde ich persönlich bekannt, als er 1902 nach Deutschland kam und in einem großen Bankett seitens der Berliner Schriftstellerwelt gefeiert wurde. Er hatte kurz vorher in Frankreich Deutschland »Das Gewissen der Welt« genannt, und so war die Aufnahme in Berlin sehr festlich. Sudermann hielt die Begrüßungsrede. Am anderen Tag fuhr ich mit ihm nach Dresden. Ich führte ihn dort herum, und natürlich waren wir auch zusammen in der Galerie. Es war ganz interessant, welche Bilder er mochte und welche nicht. Ihn interessierten nur die Primitiven. Für Max Klinger hatte er z.B. nur ein ablehnendes Lächeln. Seine[92] Freundin, die Georgette Leblanc, pflegte dann immer vor den Bildern haltzumachen, deren mittelalterliche Kostüme ihr Anregung zu eigenen Kleidern gaben. Mir fiel die Ängstlichkeit Maeterlincks auf, sobald sich ein neuer Besuch meldete, z.B. der Intendant des Theaters. Er mußte dann erst gewissermaßen eine innere Regung der Menschenscheu überwinden. Auch elegante Lokale liebte er gar nicht. Am liebsten war ihm ein primitives Lokal ohne Tischtücher. Er war eben doch mehr Vlame als Pariser.
Natürlich bin ich auch manchmal bei Carl Spitteler in Luzern gewesen, und der eine Besuch nach Ausbruch des Weltkrieges zur siebzigsten Geburtstagsfeier hatte sogar weittragende Folgen. Eine große Hetzkampagne in der deutschen Presse setzte gegen mich ein, die – ganz deutlich konnte ich es merken-von einer gewissen Stelle in München aus arrangiert wurde. Es hatte schon längst in den Zeitungen gestanden, daß ich bei der Feier mit anwesend war. Da, nach sechs Wochen ging der Angriff gegen mich in der Presse als vaterlandslosen Gesellen systematisch los. Wie es nun immer ist, man bekommt dann eine Reihe anonymer Postkarten, meistens vom Stammtisch aus, aber keiner hat den Mut, seinen Namen zu unterzeichnen. Wenn jemand Anlaß gehabt hätte, Spitteler zu zürnen, so war ich es als sein Verleger, denn er war gerade durch den Nobelpreis so weit in der Anerkennung Deutschlands gekommen, daß seine Bücher ein großes Geschäft geworden wären. Und nun verdarb er es mir mit einer einzigen Stelle seiner Rede. Die Leute, die gegen Spitteler tobten, hatten seine Rede überhaupt nicht gelesen, sondern kannten nur die ominöse Stelle. Gewiß hätte sich Spitteler weniger scharf ausdrücken können, aber ich kannte ihn persönlich doch zu gut, um zu wissen, wie er als neutraler Schweizer nicht nur Deutschland liebte, sondern auch in mancher Seite seines Wesens mit einem Wort »Europäer« war. Natürlich benutzte ich auch meinen Besuch, um mich mit ihm über seine Rede auszusprechen, und ich fand nur bestätigt, was ich wußte, daß er dem deutschen Volke gegenüber sehr warme Gefühle hatte, weniger aber[93] gegenüber seiner Regierung. Damals aber herrschte die Kriegspsychose nicht nur in Deutschland, sondern auch in aller Welt. Aber kürzlich erlebte ich die Genugtuung, daß ein Führer der Hakenkreuzler zu mir kam und sagte: Ich habe vor kurzem Spittelers Rede gelesen und gesehen, daß wir ihm in Deutschland damals unrecht taten; ich werde das noch wieder gutmachen. Aus dem Schützengraben aber erhielt ich damals von der Jugend allerhand Zuschriften, man begriffe einfach nicht, wie man sich zu Hause über jenen Satz, der unseren Einbruch in Belgien betraf, aufregen könne. Man solle doch den »Olympischen Frühling« lesen, dann wisse man, was man von Spitteler zu halten habe. Spitteler gehörte auch im Aussehen zu der Generation Gottfried Keller, Conrad Ferdinand Meyer, Böcklin, er hatte etwas Distinguiertes in seiner Erscheinung. Er war der einzige Schweizer Schriftsteller, der kein Schwyzer Dütsch sprach, und er fiel auch sonst aus der schweizerischen Schriftstellerwelt dadurch heraus, daß er immer Weltmann war, weniger auf Biederkeit gestellt als auf Würde. Merkwürdig war die Iris seiner Augen, sie war nicht ganz gerundet, sondern sie ging wie ein Zickzack in das Weiße hin aus. Vielleicht war dies der äußere Ausdruck seiner Veranlagung, in kosmischen Visionen zu leben.
Auch mit einer anderen verehrungswürdigen Gestalt der schweizerischen Literatur kam ich öfters zusammen, mit J.V. Widmann in Bern, dem Freund Spittelers, der ihm zuerst in der Anerkennung seiner Landsleute die Bahn gebrochen hatte. Er war immer ein treuer Freund des Verlages, der mancherlei für ihn im »Berner Bund«, dessen Redakteur er war, tat. Als ich ihn zuletzt besuchte – er wohnte etwas draußen vor der Stadt -, geriet ich in einen Regenschauer und kam dadurch etwas durchnäßt an. Sofort mußte ich meinen Rock ausziehen und in seinen eigenen Schlafrock hineinkriechen. In Widmanns Wesen war eine große väterliche Güte, die sich für jedes Schweizer Talent, das hochkommen wollte, einsetzte.[94]
Auch Paul Heyse lernte ich noch wenige Tage vor seinem Tode kennen. Es war wohl der letzte Besuch, den er annahm. Das Gesicht des schönen Götterjünglings, wie er in der Jugend genannt wurde, trug schon stark die Spuren des Verfalls, aber die frühere Männerschönheit leuchtete noch durch, nur drehten sich seine Gedanken fast nur um sein Befinden, was ja ganz natürlich war. Wir verhandelten über die Herausgabe von ein paar Renaissancelustspielen innerhalb der »Quellen der Renaissance«. Er hatte sie wegen ihres anstößigen Inhaltes früher nicht herausbringen wollen, jetzt aber, im Rahmen eines wissenschaftlichen Unternehmens, war er dazu bereit.
Es werden wohl nur noch wenige im Buchhandel aus eigener Erinnerung wissen, daß ich das Erstlingsbuch von Hermann Hesse verlegte. Er hat es dann später zurückgezogen, und ich machte dann eine Erfahrung, die sich öfters wiederholte. Autoren, die einen erst himmelhoch bitten, sie zu verlegen, sagen dann später: »Hätten Sie es doch abgeschlagen.«
»Wie mans macht, so macht man es falsch« heißt ein alter Thüringer Wandspruch, aber manchmal macht man es doch auch richtig, wie z.B., als ich den »Wehrwolf« von Hermann Löns verlegte, den sein sonstiger Verleger wegen einer Stelle als unanständig abgelehnt hatte. So kam ich zu einem meiner gangbarsten Autoren und auch einem der menschlich interessantesten. Löns lebte einmal ein paar Wochen in meinem Hause. Es war eine besonders kritische Zeit seines Lebens. Ich hatte damals den Eindruck, daß er an Verfolgungsideen litt, und es war schwer zu entscheiden, was man bei ihm für normal oder nicht normal halten sollte. Wir sind dann bis zum Kriegsausbruch immer zueinander in naher persönlicher Beziehung geblieben. Ich kenne mancherlei von seinen intimeren Schicksalen und schüttele manchmal über die sogenannten Löns-Forscher den Kopf, die große Bücher über ihn und seine Werke schreiben, aber immer wie die Katze um den heißen Brei um das eigentlich Tragische und Dämonische seines Wesens herumgehen. Jedenfalls[95] war es eine Erlösung für Löns, daß er den Tod auf dem Schlachtfeld fand. Er war in den letzten Jahren seines Lebens ein tiefunglücklicher, zerrissener und ich möchte fast sagen hilfloser Mensch. Auch das Auf-die-Jagd-Gehen machte ihm schon seit vielen Jahren keinen Spaß mehr, er mochte nicht mehr schießen, sondern höchstens nur beobachten. Ganz merkwürdig ist auch, fast schicksalhaft, das Verschollensein seiner Gebeine. Er hatte ein Einzelgrab auf dem Schlachtfeld mit deutlicher Bezeichnung seines Namens auf einem Holzkreuz. Als vor etwa zwei Jahren die Gräber auf einem gemeinsamen Friedhof zusammengelegt werden sollten, ist sein Sarg in der Verwirrung einfach zwischen andere geraten. Er wurde unauffindbar, und so ist sein Wunsch in Erfüllung gegangen, den er in seinen Gedichten aussprach, daß er unbekannt in der Erde liegen wolle.
Wie anders war das Lebensschicksal von Hans Thoma, in dessen ehrwürdiges Greisengesicht ich nie genug schauen konnte. Gar manchmal habe ich auf der Durchreise in Karlsruhe ihn in dem letzten Lebensjahrzehnt besucht. Das eine Mal kam ich gerade, als er den Pour le mérite bekommen hatte, und so konnte ich ihm als erster gratulieren. Man macht als Verleger auch die alte Erfahrung, daß die wirklich großen Menschen die bescheidensten sind. Wie rührend bescheiden waren die Briefe dieses Ewigkeitsmenschen an mich, während die Leute, die für den Tag schreiben, das allergrößte Selbstgefühl und auch dementsprechende Honorarforderungen haben. Er war so etwas wie der Getreue Eckart aller Deutschen.
Ein ganz anderer Typus ist Hermann Bahr. Der sieht schon fast wie der liebe Gott aus mit seinem langen Barte, wenn er in verräucherter Stube an seinem Schreibtisch sitzt. Mehrmals war ich ihm von ferne begegnet, auf der Darmstädter Ausstellung, auch in Bayreuth. Mancherlei Briefe hatten wir gewechselt und doch dauerte es etwa fünfundzwanzig Jahre, ehe ich ihn einmal aufsuchte.
Ein Vertreter des lieben Gottes auf Erden war auch Ernst [96] Haeckel. So fröhlich und gütig, daß man ihn liebhaben mußte, auch wenn man eine ganz andere Weltanschauung hatte. Daß aber sein Monismus irgendwie einen Haken haben könnte, war für Haeckel völlig undenkbar, da war er ebenso unfehlbar wie der andere Papst in Rom. Und doch war er nicht im geringsten eingebildet. Ein Verleger im benachbarten Gera ließ einmal eine Broschüre über ihn erscheinen mit dem Titel »Die Sonne von Jena«. Haeckel sah sie zum erstenmal in einer Jenaer Buchhandlung und fragte den Inhaber: »Was bedeutet denn das«? »Das sind Sie, Herr Professor«, antwortete jener. »Um Gottes willen« erwiderte Haeckel – »ich bin ja nur das Nachtlicht von Jena.« Haeckel war im persönlichen Verkehr nicht im geringsten Proaelytenmacher. 1906 begleitete ich einmal Ellen Key zu ihm und nach längerer Unterhaltung in seinem Arbeitszimmer im Institut rief er sein Jahrzehnte bewährtes Faktotum, den »alten Pohle« (von den Studenten »der Herr Geheimrat« genannt), herein und gab ihm den Auftrag, uns aufs Dach zu führen, um Jenas Landschaft von dort aus zu genießen. Dieser nannte dann auch alle Berge mit Namen und fügte bei dem einen hinzu: auf den kommt der Bismarckturm. Nun führte ich gerade in jenen Tagen lebhaften Zeitungskampf gegen dieses Projekt zugunsten einer anderen Stelle, hatte dabei aber Haeckel als Gegner. Ich sagte kurz: »Nein, er kommt nicht dahin.« Da antwortete Haeckels langjähriger Hausgenosse: »Er kommt doch dahin, so wahr Gott im Himmel lebt und die Seele unsterblich ist.« Von Haeckel trennte uns in diesem Augenblick nur die Decke seines Zimmers. So lebten zwei Welten verträglich nebeneinander.
Sein Gegenspiel in der Erscheinung ist der Seppl, von seinen Freunden der »Lügenseppl« genannt. Er besitzt so viel Phantasie, daß er selbst nicht unterscheiden kann, was wahr ist oder nicht, wenn er erzählt. So kam er einmal in der Revolutionszeit zu mir nach Jena und erzählte ganz aufgeregt, er wäre vor einer Stunde einem Demonstrationszug mit einer roten Fahne begegnet. Da hätte[97] es ihn gepackt, er wäre hineingesprungen, hätte die große Pauke an sich gerissen und wäre mit herumgezogen. Die Erlebnisse, die er dabei hatte, erzählte er in großer Anschaulichkeit, und er war so begeistert, daß ihm wirkliche Tränen ins Gesicht liefen. Erst später kam ich dahinter, daß nicht das Geringste davon wahr war. Er sieht nichts weniger wie der liebe Gott aus, klein und rund, geht womöglich in langen Kanonenstiefeln und ist furchtbar beweglich. Er gehört zu meinen durchgegangenen Autoren, nämlich zur Konkurrenz. Neulich trafen wir uns auf dem Frankfurter Bahnhof. Er zappelte bei der Begrüßung ordentlich vor Vergnügen. Gerade vor zehn Minuten hatte er mit seiner Frau, die ihn begleitete, von mir gesprochen, und nun stellte sich heraus, daß wir gemeinsam bis Stuttgart fahren konnten. Er hatte sein neues Manuskript für den neuen Verleger unter dem Arm und brachte es selbst, jedenfalls um gleich einen großen Vorschuß in Empfang zu nehmen. Sein letztes Buch, mit dem er mir durchgegangen war, hatte bereits das hundertste Tausend überschritten. Was war die Folge? Ich sagte zu ihm im Speisewagen des D-Zuges, ein Schriftsteller, der soviel Erfolg hätte, könne auch einmal für einen armen Verleger den Kaffee bezahlen. Und was geschah – er bezahlte ihn wirklich.
Manchmal kommen auch sehr sonderbare Leute im Verlagsbüro an. Einmal kam ein freundlich aussehender stattlicher Mann zur Tür herein und sagte: »Ich bin ein Mensch ähnlich wie Christus.« Nun, das interessierte mich natürlich und ich fragte ihn: »Was treiben Sie denn in der Welt?« »Fühlen Sie meine Beine«, sagte er und hielt mir den einen Schenkel hin. Ich fühlte, er war sehr stramm. »Ja,« sagte er, »ich bin Athlet und habe eine Athletenschule im Anhaltischen.« Wie es so geschieht im Leben. Das Athlet-Sein befriedigte ihn nicht, sondern er fühlte sich auch zum religiösen Reformator und Menschenverbesserer berufen. Aber trotzdem kamen wir nicht zusammen. – Gerade in den Tagen, wo ich das niederschreibe, ließ sich ein Mann mit einem komischen Namen melden, der sehr kriegerisch klang. »Ich bin Illusionist«, sagte er, als er[98] hereinkam. Nun, dachte ich, da ist er ja ein Kollege. Wir Verleger sind ja alle Illusionisten. Es stellte sich aber heraus, daß er gewerbsmäßig spiritistische Sitzungen abhielt und er wollte dann auf diesem Gebiet für die »Volkheit« wirken. Bedingung war: Vorschuß von 3000 Mark. Ich hätte sie ihm wirklich gern gegeben, wenn ich sie gehabt hätte.
Da sind die Frauen doch viel bescheidener. Ich denke an meine »Märchentochter«, die in schlimmster Kriegszeit, wo wir alle nichts zu essen hatten, auf die Dörfer Thüringens zog, um Märchen zu erzählen. Als sie vier Wochen Tag für Tag erzählt hatte, hatte sie sich soviel verdient, daß sie sich einen Mantel kaufen konnte, und darüber war sie sehr glücklich. Jetzt wohnt sie im Sommer auf ihrem Märchenschloß in der Nähe von Lugano bei einer verwitterten Padrona, und ich besuchte sie, ihren Mann und ihre Katze vor einiger Zeit mit meinem Lebenskameraden. Als wir wieder abreisten, sagte sie: »Lieber Vater Diederichs, jetzt mußt du als Erster in unser Gästebuch schreiben, das wir als Hochzeitsgeschenk erhalten haben.« »Aber Kind,« antwortete ich, »was soll ich hineinschreiben, ich weiß ja nichts.« »Nun,« gab sie zur Antwort, »schreibe doch hinein, was deine ersten Worte waren, als du in unser Schloß kamst.« Ich wußte sie nicht mehr. »Nun, so will ich sie dir sagen, sie lauteten: Ich bin riesig froh, daß ich endlich einmal bei richtigen Bohemiens zu Besuch bin.« Es war auch noch eine andere Pflegetochter anwesend (ich habe deren so manche) mit dem schönen Märchennamen Kunterbunt. Ich lernte sie dadurch kennen, daß sie mir eines Tages von München aus Zeichnungen schickte und schrieb, wenn ich sie nicht gut fände, wollte sie Kuhmagd werden. Glücklicherweise war das nicht nötig. Wir sind seitdem schon manche Jahre in regem Briefwechsel, der besonders durch ihren Kampf mit der Orthographie merkwürdig ist und auch noch durch das Durcheinander ihrer plastischen Erzählweise. Jetzt hatte sie zu dem Märchenbuch der Märchentochter viele Bilder gezeichnet und jedesmal wenn Zeichnungen ankamen, schickte sie in ihrem Begleitbrief tausend[99] Küsse mit. Was soll man aber mit papierenen Küssen anfangen? Mir kommt das immer so vor, wie jene Zeit, wo man sich für tausend Papiermark fast ein Dreierbrötchen kaufen konnte. Da wäre mir ein wirklicher Kuß schon lieber. Ja, von meinen Autorinnen könnte ich manches erzählen, zumal von einer, die ich besonders gern habe und die mir schon manche Küsse gegeben hat. Aber ich werde mich hüten, denn von den besten Frauen spricht man bekanntlich nicht. Wer sie kennenlernen will, soll mich in Jena besuchen, denn sie ist meine Frau.
Die beste Freundin meiner Frau aber ist eine ostpreußische Dichterin, die längst meine Autorin war, ehe ich meine Frau kennenlernte. Als sie uns vor einiger Zeit besuchte und wir abends zusammensaßen, bot ich ihr die Brüderschaft an. Wir stießen an und fertig war die Laube. Am anderen Tage mittags sagte sie zu mir, sie hätte eine Bitte an mich, ob sie du sagen dürfe. »Aber Agnes,« antwortete ich, »wir haben doch gestern abend Brüderschaft gemacht.« Da wußte sie gar nichts davon, sie hatte mich einfach nicht verstanden. Ja, die deutsche Sprache ist eine schwere Sprache.
Bei dem Frauenthema fällt mir ein, daß ich beinahe das Wichtigste zu erzählen vergessen habe, nämlich mein Zusammensein als junger Buchhändler mit B ism arck. Wie ich dazu kam? Nun ganz einfach, Glück muß der junge Mensch haben und auch ein wenig Keckheit. Als Bismarck in Verfemung kam und in den ersten Monaten der Ungnade niemand für ihn einzutreten wagte, beschloß der Verein deutscher Studenten, ihn in einem Huldigungskommers zu feiern, der nach der Wiener Reise mit dem mißglückten Empfang bei Kaiser Franz Joseph in Kissingen bei seinem folgenden Badeaufenthalt abgehalten wurde. Ein studentischer Freund in Würzburg – damals war ich Buchhändler und zugleich Hörer an der Universität – nahm mich mit zum Kommers, der auch den Würzburger Studenten offen stand. Wir waren etwa sechzig Teilnehmer. Er fand in dem für uns reservierten Garten des Restaurant »Hofjäger« unweit der Saline statt, an einer großen Tafel in Hufeisenform,[100] und Fürst Bismarck saß etwa zwei Stunden in unserer Mitte, länger erlaubte es der mitanwesende Schweninger nicht. Natürlich wurden viele Reden gehalten. War dann das Hoch verklungen, wiederholte es die draußen vor dem Gartenzaun versammelte Volksmasse, indem irgendeiner den Anfang machte mit dem Rufe: »Unser Bismarck soll leben.« Auch Bismarck sprach und hielt, erst mit langsam stockender Stimme anfangend, dann immer wärmer und lauter werdend, einen Trinkspruch auf die deutschen Frauen. Der Präside der Kneiptafel, Studiosus Eichler, dankte dann in ihrem Namen und ging von folgendem Bonmot aus: »Bismarck sei stets ein Feind des Zopfes, aber nicht der Zöpfe gewesen.« Dieses Bonmot kam mir in Erinnerung, als ich einst für das buchhändlerische Oppositionsblatt den Titel »Zopfabschneider« fand, und heute kommt es mir wieder in Erinnerung, wenn ich von den Frauen spreche. So möchte ich es auch für mich selbst in Anspruch nehmen, wenn ich auch sonst mit dem Genie Bismarcks nichts gemeinsam habe, und ich schließe meine Bekenntnisse über Autoren und Autorinnen: »Ich bin stets ein Feind des Zopfes, aber nicht der Zöpfe gewesen.«
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