[33] Willkommen jeder Gast, der's redlich meint,
Es soll ihm freundlich werden, was ich habe,
Damit er sich nach seiner Wand'rung labe,
Sein Herz erfreu' an Menschenlieb' und Treu'.
Nicht weißt du, was im fremden Gast sich birgt,
War's nicht, der einst um Herberg bat, ein Engel,
Der kam mit unsichtbarem Lilienstengel
Und wehte sichtbar Segen übers Haus.
Bist du gastfreundlich so in edlem Sinn,
Hast ohne Selbstsucht Bruderlieb' geübet,
Kein Herz auf seinem Pilgerpfad betrübet,
Wird einst der Herr auch laden dich zu Gast.
H. Davidis.
Gastfreundschaft gehört zur Wohlanständigkeit, und indem die junge Tochter des Hauses die Stelle der Hausfrau zu vertreten hat, erfordert es der gute Ton, daß sie die Gäste ihres Vaters oder ihrer Verwandten ebenso rücksichtsvoll empfängt und bewirtet wie diejenigen, welche sie selbst sich eingeladen hat.
Wer Gastfreundschaft anbietet, bei dem setzt man voraus, er gewährt sie auch gern, es ist seine Pflicht, es den Gästen so angenehm und behaglich wie nur eben möglich zu machen.
Wenn die Tochter dem Vater die Häuslichkeit führt, er ladet sich Herrengesellschaft ein und wünscht nicht aus ganz besonderen Rücksichten ihre Anwesenheit dabei, so kann sie durch Dienstboten die Bedienung der Gäste besorgen lassen, muß aber dennoch selbst aufmerken, daß es den Gästen an nichts fehle und alles durch dieselben gut ausgerichtet werde. Oder sie ist nur während der Mahlzeit zugegen, und zieht sich taktvoll zurück, wenn die Herren noch plaudernd und rauchend zusammenbleiben.
Längerer Logierbesuch ist in der großen Stadt recht beschwerlich, doch darf dies der Gast niemals empfinden, es wäre sehr unfein, wenn man ihn merken ließe, daß seine Anwesenheit eine Störung hervorbringt. Auf dem Lande, wo gewöhnlich ein Logierzimmer für Gäste nicht fehlt, richte[33] die junge Wirtin dasselbe so behaglich wie möglich ein, denn in dem Bestreben, ihnen ihren Aufenthalt im Hause so gemütlich wie möglich zu machen, liegt ja eben der gute, richtige Takt.
Die längere Zeit verschlossen gewesenen Betten und das bisher unbewohnte Zimmer werden einige Tage vor der Ankunft der Gäste gelüstet. Licht und Feuerzeug, ein Teppich vor dem Bett u.s.w., sind nicht zu vergessen, frische Blumen im Zimmer verraten zarte Aufmerksamkeit, stark duftende werden jedoch zur Nacht entfernt.
Ein älterer Gast muß gefragt werden, ob er diese oder jene Bequemlichkeit noch wünsche, ob die Betten ihm warm genug oder zu schwer sind. Man richte sich auch, wenn es irgend thunlich, mit der Wahl der Speisen nach seinem Gast und veranlasse den kränklichen oder hochbetagten nicht, sich durch schwer verdauliche Gerichte ein Unwohlsein zuzuziehen. Fremden Besuch beim Essen anzunehmen, schickt sich nicht. Wird er während desselben angemeldet, führe man ihn in ein anderes Zimmer, oder räume schnell vor seinem Eintritt Speisen und Speisereste fort. Noch mehr würde es die Regeln des Schicklichen verletzen, wenn man mit vollem Munde jemand empfinge, mit dem Butterbrot in der Hand einem fremden Gast entgegenträte. Mit sehr guten Freunden kann man in solchen Fällen wohl eine Ausnahme machen, anständig ist es aber, auch sie dann um Entschuldigung zu bitten.
Wird die junge Dame des Hauses während der Dauer des Besuches herausgerufen, entschuldigt sie sich gleichfalls bei ihrem Gast, erhält sie einen Brief, fordert es der gute Ton, daß sie ihn uneröffnet beiseite legt. Es ist dann taktvoll von dem Besuchenden, sie zum Lesen desselben auf zufordern; erfolgt diese Aufforderung jedoch nicht, und der Brief muß sofort gelesen werden, bittet sie vorher um Verzeihung, daß sie es thun muß.
Ist die junge Dame noch im Morgenkleide, oder ist ihr Haar noch ungeordnet, darf sie fremden Besuch nicht, Herren unter keiner Bedingung, annehmen, Bekannten trete sie dann mit einer Entschuldigung darüber entgegen.
Die feine Sitte erfordert es, beim Abschied den Besuchenden bis an die Thür zu begleiten und ihm im[34] Vorzimmer beim Anlegen seiner Kleidungsstücke behilflich zu sein. Selbst wenn ein Dienstmädchen an wesend ist, steht es der jungen Tochter des Hauses wohl an, wenn sie älteren Damen beim Umlegen des Mantels Hilfe leistet, dem alten Hausfreunde Hut und Stock überreicht. Jungen Herren erweise sie jedoch diese Gefälligkeit nicht.
Wenn ein Besuch sehr lange bleibt, unruhig nach der Uhr zu sehen, ist ein großer Verstoß, im Gegenteil ist es schicklich, den Aufbrechenden durch ein »Wollen Sie sich schon entfernen,« »Bitte, verweilen Sie doch noch ein wenig« zum längeren Bleiben aufzufordern.
Ist man selbst der Besuchende, hüte man sich davor, noch lange Zeit zu plaudern. Es gibt Leute, denen erst im Stehen, auf kaltem Flur vielleicht sogar, die wichtigsten Gesprächsthemas einfallen, und die dadurch die anderen belästigen und ermüden.
Sei im eignen Hause du selber das beste Geräte,
Bist du des Hauses Zier, ist es am schönsten geziert.
Nicht des Hauses glänzender Ruhm rühmt immer die Hausfrau,
Aber der Hausfrau Ruhm rühmet am besten das Haus.
A. W. Becker.
Richtiger Takt im Häuslichen ist auch schon für ein junges Mädchen sehr empfehlenswert.
Woran sie als Kind achtlos vorüberging, das soll die erwachsene Jungfrau bemerken, sie wird dadurch nicht bloß der Mutter vieles erleichtern, sich gegen die Dienstboten in das rechte Verhältnis stellen, sondern auch in den Augen Fremder dadurch gewinnen. Glaubt ja nicht, ihr jungen Damen, daß häusliche Geschäfte euch erniedrigen, könnt ihr euch später Dienstboten dazu halten, daran gewöhnt ihr euch leicht, könnt ihr es nicht, seid ihr an Arbeit gewöhnt und werdet niemals unter ihrer Last seufzen.
Zum häuslichen Wohlsein gehört Sinn für die Stille des Hauses. Suchet nicht in rastloser Geselligkeit Glück und Zerstreuung, sucht es daheim, wo es euch befriedigen wird. Spätes Heimkehren aus Gesellschaften bedingt spätes Aufstehen am Morgen; eine Tochter des Hauses, welche bis zum Mittag schläft und die Mutter für sich sorgen läßt,[35] vernachlässigt ihre Pflicht. Die Mühen, welche das Einrichten und Aendern gesellschaftlicher Toiletten veranlaßt, thun nützlichen Haushaltungsgeschäften Abbruch.
Buchempfehlung
Während seine Prosa längst eigenständig ist, findet C.F. Meyers lyrisches Werk erst mit dieser späten Ausgabe zu seinem eigentümlichen Stil, der den deutschen Symbolismus einleitet.
200 Seiten, 9.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro