|
[68] Anton Rubinstein lernte ich früh kennen und traf mit ihm zusammen, so oft er nach Wien kam, was ja häufig der Fall war.
In diesen Jahren, als ich nach Wien zurückkehrte, bewohnte er in der Nähe Wiens (Neuwaldegg) eine Villa und arbeitete fleißig an seiner Oper »Kinder der Heide«.
Eines Tages fuhr ich, mein neues Trio (op. 4) im Gewande, mit zwei Freunden, Geige und Violoncell, zu ihm hinaus. Rubinstein spielte es mit den beiden und sein Urteil darüber war: »Spielen Sie fleißig Mozart.« Es war ihm zu modern. Tempora unitantur. Nach dem Mittagessen (es war bescheiden, die Gärtnerin besorgte es) nahmen wir den Kaffee im Garten. Wir sprachen unter anderem von den Beethoven-Symphonien, von dem unvergleichlichen, in neuen Symphonien so seltenen Humor der »Achten«. Da erklang plötzlich im Nachbargarten ein Leierkasten, der gerade das Motiv des letzten Satzes dieser Symphonie, aber im Dreivierteltakt, als Walzer spielte. Der Zufall war belustigend und wir lachten. – Es wurde Abend und wir kehrten ins Musikzimmer zurück. Rubinstein setzt sich aus Klavier und phantasiert eine Weile planlos. Da nimmt er mit einem Male das eben gehörte Walzermotiv des Leierkastens – der Achten Symphonie – auf und variiert es in mannigfacher Weise, kontrapunktiert es im Basse, bringt es als Kanon, als vierstimmige Fuge in einfacher Durchführung, dann wieder in zarter Liedform aufgelöst, einmal in Beethovenscher Urform, dann[68] als flotten Wienerwalzer mit eigenartigen Harmonien, um dann endlich ganze Kaskaden glänzender Passagen, wahre Sturmfluten über das immer festgehaltene Thema hinstürzen zu lassen. Es war herrlich! Ich hatte eine solche Improvisation nie gehört; eine Kunst, die ja leider gänzlich verlorengegangen ist.
Und wie spielte er! Wer nicht die D-Moll-Sonate von Beethoven (op. 31, Nr. 2) oder die erschütternde Orpheusklage (2. Satz) des G-Dur-Konzertes von Beethoven von ihm gehört hat, hat nie Klavierspielen gehört. Noch lebt die Erinnerung in tausend Herzen nach und ach, wie lange wird's dauern und auch diese ist erloschen.
*
Es ist eine eigentümliche Erscheinung, daß einige unserer großen Meister den Grandseigneur so im Leibe hatten, daß er sich in ihrer ganzen Lebensführung stark bemerkbar machte. Hiezu gehörten Richard Wagner, Liszt und Rubinstein. Brahms, der ja ein hübsches Vermögen hinterließ, hatte die denkbar einfachste Lebensweise. Richard Wagners Bedürfnisse nach vornehmer, behaglicher Umgebung sind bekannt.
In diesem Punkte ist für Liszt folgende kleine Episode oder Anekdote charakteristisch. Auf einer Konzerttournee spielte er auch in einer kleinen Stadt. Der Saal war kaum zu einem Drittel gefüllt – die Leute sind dort weniger neugierig. Liszt, in bester Laune, spielt wie ein Gott, das anwesende Drittel applaudiert wie rasend. Am Schluß tritt Liszt vor und sagt zu den Anwesenden: »Darf ich mir erlauben, das verehrte Publikum zum Souper einzuladen?«
Auch Rubinstein hatte, wie gesagt, diesen Teufel in sich. Während seiner Anwesenheit in Wien als Direktor der Gesellschaftskonzerte hatte er jede Woche einen Rout mit glänzendem[69] Büfett bei sich. (Wie ich hörte, zahlte er am Schlusse der Saison 4000 fl. an die Delikatessenhandlung – mehr als sein Gehalt.)
An einem solchen Abend spielte er seine Variationen für zwei Klaviere mit Liszt, den er vergötterte. Es war ein eigentümlich schöner Anblick, die beiden größten Pianisten des Jahrhunderts am Klavier beisammen zu sehen und zu hören; das dürfte sich kaum oft wiederholt haben. Leider umdüsterte sich sein sonst so neidlos edles Gemüt in den letzten Jahren, ja, er wurde außerordentlich verbittert gegen die Zeit und alle Welt. Er fühlte sich als Komponist vernachlässigt. Abgesehen von Richard Wagner, dessen Kunstrichtung seinem ganzen Wesen fremd gegenüberstand, hatte er auch einen verbissenen Groll gegen das glänzend aufsteigende Gestirn Brahms.
Zur Gründung unseres Tonkünstlervereins war eine stattliche Zahl hervorragender Musiker in den Restaurationssaal des Musikvereines geladen. Liszt, Rubinstein, Brahms waren anwesend und saßen beim Souper nahe beisammen. Da läßt einer das Wort fallen: »Das Triumvirat!« Da sagte Rubinstein, auf Liszt deutend: »Cäsar« – auf sich zeigend: »Brutus« und auf Brahms weisend: »Lepidus!« –
Später trafen wir uns eines Abends bei Professor Julius Epstein. Nach dem Souper gingen wir rauchend ins Klavierzimmer. Auf dem Piano lagen unter anderem Werke von Richard Wagner und Brahms. Bei dem Anblick dieser Werke erwachte sein Unmut und er ließ sich in der heftigsten Weise aus gegen beide; sowohl gegen Wagner als auch gegen Brahms. Ich erwiderte ihm: »Sie sind ungerecht, Sie kennen beide nicht. Es ist die Eigenart stark ausgeprägter Naturen, daß sie die anderen nicht erkennen, wie mit einem Scheuleder vor den Augen nur ihr eigenes Ideal sehen, aber nicht, was um sie vorgeht.«[70] »Ach was,« sagt er zornig – »Sie sind auch so einer; ich weiß, Sie sind als Komponist viel berühmter als ich,« – (›Saba‹, ›Sakuntala‹, ›Ländliche Hochzeit‹ machten gerade die Runde) – »aber bis Sie ein Werk schreiben, schreibe ich hundert.« Wir lachten über dies naive Geständnis, an das er ja selbst – und mit Recht – nicht glaubte. Ich umarmte ihn und sagte: »Rubinstein, Sie sind ein großes Kind!« – In Wahrheit war er ein großer, edler Mensch.