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[71] Gleich im ersten Jahre meines neuen Wuner Aufenthaltes (1860) schrieb ich mein B-Dur-Streichquartett. Mit dem fertigen Manuskript ging ich zu Hellmesberger, es ihm zur Aufführung anzubieten.
Das Dienstmädchen meldet mich und aus der halboffenen Türe schallt mir seine Stimme mit fröhlichem: »Herein, nur herein« entgegen. Ich trat ein, er stand, den Oberkörper entblößt, am Waschtisch und – überschüttete sich mit Wasser. Ohne aufzusehen, begrüßte er mich nochmals freudig. Da wendet er sich – Tableau! er blickt mich erstaunt an – er hatte statt Goldmark – Volkmann verstanden, dessen G-Moll-Streichquartett er erst vor kurzem gespielt hatte. Entschuldigung von beiden Seiten. Ich trug mein Anliegen vor, er hieß mich zur nächsten Probe wiederkommen, er wolle das Quartett durchspielen. So geschah es und – ich erhielt es zurück, er könne es nicht aufführen, es sei kurzatmig in den Themen usw.
Durch die Ablehnung gereizt und gekränkt, beschloß ich – mir blieb keine andere Wahl, mein Werk in die Öffentlichkeit zu bringen – wieder ein Konzert mit eigenem Programm zu geben.[71]
Der Leser dürfte wohl über diese wiederholten selbständigen Kompositionskonzerte lächelnd den Kopf schütteln. Es war eben eine andere Zeit. Heute werden dem Konservatoristen von gestern seine neuesten Werke aus den Händen gerissen. Ja selbst die sonst so schwerfälligen Theaterleiter nehmen jede nur halbwegs mögliche (oder auch unmögliche) Oper, wenn sie nur die Uraufführung haben können. Das war dazumal anders. Das Publikum war nicht neugierig, es war skeptisch, es wollte mühelos Altbewährtes genießen und keine Rätsel auflösen. Allem Neuen kam man mit Mißtrauen entgegen und neue Werke – kam doch eins – hatten einen schweren Stand.
Brahms erzählte mir einmal, daß, nachdem eine seiner Serenaden in Leipzig durchfiel, die Mozartsche G-Moll-Symphonie mit Jubel aufgenommen wurde.
Bald darauf kommt Rubinstein mit seiner Ozean-Symphonie, die ebenfalls durchfiel, darauf ebenfalls Mozarts G-Moll-Symphonie. Da fragte Rubinstein den Konzertmeister David: »Ist das hier schon statutarisch, daß nach einem mutmaßlichen Durchfall immer die G-Moll-Symphonie gespielt wird?«
Ein klassisches Beispiel für die Schwierigkeit der Aufführung von Novitäten um diese Zeit in Wien ist folgendes:
Die Gesellschaft der Musikfreunde, die ihre Konzerte wieder aufgenommen hatte, schrieb einen Preis aus für die beste Symphonie. Der Preis hiefür bestand – in der Aufführung des preisgekrönten Werkes in einem ihrer Konzerte. Den Preis erhielt Joachim Raff – er wurde aufgeführt – und fiel durch. Das hat sich, wie gesagt, alles glücklich geändert. Brahms fand freilich in Joachim, Frau Schumann, Stockhausen ebenso vornehme, ausgezeichnete, als tatkräftige Interpreten seiner Werke; durch den berühmten Geleitbrief Schumanns bei hervorragenden Journalisten wie bei Hanslick, beim »Musikalischen Wochenblatt«[72] und bei anderen warme Unterstützung und Förderung. Mir fehlte all das; ich mußte, um gehört zu werden, wieder ein Konzert geben – und gab es.
Ich führte das von Hellmesberger abgewiesene Quartett auf, und zwar von Hellmesberger und Genossen gespielt. (Ich hatte sie gegen Honorar engagiert.) Meine Schülerin Karoline Bettelheim, die ich wieder ein Jahr lang unterrichtet hatte, spielte sechs Stücke aus den Klavierstücken »Sturm und Drang«, Professor Julius Epstein das Trio in B-Dur. Das Quartett hatte so guten Erfolg, daß Hellmesberger es im nächsten Winter in sein Programm aufnahm. Und damit war mein Weg eröffnet, – ich brauchte keine Konzerte mehr zu geben. Hellmesberger führte von nun an alle meine Kammermusikwerke auf.
Aber dieses Konzert sollte mir nicht bloß den Erfolg im Publikum, sondern auch die Freundschaft Peter Cornelius' entgegenbringen.