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[282] Das Jahr 1870! Ich jubelte über die Siege der Deutschen und die Gründung des neuen Reichs. Daß Elsaß wieder deutsch geworden, – ein Herzenswunsch schon meiner Knabenzeit – machte mich so glücklich, als wäre mir persönlich ein Fürstentum geschenkt worden. Zehn Jahre zuvor war ich zum ersten Mal über die Kehler Brücke nach Straßburg gegangen. Wie habe ich mich geschämt, von dem deutschen Wachtposten um meinen Paß angehalten und argwöhnisch ausgefragt zu werden, während man auf der französischen Seite mich unbehindert aus- und eingehen ließ! Ja, ich triumphierte Tag für Tag mit den Erfolgen der deutschen Armee, obgleich mir die Franzosen stets sympathisch gewesen und es noch sind im Privatverkehr wie in der Kunst. Kein Zweifel, die Welt wäre sehr viel langweiliger ohne die Franzosen. Aber ihre Prahlsucht und Überhebung Deutschland gegenüber hat mich unter Louis Napoléon ebenso widerwärtig berührt, wie heute noch ihr kindischer Trotz und Größenwahn nach empfangener Lektion, ihre Unfähigkeit, sich nach vierundzwanzig Jahren in das Unabänderliche zu fügen, ihr unsterbliches Revanchegeschrei – »Revanche« dafür, daß geraubtes Gut von dem Eigentümer wieder zurückerobert ward! Österreich verhielt sich bekanntlich neutral zwischen den beiden kriegführenden Mächten, unsere deutsche Bevölkerung hingegen fühlte unverblümt national und äußerte die lauteste Freude über Deutschlands Siege. Die offizielle Bewahrung der »Neutralität« ging in Wien so weit, daß[282] die Polizei das Singen der »Wacht am Rhein«, dieses harmlosen, dreißig Jahre vor dem deutsch-französischen Kriege gedichteten Liedes verbot. Es durfte auf keinem Programm figurieren, wurde aber in jedem Konzert unserer zahlreichen Männergesangvereine so stürmisch vom Publikum begehrt, daß es trotz des Verbotes gesungen wurde, drei- und viermal nacheinander.

Quelle:
Hanslick, Eduard: Aus meinem Leben. Kassel, Basel 1987, S. 282-283.
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