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[296] Mit der »Komischen Oper« ging auch ihr erster Stern, Minnie Hauck, für Wien verloren. Sie hat seither als Gast in der ganzen[296] Welt mit großem Erfolg gesungen, deutsch, italienisch, englisch. Durch ihr Naturell, ihre Erscheinung und ihre Stimme für die heitere Oper geschaffen, ging sie aber bald ins tragische Rollenfach über, und die reizende Zerline, Angela, Madelaine suchte nunmehr als Julie, Gretchen, Selica, Leonore zu glänzen. Es ist eine alte Erfahrung, daß Künstler beiderlei Geschlechts, welche in heiteren und komischen Partien Ausgezeichnetes leisten, sich »eigentlich« für das Tragische prädestiniert halten. Als ich einmal Adelina Patti bei einem ihrer späteren Gastspiele in Wien bat, sie möchte doch wieder die Zerline in »Don Juan« singen, antwortete sie mir etwas pikiert: »Ich möchte in ›Don Juan‹ nur als Donna Anna auftreten; ich bin keine Buffa.« So ist uns denn auch Minnie Hauck nach einigen Jahren als seriöse Primadonna wiedergekehrt, ohne den gleichen Erfolg wie ehedem in der komischen Oper zu erzielen. Ihr vollwangig blühendes Gesicht, ihr stets lächelnder Mund, ihre schelmisch zwinkernden grauen Augen, zwischen denen ein kleinwinziges Stumpfnäschen nistete – das hatte sich nur zu zeigen gebraucht, um das Publikum fröhlich zu stimmen. Aber solch lustigen Stumpfnäschen glaubt man nur mit Anstrengung große Schicksale und tragische Empfindungen. In den halbernsten Charakterbildern der neueren Opéra comique, insbesondere Carmen und Manon, hat Minnie Hauck noch in jüngster Zeit große Erfolge gehabt. Ich gedenke ihrer gern, der reizenden Künstlerin und guten Freundin, die noch kein Jahr vergehen ließ, ohne aus fernen Himmelsstrichen, aus England und Frankreich, aus Nord- und Südamerika einen Neujahrswunsch an mich abzusenden.

Ihre Nachfolgerin im Hofoperntheater war eine junge Mailänderin, Emilia Tagliana. Ihre Stimme, zu schwach, um tragischen Versuchungen ausgesetzt zu sein, war vortrefflich geschult und besaß eine leicht ansprechende, ungewöhnliche Höhe. Dabei war Emilia das zierlichste Persönchen und wirkte mit dem ganzen einschmeichelnden Zauber ihres italienischen Naturells. In einem renommierten Wiener Pensionat erzogen, brauchte sie wenig Mühe, sich des Deutschen bald vollkommen zu bemächtigen. Ihren Vorsteherinnen, zwei frommen alten Damen, verursachte es einen kleinen Schrecken, Emilia als Opernsängerin nach Wien zurückkehren zu sehen. Sie schenkten ihr Zschokkes »Stunden der Andacht« mit der dringenden Bitte, ja täglich darin zu lesen. Zwischen Weinen und Lachen erzählte mir die Arme,[297] wie sie diese Lektüre wiederholt angefangen, aber durchaus nicht hinunterbringen könne. Es sei zu langweilig. »Hätten sie mir doch lieber eine Zither geschenkt!« So schwer sie in den »Stunden der Andacht« fortkam, so schnell und gern lernte sie Musik. In einem Tage eine neue Rolle zu studieren, war ihr ein Leichtes, und sie mit ihr a vista durchzulesen, ein Vergnügen. Diese starke musikalische Anlage und rasche Auffassung teilte sie mit Minnie Hauck. In graziösen Rollen, die wenig Kraft, aber eine flüssige Koloratur und liebenswürdige Repräsentation erheischen, ist die Tagliana kaum von einer ihrer Nachfolgerinnen erreicht worden. Es war ein Entzücken, sie als Pagen im »Ballo in maschera« zu sehen. Das wußte niemand besser als der Maler Hans Makart, der sie häufig besuchte und unablässig schweigend anschaute, wie das sein fachmännisches gutes Recht war. Was Geschwätzigkeit betrifft, bedeutete Makart bekanntlich den Moltke unter den Malern. So sehr die Bewunderung des berühmten Malers Emilien schmeichelte, sein gespenstisches Stillschweigen brachte sie oft in Verzweiflung. Mir selbst ging es nicht besser, als die Tagliana einmal zur Feier ihres Geburtstages mich mit Makart zum Mittagessen einlud und ich, als sein Tischnachbar, mich vergebens bemühte, ihn zum Reden zu bringen. Ich hatte den Versuch schon aufgegeben, als mir beim Auftragen des Desserts eine Weintraube die Idee gab, Makart um seine Ansicht über die bekannte Anekdote von dem griechischen Maler Zeuxis zu fragen. Er teilte vollkommen meinen Unglauben in dieser Sache. »Ich selbst,« fügte er hinzu, »habe die Probe gemacht, ein paar der schönsten blauen Trauben auf Leinwand gemalt und in meinem Garten aufgehängt. Kein einziger Vogel hat im Laufe des ganzen Sommers daran gepickt. Bei Tieren ist das Geruchsorgan entscheidend. Sie riechen, ob etwas lebendig oder bloß gemalt sei. Auch bellt ein Hund ebensowenig einen gemalten Hund an, als sich selbst im Spiegel.« Ich habe Makart weder früher noch später soviel zusammenhängend sprechen hören und freute mich, daß es obendrein etwas Belehrendes gewesen. Seine Bewunderung für unsere liebenswürdige Freundin hat leider in dem von ihm gemalten Porträt keinen ebenbürtigen Ausdruck gefunden. Das Bildnis, ein lebensgroßes Kniestück im Carmen-Kostüm, zeigt wenig von dem lebendigen Reiz des Originals. Emilia Tagliana ist nach einigen Jahren zur Berliner Hofoper übergetreten und von dort in den heiligen Ehestand mit einem Advokaten in Mailand.[298]

Der »Komischen Oper« gebührt auch der Ruhm, Pauline Lucca, die in Wien Aufgewachsene, jedoch dem Wiener beinahe Fremdgebliebene, ihrer Vaterstadt wiedergewonnen zu haben. Als ganz junges Mädchen war Pauline Lucca am Hofoperntheater als Choristin und dann für kleine Rollen engagiert gewesen: der zweite Knabe in der Zauberflöte, die Brautjungfer im Freischütz, das waren damals die Gipfel ihrer künstlerischen Tätigkeit. Ich bewahre noch als Kuriosität eine alte »Freischütz«-Kritik vom Jahre 1859, welche mit der bescheidenen Interpellation schließt, ob denn die Direktion nicht versuchen möchte, die stimmbegabte und anmutige Sängerin des Brautjungfernliedes, Fräulein Lucca, einmal mit einer etwas größeren Partie zu betrauen? Meine Interpellation blieb ebenso unbeachtet wie das flehentliche Bitten der jungen Anfängerin. Ihre Stimme klang dem Direktor nicht stark genug. Um sich in größeren Aufgaben versuchen zu können, nahm sie ein Engagement in Olmütz, dann in Prag an. Hier machte die Lucca – vor einigen Monaten noch »Zauberflöten«-Knabe – Furore als Norma und wurde von Herrn von Hülsen, der ihretwegen nach Prag gereist war, als Primadonna für die Berliner Hofoper gewonnen. Es ist nicht das erste Talent, welches das scharfe Auge dieses Intendanten aus dem Dunkel emporgezogen hat. »Nach meiner Überzeugung,« sagte mir einmal Herr von Hülsen, »muß der Direktor einer großen Bühne mindestens ebensoviel Zeit im Eisenbahnwaggon als am Schreibtisch zubringen.« Und seine Resultate gaben ihm Recht. In Berlin blieb Pauline Lucca von 1861 durch elf Jahre der gefeierte und verhätschelte Liebling des Publikums. Trotzdem zerriß sie ihren Kontrakt, um nach Amerika zu gehen. Von dort kam sie nach zweijährigem Wanderleben als Baronin Wallhofen nach Wien, zu einem Gastspiel in der »Komischen Oper«. Hier lernten wir sie eigentlich erst kennen als vollendete Künstlerin. Ihre folgenden Gastspiele am Hofoperntheater gediehen allmählich zu einem beinahe festen Verband mit dieser Bühne. Die Lucca fand hier ein verständnisvolles und begeistertes Publikum. Leider bewegte sich zuletzt ihre Tätigkeit nur noch in einem engen Kreis bekannter Rollen – vielleicht nicht durch ihre Schuld. Das Publikum, das die Lucca immer nur als Frau Fluth, Katharina, Carmen und Despina zu hören bekam, verlor endlich etwas von dem ursprünglichen Interesse an diesen Opern. Sobald aber die Künstlerin ihren Einfluß im Abnehmen wähnte, entschloß sie sich sofort[299] und unwiderruflich zur Abdankung. Niemand im Publikum ahnte, daß sie (als Carmen) am 12. Januar 1889 zum letzten Male die Bühne betreten hatte. Sie lehnte jede »Abschiedsvorstellung« ab und empfahl sich ohne Adieu, auf Holländisch. Die Lucca ist jederzeit unberechenbar gewesen. Wie oft hatte sie bei früheren Gastspielen geäußert, sie beschließe damit für immer ihre Bühnenlaufbahn – und dann sang sie, zu aller Freude, noch ein zweites, drittes, zehntes Jahr! Und nun, da man sie für lange festgehalten wähnt, schleicht sie sich still und unerbittlich davon. Ihr rastloser Geist und Tätigkeitsdrang verträgt aber kein müßiges Ausruhen. Der alte Wahlspruch: »Rast' ich, so rost' ich«, er könnte unter ihrem Wappen stehen. Sie gründet eine Privatgesangschule in ihrem Hause, errichtet eine kleine Bühne in ihrer Villa in Gmunden und erzieht nun junge Opernsängerinnen mit demselben Eifer, mit welchem sie früher selbst gesungen. So haben wir, wenn uns schon die Sängerin verloren gehen sollte, doch die im persönlichen Verkehr so geistvolle und originelle Frau in Wien behalten, das belebende Element eines jeden Kreises, den sie betritt. Ihr gegen alle Bühnengewohnheit gänzlich stilles Ausscheiden aus dem Hofoperntheater erklärt es, daß auch die Zeitungen ihr keine Abschiedsfeier bereiten, keinen Rückblick auf ihre lange, ruhmvolle Tätigkeit werfen konnten. In unserem Gedächtnis leben die Leistungen der Lucca nichtsdestoweniger unverlöschlich fort.

Wer die Lucca in den »Lustigen Weibern von Windsor« gehört, der kennt ihr Talent vielleicht von der eigentümlichsten und anmutigsten Seite. Zwar genoß sie keines geringeren Ruhmes in tragischen Partien, legte auch wohl größeren Wert darauf. In der Tragödie entfaltete die Lucca mehr ihre Kunst, in den Lustspielfiguren mehr ihre Natur. Sie repräsentierten ihre reizendste Eigentümlichkeit. Diese Frau Fluth ist im Grunde recht unbedeutend, dramatisch wie musikalisch. Welches Leben aber ein geniales Naturell einer solchen Rolle einzuströmen vermag und durch die Rolle dem ganzen Stück, das zeigte uns die Lucca. Sie wußte einen Reichtum von ganz neuen Zügen hineinzulegen oder herauszufinden; das kam aber alles so ungesucht und selbstverständlich heraus, als könnte es gar nicht anders gespielt werden. Das ist der Segen der Ursprünglichkeit, des erfinderischen Talentes in einer starken Natur, die ihren sicheren künstlerischen Instinkt gewähren lassen darf. In der vollkommenen Natürlichkeit der Rede, die[300] selbst den Anstrich des Nachlässigen, Hausbackenen nicht scheut, wo er hinpaßt, in der ganz eigenartigen Verschmelzung von kindlichem und herbem Ausdruck erinnerte mich Frau Lucca an die geniale Hedwig Raabe. Durch die Lucca war ohne Frage ein neuer, wohltätiger Impuls in unser Opernwesen geraten. Nicht der Zauberklang einer hinreißend schönen Stimme, nicht die vollendete Gesangsbravour einer Patti oder Artôt hier siegte ein urwüchsiges Talent, das jede Aufgabe, von der Totalauffassung bis herab ins feinste Detail, leuchtend durchzog. Die Lucca war eminent dramatische Sängerin, war es mitunter auch dort, wo sie es nicht sein sollte: im Liedervortrag. Die dramatische Anschaulichkeit und der leidenschaftliche Nachdruck, womit sie z.B. Mozarts »Veilchen« vortrug, fällt mir hier ein. Das klang, als sei nicht ein Veilchen, sondern die junge Schäferin selbst zertreten worden. Ganz unvergleichlich war ihre Katharina in der »Widerspenstigen« von H. Goetz. Hier erlebte man wieder einmal, was eine geniale Natur, die sich beherzt auf eine ihr homogene Aufgabe stürzt, aus dieser zu machen vermag. Ein fast ungeahntes neues Leben strömte mit der Lucca in die ganze Oper. Wie charakteristisch gleich ihr erstes Auftreten oder vielmehr Hereinstürmen während der Dienstboten-Revolte im ersten Akt! Unter der roten Perücke schienen ihre Augen noch größer aufzuflammen, ihre Gestalt zu wachsen, während jeder Muskel des Gesichts, jeder Finger an den beredten Händen mitspielend ihre Scheltworte begleitete. Und dann: ihre erste Szene mit Petrucchio; die verächtliche Gleichgiltigkeit, mit der sie seine Werbung anhört und ihm – noch immer mit beleidigender Ruhe – die Tür weist. Als er aber, statt zu gehen, sich bequem im Lehnstuhl installiert und immer herausfordernder wird mit seiner Liebeswerbung, da mußte man die ganze Skala von Hohn und Entrüstung sehen in dem Mienen- und Gebärdenspiel der Lucca! Im dritten Akte, unter den demütigenden Vorfällen der Hochzeitsfeier, widersetzt sich Katharina noch immer voll leidenschaftlicher Gereiztheit, aber sie hat Respekt bekommen vor der männlichen Überlegenheit; der Ausdruck des Hohnes ist bereits gewichen. Wie meisterhaft dann der noch schwierigere Übergang zum vierten Akt: von trotziger Auflehnung zu resigniert duldendem Gehorsam und schließlich zur gewaltsam durchbrechenden Liebe. Hatte die Lucca uns vorher ergötzt, so wußte sie uns nun zu tiefstem Mitleid zu rühren durch den Herzenston ihrer Klage. Ja, diese Katharina reihte sich als eine[301] neue Perle an die Carmen, Despina, Frau Fluth und all die Rollen, in welchen Pauline Lucca durch starke, fast trotzige Grazie so unnachahmlich wirkte. Auch ihre Zerline im »Don Juan« näherte sich durch kräftige, dabei anmutige Natürlichkeit diesen Gestalten. Unbekümmert um bloß Konventionelles, schuf sie auch diese Rolle ganz und voll aus sich heraus. Da war nichts von jener unaufhörlich lächelnden und an der Schürze zupfenden Koketterie der meisten Zerlinen; die Lucca lächelte nicht und hatte gar keine Schürze an. Mit einer köstlichen Unbefangenheit, um nicht zu sagen Dümmlichkeit, schaut sie dem Don Juan während der ganzen ersten Szene ins Gesicht; erst während seines zweimaligen Ausrufes im Duette: »O komm'! O komm'!« fliegt ein leuchtender Schein über ihr Antlitz, das zweitemal stärker und nachhaltiger, bis sie mit dem entschlossenen »Wohlan« ihm in die offenen Arme eilt. Dieser gefährliche Übergang war bewunderungswürdig ausgeführt – man erwäge nur, wie wenig Zeit Mozart seiner Zerline dazu gönnt. Die Arie »Schmähle, schmähle« schmückte die Lucca mit originellen, naturwahren Zügen und schloß sie nach allerhand Schmeicheln und Streicheln mit einem kleinen Backenstreich. Auch die Ohrfeigen der Lucca unterschieden sich durch tiefsinnige Auffassung: was Masetto abbekommt, ist ein neckischer Gießkannenspritzer gegen den Rheinfall auf Petrucchios Wangen. Die Leistungen der Lucca und ihr Erfolg stiegen mit jedem Abend. Man wurde bald inne, daß von dieser genialen Natur immer etwas Eigentümliches zu erwarten sei, daß die Lucca es gewiß anders machen werde als andere. Das reizt den Anteil selbst des blasierten Opernbesuchers und läßt die Neugierde nicht ruhen. Mitunter verleitet auch die sich bewußte Originalität zu irgendeinem Wagnis, das uns mehr interessiert als überzeugt und befriedigt. In tragischen Partien, wie Selica, Leonore, Valentine, hatte das Organ der Lucca in letzter Zeit einen zu großen Kraftaufwand zu bestreiten. Auch fand ihre Neigung zu breiter, nachdrücklicher Behandlung der Phrase und Verzögerung des Tempos ein gefährlich weites Feld gerade in der großen Oper. Sie wurde da manchmal schleppend und forciert. Jede ihrer hochdramatischen Rollen sprühte Funken und Blitze; zeitweilig gab es auch ein Leuchten ohne innere Wärme. Die letzten Schöpfungen der Lucca waren die »Gioconda« von Ponchielli, Hermosa in Gounods »Tribut von Zamora« und Ximene im »Cid« von Massenet. Alle drei Opern hat die Lucca,[302] und sie allein, interessant gemacht und eine Zeitlang am Leben erhalten.

Quelle:
Hanslick, Eduard: Aus meinem Leben. Kassel, Basel 1987, S. 296-303.
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