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[44] An der Spitze des Prager Konzertwesens stand Mitte der vierziger Jahre ein strebsamer und talentvoller junger Mann, Johann Friedrich Kittl. Er war ein Schüler Tomascheks, mit dem er sich aber infolge eines schweren persönlichen Konfliktes unheilbar verfeindet hatte, sodaß Tomaschek kein Konzert besuchte, in welchem ein Stück von Kittl zur Aufführung kam. Als Komponist und Dirigent von entschiedener Begabung, war Kittl im Leben ohne männliche Würde, schmeichlerisch und kleinlich eitel. Sein Äußeres stimmte dazu; ein dicker Jüngling mit einem fetten Doppelkinn und verschwommenem Gesichtsausdruck. Enfant gâté der Aristokratie, insbesondere der Damen, war er durch deren Protektion in jungen Jahren Direktor des Konservatoriums geworden; als Nachfolger des alten, würdevoll pedantischen Dionys Weber. Allein Kittl bewies bald, daß die Jugend kein Hindernis, ja in wichtigen Dingen ein Vorteil sei für solche Aufgabe. Er schulte seine Zöglinge so gut, daß die Konservatoriums-Konzerte, deren Orchester ausschließlich die Professoren und Schüler[44] dieser Anstalt bildeten, unter seiner Leitung einen großen Aufschwung nahmen und sich den schwierigsten Aufgaben gewachsen zeigten. Berlioz, der ihnen gewiß die härtesten Nüsse aufzuknacken gab, hat dem Prager Orchester das rühmlichste Zeugnis gegeben. Ein Hauptverdienst Kittls bestand in der Auffrischung und Bereicherung des Konzertrepertoires durch die besten neueren Kompositionen. Die Orchesterwerke Schumanns, Mendelssohns, Gades sind in Prag aufgeführt und sehr gut aufgeführt worden, bevor man in Wien daran dachte, desgleichen die meisten Opern von Weber, Marschner, Lortzing, Wagner. Wien gravitierte in den vierziger Jahren entschieden nach Italien; es brachte die neuesten italienischen Opern, blieb aber mit den hervorragenden Werken Deutschlands, dramatischen wie symphonischen, im kläglichsten Rückstand. Von dem verspäteten Charakter des Wiener Konzertlebens wird noch weiterhin die Rede sein. Hingegen wies die Magnetnadel des musikalischen Prag ganz richtig nach Norden, speziell nach Leipzig, wo Mendelssohn, Schumann, Gade einen neuen blühenden Aufschwung der Konzertmusik herbeigeführt hatten. Zu den bedeutendsten Leipziger Novitäten jener Tage gehörte »Das Paradies und die Peri« von Schumann. – Unser musikalischer Freundeskreis – die »Prager Davidsbündler«, wie ihn Ambros taufte – war hoch erfreut, als Kittl eine Aufführung von Schumanns »Paradies und die Peri« anzeigte. Wieder schrieb ich einen langen begeisterten Artikel für »Ost und West«, in Form eines Briefes an »Flamin, den letzten Davidsbündler« (Ambros). Diese Briefform entfesselte vollends jenen Schwarm subjektiver, künstlich nachlässiger Heinescher Wendungen, die mir jetzt so unbeschreiblich widerwärtig sind. Kein Zweifel, daß Heine heute noch eine Anzahl von Feuilletonisten zur Nachahmung verführt und manches viel versprechende Talent auf dem Gewissen hat. Bilder und Stilmanieren, die bei Heine als neu und originell wirkten, werden bei seinen Nachahmern unerträglich affektiert und geistlos. Manches heute erscheinende Feuilleton, selbst von talentvollen Autoren, vermag ich nicht weiter zu lesen, wenn ich in den ersten Zeilen das Gefunkel und Geflunker Heinescher Geistreichigkeit und Weltschmerzlerei, die Flitter erborgten Witzes und erlogener Gefühle glitzern sehe. Mein Aufsatz über »Paradies und Peri« hatte wenigstens das Gute, Schumann Freude zu machen und mir ein Brieflein von ihm einzutragen, in welchem er den Wunsch, mich einmal in[45] Dresden zu begrüßen, auf das freundlichste aussprach. Ich wartete nur auf die Ferien, um diesen ersehnten Ausflug nach Dresden zu unternehmen. Sobald meine Prüfungen aus dem dritten Jahre Jus, unter dem gräßlichen Haimerl, glücklich überstanden waren, fuhr ich, die Brust geschwellt von Jugendglück und froher Erwartung, nach Dresden. Neben dem Glück, Schumann kennen zu lernen, stand mir auch ein Besuch bei Richard Wagner in an genehmer Aussicht.

Wagner hatte ich kurz zuvor in Marienbad kennengelernt, im Juli 1845. Er war damals im ersten fröhlichen Aufsteigen. Ich hatte in Prag mit großem Interesse seinen »Rienzi« und den »Fliegenden Holländer« durchgespielt. Sein Name, den meisten Badegästen noch fremd, war mir somit bekannt und bedeutungsvoll. Ein glücklicher Zufall machte mich zu Wagners Tischnachbar an der Table d'hôte; ich stellte mich ihm vor und erhielt die Erlaubnis, ihn besuchen zu dürfen. Auch seinen Schwager, den liebenswürdigen Verleger Brockhaus, lernte ich durch ihn kennen. Ich zögerte nicht, Wagner zu besuchen, dessen freundliches, mitteilsames Wesen mir einen günstigen Eindruck machte. Er war damals noch nicht Gott, nicht einmal vergöttert. Seine Frau (die frühere Schauspielerin Minna Planer), eine hochgewachsene, schöne Frau, trat für einen Augenblick ins Zimmer. Ich konnte, nachdem sie uns verlassen, ein bewunderndes Wort nicht unterdrücken. »Ach, jetzt ist sie kaum mehr zu kennen,« erwiderte Wagner. »Sie hätten sie vor ein paar Jahren sehen sollen! Die arme Frau hat viel Kummer und Entbehrung mit mir durchgemacht. In Paris ist's uns elend gegangen, und ohne Meyerbeers Hülfe hätten wir verhungern können.« Die Reden Wagners, denen ich gern ungestört gelauscht hätte, wurden fortwährend von dem entsetzlichen Geschrei eines Papageis begleitet und übertönt. »Wie können Sie dieses Gekrächz aushalten?« fragte ich. »Oh, ich bin daran gewöhnt,« rief Wagner lachend; »es ist ein gutes Tierchen, das ich überall mitnehme. Es wird freilich oft sehr laut, dafür bin ich aber so begünstigt, eine Frau zu haben, die nicht Klavier spielt.« Da Wagner mein Interesse an seinen Opern wohlwollend bemerkte, animierte er mich, nach Dresden zu kommen, wo im Oktober die erste Aufführung seines »Tannhäuser« bevorstehe. Dieser lockenden Aufforderung konnte ich erst im Sommer des folgenden Jahres (1846) entsprechen.

Quelle:
Hanslick, Eduard: Aus meinem Leben. Kassel, Basel 1987, S. 44-46.
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