[29] Tomascheks gründlicher Unterricht hatte, wie schon erwähnt, zwei Seiten der Musik gänzlich abseits liegen lassen: ihre Geschichte und Ästhetik. Nie hat er diese Gebiete, die mich am meisten interessierten, auch nur andeutend gestreift oder uns ein Buch genannt, aus dem wir uns Rats erholen könnten. Mein Vater als Bibliograph von Fach half auch da, indem er mir Kiesewetters »Geschichte der Musik« und Fr. Hands »Ästhetik der Tonkunst« empfahl. Es ist bezeichnend, daß in keiner Buchhandlung des musikalischen Prag diese Bücher vorrätig waren, sondern aus Leipzig verschrieben werden mußten. Beide Werke, in ihrer Methode, wie in ihren Resultaten seither vielfach überholt, schienen mir ein Geschenk des Himmels. Sie bildeten die ersten soliden Stufen, auf welchen ich später nicht ohne große Mühe, ganz allein auf mich angewiesen, weiter aufstreben konnte. Einer unserer Bekannten hielt die Leipziger »Neue Zeitschrift für Musik« von Schumann, die nun von den ersten Jahrgängen an eifrig und mit Entzücken gelesen wurde. Für einen jugendlich begeisterten Musiker gab es ja nichts Herrlicheres als die »Schwärmbriefe« von Schumann, seine enthusiastischen Aufsätze über Mendelssohn, Chopin und Berlioz! Am Klavier war ich unermüdlich, neue Musik kennen zu lernen, was mir durch die vortreffliche Musikalien-Anstalt von J. Hoffmann sehr erleichtert wurde. Diese Anstalt zeichnete sich nicht nur durch ihren Reichtum, sondern auch hauptsächlich dadurch aus, daß sie einen vollständigen gedruckten Katalog ausgab. Einen solchen Katalog habe ich bei keiner Wiener Musikleihanstalt gefunden, und doch ist er das einzige Mittel, sich über die Gebiete systematisch zu orientieren, die man, nicht bloß der Unterhaltung wegen, kennenlernen will. Jede neu erschienene Komposition wurde sofort der Leihbibliothek einverleibt. Als Abonnent dieser Leihanstalt erneuerte ich beinahe täglich mein musikalisches Futter und erduldete manchen Scherz darüber, daß ich nie anders als mit der Musikmappe unter dem Arm auf der Straße zu sehen war. Ich sammelte da bald eine ziemliche Kenntnis der alten und neuen Opernliteratur. Symphonische und Kammermusik spielte ich massenhaft mit meinen Freunden Schulhoff und Hock, zwei vortrefflichen Pianisten, vierhändig durch. Als Schulhoff Prag verließ, um seine Konzertreisen anzutreten, hatte ich Hock und Ambros zu regelmäßigen Partnern.[30] Mit letzterem zu musizieren war mehr ein geistiger als ein rein musikalischer Genuß; seine witzigen Urteile und Bemerkungen erfreuten mehr als sein Klavierspiel, das er bei schwierigen und feurigen Stellen stets mit einer Art Schnauben und unruhig wälzenden Körperbewegungen begleitete. Unter meinen musikalischen Freunden war er die bedeutendste Persönlichkeit, überhaupt eine der originellsten und glänzendsten Illustrationen des vormärzlichen Prag. Da er später als Musikschriftsteller in ganz Deutschland eine hervorragende Stellung einnahm, darf ich wohl ausführlicher von ihm reden.
Als ich anfangs der vierziger Jahre Ambros kennen lernte, war er Doktor der Rechte und unbesoldeter Konzeptspraktikant des Fiskalamts, – also dasselbe, was ich einige Jahre später auch geworden bin. Ebenso wie ich, schwärmte auch er mehr für die Musik als für die Jurisprudenz, und wir beide sind nicht Beamte aus Begeisterung geworden. Aber die bürokratische Laufbahn war eben das Fatum des vormärzlichen Jünglings in Österreich. Neben seinem Amte versah Ambros auch das Musikreferat für die dreimal wöchentlich erscheinende »Bohemia«. Sein freundschaftliches Entgegenkommen machte mich, den fast zehn Jahre jüngeren Studiosus, gar stolz und glücklich. Durch mehrere Jahre genoß ich alle bedeutenderen Musikaufführungen in Prag doppelt und dreifach, indem ich sie mit Ambros hörte. Ein kleiner, intimer Freundeskreis versammelte sich häufig um Ambros, der diese bescheidenen, durch Vierhändigspielen, Debattieren und Kaffeetrinken ausgefüllten Abende mit dem Namen »Davidsbündeleien« beehrte, in Nachahmung des von Robert Schumann (mehr in dessen Phantasie als in der Wirklichkeit) gestifteten »Davidsbundes« junger, musikalischer Fortschrittler in Leipzig. Ambros nannte sich da »Flamin, den letzten Davidsbündler«, der jüngste von uns, J.E. Hock, der treffliche Pianist und Musiklehrer, wurde von ihm »Benjamin« genannt, der Finanzrat und Komponist Joseph Heller »Obolus«, der Musikkritiker Ulm »Barnabas«, meine Wenigkeit »Renatus« u.s.w. Anfangs zierten auch Helfert (der nachmalige Unterstaatssekretär unter Leo Thun) und Joseph Bayer (jetzt Professor der Kunstgeschichte in Wien) diese Zusammenkünfte. Wer Ambros lediglich aus seinen Schriften, nicht aus persönlichem Umgang kannte, der besaß kaum die Hälfte von dieser hochbegabten, originellen, dabei stets heiteren und gutmütigen Persönlichkeit. Er war ein Talent, eigentlich eine Talentsammlung[31] merkwürdigster Art: tüchtiger Musiker und vortrefflicher Zeichner, gleich kundig in der schönen Literatur wie in der Rechtswissenschaft. Den Jean Paul wußte er auswendig, wie das bürgerliche Gesetzbuch. Seine Auffassung war ebenso schnell und lebhaft, wie sein Gedächtnis allseitig und von lebenslänglicher Treue. Es gibt Schriftsteller, die ihre Schwingen nur kräftig entfalten, wenn sie ein Lesepublikum vor Augen und den Druckerjungen hinter sich haben. Sie wollen im mündlichen Verkehr, im Briefwechsel gleichsam nichts vergeuden. Ambros tat das gerade Gegenteil; mit vollen Händen warf er im Gespräch, in freundschaftlicher Korrespondenz die besten Einfälle aus. Da urteilte er auch über musikalische Dinge noch unbefangener und drastischer als in seinen Feuilletons, wo er – allzu vorsichtig und allzu nachsichtig – die Stacheln seiner Kritik abzuschleifen liebte.
Auf Ambros paßt wie auf wenige Buffons viel zitiertes Wort: »Le style c'est l'homme«. Er sprach, wie er schrieb, und schrieb, wie er war; unbekümmert um die Form, stets voll Witz und Laune, voll Belesenheit und Bilderreichtum, jederzeit Polyhistor und Improvisator in einer Person. Mochte einem die übersprudelnde Beredsamkeit, anderen der luxurierende Stil unseres Freundes mehr oder minder zusagen, gelangweilt hat sich gewiß niemand, indem er ihn hörte oder las. Noch heute kann ich ein Ambrossches Feuilleton nicht zur Hand nehmen, ohne daß mir nicht die bewegliche kleine Gestalt des Autors leibhaftig vor Augen steht, mit der hochgewölbten, grauumlockten Stirne und den so fröhlich durch die Brille blitzenden braunen Augen; ich höre gleichsam den Aufsatz von ihm selbst vorlesen, mit der eigentümlich schneidigen Frische seines etwas böhmisch-deutsch modulierenden Organs. Unglaublich, wie ihm die witzigen Einfälle, die Gleichnisse, die Zitate, die Anekdoten nur so heraussprudelten, er mochte sprechen oder schreiben, und von was immer. Es gab ihm einen unendlichen Vorsprung vor andern ähnlich Begabten, daß er für seinen Witz ein so riesiges Material zur Verfügung hatte und seine Produktion ununterbrochen aus dem Reservoir eines geradezu phänomenalen Gedächtnisses gespeist wurde. Jeder Gedanke ward ihm unwillkürlich zum Stichwort, auf welches ein Dutzend andere herbeisprangen. Wer da meinte, Ambros jage nach Bildern und Zitaten, der irrte; im Gegenteil, seine Einfälle jagten ihn, er war wie ein verfolgtes Wild auf der Flucht vor seinem unbarmherzig allgegenwärtigen Gedächtnis. War er vollends[32] gerade vertieft im Studium einer älteren Periode der Kunstgeschichte, so drängten sich ihm in der Beurteilung moderner Musiken Analogien mit diesem oder jenem alten Meister so unwiderstehlich auf, daß er ganz übersah, bei wie wenig Lesern die Erudition und das Interesse für diese antiquarischen Seitenblicke vorauszusetzen sei. Es fiel ihm schwer, ein Feuilleton über Gounod zu schreiben, ohne in das Florenz des sechzehnten Jahrhunderts zu geraten und von dem Veroneser Komponisten Monteverdi zu sprechen. Einen gutgemeinten Spott über diese Passion nahm er nicht übel, ja er lachte mit uns von Herzen, als eines Tages der Redakteur der »Wiener Zeitung«, Friedrich Uhl, ein Täfelchen mit der lakonischen Warnung: »Nur kein Monteverdi!« auf Ambros' Schreibtisch stellte. Sein Stil, anfangs fast verwildert durch den Einfluß seines Lieblingsautors Jean Paul, hat sich später, in Wien, von diesem atemversetzenden Bilderwust doch einigermaßen befreit und gereinigt.
Als ich, Ende 1846, der erste den Prager Davidsbündlerkreis verließ, bekam die Briefpost zwischen Prag und Wien viel zu tun. Die gute vormärzliche Zeit hatte viel Zeit, – zum Briefschreiben, Plaudern, Musizieren. Das Porträt von Ambros wäre ganz unvollständig, wenn ich hier nicht einige Stellen aus seinen Briefen an mich beifügte. Schade nur, daß ich einen der eigentümlichsten Reize von Ambros' Korrespondenz nicht wiedergeben kann: die sauber ausgeführten humoristischen Federzeichnungen, welche er fast in jedem seiner kalligraphisch geschriebenen Briefe anbrachte.
»Mendelssohns Tod,« klagt Ambros im Dezember 1847, »kann ich noch immer nicht verwinden. Wir fühlen den Verlust doch nur erst halb. Es ist eine Sonne untergegangen, nun leuchtet freilich noch ein Streif Abendrot, aber auch dieser wird verlöschen, und dann kommt finstere Nacht. Und so hole der Teufel alles! Balfe for ever! Evviva Verdi! Auf, ihr kleinen Geister, ihr werdet im Preise steigen, denn wenn die Sonne herunter ist, haben auch die Unschlittkerzen ihren Wert!« Am meisten gerät Ambros ins Feuer, wenn er auf Gluck und Beethoven zu sprechen kommt. »Wir haben solange Pfeffer mit Löffeln gefressen,« schreibt er nach der Aufführung von Glucks »Alceste« in Prag, »daß uns das einfache Himmelsbrot anfangs nicht recht schmecken will. Aber es ist gut, wenn alle halbe Jahre so eine Himmelserscheinung wie ›Alceste‹ oder ›Iphigenie‹ vorüberzieht. Wer imstande ist, Gluck[33] nachzufühlen, dessen Herz und Seele ist gut – das behaupte ich fest, ein Schlechter kann es nicht. ›Alceste‹ – ist das eine Musik! Alles so ursprünglich, daß einem unsere ganze Musik daneben völlig erzwungen und erkünstelt vorkommt. Nun, ich hoffe, Gluck wird unserer Bühne nicht mehr so völlig Fremdling sein wie bisher, und es freut mich, daß ich ein klein wenig dazu habe beitragen können. Das könnte mich fast versuchen, die Schreiberei nicht ganz aufzugeben, und doch wird es geschehen müssen, denn selber kochen und anderer Leute Kocherei als kritischer Nürnberger Schmeckherr beschnüffeln, das sind unvereinbare Dinge. Sobald mein Es-dur-Trio fertig ist, sperre ich mich ein Jahr ein und treibe wieder kontrapunktliche Studien, und dann soll was Großes kommen, eine Oper oder so etwas. Und da habe ich noch etwas auf dem Herzen, was ich Dir bei dieser Gelegenheit sagen will. Du kennst Immermanns ›Münchhausen‹. Nun, darin kommt ein alter Hauptmann vor, der erst unter Napoleon unter den Rheinbundstruppen gefochten und dann in den Befreiungsjahren auf deutscher Seite gestanden. Dieser Zwiespalt in seinen Erinnerungen macht den alten Mann halb wahnwitzig, und da hilft er sich endlich zur Gemütsruhe dadurch, daß er ein Zimmer seiner Wohnung französisch, d.h. mit lauter napoleonischen Erinnerungen, und ein anderes deutschpatriotisch ausstaffiert und abwechselnd entweder ganz Soldat der Kaiserzeit oder ganz deutscher Mann ist. Siehe, etwas Ähnliches ist es mit dem zusammengewachsenen Zwilling Dr. Ambros und Flamin, dem letzten Davidsbündler. Der Kunsttrieb war in mir mit aller Kraft nicht zu ersticken – und gleichwohl mit meinem Berufe als Jurist nicht zu vereinigen. Aber jene Teilung meines Ichs hat mich gerettet. Der Mensch, der jetzt mit allem Feuereifer über neue Hofdekrete mit allem Heißhunger eines Prüfungskandidaten herfällt, sich in die Geheimnisse des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches vertieft u.s.w., ist der Jur. Dr. Ambros, fiskalamtlicher Referent. Aber jener Mensch, der jetzt vor Sebastian Bach und Beethoven verehrend kniet und sich mit Ideen zu großen Musiken trägt und Notenpapier bekleckst, das ist Flamin, der letzte Davidsbündler. Da siehst Du, was eine bloße Idee kann, und darum halte es für keinen Scherz, für keine Kinderei, wenn ich auf meine Eigenschaft als ›Flamin‹ Gewicht lege – es ist der tiefste Ernst hinter lachender Maske versteckt.« Niemand wird Ambros das Zeugnis versagen, daß er seine[34] Doppelrolle zeitlebens nicht bloß treulich, sondern auch glänzend durchgeführt hat. Oft freilich schien das amtliche Joch ihn niederzudrücken, und die Hofdekrete wollten nicht immer schmecken. Da flüchtete er zu seiner geliebten Kunst und fühlte sich alsbald wie neugeboren. »Au fond bin ich noch immer der Alte; wäscht man mir den Aktenstaub mit etwas Hypokrene ab, so guckt das alte Flaminsgesicht deutlich heraus. Freilich kann ich mich wie ein Grobschmied nur am Sonntag waschen, – und es ist fatal, wenn jemand, der sonst 365 Dichtertage des Jahres hatte, nun auf 52 reduziert ist. Eben habe ich eine vierhändige Pianoforte-Sonate zusammengekleckst, die ich gern mit Dir spielen möchte. An einem Oratorium, einem höchst kuriosen Ding, skizziere ich. Am wohlsten ist mir jedoch in Sebastian Bachs kolossalen Ton-Labyrinthen, in die ich mich ganz verloren habe. Da ist alles groß und gewaltig wie in der ersten Schöpfung; die Ichthyosauri und Plesiosauri schwimmen darin herum wie anderwärts die Haberfische, und selbst das Farnkraut hat Baumhöhe. Sieht man, wie der alte Perückenmann aus nichts ganze Welten erschafft, so kommt er einem vor wie eine Gottheit, auf deren bloßes ›Werde‹ endlose Schöpfungskräfte zu walten beginnen, wogegen man sich mit der eigenen Produktion erscheint, als habe man mit vieler Mühe auf gewöhnliche Weise ein kleines rotziges Mädel erzielt. Und man läßt es Babi taufen und freut sich sehr darüber.«
Die ungeheuchelte Ehrfurcht, mit welcher Ambros sich vor allem Großen in der Kunst beugte, bildete einen seiner schönsten Charakterzüge. Da ließ er keine Einwendung gelten. Wir zerzankten uns manchmal wegen Gluck und Jean Paul, in deren Vergötterung ich es Ambros nicht gleichtun konnte. Er war eine enthusiastische Natur; ja, er hatte immer ein Bedürfnis nach Enthusiasmus, vielleicht mehr als gut ist für den Kritiker. Das Große in Gluck, das für seine Zeit Neue wußte ich wohl zu schätzen, es hat mich auch in einzelnen dämonischen Szenen stets ergriffen. Aber die geradlinige Schönheit seiner Melodie, die Dürftigkeit seiner Harmonie empfand ich für die Dauer einer ganzen Oper hindurch als Monotonie und begriff nicht, wie eine mit Mozart und Beethoven gesättigte Zeit von Gluckscher Musik aufrichtig entzückt sein könne. Noch weniger vermochte ich für das stilistische Gegenteil Glucks, für Jean Paul zu schwärmen, den ich bei all seiner Genialität unnatürlich, bombastisch und geschmacklos[35] fand. Ich habe nur zwei Bücher von Jean Paul zu Ende gelesen und wieder gelesen, seine beiden didaktischen Werke »Vorschule zur Ästhetik« und »Levana«. Seine Romane waren mir ungenießbar in jungen Jahren und sind es geblieben. Es fiel mir ein Stein vom Herzen, als ich Jahre später den Ausspruch Fr. Vischers las, es sei eine ›Roßarbeit‹, Jean Paul zu lesen. Ambros hatte sich aber an Jean Paul so festgesogen, daß er selbst nicht mehr anders als in Jean Paulscher Manier schreiben konnte. Freilich war sie der Geistes- und Gefühlsweise Ambros' von Haus aus verwandt. Auch in seinem Kopfe sprangen (wie Heine von Jean Paul sagt) die Ideen wie erhitzte Flöhe durcheinander. Er schrieb nicht eine Seite in ruhiger, gleichmäßiger Beleuchtung, ohne humoristische Seitensprünge, ohne gute und schlechte Witze, Bilder und Hyperbeln. Sein poetisches Genie konnte Jean Paul unserem Freunde nicht geben, aber dessen Stil konnte er verderben. Mein Lieblingshumorist war Dickens. Ihm habe ich mehr genußreiche Stunden zu verdanken als dem Dichter des »Titan«. Dickens erheitert mir jetzt noch manchen einsamen Abend; zu Jean Paul habe ich nie wieder zurückgegriffen.
Über die großen Meister vergaß Ambros keineswegs der Zeitgenossen und berichtete mir fleißig über die in Prag gehörten Novitäten. »Lindpaitners Oratorium ›Abraham‹«, schreibt er einmal, »hat uns übel erbaut. Im ersten Teil handelt es sich darum, daß Abraham opfern soll, im zweiten, daß er opfern will, im dritten, daß es doch nicht zum Opfer kommt. Keine Spur von biblischer Haltung, fade deutsche Gemütlichkeit à la August Lafontaine. Abraham gebärdet sich, als ob er Magistrats-Sekretär in Budweis wäre: ›O, mein Isaak, weiche nie vom Pfade der Tugend!‹ Die hundertundsechzigjährige Sarah singt Schrei-Arien bis ins hohe B, und diese Fugen, in die sich der Komponist unentwirrbar verwickelt, sind wie der berühmte Schöps, den Abraham dann opferte und der mit seinen Hörnern im Dornendickicht hängen geblieben!«
Die Märzrevolution machte diesem beschaulich ruhigen, bloß von Musik und Literatur sich nährenden Leben bald ein Ende. Zuerst hing auch in Prag der Himmel voller Geigen. »O Eduard, o Mensch, o Freund, kannst Du denn noch ruhig herumgehen, oder ist Dein Gang ein unaufhörlicher Longitudinar-Walzer? Preßfreiheit, Konstitution, keine Naderer mehr, und ›der Urquell alles Übels‹ mit Gestank abgezogen? Da reichen Worte allein[36] nicht mehr aus, sondern etwas wie (folgt in Noten der Eintritt des C-dur-Schlusses im Finale der C-moll-Symphonie) wäre noch ein würdiger Ausdruck unserer Empfindungen!« Aber nur zu bald endet der Jubel unseres Freundes. »Auch ich,« klagt er im August 1848, »habe den Champagnerrausch der Freiheit mitgemacht, und auch ich laboriere an dem Katzenjammer, den Du in Deinem Briefe schilderst. Als reine Tafel gemacht wor den, da hofften wir alle, es werde das Größte und Herrlichste darauf geschrieben werden und die heiligen Worte, die uns begeisterten, in unverwischbaren Charakteren dastehen. Leider waren aber gleich Kerle zur Hand, ›zu malen auf das Weiß, ihr Gesicht oder ihren –‹. Was für unglaubliche Eselei, Roheit, Verkehrtheit jetzt in hellem Sonnenlicht herumprunkt, das muß man nur selbst sehen! Die Gleichstellung beider Nationalitäten besteht bei uns in Folgendem: (zwei köstliche Federzeichnungen zeigen hier drei Tschechen, die einen Deutschen, und drei Deutsche, die einen Tschechen durchprügeln). Von dem, was ich in diesen Tagen erlebt habe, könnte man vier Evangelien nebst Apostelgeschichte zusammenschreiben.« Ambros war nichts weniger als eine politische Natur, sein Interesse an öffentlichen Angelegenheiten schwand rasch nach dem ersten Freiheitsrausch; Verfassungskämpfe, Parteihader, das alles störte seine Zirkel. Seine fein besaitete Künstlernatur schreckte zusammen vor dem Trommelwirbel der Politik. Ambros vermied es, wo er nur konnte, Partei zu nehmen, und da er beider Landessprachen gleich mächtig war, so fiel es ihm nicht schwer, mit den Tschechen auf gutem Fuße zu bleiben. »Da man in Prag jetzt nicht mehr weiß, soll man einem Begegnenden ›Guten Morgen‹ oder ›dobre jitro‹ sagen, so habe ich mir einen eigenen Nationalitäten-Gleichstellungs-Grunzlaut erdacht, der, langsam ausgesprochen und in seine Elemente aufgelöst, die Silben Emme-lem-blem! gibt und noch wunderbarerer Nuancierungen fähig ist, als unseres Freundes Berlioz double idée fixe. Durch besagtes Emme-lem-blem ist es mir bisher gelungen, mit allen Parteien gut Freund zu bleiben.« (Federzeichnung: Ambros, einen Hut in jeder Hand, grüßt gleichzeitig rechts einen Deutschen, links einen Tschechen, aus seinem Munde flattert ein »Emme-lem-blem!« nach rechts, ein ditto nach links). In den späteren Jahren seines Prager Aufenthaltes, da Ambros mit einer zahlreichen Familie und noch zahlreicheren Arbeiten gesegnet war, kamen seine Briefe immer seltener, am häufigsten noch als[37] Empfehlungsschreiben irgend eines Musikers oder einer Sängerin. »In Jean Paul ist irgendwo die Rede von Leuten, die nach Flötenuhren tanzen – wir beide korrespondieren in Empfehlungsbriefen, denn außerdem kommen wir selten dazu!« Bald hörte unsere Korrespondenz gänzlich auf – glücklicherweise! Denn Ambros übersiedelte in den sechziger Jahren nach Wien, und mir wie ihm war damit ein alter Wunsch erfüllt.
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