[10] Die folgende biographische Skizze dürfte eben nur als ein Rahmen zu betrachten sein, den möglichst auszufüllen eine Reihe einzelner, theils aus den mündlichen, theils aus den schriftlichen Mittheilungen der Verstorbenen hervorgegangener Aufsätze bestimmt ist, welche wir ihr folgen lassen. Diese Eintheilung schien schon deshalb die angemessenere, weil sie eine ununterbrochene Reihe solcher direkten Mittheilungen gestattet. Der Biographie wird der geneigte Leser aber eben deshalb vielleicht einige Ungleichförmigkeit zu gut zu halten haben. Sie mußte sich nämlich bescheiden, da nur anzudeuten, wo die Verstorbene selbst später berichtend eintritt, und ausführlich sein wo die Mittheilungen der Letzteren entweder fehlen oder doch nieht völlig Genügendes bieten. Letzteres ist hinsichts der Geschichte der Kindheit und ersten Jugend der ausgezeichneten Frau der Fall. Wir nehmen jedoch um so weniger Anstand, diese in dem Folgenden etwas ausführlich zu behandeln, als eine ausgebildete bedeutende Persönlichkeit uns gebieterisch auf die Geschichte ihres Werdens hinweist, ja erst durch sie uns ganz verständlich wird. Nächstdem aber führt diese hier in eine[11] uns ferneliegende und fast fremd gewordene Zeit zurück, deren Art und Sitte, namentlich so weit dies die jüdischen Glaubensgenossen betrifft, denen die Verstorbene durch ihre Geburt angehörte, fast schon ein historisches Interesse in Anspruch nimmt.
Henriette Herz, zu Berlin am 5. September 1764 geboren, war die Tochter des Arztes de Lemos, eines Juden von portugiesischer Abkunft, aus dessen zweiter Ehe mit einer gebornen Charleville, nachdem der Tod die erste, aus welcher kein Kind am Leben verblieb, gelöst hatte. Diese zweite ward mit vielen Kindern gesegnet, von welchen sieben zu reiferen Jahren gelangten, zwei Söhne, welche sich dem Stande des Vaters widmeten, und deren einer in der Blüthe des Lebens in Warschau, der andere vor wenigen Jahren in Hamburg starb, und fünf Töchter, von denen drei sich verheiratheten, zwei jedoch unverehelicht blieben. Von Allen war Henriette die älteste, wie sie auch den Schmerz hatte, alle ihre Geschwister vor sich hinscheiden zu sehen. –
Der Vater, der in Hamburg geboren war, und seine Studien in Halle gemacht hatte, galt längere Zeit für den ersten jüdischen Arzt Berlins. Einer Mittheilung der Tochter, in von ihr hinterlassenen, jedoch nur eine sehr frühe Zeit ihres Lebens umfassenden Erinnerungen zufolge, war er ein eben so schöner als mildgesinnter Mann. Für die erste dieser Behauptungen spricht ein noch vorhandenes Portrait aus seiner Jugendzeit. Die Tochter weiß nicht genug das stattliche Ansehn des Vaters zu rühmen, wenn er in den stets mit Tressen besetzten tuchenen, seidenen oder gar sammtenen Kleidern, in Schuhen und seidenen Strümpfen, den dreieckigen[12] Hut über der sorgfältig gehaltenen Knotenperrücke, und in feinster sauberster Wäsche – jemals einen Mantel umzunehmen hielt er der Würde nicht angemessen, welche der Arzt auch in seinem Aeußeren stets kund geben müsse – seine Krankenbesuche machte. Diese reiche und zierliche Kleidung paßte nach ihrer Versicherung so durchaus zu dem ganzen Wesen des Mannes, seiner würdevollen Haltung, dem edlen regelmäßigen Profil mit dem schön gezeichneten Munde und den feingeformten Händen und Beinen, daß, als sie nachgrade altmodig geworden war, er sie jedoch gleich deu anderen älteren Aerzten beibehielt, sie fast an ihm allein nicht auffiel. Und wie sehr er auch nach und nach den Leuten auf der Straße eine fremdartige Erscheinung werden mußte, wenn er in der damals noch schlecht erleuchteten Stadt an Winterabenden, ein Bedienter mit einer Stocklaterne ihm vorleuchtend, in solcher Tracht grävitätisch einherschritt, sie standen, ihm nachschauend, still, aber keinem Munde entfuhr ein Wort des Spottes. Doch lieber sah ihn die Tochter noch im Hause, im Schlafrock in rothseidenem Damast und eben solcher Mütze, im Kreise der Seinen freundlich walten, Allen ein Gegenstand der Liebe und Verehrung. Ja schon seine, durch ein zugleich weiches und klangvolles Organ getragene Sprache hatte ihr Bestechendes für die Kinder, welche von ihren übrigen Glaubensgenossen nur den jüdischen Jargon mit absonderlichem Tonfalle hörten. Denn nach Art der portugiesischen Juden, welche stets die Sprache des Landes, in welchem sie sich niedergelassen haben, möglichst rein sprechen, war sein Deutsch ein sehr gebildetes und ohne allen fremdartigen Accent. – Die Gesetze des Judenthums befolgte er streng, aber er war in[13] seiner Milde weit entfernt von der zu seiner Zeit gewöhnlichen Unduldsamkeit der orthodoxen Juden gegen ihre minder glaubenseifrigen Genossen.
Nicht dem Vater gleich an Sanftmuth, namentlich nicht gegen die Kinder, war die Mutter, welche durch ein Augenübel, an welchem sie bis zu ihrem Lebensende litt, die Folge allzureichlich vergossener Thränen über den Tod ihres erstgebornen zweijährigen Knaben, um so mehr und öfter bis zur Heftigkeit verstimmt wurde, als sie, bevor dies Uebel sie entstellte, sehr hübsch gewesen war. Aber sie war eine Frau, welche ihr Hauswesen in strenger Ordnung zu halten wußte, gegen ihre Mitmenschen stets gefällig und dienstfertig, ja die Rathgeberin und thätige Helferin Vieler, und daher auch von Vielen geachtet und geliebt. Sie besaß, wie die Tochter berichtet, viel gesunde Vernunft, und, ohne selbst sehr unterrichtet zu sein, große Würdigung für eine höhere wissenschaftliche Ausbildung. Gern ließ sie sich vorlesen, und zu ihren vielen soliden Eigenschaften gehörte ein festes Gedächtniß, welches das einmal Vernommene sich nicht wieder entschlüpfen ließ.
Wenn nun Henriette sich selbst als ein Kind von wenig geordnetem Wesen, ja von einer so gesteigerten Lebhaftigkeit schildert, daß sie niemals im eigentlichen Sinne des Wortes ging, sondern immer nur sprang oder lief, so daß sie einst, mitten im Laufe still stehend, sich selbst fragte, ob sie denn überhaupt niemals gehen könne? so wird es begreiflich, daß eine die Ordnung liebende und zugleich aufbrausende Mutter einer so verschieden gearteten Tochter häufig ihre Unzufriedenheit kundgab. Ja ihre Strenge gegen alle ihre Kinder ließ vermuthen, daß sie diese als ein nothwendiges Gegengewicht[14] gegen die große Milde des Vaters betrachtete. Aber der Stachel des Tadels wurde durch die allzuschnelle Wiederkehr desselben abgestumpft, und ein leiser Vorwurf des gütigen Vaters wirkte viel eindringlicher. Ging er, durch die ungünstigen Berichte der Mutter über die Tochter veranlaßt, gar so weit, dieser den Segen zu verweigern, welchen die orthodoxen Juden am Sabbath ihren Kindern zu ertheilen pflegen, so war sie der Verzweiflung nahe, und umfaßte so lange weinend seine Knie, bis er ihn ihr gewährte.
Was aber jedenfalls günstiger auf das empfängliche Kind einwirkte, als die oft zu weiche Milde des Vaters und die oft zu große Strenge der Mutter, war das schöne eheliche Verhältniß zwischen beiden. Gegen den Gatten kannte die Mutter keine Heftigkeit. Ihre Liebe zu ihm ging, wie die Tochter versichert, fast bis zur Anbetung, und wurde auf's innigste erwiedert. Einen Zwist zwischen Beiden gab es nie, nie wechselten sie auch nur ein unfreundliches Wort, und redeten sie einander an, so geschah es niemals bei ihren Namen, sondern unter einer zärtlichen Benennung. Dieses schöne Beispiel leuchtete den Kindern für ihr gegenseitiges Verhältniß vor. Es war das liebevollste, namentlich aber galt dies von dem zwischen den Schwestern. Und so mußte denn im Ganzen das Haus doch das Bild eines schönen und förderlichen Familienlebens gewähren, geeignet, die Gemüthsentwickelung des wohlgearteten Kindes zu begünstigen.
Früh schon scheint dieses die liebevolle Gesinnung des Vaters und die Werkthätigkeit der Mutter in sich vereint zu haben. Die edle Verstorbene bekennt, daß sie schon als[15] Kind kleine Summen erborgte, um sie zu wohlthätigen Zwecken zu verwenden. Eine Wohlthätigkeit, deren Kosten freilich zuletzt die Börse des Vaters tragen mußte. Aber dieser bezahlte die kleinen Schulden willig und ohne einen Vorwurf gegen die Tochter, nachdem er sich von der Art der Verwendung des Erborgten überzeugt hatte. Wie wir denn überhaupt das Kind schon da, wo es galt, einer Noth oder nur einer Verlegenheit abzuhelfen, von einer Entschlossenheit finden, die von einer sehr frühen Ausbildung des Charakters zeugt. Wir werden dies später durch einen interessanten Zug aus ihren Mittheilungen weiter belegen können.
Ihre eben so frühe körperliche Ausbildung bei großer Schönheit gab sie andererseits manchen ungünstigen Einflüssen preis, welche nur bei einer so gesunden ursprünglichen Natur ohne nachhaltig schädliche Folgen bleiben konnten. In eine, mit einer Pensionsanstalt verbundene Schule geschickt, bei deren Wahl die Eltern wenig Vorsicht geübt zu haben scheinen, hörte sie schon als Kind von dort aus- und eingehenden jungen Offizieren Schmeichelworte, welche ihre Eitelkeit anregen mußten. Glücklicherweise erzählte sie in ihrer Unbefangenheit zu Hause von diesen militärischen Besuchen, und die Eltern entschlossen sich von da an klüglich, sie im Hause unterrichten zu lassen. Aber diese selbst scheinen die Anlässe nicht gemieden zu haben, welche der Eitelkeit des Kindes, und vielleicht ihrer eigenen auf dasselbe, Nahrung geben konnten. Als Prinzessin Amélie, die Schwester Friedrichs des Großen, einst eine der Laubhütten, in welchen die orthodoxen Juden in den Pfingstfeiertagen ihre Mahlzeiten einnehmen, besichtigte, wurde ihr in der,[16] zu dem Zwecke ausgewählten eines der reichsten Juden als schönste Zier des prächtig geschmückten Raumes die schöne kleine Henriette vorgestellt; und es ist zu verwundern, daß diese sich später eben so oft der schielenden Augen der Fürstin erinnerte, welche ihr sehr mißfielen, als ihrer freundlichen Worte und Liebkosungen, welche ihr sehr gefielen. Doch als einige Zeit darauf die Königin Ulrike von Schweden, eine andere Schwester des Königs, bei ihrer Anwesenheit in Berlin der Ceremonie einer jüdischen Hochzeit beiwohnen wollte, und das schöne Kind der jüdischen Gemeine, welches nun schon bei allen Feierlichkeiten, bei denen ein solches anzuwenden war, eine Rolle überkam, durch eine Entzündung eines Auges verhindert wurde, unter Ueberreichung eines Karmens eine Anrede zu halten, weinte es sich begreiflicherweise das gesunde Auge gleichfalls krank. Zur Entschädigung ließ man bald darauf das acht- bis neunjährige Mädchen in einem Concerte Clavier spielen, wobei ein junger Offizier auf dem Cello begleitete. Man fand, daß sie sehr schön spielte, weil sie sehr schön war. Und als dem Concerte ein Ball folgte, und sie nun mit ihrem Tanzlehrer, einem kleinen ältlichen Franzosen, ein Menuet tanzte, fand man wieder, daß sie sehr gut tanze. Und das Kind hatte wohl bemerkt, daß die hinteren Zuschauer sogar auf die Stühle stiegen, um sie tanzen zu sehn, denn noch die Matrone erzählte davon.
Nicht mehr Planmäßigkeit scheint hinsichts des Unterrichts gewaltet zu haben. Die Musik ward trotz der anscheinend glänzenden Erfolge des Kindes aufgegeben, weil der Lehrer, welcher die Stunden um einen billigen Preis gegeben hatte, gestorben war, und die Vermehrung der Familie[17] Ersparnisse wünschenswerth machte. Die Gegenstände des häuslichen Unterrichts bestanden nun im Schreiben, Rechnen, der Geographie, dem Französischen und vor Allem im Hebräischen. Da der Versicherung der Verstorbenen, sie habe schon damals angefangen, das alte Testament nebst einigen Commentatoren desselben aus der Ursprache in's Deutsche zu übersetzen, aller Glauben beizumessen ist, so spricht dies für eine wunderbar frühe Entwickelung ihres allerdings bedeutenden Sprachtalentes. Erst spät erwog man, daß es ihrem künftigen Gatten vielleicht eine angenehme Beigabe sein möchte, wenn seine Frau tanze und Französisch spreche, es ihm aber jedenfalls wünschenswerth sein müsse, daß sie stricken und nähen könne, und schickte sie in eine Nähschule.
Auch die Lectüre des jungen Mädchens scheint einer angemessenen Leitung entbehrt zu haben. Schon früh las sie alles ohne Unterschied, was die Bibliothek an Romanen bot. Die Unsittlichkeit mancher der Letzteren berührte ihren reinen Sinn nicht, aber die Romane aus der Epoche der Empfindsamkeit, welche mit ihrer Kindheit zusammenfällt, blieben weniger einflußlos. Der Same fiel hier in ein leicht bewegliches Gemüth, und sie ließen eine Reizbarkeit in ihr zurück, welche auch die Jahre nicht völlig bewältigten.
Ueberhaupt aber muß die Familie sich viel in romanhaften Ideen bewegt haben, der alte Vater nicht ausgenommen. Henriette war zwölf Jahr alt, aber für ihr Alter sehr groß und entwickelt, da führte sich ein fremder ältlicher Jude portugiesischer Abkunft in das Haus ein. Das Mägdlein fand Wohlgefallen vor seinen Augen, und er warb um sie. Er wollte bewilligen, daß die Vollziehung der Ehe noch[18] drei Jahre verschoben werde, aber die Zusage der Eltern verlangte er schon jetzt. Zur Unterstützung seiner Werbung versicherte er, daß er unermeßlich reich sei, und daß seine Mohren mit seinen Schätzen und Papageien bald nachkommen würden. – Wer sollte glauben, daß en attendant Mohren, Papageien und Schätze dem Werber wenigstens keine abschlägliche Antwort wurde! – Aber die Mohren, Papageien und Schätze kamen nicht, ihr angeblicher Eigenthümer jedoch verschwand, und mit ihm eine silberne Dose des Vaters. –
Ist auch aus diesem Versuche eines lüsternen Abenteurers lediglich auf die Schönheit und körperliche Frühreife Henriettens zu schließen, so sehen wir doch, nur ein halbes Jahr später, einen Freier auftreten, welchen schwerlich diese Eigenschaften allein zu seiner Werbung bestimmten. Sie zählte erst zwölf und ein halbes Jahr, als Marcus Herz, schon damals vielbeschäftigter praktischer Arzt, geachteter Schriftsteller, und vor allem vielgenannt als einer der geistreichsten Männer Berlins, um sie anhielt. Die Voraussetzung, daß diesem Manne die Eigenschaften des Gemüthes und des Geistes seiner künftigen Gattin gleichgültig gewesen seien, wäre durchaus unberechtigt. Die ersten gaben sich ohne Zweifel schon jetzt in dem Kinde auf eine wohlthuende, die anderen, welche er schwerlich schon ausgebildet vorfand, doch auf eine vielversprechende Weise kund. Er erhielt das Jawort der Eltern. –
Befremden dürfte uns freilich die so frühe und eigenwillige Verfügung dieser über das Lebensgeschick ihrer Tochter, wären damals bei der großen Mehrzahl der Juden hinsichtlich der Echebündnisse andere Rücksichten als die auf die äußeren Verhältnisse bestimmend gewesen. Höchstens traten[19] bei den Besseren, wie wahrscheinlich auch hier, die auf die geistigen und sittlichen Eigenschaften des Freiers hinzu. Aber auch gegen sie ließ sich in diesem Falle kein Einwand erheben, ja die ersten waren sogar hervorragend.
Führte man die kindliche Braut hier dennoch nicht in die Arme des Bräutigams, ohne daß der Vater vorher eine Frage an sie richtete, welche einige ferne Aehnlichkeit mit einer Frage nach ihrer Zustimmung hatte, so dürfen wir darin mehr nur eine Sache der Form finden. Wußten doch die Eltern sich keine Gründe zu sagen, welche die Einwilligung ihrer Tochter irgend zweifelhaft machen konnten. Denn selbst der Umstand, daß der Bräutigam mehr als das Doppelte der Jahre der Braut zählte, schien ihnen bei der so großen Jugend Dieser um so weniger ein Mißverhältniß zu begründen, als bei einem jüngeren Manne kaum eine selbstständige Lebensstellung vorauszusetzen gewesen wäre. Das patriarchalische Verhältniß in den Familien machte nächstdem einen Widerspruch der Töchter gegen den Willen der Eltern, auch da wo es sich um ihre höchsten Interessen handelte, zu etwas beinah Unerhörtem.
Henriette war sehr erstaunt, als die Mutter sie aus der Nähschule nahm nachdem sie diese etwa ein halbes Jahr besucht hatte, und ihr erklärte, daß sie nun bei einer alten Großtante, einer Hausgenossin, nähen solle, deren Unterricht doch früher schon einmal wegen der zu großen Nachsicht der Alten gegen das Nichtchen beseitigt worden war. Doch bald löste sich das Räthsel. Die Tante sollte dem Kinde eröffnen, was die Mutter bei dessen großer Jugend ihm selbst zu sagen wohl innerlich eine Scheu trug. Bald vertraute denn auch die Alte der kaum zur Jungfrau Erblühenden,[20] daß sie Gattin werden solle. Doch führen wir Diese über einen so entscheidenden Augenblick ihres Lebens selbstberichtend ein, da wir hier durch ihre früher erwähnten Aufzeichnungen dazu in den Stand gesetzt sind.
»Und wer ist der Mann, den man mir bestimmt hat?« – fragte ich hastig. – Sie nannte mir Marcus Herz, einen angesehenen praktischen Arzt. Ich hatte ihn einigemale bei meinem Vater gesehen, wo er sich jedoch mehr beobachtend als mittheilend gegen mich verhalten hatte, und auch wohl an seinem Fenster, denn er wohnte in unserer Nähe, und ich mußte vor seiner Wohnung vorübergehen, wenn ich mir Bücher aus der Leihbibliothek holte, was oft genug geschah. – Ich weiß nur noch, daß ich eine kindische Freude darüber hatte, Braut zu werden, ob eben darüber, dieses Mannes Braut zu werden, davon weiß ich nichts. Auf's Lebhafteste malte ich mir aus, wie ich nun von einem Bräutigam geführt spazieren gehen, wie ich schönere Kleider bekommen würde, und vor Allem, sobald ich verheirathet sei, einen Friseur. Denn bis jetzt machte mir die alte Tante das Haar, und dies mit Pomade, die nicht viel besser war als Talg, und nach ihrem Geschmack, der gar nicht der meine war. Auf einen Antheil an den kleinen feinen Gerichten, welche zuweilen eigens für meinen Vater bereitet wurden, rechnete ich nebenbei fortan mit Wahrscheinlichkeit, und auf eine Erhöhung meines Taschengeldes, welches sich bis jetzt monatlich auf zwei Groschen belief, mit Sicherheit. Was wollte ich mehr? –
»Mit Ungeduld erwartete ich den Tag der Verlobung, den die Tante mir ebenfalls im Vertrauen verrathen hatte. Sie hatte mir zugleich gesagt, daß mein Vater mich über[21] meine Zufriedenheit mit seiner Wahl befragen würde, was mir sehr schmeichelte. – Der ersehnte Tag erschien. Der Morgen verstrich, auch der Vormittag, mir wurde nichts gesagt, ich wurde um nichts gefragt. Wir setzten uns zu Tische, ein Gericht nach dem andern ward aufgetragen, immer noch kein sterbendes Wort. Bei dem letzten endlich sprach mein Vater: ›Mein Kind, wen möchtest du lieber heirathen, einen Doctor oder einen Rabbiner?‹ – Mir klopfte das Herz mächtig. Ich antwortete, daß ich mit Allem zufrieden sei, was er über mich beschließen würde. Aber schnell bedachte ich, daß ich dem guten Vater, der noch dazu selbst Arzt war, doch entgegenkommen müsse, und fügte hinzu: ›Ein Doctor wäre mir freilich lieber.‹«
»Dies war nun eine Einwilligung, so gültig, als hätte ich sie durch Brief und Siegel bekräftigt, und nach dem Mittagessen eröffnete mir meine Mutter, daß ich am Abend dem Doctor Marcus Herz verlobt werden würde, den ich ja genug kenne durch persönliche Bekanntschaft sowohl, als durch seinen Ruf als Arzt und Gelehrter. Sie hielt mir dann eine lange Rede, die mir in dem Augenblick sehr ungelegen kam und mir sehr langweilig war, die ich aber dennoch aus kindlicher Pietät und nicht ohne Nutzen für mich anhörte, denn sie enthielt manche gute Lehre, deren ich mich später erinnerte, und die mir wohl zu Statten kam. An kleinen Anweisungen darüber, wie ich mich als Braut gegen meinen Bräutigam zu benehmen habe, fehlte es auch nicht, und zuletzt empfahl sie mir ihre Ehe als Muster für die meine. Und in der That, eine glücklichere hat es nie gegeben.«[22]
»Gegen Abend versammelte sich die Gesellschaft in den Zimmern meiner Eltern. Ich befand mich allein in einem andern. Denn der damaligen, und vielleicht noch heute bestehenden Sitte unter den Juden gemäß, trat die Braut erst in den Kreis der Familie und der Gäste, nachdem der Ehecontract von dem Notarius aufgesetzt, und sie um ihre, schon im Voraus unzweifelhafte, Einwilligung befragt worden war. Beklommen, in banger Erwartung saß ich in meinem Putze da. Ich glühte vor Angst. Es mußte mich doch eine Ahnung von dem Verhängnißvollen des Schrittes durchflogen haben. Ich versuchte zu nähen, die Hand zitterte mir. Ich sprang von meinem Sitze auf, und ging im Zimmer auf und ab. Ich kam dabei vor dem Spiegel vorüber, und zum erstenmale erschien ich mir mehr als hübsch. Die Röthe der Wangen verlieh meinem dunkeln Auge einen noch erhöhten Glanz, der kleine Mund war noch anmuthiger als sonst. Und das apfelgrün- und weißgestreifte seidene Kleid und der schwarze Federhut, wie vortrefflich standen sie mir! – Viele Jahre sind seitdem an mir vorübergegangen, aber das jugendliche, bewegte Gesicht jenes Augenblicks, die ganze Gestalt, stehen so lebendig vor mir, daß ich sie malen könnte.«
Endlich öffnete sich die Thür, und der Notar, von zwei Zeugen gefolgt, trat ein. Ich suchte mich zu fassen, ich wollte ruhig scheinen, aber ich glaube nicht, daß es mir gelang. Denn ich weiß, daß ich, über meine Einwilligung befragt, mein Ja! nur stammeln konnte. Bald darauf kam mein Bräutigam, küßte mir die Hand und führte mich zu der Gesellschaft. Ich wußte kaum mehr von ihm, als daß er Arzt und Gelehrter war. Daß er wenig von einem der[23] Liebhaber in meinen Romanen hatte, sah ich wohl. Er war funfzehn Jahr älter als ich, klein und häßlich, und ich glaube kaum, daß ich damals schon seine Häßlichkeit über dem geistreichen Ausdruck seines Gesichts vergaß. Aber ich drängte Alles in mich zurück was mich hätte stören können, weil ich meine Eltern so gar heiter sah, so ganz glücklich, daß sie noch liebevoller gegen einander waren, als sonst. Eine Nachbarin machte meinen Bräutigam mit der Bemerkung aufmerksam darauf, daß es eine Freude sei, eine solche Ehe zu sehen. – »Gedulden Sie sich ein paar Jahre,« antwortete Herz, »und Sie werden eine zweite sehen.« –
»Blieb gleich diese Voraussagung nicht unbewährt, so kann ich doch von meinem etwa drittehalbjährigen Brautstande nicht sagen, daß er für mich ein sehr freudevoller war. Mein Bräutigam, so viel älter als ich, und als praktischer Arzt, als deutscher Gelehrter und als wissenschaftlicher Schriftsteller nothwendig noch älter als seine Jahre, behandelte mich als ein Kind, und was mich am meisten verdroß, auch von mir sprechend, nannte er mich: das Kind. Allerdings war ich das noch, aber seitdem ich Braut war wollte ich es nicht mehr hören, und am wenigsten von meinem Bräutigam. Vom Spazierengehen am Arme des Bräutigams war auch nicht viel die Rede, wenngleich ich oft genug in seiner Gesellschaft war. Denn er kam fast allabendlich zu uns, und zwar um seine Partie bei uns zu machen. Ich aber, die ich keine Karte kannte, mußte beim Spiele neben ihm sitzen. Er wünschte das so, weil es ihm angenehm war, und ich langweilte mich dabei zu Tode. – Daß man sich auf diese Weise unser Zusammensein nicht als das zweier Liebenden zu denken hat, leuchtet ein. Geistig[24] suchte jedoch Herz schon damals auf mich einzuwirken, so viel sich's eben im Vorübergehen thun ließ.«
»Endlich erschien der Hochzeittag. – Viele, viele Jahre sind seitdem verstrichen, und doch ist mir noch fast jeder Moment des Morgens wie des ganzen Tages erinnerlich. – Nach einer unruhigen Nacht erwachte ich mit einem Gefühl unendlicher Wehmuth. Der Gedanke, meine Familie, zumal meinen Vater zu verlassen, zerriß mich. Kein Blick in die Zukunft, welche meiner wartete, vermochte das Dunkel in meiner Seele zu erhellen. Wie hätte mich das schöne, mit Rosen besetzte Kleid von weißem Atlas, welches man mir bald als mein Brautkleid brachte, zu anderer Zeit erfreut! Ich betrachtete es gleichgültig, ließ mich mechanisch ankleiden, und weihte es durch meine strömenden Thränen. Der Bräutigam kam, die Gäste versammelten sich, mein Sinn war nur bei den Meinen. Schon nahte die Zeit der Trauung. Ich mußte versuchen meinen Vater noch einmal zu sprechen. Es gelang. Meine Liebe wußte in dem Augenblick keinen anderen Ausdruck zu finden, als in der flehentlichen, von heißen Thränen begleiteten Bitte, mir in dieser Stunde der Trennung Alles zu verzeihen, wodurch ich ihn je gekränkt haben möchte, und mir seinen Segen zu ertheilen. Er that es, umarmte mich dann weinend, und winkte mir zu gehen, indem er mit halberstickter Stimme sagte: ›Kind, brich mir das Herz nicht!‹ – Ich werde diese Worte bis zu meinem letzten Athemzuge hören. – Gott hat seinen Segen erhört. Ich ging einem reichen, ja einem schönen Leben entgegen.« –
»Es war der erste December des Jahres 1779. Auf dem Hofe, auf welchem der Baldachin stand, unter dem ich[25] nach jüdischem Gebrauche getraut wurde, lag hoher Schnee. Vornehme Herrschaften, Bekannte meines Bräutigams, umstanden mit kalten neugierigen Blicken den Baldachin. Ich war wieder zur Schau gestellt, zum ersten Male zu meiner Pein. Alles war winterlich.« –
»Am anderen Morgen saß die fünfzehnjährige Neuvermählte allein in ihrem Zimmer. Noch hatte ich als Frau Niemanden gesehn. Tausend widersprechende Gefühle durchwogten mich. Wie gern hätte ich ihnen, soweit ich vermochte, Worte gegeben gegen einen meiner Lieben im väterlichen Hause! Auch sie dachten dort gewiß bewegt an mich! Ich hoffte von jedem Augenblicke, er würde mir einen von ihnen zuführen. Endlich höre ich Tritte, die sich von der Treppe her nahen. Es sind Männertritte. Gewiß mein Vater! – Die Thür geht auf. – Da wird ein langgehegter Lieblingswunsch zur Unzeit erfüllt. Es ist der Friseur. –«
Wie kurz und abgerissen auch der letzte Theil dieser Mittheilungen sein möge, sie bieten uns doch genügenden Stoff zu einem Vergleich der Empfindungsweise Henriettens am Tage ihrer Hochzeit und dem folgenden mit der zur Zeit ihrer Verlobung. Und dieser berechtigt uns wiederum zu dem Schlusse auf eine mächtige und förderliche innere Entwickelung während der drittehalb Jahre ihres Brautstandes. Zufällig sind wir im Stande, ebenfalls vermittelst ihrer eigenen Feder, die Empfindungen darzustellen, von welchen acht und dreißig Jahre später, und zwar in Rom, die edle und noch immer schöne Frau, jetzt schon seit länger als vierzehn Jahren Wittwe, am Jahrestage ihrer Hochzeit durchdrungen war. Wir nehmen um so weniger Anstand dies[26] zu thun, als sie nicht blos das eheliche Verhältniß, welches wir begründen sahen, und welchem die Verstimmung der Braut am Hochzeitstage nicht zu einem üblen Omen wurde, betreffen, sondern ein durch sie veranlaßter Rückblick der Schreiberin auf den bis dahin zurückgelegten Lebenslauf einen wesentlichen Beitrag zur Charakteristik der ganzen Frau gewährt.
»Am 1. December 1817. Welch ein wiehtiger Tag für mich! Mein Hochzeittag! – Viele Jahre sind seit jenem Tage hingeschwunden, vieles habe ich erlebt, erlitten, genossen. Gott war immer von hoher Gnade gegen mich. Mein Leben war doch im Ganzen ein glückliches, und selbst den Schmerz möchte ich nicht missen, welchen die Liebe zu manchen Menschen, Liebe aller Art, mir verursachte. Reich war mein Leben an mannigfachen Gütern, die eben dieser Tag mir zuführte. Aechte Gottesfurcht mag spät in mir aufgegangen sein, aber Gott sei Dank, daß sie es doch endlich ist. Unsittlich freilich habe ich nie gelebt, wenn auch Jugend mich fehlen machte. Weich und treu war ich immer. Liebe der Menschen war mir stets viel, und jetzt, da Jugend und Schönheit entschwunden sind, die Lebhaftigkeit des Geistes gedämpft ist, jetzt, da die Welt sich nicht mehr zu mir drängt, fühle ich doppelt, daß ich ohne diese Liebe nicht glücklich sein kann. Oft wohl gilt mir der Glaube an Gott, das Vertrauen auf ihn, mehr als Alles was mir durch Menschen werden könnte. Bald aber wird das Verlangen nach diesen wieder mächtig in mir. Ich sehne mich nach solchen, auf welche ich mich mit Vertrauen stützen kann.«
»Die Zeit der Täuschungen über die Menschen ist freilich vorüber. Wäre ich jetzt so reich und so vornehm, als[27] ich schön und liebenswürdig war, sie könnte noch fortdauern. Wie ehemals die Schönheit mich in den Augen der Leute klug und geistreich machte, so würden es jetzt Reichthum und Stand thun. Besser daher für meine Seele, daß ich ohne Vermögen und geringen Standes bin; um so früher bin ich enttäuscht worden. Dank daher auch dafür dem gnädigen Gotte! – Möge er mich im Glauben stärken!«
Es folgt nun die Erinnerung an die bereits mitgetheilte Scene mit dem Vater am Hochzeitstage. Dann fährt die Schreiberin fort: »Meine Ehe darf ich ein glückliches Verhältniß nennen, wenn vielleicht nicht eigentlich eine glückliche Ehe. Die Ehe bildete für meinen Mann nicht einen Mittelpunkt seines Seins, und nächstdem war die unsere nicht durch Kinder gesegnet. Wäre mir dies Glück vergönnt gewesen, ich weiß, ich wäre eine gute Mutter geworden, wie ich eine gute Gattin war. Denn das Zeugniß darf ich mir geben: Mein Mann wurde durch mich so glücklich, als er es überhaupt durch eine Frau werden konnte.«
Das Letztere bezeugten Alle, welche ihr eheliches Verhältniß näher kannten. Ludwig Börne, als Zögling ihres Gatten längere Zeit Hausgenosse des Ehepaars, und daher hier um so urtheilsfähiger, als eheliche Mißklänge oft vor der Welt in die befriedigendsten Consonanzen aufgelöst werden, während sie daheim unaufgelöst das Haus durchschrillen, versicherte, wie Gutzkow in dessen Leben berichtet, nie eine Frau gekannt zu haben, welche sich besser in einen viel älteren Mann zu schicken gewußt hätte, als Henriette Herz. Weniger dürften ihre Zeitgenossen mit ihrer Behauptung einverstanden gewesen sein, daß zur Zeit, als sie[28] die vorstehenden Worte schrieb, ihre Schönheit schon entschwunden war. Ihre Reize waren eben während ihres Aufenthalts in Italien noch mächtig genug, um einen um zwanzig Jahre jüngeren Freund zu dem lebhaftesten Wunsche einer ehelichen Verbindung mit ihr hinzureißen.
Und hier sei es uns um so mehr vergönnt, einiges Nähere über ihr Aeußeres zu sagen, über welches wir bisher nur andeutend sprachen, als es ein mächtiges erstes Anziehungsmittel für viele der bedentendsten Männer war, welche durch ihre inneren Eigenschaften später für das Leben an sie gefesselt wurden. Noch ist ein, sie als Hebe darstellendes Portrait in halber Figur von der Hand der bekannten Malerin Dorothea Therbusch aus der Zeit ihres Brautstandes vorhanden, und ein anderes von Graff, sie als junge Frau darstellendes, welches im Besitz ihres kürzlich verstorbenen Jugendfreundes Gottfried Schadow, Direktor der Akademie der Künste zu Berlin, war. Diese Bilder, im Verein mit einer ebenfalls erhaltenen Büste von der Hand des Letzteren aus dem Aufange ihrer zwanziger Jahre, und den eigenen Erinnerungen des Schreibers dieser Zeilen aus einer späteren Epoche ihres Lebens, bieten alle zur Schilderung desselben erforderlichen Anhaltspunkte.
Henriette Herz war von einem so hohen Wuchse, daß ihre Gestalt ziemlich weit die durchschnittliche Größe ihrer Geschlechtsgenossinnen überragte. Unter den Frauen Berlins möchte ihrer Zeit nur die Königin Louise von Preußen sie in dieser Beziehung erreicht haben. Bis zum Eintritt des Alters gesellte sich diesem ausgezeichneten Wuchse eine höchst gefällige Fülle der Formen, welche scharf das Maaß[29] innehielt, erforderlich um der ganzen Gestalt nicht den Eindruck des Schlanken zu rauben. Gewährte sie hiernach beim ersten Blicke vorherrschend ein imposantes Bild, so daß es ihr in Berlin den Namen der tragischen Muse zuwege brachte, so bot bei einem näheren ihr Kopf das der zugleich reinsten und mildesten weiblichen Schönheit. Selten nur mag die Natur ein Profil erzeugt haben, welches sich in solchem Maaße wie das ihre den schönsten aus der Zeit griechischer Kunst näherte. Namentlich war die fast lothrechte Linie, in welcher die Nase sich an die Stirn ansetzte, in dieser Beziehung klassisch, ein Vorzug, welcher noch an dem Kopfe der Greisin zu erkennen war, und nicht minder staunenswerth war die Reinheit des Ovals ihres Gesichts. Dem kleinen Munde, dessen perlengleiche Zahnreihen von zugleich feingezeichneten und vollen Lippen umsäumt wurden, war das anmuthigste Lächeln eigen. Der Glanz der dunklen, im Bogen von feinen schwarzen Brauen überwölbten, in mildem Feuer leuchtenden Augen, wurde durch einen frischen, aber durchaus zarten Teint gehoben, und dieser wieder durch das reichste dunkle Haar. Was Laien an ihrem Aeußeren tadelten, während Künstler auch darin eine wunderbare Uebereinstimmung mit dem kanonischen Verhältnissen aus der klassischen Zeit griechischer Skulptur sahen, war, daß der Kopf im Verhältniß zu dem übrigen Körper etwas klein erschien.
Zu den vielen, an Geist und Herz hochstehenden Männern, welche allein ein in so hohem Grade anziehendes Aeußere, ohne daß sie die durch dasselbe Begünstigte irgend weiter kannten, eine Zeit hindurch magnetisch überall hinzog, wo sie hoffen durften, sich ihres Anblicks zu erfreuen, gehörte[30] unter Anderen der in Berlin im Jahre 1839 als Geheimer Ober-Bergrath in hohem Alter verstorbene Carl von Laroche, Sohn der Schriftstellerin Sophie v. Laroche, welcher in seiner Jugend, wie Henriette Herz zu den schönsten Frauen, so zu den schönsten Männern der Zeit gezählt wurde. Und als dem Sehen und Betrachten die persönliche Bekanntschaft gefolgt war, blieb er ihr länger als ein halbes Jahrhundert hindurch der treuergebenste Freund. – Ja sie wurde eine Art von Probirstein für weibliche Schönheit. Man setzte berühmte Schönheiten dem Focus der ihren aus, um zu erkunden, ob sie nicht durch diese vernichtet werden würden. Ein Beispiel unter mehreren. Wenige Jahre nach ihrer Verheirathung kam ein russischer General mit seiner Frau nach Berlin, einer Cirkassierin, wegen ihrer Schönheit selbst in ihrem Vaterlande, dem Stammsitze der Schönheit der kaukasischen Race, berühmt. Einige vornehme Polinnen, welche sich von Herz ärztlich behandeln ließen, und ihre Bekanntschaft gemacht hatten, behaupteten, daß die Gattin des Letzteren sie dennoch hinter sich lasse. Einen lebhaft deshalb geführten Streit, der sich auch über weitere Kreise verbreitete, auf die angemessenste Weise zu schlichten, ordneten sie ein Dejeuner an, zu welchem beide Frauen geladen wurden, Henriette wenigstens ohne den Zweck desselben zu kennen, welchen sie erst später erfuhr. »Ich sehe sie noch in ihrer ganzen Schöne vor mir,« sagt diese darüber in ihren Erinnerungen, »die anmuthige Gestalt, deren kleinste Bewegung zierlich war, im leichten weißen Morgengewande von dünnem, schöne Falten werfenden Stoffe, mit dem schwarzen, langen, sie umwallenden Haar. Und zog sie durch ihre Schönheit an, so noch mehr[31] durch ihre Kindlichkeit, durch ihre naive Ausdrucksweise. Wäre ich der trojanische Königssohn gewesen, ich wüßte, daß ihr der Apfel zu Theil geworden wäre.« – Ob die Gesellschaft diesem Urtheile beistimmte, muß dahin gestellt bleiben. Kaum dürfte es anzunehmen sein, denn andernfalls würde die Schreiberin es berichtet haben. –
Wie könnte es befremden, daß so viele äußere Schönheit, gepaart mit einem liebenswürdigen Gemüthe, und beide bald durch eine nicht gewöhnliche Geistesbildung noch gehoben, viele der Jünglinge, welchen es vergönnt war, sich der jungen Frau zu nahen – und ihr Gatte beschränkte sie in ihrem Umgange nicht – selbst zu leidenschaftlicher Liebe hinriß. Die Beziehungen mehrerer geistreicher, später zu europäischem Rufe gelangter Jünglinge zu ihr trugen in ihren Anfängen diese Farbe. Aber die Wogen der Leidenschaft brachen sich zuletzt an der Sittlichkeit der Geliebten. Hatte sie mit ihrer Hand auch nicht zugleich ihr Herz vergeben, ihr Pflichtgefühl schützte sie vor jedem Fehltritt. Und bald machte dann die Leidenschaftlichkeit der jungen Männer einem reineren Gefühle Platz, der Achtung, deren Frucht auch hier wieder eine innige, das Leben hindurch währende Freundschaft ward. Heiße Kämpfe mögen bis zu dieser Umgestaltung des Verhältnisses die Brust der jungen Frau bewegt haben. Die Gewöhnlichkeit, in welch ein gleißendes Gewand sie sich auch vor ihr verhüllte, hätte diese freilich nie in ihr hervorrufen können, aber die Männer, welche in Liebe für sie glühten, waren befähigt durch alle Blitze des Geistes zu zünden.
Und die Behauptung, daß Männer solcher Art ihr aus allen Ländern Europas zuströmten, ist keine übertriebene.[32] Der Ruf ihrer Schönheit war bald so verbreitet, daß kaum ein ausgezeichneter Mann einen auch nur kurzen Anfenthalt in Berlin machte, ohne die Bekanntschaft der schönen Henriette Herz gesucht zu haben. So darf es nicht Wunder nehmen, daß wir auch Mirabeau, zur Zeit seines Aufenthalts hieselbst schon als geistreicher Schriftsteller berühmt, und wenngleich noch nicht der Held der französischen Revolution, doch der Held mancher Liebesabenteuer deren Geschichte Europa durchflog, unter denjenigen finden, welche sich um die damals etwa zwei und zwanzigjährige Frau schaarten.
Sollen wir sagen, daß solche Huldigungen ihrer Eitelkeit nicht schmeichelten? Wir würden dadurch der Wahrheit zu nahe treten. Und in der That wäre es von einem Weibe zu viel verlangt gewesen. Sie selbst hat sich in reiferen Jahren wegen ihres Verhaltens gegen manchen ausgezeichneten jungen Mann scharf getadelt. Sie schreibt über eines jener Verhältnisse zu einem, später als Gelehrter wie als Staatsmann gleich berühmt gewordenen Jünglinge: »Sein Gefühl zu mir hätte sich nie zur Leidenschaft gesteigert, wäre ich zurückhaltender gewesen. Nicht irgend ein Verhältniß eines Mannes zu einer Frau, selbst nicht das, welches man: den Hof machen nennt, kann stattfinden, geht die Letztere nicht auf irgend eine Weise darin ein, oder läßt doch geschehen, was sie nicht geschehen lassen sollte. Auf wie feine, geistige Weise ein Mann sich auch einer Frau nähere, sie hat es in ihrer Gewalt, ihn von sich entfernt zu halten. Sieht er die unzweifelhaft ernste Absicht dazu, er wird fern bleiben. Die entstehende Neigung wird im Keime unterdrückt, ja selbst das schon angefachte[33] Feuer der Leidenschaft wird erstickt; und – hiermit habe ich mir mein Urtheil gesprochen. Meine Eitelkeit allein war schuld, daß so viele Männer aller Arten und Stände mir den Hof machten, ja in heftiger Leidenschaft zu mir entbrannten.«
Jedenfalls aber hüten wir uns, dieser Selbstanklage der Schreiberin einen schwereren Fehl zu Grunde zu legen, als den einer Läßlichkeit. Unsittliche Verhältnisse tadelte die sonst mildgesinnte Frau an Andern zu lebhaft, als daß sie selbst sich solche gestattet hätte. So finden wir in ihrem italienischen Tagebuche über ihre Besuche in den Häusern Orlandini und Santini in Florenz im Jahre 1817 Folgendes: »In beiden Häusern fand ich viele schöne Frauen, aber fast alle hatten roth und weiß aufgelegt. Dies paßte auch ganz zu ihren Verhältnissen. Denn nur zwei waren in Gesellschaft ihrer Männer da, die meisten aber mit ihren cavalieri serventi. Diese, der Ruchlosigkeit Thür und Thor öffnende Sitte ist noch in völligem Flor.«
Jene Herzensergießung zeugt vielmehr von der Strenge, mit welcher sie über sich selbst urtheilte, eine um so achtungswerthere, als die Huldigungen, welche ihr vielleicht in höherem Maaße als irgend einer Frau ihres Standes gezollt wurden, auf minder bevorzugte Naturen ohne Zweifel die entgegengesetzte Wirkung hervorgebracht hätten. Aber wir sind sogar in dem Falle sie gegen sich selbst vertheidigen zu müssen. Daß die Neigung so ausgezeichneter junger Männer ihr schmeichelte, haben wir zugegeben. Schreibt sie diese jedoch allein ihrem Verhalten gegen sie zu, so ist dies eben nur Wirkung ihrer Bescheidenheit, einer aus so ernster Selbstprüfung mit Nothwendigkeit hervorgehenden[34] Tugend. Daß sie schön war, und geeignet zu gefallen, wußte sie freilich, und die Unwahrheit und Heuchelei, dies Bewußtsein zu läugnen, war ihr fremd. Erachtete sie jedoch Art und Maß dieser Vorzüge nicht genügend, um allein die Gefühle jener Jünglinge für sie bis zur Liebe, ja bis zur Leidenschaft zu steigern, so thut sie sich Unrecht. Ein noch größeres aber, wenn sie sich anschuldigt, ein gänzlich leeres Spiel der Eitelkeit mit ihnen getrieben zu haben. Die Kälte des Gemüths, welche dazu erforderlich gewesen wäre, war ihr fremd. Ihr Herz war, wie wir dies schon aussprachen, sicher von dem Verhältnisse zu ihnen nicht unberührt geblieben. –
Das Bedeutende des geistigen Moments, welches damals schon in den Beziehungen der jungen Frau zu ihren zum Theil noch jüngeren Freunden waltete, dürfen wir mehr voraussetzen, als daß wir es belegen könnten. Ihren höchst ausgedehnten Briefwechsel, welcher am besten geeignet gewesen wäre, Auskunft darüber zu ertheilen, ja überhaupt vermittelst der Art, auf welche ihr Wesen aus der Auffassung der Freunde zurückstrahlte mehr als irgend eine direkte Schilderung geeignet, ein Bild ihrer ganzen Individualität zu geben, und für dessen Werth schon die berühmten, zum Theil europäischen Namen der Schreiber der Briefe sprechen, hat sie bis auf einige kleine Ueberreste in einem Augenblicke vernichtet, als Publikationen, welche sehr zarte Verhältnisse werther Freunde und Freundinnen der Oeffentlichkeit anheimgaben – sie glaubte, in der Absicht einen Schatten auf deren Charakter zu werfen – sie tiefschmerzlich berührten. Der Verlust ist nach der Kenntniß, welche der Schreiber dieses von einem nur kleinen Theile[35] desselben zu einer Zeit erlangte, als er jenen plötzlichen Entschluß noch nicht ahnen konnte, ganz unersetzlich. Und hier die Bemerkung, daß uns auch in diesem Zuge eine beachtenswerthe Aehnlichkeit ihrer Sinnesweise mit derjenigen der Recamier aufstößt. Auch diese hat, sehr wahrscheinlich aus ähnlichen Beweggründen, die Veröffentlichung der in ihrem Nachlasse befindlichen Briefe untersagt. Aber unter jenen Reliquien war ein Schreiben eines jüngeren Freundes schon vom Jahre 1788, in dramatischer Form, welches sie und ihre Freundin Dorothea Veit, die Tochter Moses Mendelssohns und später Gattin Friedrich Schlegels, redend, und, wie die Verstorbene versicherte, mit aller Treue, ja einige ihrer Ansichten wörtlich wiedergebend, einführt, und welcher für einen eben so geistreichen als anregenden mündlichen Verkehr spricht. –
Der Trieb zu geistiger Ausbildung war in Henrietten ohne Zweifel schon sehr früh wach, so wenig die Letztere geregelt worden sein mochte. Die Wahl des klug erwägenden Marcus Herz spricht nicht nur für diese Annahme, sondern auch dafür, daß die Hoffnungen, welche sie in dieser Beziehung in ihm erweckte, sehr große waren. Vermöge seines geistreichen Wesens, seines Witzes und seiner geselligen Talente befähigt und geneigt, durch bedeutende Verbindungen fast genöthigt, sein Haus zu einem Mittelpunkte höherer Geselligkeit zu erheben, während er zugleich bei dem Umfange seiner Berufsgeschäfte voraussehen konnte, seiner Gattin oft die Sorge für die Ehren desselben allein überlassen zu müssen, mußte diese befähigt sein, ihm entsprechend zur Seite zu stehen. Und so dürfen wir einem noch vorhandenen Hochzeitcarmen, welches neben ihrer[36] Schönheit und ihrem Gemüthe schon ihren Geist feiert, auch in dieser Hinsicht wohl mehr Glauben beimessen, als sonst Gelegenheitsgedichte solcher Art verdienen.
Aber die eigentliche Entwickelung ihrer natürlichen Anlagen haben wir erst von ihrer Ehe an zu datiren. Ihr Gatte war in dieser Beziehung so lange zugleieh ihr Erzieher, bis sie auf eigenen Füßen stand, wo sie dann den Kreis ihres Wissens nach Wahl und Neigung erweiterte. Bei der geistigen Klarheit und Schärfe, welche ihm, und der geistigen Empfänglichkeit, welche ihr eigen war, dürfen wir nicht bezweifeln, daß auch im Gebiete der schönen Literatur, auf welches ihr Geschlecht sie vorzugsweise hinwies, seine Ansichten Anfangs maaßgebend für sie wurden. Doch werden wir in ihren Mittheilungen Beweise einer frühen, für ihre Selbstständigkeit sprechenden Emancipation finden. Diese trat ein, als eine neue belletristische Schule erstand, welche sich vorzugsweise an die Phantasie und das Gemüth wendete, und daher zu ihrem Gatten, bei seiner vorherrschenden Verstandesrichtung, in einer ihm fremden Zunge sprach, während ihr eben jene Eigenschaften bei der Gattin zu einer kräftigen Stütze wurden. Auch über den Antheil, welchen sie sich an dem geistigen Leben in ihrem Hause zuschrieb, werden wir sie am Füglichsten später selbst berichten hören. Wenn sie jedoch bei dieser Gelegenheit flüchtig nur erwähnt, daß sie »mehrere Sprachen trieb«, so müssen wir bei diesem Gegenstande ergänzend einige Augenblicke verweilen.
Ihre Sprachkenntnisse gaben Anlaß, sie zu den gelehrten Frauen zu zählen. Und in der That wußte sie von den alten Sprachen hebräisch, griechisch und latein, von[37] den neueren französisch, englisch, italienisch, spanisch und schwedisch, und die Letzteren, namentlich das Französische, Englische und Italienische sprach sie mit Geläufigkeit. Aber die Sprachen, mit Ausnahme der hebräischen, welche sie erlernen mußte weil ihr Religionsunterricht es erforderte, waren ihr nie etwas Anderes, als ein Mittel auf dem geeignetesten Wege die Kenntniß der Literatur der betreffenden Völker zu erlangen, sowie, bei ihrer Hinneigung zu einer höheren Geselligkeit und ihrem Bestreben aus ihrem Umgange den möglich größten geistigen Nutzen zu ziehen, dazu, sich mit den vielen Ausländern, zu welchen sie in Beziehung kam, in deren Muttersprache unterhalten zu können. Ja, um den Letzteren so wenig fremd als möglich entgegenzutreten, bemühte sie sich sehr, und bei ihrem angebornen Talente dazu mit großem Erfolge, um eine richtige und elegante Aussprache der neueren Sprachen. Nächstdem können wir ihr noch, wenn wir uns so ausdrücken dürfen, eine gewisse linguistische Neugier zuschreiben. Sie fand ein Vergnügen darin, sich auch von solchen Sprachen eine Notion zu verschaffen, mit welchen sich ernst zu beschäftigen sie nie beabsichtigte. So hat sie, irren wir nicht durch Bopp, einige Ansichten von Sanskrit zu erlangen gesucht, ja noch in ihren letzten Lebensjahren sich bestrebt, sich einiges Türkisch und Malayisch anzueignen. Zu dem ersteren Zwecke benutzte sie eine flüchtige nachbarliche Bekanntschaft mit einem Attaché bei der türkischen Gesandtschaft, als der damalige Gesandte Kiamil Pascha neben ihrer Sommerwohnung im Thiergarten wohnte, zu letzterem die Anwesenheit eines ihrer Neffen, niederländischem Beamten auf Java, in Berlin; Bestrebungen, welche immerhin[38] von ihrer bis in das späteste Alter hineinreichenden, geistigen Regsamkeit zeugen mögen. – Von einem eigentlich philologischen Standpunkte aus hat sie sich jedoch nie mit den Sprachen beschäftigt, und noch weniger war es ihr Zweck, in die Tiefen des Sprachgeistes einzudringen.
Aus ihren Kenntniß des Englischen gingen auch die beiden einzigen literarischen Leistungen hervor, welche sie hinterlassen hat, wenn nämlich die Uebersetzung zweier englischen Reisewerke ins Deutsche diesen Namen verdient. – Sie fühlte sich gedrungen, einen Beitrag zu der Aussteuer einer nahen Verwandtin zu leisten, und ihre stets zur That bereite Liebe scheute die mühsame und wenig dankbare Arbeit des Uebersetzens nicht, um die Mittel dazu zu beschaffen. Diese Werke sind: Mungo Park's Reise in das Innere von Afrika in den Jahren 1795–971; und: Weld's des Jüngeren Reise in die vereinigten Staaten von Nordamerika2. – Bibliographen dürfte die Kunde interessant sein, daß Schleiermacher, welcher auch in Gemeinschaft mit Heindorf die Vermittelung bei den Verlegern übernahm, denen es unbekannt blieb, von wem die Uebersetzungen herrührten, beide durchgesehen, und an der des letztgenannten Werkes sogar bedeutenden Antheil hat, und Freunden Schleiermachers die, daß der ihnen wohlbekannte Schreibschrank, an welchem sie ihn so oft arbeitend fanden, und an welchem er den größten Theil seiner Werke schrieb, der Dank der Freundin für diesen Antheil ist. Die Zeit, zu[39] welcher sie des Honorars bedurfte, rückte heran, und die Uebersetzung war kaum zur Hälfte beendet. Da übernahm der treue Freund, mit Hintenansetzung eigener Arbeiten, einen großen Theil derselben. Die Annahme eines Theils des Honorars verweigerte er jedoch entschieden. Doch die Freundin wußte, daß er einen Schreibschrank mit vielen Behältern, demjenigen gleich, an welchem Spalding arbeitete, stets für sich sehr wünschenswerth erachtet hatte. Sie ließ einen völlig gleichen anfertigen, und diese Gabe durfte der Freund nicht ablehnen.
Ein Zufall verschaffte der Uebersetzerin etwa achtzehn Jahre später die Bekanntschaft des Autors eines jener Werke. Sie war in Rom, und stieg eben die spanische Treppe hinauf, als ein Herr herabkam, welchen ihr Begleiter, nachdem er einige Worte mit ihm gewechselt hatte, ihr als Mr. Weld vorstellte. Sieh da, es war ihr Reisebeschreiber! Sie hatte ihn jedoch als solchen viel unterhaltender gefunden, als sie ihn als Reisenden fand. –
Mit eigenen Schöpfungen an die Oeffentlichkeit zu treten, wagte sie nicht, und dieser Mangel an Vertrauen zu ihrer schaffenden Kraft dürfte zu bedauern sein. Sie hatte zwei Novellen geschrieben, deren eine sich sogar des Beifalls ihrer scharf kritisirenden Freundin, Dorothea v. Schlegel, zu erfreuen hatte, wahrend Diese die andere langweilig fand. – »Ich übertrug den Tadel auch auf die Erste«, erzählte die Verstorbene. »Ich sah beide von da ab mit Unlust an, und vernichtete sie bald mit Lust.« –
Wenden wir uns zu den Verhältnissen zurück, in welche ihre junge Ehe sie zunächst einführte. – Mit ihr trat sie erst in das Leben ein, und bildet überhaupt schon das Leben[40] in höherem Maaße als die Wissenschaft, so mußte dasjenige, welches sich ihr eröffnete, vorzugsweise so wirken. Marcus Herz war mit allen damaligen Trägern der Intelligenz Berlins befreundet, und gern übertrugen diese ihre Freundschaft auch auf die junge, schöne und empfängliche Frau. Daß die innigsten Beziehungen, in welche sie zunächst trat, die mit den Koryphäen der Belletristik und den geistvollsten Freunden derselben waren, ist begreiflich. Wir finden in ihrem näheren Umgange die damals glanzvollsten Namen unter den Ersteren, deren Glorie freilich eine spätere Literaturepoche um etwas verdunkelt hat. Ramler, Engel, Moritz gehörten in Kurzem zu den Schriftstellern, mit welchen sie vielfach in und außer ihrem Hause verkehrte. Aber auch mit dem älteren Spalding, der trotz vorgerückter Jahre den Bewegungen der schönen Literatur mit Theilnahme und jugendlicher Lebhaftigkeit folgte, mit Teller, welchem bis zu seinem Lebensende der Sinn für alles Schöne treu blieb, mit Zöllner, trotz seines geistlichen Standes sehr gewandter Weltmann und angenehmer und belehrender Gesellschafter, bildeten sich bald freundschaftliche Verhältnisse, ein noch vertrauteres zu Dohm, etwas später ein Gleiches zu dem jüngeren Spalding. Die Musik war in ihrem Kreise durch den vielseitig gebildeten Reichardt vertreten, die Skulptur durch Schadow. Auch der nirgend fehlende Nicolai huldigte, trotz der ihm inwohnenden Prosa, der Jugend und Schönheit, ja sogar der damals fast schwärmerischen Sentimentalität der interessanten Frau. – Schon in den achtziger Jahren traten, kaum noch Jünglinge, die Brüder Humboldt in ihren Kreis, zu denen ihre Beziehungen bald sehr freundschaftliche wurden, nicht lange[41] nach ihnen Graf Christian Bernstorff, Gentz und Graf Alexander Dohna, dessen Verhältniß zu ihr vielleicht mehr als das irgend eines ihrer Freunde den Charakter der Liebe trug. Die neunziger Jahre führten ihr unter mehreren ausgezeichneten Männern v. Brinckmann, Feßler, Friedrich Schlegel, endlich Schleiermacher zu, mit welchem sie von allen ihren Freunden wohl auf das dauerndste und innigste verbunden blieb. Daneben blieb ihr von fremden Notabilitäten, welche Berlin in seinen Mauern sah, fast nichts fern, und für Mehrere derselben ward ein kurzer Aufenthalt Anlaß zu lange fortgesetzter brieflicher Mittheilung.
Hervorheben müssen wir hier, weil es, wir wollen nicht sagen einen tiefen Scharfblick, doch mindestens einen feinen geistigen Takt in der jungen Frau beweist, daß sie nicht erst die Berühmtheit der sich ihr Nahenden abwartete, um sie bedeutend zu finden, sondern lange vorher ihren Werth, wenn nicht erkannte, doch ahnte. Ja enger vielmehr als ihren übrigen Freunden schloß sie sich diesen »Werdenden« an, welche als solche um so »dankbarer« waren, was hinwieder die Zuneigung der Freundin steigernd, die gegenseitigen Bande zu den festesten gestaltete. –
Als einen Mangel in ihr würden wir es jedoch erkennen müssen, hätte ihre Anziehungskraft sich nur bei Männern geltend gemacht. Ihre reine Weiblichkeit führte auch die bedeutendsten Frauen ihr entgegen. Und Berlin war in ihren früheren Jahren an diesen sehr reich. Sie webten die duftendsten Blüthen in den Kranz der Geselligkeit. Sie waren es, welche dieser eine eigenthümliche, noch heute merkbare Färbung verliehen, ja man darf sie vielleicht die[42] eigentlichen Schöpferinnen des Conversationstones dieser Hauptstadt nennen. –
Die in Geist und Gesinnung Verbundenen suchten bald, sich für das gemeinsame Streben eine festere Form zu schaffen, als das bloße gesellige Zusammen leben bot, welches man mit Vielen, mitunter Gleichgültigen zu theilen genöthigt war. Ein Bund zu gegenseitiger sittlicher und geistiger Förderung ward, namentlich unter den jüngeren Freunden, geschlossen. In ihn fanden auch außerhalb Berlins lebende hervorragende weibliche Persönlichkeiten Aufnahme, Frauen und Jungfrauen, von denen durch die männlichen Theilnehmer dem hiesigen Kreise Kunde gekommen war. Die weiblichen Mitglieder des Letzteren, welche kein Bedenken tragen durften, gegen ihre Geschlechtsgenossinnen entgegenkommend zu sein, setzten sich brieflich in Beziehung zu ihnen. Ohne sich von Person zu kennen, eröffnete man einander Herz und Sinn, und die fruchtreichste Mittheilung erwuchs. Viele Mitglieder des Bundes, zumal die mehr als die Männer an die Scholle gefesselten Frauen, lernten einander niemals persönlich kennen, andere erst in sehr späten Epochen ihres Lebens. Aber im letzteren Falle trat man sich auch dann noch als innig Vertraute entgegen. Lernte man doch nur die Hüllen der Geister und Herzen kennen, die sich längst schon bis in ihre geheimsten Falten hinein erschlossen hatten.
Gleichwie ein Mittelpunkt für die höhere Geselligkeit Berlins, vermöge des Hauses, welches sie im Verein mit ihrem geistreichen Gatten machte, und dessen äußerer Aufrechterhaltung Dieser den größten Theil der Einnahme widmete, welche die ausgedehnteste ärztliche Praxis ihm ertrug,[43] war sie auch ein Mittelpunkt jenes Bundes. So auf mannichfachen Wegen anregend und fördernd, ja, wo es nöthig erschien, mit Entschlossenheit eingreifend, wirkte sie segensreich im weitesten Kreise. Eigene Mittheilungen der trefflichen Frau werden den Leser mit der Frische der Unmittelbarkeit in manche ihrer Verhältnisse in diesem Zeitraum ihres Lebens einführen. Wir haben sie eben deshalb nur flüchtig angedeutet.
Doch während sie auch den bevorzugtesten Naturen nicht nur genügte, sondern eben wegen ihrer schönen Wirksamkeit ein Gegenstand der Liebe und Verehrung war, genügte sie sich selbst nicht. Gleich allen tüchtigen Charakteren erachtete sie sich, als ein begabtes Glied der menschlichen Gesellschaft, dieser gegenüber in viel höherem Maaße verpflichtet als berechtigt. Wir können es uns nicht versagen, eine Stelle aus einem Briefe Schleiermachers hier mitzutheilen, welcher eine betreffende Klage ihrerseits zum Grunde liegt. Sie wird zugleich beurkunden, in welchem Grade dieser ausgezeichnete Mann die Bedeutung der Freundin und den Werth ihrer Wirksamkeit würdigte. – Der Brief ist aus Landsberg und vom 6. Sept. 1798.
»Eigentlich,« schreibt Schleiermacher, »giebt es doch keinen größeren Gegenstand des Wirkens als das Gemüth, ja überhaupt keinen anderen; wirken Sie etwa da nicht? – O, Sie Fruchtbare, Sie Vielwirkende, eine wahre Ceres sind Sie für die innere Natur, und legen einen so großen Accent auf jene Thätigkeit in die Außenwelt, die so durchaus nur Mittel ist, wo der Mensch in dem allgemeinen Mechanismus sich verliert, von der so wenig bis zum eigentlichen Zweck und Ziel alles Thuns hingedeiht,[44] und immer tausendmal so viel unterweges verloren geht! – Und jenes Thun und Treiben, wobei sich der Mensch müht und schwitzt – was er doch eigentlich nie thun sollte – ist es nicht lärmend und tobend gegen unsere stille Thätigkeit? Wer vernimmt etwas von uns? was weiß die Welt von unserer inneren Natur und ihren Bewegungen? ist ihr nicht Alles Geheimniß? – Eine Priesterin der Venus Urania sollte nie der Isis dienen, der ungestalten mit ihren tausend Brüsten, an die sich alles Nichtswerthe anlümmelt. Jene Göttin hat freilich nur zwei; aber sie sind der Sitz der Freundschaft und Liebe, und sie deckt sie mit einem Händchen gegen die Blicke aller Profanen der Welt. Die, und nur die wollen wir anbeten. Und vor diesem Altare werden Sie gewiß bekennen müssen, daß Sie an der rechten Stelle stehen. – Sehen Sie nur was Sie gethan haben und noch thun und thun werden, und gestehen Sie, daß dieses Thun und Bilden unendlich mehr ist, als alles was der Mensch über das große Chaos, welches er sich zurecht machen soll, gewinnen kann.«
Doch des Freundes schöne und bedeutsame Worte waren vergebens gesprochen. Ein unbefriedigtes Sehnen nach einer ihr entsprechenden Wirksamkeit zog gleich einem Mißklang durch das Innere der sonst in sich so harmonischen Frau. Noch bis zu ihrer letzten Lebenszeit erfüllte es sie mit Wehmuth. Von der Zeit an, von welcher die Abnahme ihrer physischen und geistigen Kräfte sich ihr merkbar machte, pflegte sie dies Gefühl in die Klageworte zu kleiden: »Man hat mich nicht genug benutzt, als ich noch fähig war zu nützen!« – Sollen wir den Grund dieses Sehnens und der Vergeblichkeit aller Bestrebungen ihrer Freunde es zu beseitigen,[45] aussprechen? Das Schicksal hatte ihr das schönste und befriedigendste Feld der Wirksamkeit einer Frau verschlossen. Sie, welche die liebendste Mutter gewesen wäre, blieb kinderlos. Keine Wirksamkeit wäre vermögend gewesen, ihr diese zu ersetzen. Dies war die ihr selbst niemals bewußt gewordene Ursache jener Unbefriedigung.
Andererseits freilich gewährte ihr ihre Kinderlosigkeit eine um so freiere Verfügung über ihre Zeit. Und die Freundlichkeit ihres Gatten gegen sie, sein Wunsch, daß stets neue Anschauungen ihr stets neue Quellen inneren Reichthums eröffneten, gestattete ihr öftere Ausflüge mit Freundinnen, von welchen sie nicht ohne Ausbeute selbst an den interessantesten persönlichen Bekanntschaften heimkehrte. Sachsen, der Harz, Braunschweig, waren das Ziel wiederholter Reisen. Aber zuerst im Jahre 1799 wurde ihr die Freude, Dresden und seine artistischen Schätze zu sehen, zu welchen schon längst ihre Liebe zur Kunst sie um so mehr hingezogen hatte, als Berlin vor der Errichtung des Museums weniges der Art bot, und der Zugang zu diesem Wenigen für das größere Publikum mit Schwierigkeiten oder doch mit Umständlichkeit verbunden war. Ihrem, auf dieser Reise geführten Tagebuche zufolge sah sie die Sammlungen Dresdens in kunstverständigster Gesellschaft; in der der Frau Körner, welche selbst sehr gut in Sepia zeichnete, wie sie denn überhaupt viel in der Körnerschen Familie war – bei welcher Gelegenheit wir denn auch von ihr erfahren, daß der »kleine Theodor«, damals 8 Jahr alt, »mit vieler Leichtigkeit zeichnet« – der Stock, einer Schwester der Frau Körner und trefflichen Pastellmalerin, und der berühmten Seidelmann. Bildete sich gleich ihr Kunsturtheil erst später[46] durch ihre italienische Reise aus, namentlich von der Zeit an, als sie die Schätze dieses Landes in Begleitung ihrer geistreichen und kunstsinnigen Freundin Caroline von Humboldt sah, so treten uns doch auch schon aus ihren damaligen Kunsturtheilen zahlreiche Beweise eines durchaus gesunden Gefühls entgegen. Führen wir als Beleg ihre Aeußerungen über das bedeutendste Werk in der Dresdner Gallerie und eines der hervorragendsten der bildenden Kunst überhaupt an, über Raphaels Sixtinische Madonna. »Gewaltig, ja bis zu Thränen ergriffen« – schreibt sie – »ward ich von der Hoheit der Madonna mit dem Christkinde von Raphael. Leicht steht sie da von Wolken getragen, in vollster jungfräulicher Unbefangenheit, Unschuld und Schönheit. Ihr zugleich erhabenes und anspruchloses Wesen flößt hohe Ehrfurcht ein, ohne sie zu gebieten. Das Kind ist völlig Kind; nur der ernste tiefe Blick verräth, welch ein Kind es ist, und welch ein Mann es einst werden wird.« – Unsere heutigen Kunstphilosophen mögen über die Einfachheit dieses Urtheils lächeln, wir bezweifeln jedoch, ob prunkendere und philosophisch klingende Worte Wahreres und Treffenderes über das Werk aussprechen würden. – Wenn Correggio's »Nacht nicht den erwarteten großen Eindruck« auf sie machte, so haben wir bei der damaligen Vergötterung dieses Werkes, welche es weit über Jenes Raphaels stellte, darin eine erfreuliche Selbstständigkeit des Urtheils zu erkennen. Ihr stand die Conception eines Kunstwerkes in erster Linie, und keine schlagendsten Lichtwirkungen, keine schwierigsten Verkürzungen, keine weltliche Anmuth konnten ihr einen Ersatz für den, dem Werke abgehenden Ernst und[47] für die Hoheit der Auffassung bieten, welche sein Gegenstand ihr gebieterisch zu fordern schien. –
Inzwischen erweiterte sich mit dem Ende des vorigen Jahrhunderts und in den ersten Jahren des gegenwärtigen der Kreis der Befreundeten äußerlich immer mehr. Zwar hatte der Tod älterer Freunde auch manche Lücke gerissen, und nicht minder die Abwesenheit jüngerer von Berlin, unter welchen die langdauernde Alexanders von Humboldt wohl am tiefsten empfunden wurde, aber sie füllten sich durch neue, unter welchen wir hier nur Friedrich Schlegel, Zelter, Hirt, Delbrück erwähnen wollen. – Da traf sie ein tieferschütternder Schlag in dem Tode ihres Gatten, welcher Anfangs des Jahres 1803, erst im höheren Mannesalter, nach kurzer Krankheit starb. – Berechtigen uns gleich die Mittheilungen der Gattin über ihr eheliches Verhältniß zu der Annahme, daß es der höchsten Weihe entbehrte, so war sie dem Gatten doch durch die treuste, auf Achtung und Dankbarkeit gegründete Freundschaft verbündet, und geistig mannigfach mit ihm verwachsen. Mit Recht bemerkte ihr daher Schleiermacher, als er den Tod des Mannes, welcher auch ihm ein Freund war, von ihr erfahren hatte: »Herzs Verhältniß zu Dir und Deinem Leben war ein vielfaches und wunderbar verschlungenes.« – Ihr Schmerz aber war fast ein halbes Jahr nach dem Tode des Gatten noch so frisch, daß sie dem Freunde schrieb: »Wenn ich recht in mich hineingehe, möchte ich immer weinen«, und das Gefühl, einen Theil ihrer selbst mit ihm in die Gruft gesenkt zu haben, so lebendig, daß sie hinzufügte: »Mir ist, als könnte ich nie wieder so werden, wie ich war!« –[48]
Auch ihren äußeren Verhältnissen drohte mit dem Tode des Gatten eine empfindliche Wandelung. Ihr Leben und Wirken fußte auf der Geselligkeit. Herz hatte, wie wir schon sagten, den größten Theil seiner reichen Einkünfte darauf verwendet, sein Haus zu machen. Waren es freilich nicht die den Gästen dort gebotenen materiellen Genüsse, was sie hinzog, so sind diese doch in der deutschen Gesellschaft einmal ein hergebrachtes Erforderniß. Mit Recht bemerkte Henriette Herz in dieser Beziehung in ihrem italienischen Tagebuche, als sie bei der gelehrten, aber alten, kränklichen und häßlichen Signora Marianna Dionigi, wie früher schon in Florenz bei einer alten Dame gleichen Schlages, jeden Abend Gesellschaft junger und älterer Männer fand: »Das ist etwas, was wir in Berlin und überhaupt in Deutschland nicht kennen. Mit Essen und Wein können wir es allenfalls erzwingen, mit Verstand und einer Oellampe, wie hier, wahrhaftig nicht!« – Und eine nicht gar bedeutende Wittwen-Pension, welche nunmehr an die Stelle der reichen Einnahme des Gatten treten sollte, setzte auch sie in den Fall, ihren Gästen vielleicht wenig mehr als Verstand und eine Oellampe bieten zu können.
Aber die Freunde verließen sie deshalb nicht, ja neue Bande knüpften sich. Und sah sie ihre Lieben fortan vielleicht seltener im eigenen Hause, doch um so mehr bei gemeinschaftlichen Freunden. – Auch wäre vielleicht früher schon einige Beruhigung bei ihr eingekehrt, hätten nicht kurz nach dem Tode ihres Gatten erschütternde Ereignisse sie von Neuem tief ergriffen.
Ludwig Börne, damals noch Louis Baruch geheißen, und für die Arzneiwissenschaft bestimmt, war auf den dringenden[49] Wunsch seines Vaters von Marcus Herz in sein Haus aufgenommen worden, und befand sich beim Tode des Letzteren noch in demselben. Der siebzehnjährige Jüngling faßte eine so glühende Leidenschaft für dessen um ein und zwanzig Jahr ältere Wittwe, welche daher ihrem Alter nach füglich seine Mutter sein konnte, daß er, von der Hoffnungslosigkeit seiner Liebe überzeugt, zweimal seinem Leben freiwillig ein Ende zu machen beschloß. Beide Male verhinderten nur Zufälligkeiten, über welche wir später die Mittheilungen der Verstorbenen selbst geben werden, die Ausführung des unheilvollen Vorsatzes. – Ein ferneres Verweilen in ihrem Hause war dadurch unmöglich geworden, und er hinterließ ihr bei seinem Abschiede, gleichsam als ein Vermächtniß, ein Tagebuch, welches die innere Geschichte seiner Liebe enthielt, und welches dem Schreiber dieses von der Verstorbenen längere Zeit anvertraut war. Er kann auf Grund der Kenntniß desselben versichern, daß Gutzkow's Annahme (Börne's Leben. S. 88.): »man übertreibe, wenn man ihm hoffnungslose Liebe zu der geistvollen und schönen Herrin des Hauses, in dem er gastlich lebte, zuschreibe«, eine völlig willkürliche ist. Das Tagebuch, weit entfernt davon in Börne's späterem geistvollen Style geschrieben zu sein, gab in einfachster aber ergreifendster Sprache Kunde von allen Regungen seines Herzens in Beziehung auf die Geliebte, je nachdem ihre Worte oder Handlungen sie hervorriefen. Die innere Wahrheit sprach aus jedem Satze dieses interessanten Dokuments, und man hätte glauben können, daß es aus der Feder eines bloßen Gefühlsmenschen geflossen sei, hätte es nicht nebenbei in ruhigen Augenblicken niedergeschriebene Reflexionen über sein[50] Empfinden, sowie über das ganze Verhältniß im Allgemeinen enthalten.
Leider ist dies Tagebuch nicht minder vernichtet, als sämmtliche Briefe Börne's an Henriette Herz, welcher er, nachdem das Feuer der Leidenschaft verraucht war, stets ein anhänglicher Freund blieb. Die größere Zahl dieser Briefe datirte aus der Zeit kurz nach seiner Entfernung aus Berlin, und einer derselben ist unersetzlich für die Würdigung Börne's als Mensch wie als Schriftsteller. Er war, irren wir nicht, aus Heidelberg, und vom Jahre 1807, und seine Veröffentlichung würde alle Diejenigen tief beschämt haben, welche, vielleicht im Gefühle der Nichtigkeit der Motive ihres eigenen Handelns, Börnes Wirksamkeit stets als einen Ausfluß aus unlautersten Quellen, namentlich als eine Ausgeburt des Hasses und der inneren Verbitterung darzustellen gesucht haben. Unter politischen Constellationen, sehr verschieden von denjenigen, unter welchen er seine Laufbahn als politischer Schriftsteller etwa zehn Jahre später begann, zeichnete sich der zwanzigjährige Jüngling sein künftiges Wirken mit größter Schärfe und Genauigkeit ganz in der Art vor, wie die Welt es kennt. –
Und doch diente dieser Verlust wahrscheinlich der Erhaltung eines größeren Schatzes. Als die Verstorbene, deren Gedächtniß der Inhalt jener Briefe meist entfallen war, aus der Bestürzung, welche die gänzlich unerwartete Nachricht von der Vernichtung derselben, namentlich des zuletzt erwähnten, verursachte, auf die Bedeutung des Verlustes zu schließen Ursach fand, ließ sie einen Vorwurf darüber laut werden, nicht früher wenigstens auf die Wichtigkeit jenes einen Briefes aufmerksam gemacht worden zu sein. – »Ich[51] hätte ihn sicher nicht vernichtet!« rief sie schmerzlich bewegt. – Und an diese Reue konnten mit Erfolg Vorstellungen für die Erhaltung der Briefe Schleiermachers geknüpft werden, welche ebenfalls schon der Vernichtung bestimmt waren. Sie sind dem größten Theil ihres Inhaltes nach erhalten, nicht zwar in den Originalen, doch in völlig genauen Abschriften von treuer Hand, in welchen nur Einiges ausgelassen ist, was der Oeffentlichkeit füglich vorenthalten werden mußte. Das Uebrige wird dieser hoffentlich nicht lange entzogen bleiben. Freilich hat Schleiermacher einige der Standpunkte, auf welchen er in jener früheren Zeit seines Lebens, in welche die meisten der Briefe fallen, stand, später überwunden, aber schon deshalb sind sie für die Geschichte der Entwickelung des ausgezeichneten Menschen und Gelehrten unentbehrlich. Dabei sind sie zugleich von einer Leichtigkeit und einer Tiefe, von einer Frische und einer Reife, von einem Ernste und einem Humor, wie diese Eigenschaften sich vereint kaum noch ein zweites Mal finden möchten, und von solcher Vielseitigkeit, daß sie zugleich die größten Interessen der damaligen Zeit und die kleinsten persönlichen Interessen des Schreibers umfassen, sowie sie nächstdem höchst wichtig für die Genesis und Geschichte mehrerer seiner bedeutendsten literarischen Leistungen, und von größtem Interesse hinsichts seiner Urtheile über diejenigen der bedeutendsten Geister der Zeit sind. Sie werden unfehlbar von allen Geistesfreien in jubelndem Chorus begrüßt werden, dessen Berechtigung durch die, freilich eben so unfehlbare, Begleitung desselben durch einiges Nachtvögelgekrächz um so klarer hervortreten wird. – Die ganze Bedeutung der Empfängerin der Briefe für den Freund, ja im Allgemeinen,[52] geben sie nächstdem deutlicher kund, als dies durch irgend ein anderes Mittel der Darstellung geschehen könnte. –
So betrübende, das Gemüth der tiefempfindenden Frau in wie verschiedener Weise auch, doch mit gleicher Heftigkeit ergreifende Ereignisse, hatten das Bedürfniß einer Kräftigung in ihr rege gemacht. Sie fand sie an den ewig frischströmenden Heilquellen für zugleich unverdorbene und sinnige Menschen, der Natur und der Kunst. Nach einem kurzen Aufenthalte auf dem Lande bei einer befreundeten Familie, in deren Mitte sie öfter einen Theil des Sommers verlebte, trieb es sie mächtig zu den Kunstschätzen des ihr liebgewordenen Dresden. In der That gesundete sie wieder, und konnte von Neuem Freude an jener höheren Geselligkeit finden, die ihr so förderlich war, und in welcher sie hinwieder so förderlich wirkte. Ja ihre Verbindungen gewannen bald nach ihrer Rückkunft eine für sie sehr interessante Ausdehnung, als Göckingk sie mit der edlen und geistreichen Herzogin Dorothea von Kurland bekannt machte, welche damals ihre Residenz in Berlin genommen hatte, und durch ihre mit Henriette Herz befreundete Schwester Elisa von der Recke bereits genug von ihr wußte, um ihre Bekanntschaft zu wünschen.
Das Haus der Herzogin vereinte alle durch Geburt, äußere Stellung und Intelligenz glänzendsten Persönlichkeiten, und ein großer Theil der letztern schloß sich unserer Freundin eng an. Zu diesen gehörte unter Andern Frau von Staël, mit deren Freunde und späteren Begleiter August Wilhelm Schlegel sie schon früher in Verbindung stand, und der geniale Prinz Louis Ferdinand, den sie ebenfalls bereits kannte, der sich jedoch zuerst hier mit großer Lebhaftigkeit für sie zu interessiren begann.[53]
Das nächste Jahr führte ihr Schiller bei dessen Anwesenheit in Berlin zu; der zweite unter den zumeist gefeierten Dichtern Deutschlands, dessen Bekanntschaft sie machte, denn zu Jean Paul war sie schon etwa vier Jahre zuvor bei zweimaligem Anfenthalt desselben in Berlin in nahe Beziehung getreten, das Jahr 1805 Zacharias Werner. Auch über mehrere dieser Verhältnisse, sowie über das Haus und die Gesellschaften der Herzogin, werden wir aus ihrem eigenen Munde Ausführlicheres hören.
Etwa ein Jahr später wurde ihr durch ihren Freund Delbrück, ohne Zweifel in Folge höheren Auftrages, ein überaus ehrender Antrag, welcher sie, wenn auch nicht über ihren Werth, doch über den Ruf, dessen sie sich erfreute, belehren konnte. Es war der, die Erziehung der Prinzessin Charlotte, ältesten Tochter des Königs, jetzigen Kaiserin von Rußland, zu übernehmen. Ihr Uebertritt zur christlichen Religion wurde jedoch dabei zur Bedingung gemacht, eine Bedingung, welche man ihr ohne Zweifel um so füglicher auferlegen zu dürfen glaubte, als sich in ihrem vielgekannten Wirken stets der Geist der reinsten Liebe aussprach. Doch aus Gründen kindlicher Pietät wies sie die zugleich glänzende und ihr einen segensreichen Einfluß verheißende Stellung zurück. Noch lebte ihre bejahrte Mutter, eine sehr orthodoxe Jüdin, – den geliebten Vater hatte sie schon wenige Jahre nach ihrer Verheirathung verloren – und sie wußte wohl, daß keine noch so glänzende Stellung der Tochter die Mutter darüber beruhigen würde, daß sie den Glauben ihrer Väter verlassen habe. –
So nahte allgemach der für Preußen so verhängnißvolle Herbst des Jahres 1806. Und zwar nicht ohne daß unsere[54] Freundin den politischen Verwickelungen, welche der traurigen Katastrophe vorangingen, mit besorgtem Blicke gefolgt wäre. Diese Besorgniß hatte ihren Grund weniger in ihrem politischen Scharfblick, als in den Befürchtungen, welche Wilhelm v. Humboldt schon früher hegte und ihr ausgesprochen hatte. Die betreffende mündliche Mittheilung der Verstorbenen wird durch einen Brief Humboldts an sie aus Rom vom Jahre 1807 bestätigt. »Ja, meine Liebe, Gute« – schreibt er – »wir sind Alle unglücklich, ich sage wir Alle, die sonst ein froher und harmloser Kreis umschloß. Die Samen unseres Unglücks lagen in unserer damaligen Sorglosigkeit. Mir war seit lange vor dem Ausgang bange, und ich zitterte vor dem Augenblick der Entscheidung.« –
»Es war damals« – erzählt Henriette Herz – »an jedem Sonntag Nachmittag im Schloßgarten zu Charlottenburg Militairmusik, während welcher die Königliche Familie sich entweder an den Fenstern des Schlosses zeigte, oder auf der Terrasse desselben spazierte. Ich ging an diesem Tage nie dorthin, selbst nicht, wenn ich meinen Sommeraufenthalt in Charlottenburg hatte. Aber an dem Sonntage des Herbstes 1806, dem Vorabend des Tages, an welchem der König und die Königin zur Armee abreisen wollten, trieb es mich gewaltsam hin. Mir war, als ob das schöne, edle Königspaar an einem verhängnißvollen Wendepunkt seines Geschickes stände, und als müßte ich es zuvor noch einmal in aller Glorie eines ungetrübten Glanzes sehen. – Ich hatte nie geglaubt, daß die Königin mich von Ansehn kenne. Wie überrascht war ich nun, ja wie bewegte es mich bei der Stimmung, in welcher ich mich befand, als sie, im Begriff ins Schloß zurückzukehren, auf[55] der Terrasse nahe bei mir vorübergehend, mir mit ihrer wunderbar klangvollen Stimme zurief: ›Adieu, Madame Herz!‹ Sie schien so heiter, sie schien so gar keine Ahnung von der Gewichtigkeit des Augenblicks zu haben! – Mir aber blieb dies ›Adieu!‹ lange in bedeutungsvollem Angedenken.« –
Zu dem Schmerze, mit welchem Befürchtungen für das fernere unabhängige Bestehen des Vaterlandes, erwachsen aus den nachfolgenden verhängnißvollen Tagen, sie erfüllten, gesellte sich bald nagende Besorgniß für das eigene. Ihre Einkünfte, aus welchen sie noch zu dem Unterhalte der alten, fast blinden Mutter und einer unverheiratheten Schwester beizusteuern sich verpflichtet fühlte, flossen aus der Wittwenkasse und aus den Zinsen einiger Kapitalien, welche sie von dem wenig bedeutenden Nachlasse ihres Gatten erworben hatte. Aber bald zahlte weder die Wittwenkasse die Pensionen, noch zahlten die Schuldner die Zinsen. Der Schlag war zu Boden werfend. Und dabei war der Kreis der Befreundeten zum Theil zerstreut, die theuersten, in deren Mitgefühl ein Trost zu finden gewesen wäre, waren abwesend, die zurückgebliebenen in ähnlicher Bedrängniß wie sie, alle Geselligkeit war durch das allgemeine Unglück vernichtet, bei der drückenden materiellen Noth nicht irgend ein geistiges Gegengewicht! Noch eine Zeit hindurch vermochte sie sich und die Ihrigen von einigen frühern, nicht zinsbar angelegten Ersparnissen zu erhalten. Sie hätte auch dies nicht so lange gekonnt, wäre sie nicht, wahrscheinlich vermittelst der Fürsprache eines ihr unbekannt gebliebenen Freundes, auf Befehl des Generals Hüllin, ersten französischen Kommandanten von Berlin, von aller Einquartierung verschont[56] geblieben. Aber auch diese Erleichterung hörte auf, als im nächsten Jahre Hüllin auf einen anderen Posten berufen wurde. Und nun war ihre Kasse so geschmolzen, daß sie sich in der unausweichlichen Nothwendigkeit sah, ihre Selbstständigkeit, so wie ihr Domizil in Berlin, der Stadt, mit welcher sie so fest verwachsen war, aufzugeben.
Sie wendete sich an ihren damals in Rom befindlichen Freund Wilhelm von Humboldt, mit der Bitte ihr entweder in Rußland, oder, sei es durch seine Bekannte in Paris oder mittelbar durch seine römischen Freunde, in der Maison de St. Cyr eine Stelle als Erzieherin zu verschaffen. Doch inzwischen hatte sie die Bekanntschaft des Sohnes der Vorsteherin dieses Erziehungshauses, des jungen Henri Campan, Auditeur im französischen Staatsrath und eine Zeit hindurch Chef der preußischen Post-Verwaltung, gemacht. So konnten denn die Verhandlungen mit Madame Campan auf dem kürzesten Wege geführt werden, und Diese erklärte bald ihre Bereitwilligkeit, die Erziehung einer Nichte Joachim Murats, Schwager Napoleons, und bald nachher König von Neapel, der alleinigen Leitung der Frau Herz anzuvertrauen. Doch auch an diese Erzieherinnenstelle wurde eine Bedingung geknüpft. Sie sollte ihren Namen ändern, vielleicht nur weil er einer französischen Zunge nicht bequem genug auszusprechen war. Hiergegen empörte sich ihr Selbstgefühl, auf dem Bewußtsein beruhend, daß der Name welchen sie aufgeben sollte, ein von ihr und dem Gatten von welchem er ihr überkommen war, mit Ehren geführter war.
Da kam zu rechter Zeit die Antwort Humboldt's. – Unter den großmüthigsten Anerbietungen jeglicher Unterstützung seinerseits rieth er ihr entschieden ab, das Vaterland[57] zu verlassen. »Schreiben Sie mir offenherzig, liebe Freundin«, heißt es in dem aus Rom vom 18. November 1807 datirten Briefe, »sagen Sie mir was Sie brauchen, wünschen, ich thue sicherlich was ich kann. Ich danke Ihnen sehr viel, ich habe es nicht vergessen, ich werde es nicht vergessen. – – Ich war einer der genauesten Freunde Ihres Mannes. Sie hatten sonst Güte und Freundschaft für mich. Wenige haben so gegründete Ansprüche auf Ihr Vertrauen. – – Ihr Plan nach Frankreich oder Rußland schmerzt mich vorzüglich, und gefällt mir ganz und gar nicht. Ich möchte Sie Deutschland erhalten, wieder nur Deutsche könnten Ihren Werth in jenen Landen erkennen, und sollten wir, nachdem schon so viel verloren gegangen, auch noch die besten Menschen verlieren?« –
Die Ansicht des Freundes ward entscheidend. Das Erbieten der Madame Campan wurde abgelehnt. Doch die Last eines fortdauernden Domizils in Berlin wäre nicht zu ertragen gewesen. Henriette Herz begab sich im Frühling des folgenden Jahres 1808 nach der Insel Rügen, wo sie viele Freunde hatte, um in dem Hause einer ihrer Freundinnen, der Frau von Kathen auf Götemitz, den Unterricht der Kinder zu übernehmen. –
Ein freudiges Ereigniß schmückte ihren Aufenthalt auf dieser Insel. Ihrem Freunde Schleiermacher, der sich schon seit lange einem schönen ehelichen Verhältnisse entgegengesehnt hatte, sollte dort dieser Wunsch erfüllt werden. Er fand in der Wittwe eines, Beiden befreundeten Predigers von Willich die Frau, im Verein mit welcher er hoffen durfte, ein schönes Familienleben um sich erblühen zu sehen. Die Hochzeitsfeierlichkeit sollte zugleich das Ende des Aufenthalts[58] der Freundin auf Rügen bezeichnen. – Schon das neu zu begründende Haus des Freundes, in welchem sie sich als ein allseitig geliebtes Mitglied betrachten durfte, ja welches ihr gewissermaßen eine zweite Häuslichkeit verhieß, zog sie mächtig nach Berlin zurück. Aber nächstdem hatten sich auch wie ihre besonderen, so auch die allgemeinen Verhältnisse inzwischen wesentlich geändert. Ihre besonderen: denn die Wittwenkasse hatte ihre Pensions-Zahlungen wieder aufgenommen; die allgemeinen: denn von der, nunmehr von dem Feinde geräumten Hauptstadt Preußens aus begann auf den Ruinen des altermorschen, zusammengestürzten Staates ein neuer, lebenskräftiger, für das ganze Deutschland verheißender Bau sich zu erheben. Wohl hatte Oesterreich sich gegen den französischen Aar erhoben, und noch dauerte der blutige Kampf mit unentschiedenem Erfolge. Doch selbst wenn dieser günstig für jenes Reich ausfiel, wurde von ihm sehr wenig für die Sache Deutschlands gehofft. Deutschland hatte sich damals wahrhaft in dem kleinen Preußen konzentrirt, und wieder alle tüchtigsten Elemente deutscher Sitte, deutschen Wissens und freisinniger Staatskunst in der Hauptstadt dieses Reiches. Da war denn der von hoher Vaterlandsliebe beseelten Frau, gewöhnt auf die schöpferischesten Geister der Zeit einzuwirken wie von ihnen Einwirkungen zu empfangen, der Aufenthalt auf der stillen, abgeschiedenen Ostsee-Insel, welche kaum von den äußersten Schwingungen der neuen Bewegung erreicht ward, ferner eine Unmöglichkeit, wie sehmerzlich auch die Trennung von alten und von neugewonnenen Freunden werden mochte.[59]
Aber ein unerwartetes, und wie auch hoffnungreiches, doch für den Augenblick erschreckendes Ereigniß schien sich plötzlich gleich einer Mauer zwischen der hochzeitlichen Gesellschaft und ihrem ersehnten Ziele aufzubauen. Das Ufer, an welchem man landen mußte, war mitten im Frieden zu einem Kriegsschauplatze geworden, und die Gerüchte, welche desfalls auf die Insel gelangten, verliehen den Ereignissen drüben einen noch viel drohenderen Charakter, als sie in Wirklichkeit trugen. Es war gegen Ende Mai 1809. Schill, von den Dänen und Holländern gedrängt, hatte sich nach der gegenüberliegenden pommerschen Küste gewendet. Die Gesellschaft wußte unter diesen Umständen nicht, wo sie landen sollte, und in welche Kriegswirren sie gerieth, wenn sie überhaupt landete. Und doch fühlte man sich um so mehr zu dem Ziele hingezogen, als es eben in dem Kreise dieser Freunde für möglich gehalten werden durfte, daß der Kriegsfunke zur Kriegsflamme angefacht werden würde. Aber im Augenblicke größter Rathlosigkeit erschien ein helfender Freund. Man hatte sich drüben erinnert, daß für den möglicher Weise nahen Augenblick der Entscheidung über die Geschicke Deutschlands die Insel einige bedeutende Persönlichkeiten umfaßte. Der damalige Hauptmann, später genugsam bekannt gewordene General von Lützow, war, nachdem er sich von den Stellungen der Truppen hinreichend unterrichtet hatte, zur Erlösung der Freunde aus ihrer Gefangenschaft nach Rügen hinübergeeilt, und geleitete sie nicht ohne Fährlichkeiten über Greifswald glücklich nach dem Festlande. –
Jener inmitten der äußeren Erniedrigung des Vaterlandes still erfolgte, großartige Umschwung, mußte nothwendig[60] auch der Geselligkeit einen von dem früheren verschiedenen Charakter verleihen, welche sich in der preußischen Hauptstadt eben wieder zu bilden begann, nachdem die feindliche Occupation, und das mit ihr verbunden gewesene, alle freie Mittheilung ertödtende Spionirsystem, ihr Ende erreicht hatte. Die Gesellschaft hatte an äußerem Glanze verloren, das leichte, petillirende, geistreiche Wesen war vor dem schweren Ernste der Zeit verstoben, aber sie hatte an Gesinnungstüchtigkeit und an Tiefe gewonnen, so wie die Gegenstände der Besprechung, hinsichtlich derer früher vorherrschend ihr ästhetisches Interesse maaßgebend gewesen war, an Umfang. Die vordem in derselben kaum berührten Interessen des Vaterlandes nahmen jetzt einen ersten Platz ein, und namentlich in den Kreisen, in welchen Henriette Herz sich bewegte, hielt ein Jeder sich verpflichtet, von jedem Bereiche seiner Wirksamkeit aus, und mit jedem ihm zu Gebote stehenden Mittel, an dessen Neugestaltung mitzuarbeiten. So konnte man auch den gesellschaftlichen Ton jetzt einen vorherrschend deutschen nennen, während er früher die kosmopolitische Färbung oder eigentliche Farblosigkeit trug, welche der Salonkonversation in den Zeiten der Stockung des politischen Lebens eigen ist. Auch die äußeren Elemente der Gesellschaft hatten sich geändert. Während früher die höhere Geselligkeit nur mehr zufällig an Mitgliedern des hohen Beamtenstandes eine förderliche Erwerbung machte, weil der Anspruch auf die oberen Staatsstellen mehr durch Geburt als durch geistige Tüchtigkeit bestimmt ward, wurden sie jetzt zu einem hervorragenden Bestandtheile derselben; denn im Augenblicke der Noth war man wohl gedrungen, dem Geiste den ihm gebührenden[61] Vorzug einzuräumen. Nicht minder bedeutende geistige Notabilitäten führte ihr die eben im Werden begriffene Universität zu, das lebensfrischeste und vielleicht anregendste Element aber eine thatkräftige und thatenlustige, geistreiche, von einer schönen Vaterlandsliebe poetisch gesteigerte Jugend, welche in Berlin, als dem Brennpunkte deutscher Bestrebungen, den Augenblick der Ermannung Deutschlands mit Zuversicht, aber auch mit Ungeduld erharrte, um in den vordersten Reihen der Vorkämpfer einer neuen, die Schmach des Vaterlandes rächenden Zeit zu stehen. –
Die Darstellung einer, vorzugsweise in der Gesellschaft wirkenden Persönlichkeit schien uns eine Schilderung der Elemente jener Geselligkeit zu fordern, die, mehr als heute geglaubt wird, auf die großen Gesinnungen und Thaten der nächsten Folgezeit wirkte. Keiner der bedeutendsten Charaktere innerhalb derselben blieb unserer Freundin fremd, zu den Meisten stand sie in naher Beziehung. Aber auch an viele der edlen patriotischen Frauen, für welche sie bald eine so schöne Wirksamkeit eröffnen sollte, knüpften sie schon jetzt enge Bande der Liebe. Wir wollen unter den Männern aus den verschiedensten Sphären, mit denen sie sich entweder jetzt erst befreundete, oder welchen gemeinsame ernste Bestrebungen sie mehr als früher näherte, Niebuhr, Nicolovius, Uhden, Philippsborn, Chamisso, Varnhagen, Alexander von der Marwitz, Reinhardt, Reimer nennen, unter den Frauen voran die treffliche Gattin des Letzteren, deren, nur von ihrer Anspruchslosigkeit übertroffene werkthätige Liebe ihr bis zu ihrem Lebensende ein Gegenstand innigster Verehrung blieb, und die Schwestern ihres Freundes Schleiermacher, deren einer sie schon früher befreundet war,[62] während sie der anderen, später Gattin Ernst Moritz Arndt's sich erst jetzt enger anschloß. – Die Erwähnung des genialen Marwitz veranlaßt uns hierbei zu der Bemerkung, daß die öfter gehörte Behauptung eines mehr als freundschaftlichen Verhältnisses zwischen ihr und Diesem auf einem Irrthum, vielleicht auf einer Verwechselung mit einer ihrer Freundinnen beruht. Marwitz war überdies drei und zwanzig Jahre jünger als sie, und starb schon in seinem sieben und zwanzigsten. –
Kunstliebe und Freundschaft veranlaßten in den einigen Jahren, während welcher der längst vorausgesehene große Kampf noch auf sich warten ließ, einige nähere und weitere Ausflüge. Der des Jahres 1810 war wiederum nach Dresden gerichtet. Hier führte der Zufall, welcher überhaupt ihr ganzes Leben hindurch ihr Zusammentreffen mit den bedeutendsten Persönlichkeiten begünstigte, ihr Goethe entgegen, dessen Bekanntschaft sie längst gewünscht hatte, und welcher auch seinerseits, vorzüglich durch den gemeinschaftlichen Freund Zelter, viel von ihr wußte. Wir werden über dies Zusammentreffen ihre eigenen Mittheilungen geben. – Im folgenden Jahre war es der Wunsch, ihre Freundin Dorothea v. Schlegel wiederzusehen, der sie nach Wien zog. Auch in der Kaiserstadt hatte sie Gelegenheit, die Bekanntschaft fast aller Notabilitäten zu machen. Ihre Jugendfreundinnen, die Baroninnen von Arnstein und von Eskeles, machten selbst in dem prunkvollen Wien Häuser, welche zu den glänzendsten gezählt wurden, und einige Jahre später, während des Wiener Congresses, eine Art europäischer Berühmtheit erlangten, und das Haus Friedrich Schlegels verschaffte ihr Gelegenheit, die meisten geistigen[63] Größen Wiens kennen zu lernen. Doch die Kreise, in welchen sie sich in Berlin bewegte, waren in dieser Beziehung zu bedeutend, als daß die Gesellschaft Wiens sie hätte befriedigen können. »Wien,« erzählt sie, »hat im Ganzen keinen wohlthuenden Eindruck in mir zurückgelassen. So viel leibliches Wohlbehagen neben geistiger Armuth, daß jenes fast beleidigend wird. Dabei sind diejenigen, welche der Gesellschaft etwas zubringen, viel anspruchsvoller als bei uns, wohl schon deshalb weil sie seltener sind. Vielleicht hat schon, weil sie darin eine Ausnahme machte, Caroline Pichler allein eine angenehme Erinnerung in mir hinterlassen. Aeußerlich häßlich, aber angeregt und sehr anregend, und dabei gemüthlich und einfach.« –
Das Jahr der Entscheidung der Schicksale Europa's war endlich gekommen. Henriette Herz gehörte in dieser verhängnißvollen Zeit zu den Frauen, welche dem Vaterterlande leisteten, was ein Weib ihm nur zu leisten im Stande war. Sie scheute um zu helfen nicht die Annäherung an die Verwundeten und Sterbenden, noch die typhusgeschwängerte Luft der Hospitäler, und ihre Wirksamkeit konnte sich um so zweckmäßiger, ja für ihre Genossinnen in den schönen Werken der Liebe gewissermaßen maßgebend gestalten, weil Reil, welcher die Oberleitung der Lazarethe auf dem linken Elbufer übernommen hatte, ihr Freund war, und ihrer Thätigkeit die förderlichste Richtung gab. – Söhne hatte sie dem Vaterlande nicht zu bieten, aber mit Stolz und Genugthuung sah sie alle drei Söhne einer ebenfalls einem Arzte – dem Dr. Herz in Prenzlau – verheiratheten Schwester, deren jüngster fast noch Kind war, freiwillig in die Reihen der Vaterlandsvertheidiger treten.[64] Und als der älteste derselben, in Folge eines Sturzes mit dem Pferde in der Schlacht bei Groß-Beeren, eine höchst gefährliche Verletzung des Beines davon trug, wurde die besondere und aufopfernde Pflege, welche sie ihm in dem langwierigen Uebel widmete, ihr nicht ein Anlaß, sich den übrigen Leidenden weniger hinzugeben, die Leiden des ihrem Herzen so nahe Stehenden steigerten vielmehr ihr Mitgefühl für alle übrigen. –
Doch auch diese Kriegsperiode ward Anlaß zu einer Reise, die aber diesmal eine Flucht war. Und da ein Theil der heutigen Generation wohl die großen und allgemeinen Begebnisse jener interessanten Zeit kennt, wenig aber von den mit ihnen zusammenhängenden kleinen der Einzelnen weiß, die doch ebenfalls einen wie leichten Pinselstrich auch zu dem bewegten Bilde derselben beisteuern, so wollen wir die Verstorbene selbst Einiges über diese Flucht erzählen lassen, und dies um so mehr, als der Leser in der Mittheilung einer eigenthümlichen und anmuthigen Darstellungsweise begegnen wird.
»Die verhängnißvolle Zeit zwischen der Schlacht bei Jena und der bei Leipzig gab oft zu dem schnellsten Wechsel der Empfindungen, ja mitunter überhaupt zu den wunderlichsten Gegensätzen und Scenen Anlaß. So bleibt mir die Erinnerung an den Tag der Dankfeier für den Sieg bei Groß-Görschen stets gegenwärtig. Mit aufrichtigster Andacht und tiefstem Dankgefühl gegen den Höchsten hatte ich ihr in der Dreifaltigkeitskirche beigewohnt, wo Schleiermacher sie abhielt. Unmittelbar nach derselben gehe ich, Freude und Ruhe im Herzen, zu Diesem, um mich noch an seinem voraussetzlich heiteren und dankbaren Gesichte[65] ein wenig nachzuerbauen. Was finde ich? – ihn und sein ganzes Haus in Bewegung. Und mit unsäglichem Erstaunen höre ich von ihm, daß er seine Frau und Kinder am nächsten Tage mit dem Frühesten fortschicke, weil man Berlin gegen einen feindlichen Ueberfall nicht sicher glaube. Er räth mir, schleunigst dem Beispiele seiner Familie zu folgen. – Das war ein Abstand von dem was ich erwartete! – So eile ich denn von der Siegesfeier nach Hause, um das zu thun, was nur in Folge einer Niederlage hätte geschehen müssen, einzupacken, und mich für mich und eine alte kranke Mutter und eine kränkliche Schwester, welche beide ich nicht den Eventualitäten einer feindlichen Besetzung der Stadt aussetzen durfte, nach einer Gelegenheit umzuthun, die uns schnell aus Berlin brächte. Aber wo eine solche finden? Alles, was einen Wagen bezahlen konnte, und nicht durch Pflichten an Berlin gebunden war, wollte fliehen, denn was kampffähig war, war ins Feld gezogen. Und wohin fliehen? Darüber entstand ein förmlicher Meinungskampf. Die Furcht des Einen wollte in dieser Beziehung immer scharfsichtiger sein, als die des An deren.«
»Endlich aber gingen die kleineren Fraktionen ziemlich alle auf in zwei großen Parteien, der der Schlesier und der der Pommeraner, das heißt derjenigen, welche nach Schlesien, und derjenigen, welche nach Pommern davonlaufen wollten. Ich schlug mich zu den Schlesiern, und nach unglaublichen Bemühungen saßen wir am nächsten Nachmittage in einem Wagen vor dem Thore Berlins.«
»Breslau wimmelte schon von noch rascheren Flüchtlingen, als wir es waren. Kaum irgendwo ein Unterkommen. Wer Bekannte dort hatte, eilte sie aufzusuchen. Ich[66] ging sogleich zu Steffens'. Sie waren schon bis zur Erschöpfung von Flüchtlingen überlaufen worden, die sie kaum kannten. – ›Nach so vielen Leuten endlich ein Mensch!‹ rief mir Frau Steffens in sehr schmeichelhafter Uebertreibung zu, als sie mich erblickte. – Aber bald hielt man auch Breslau nicht mehr für sicher, und wir gingen, um der Gränze des damals noch neutralen Oesterreichs näher zu sein, naeh der Festung Neisse. Hier erreichte mich aber die Nemesis für die Ueberschätzung, die ich mir von Frau Steffens hatte gefallen lassen. Eine Verordnung gebot hier, daß alle ›Ueberflüssigen‹ die Stadt räumen sollten. Die Meisten zögerten, sich selbst für solche zu erklären, zumal die Berliner, auch ich, wie sich versteht. Da waren denn ich und die Meinigen von den Ersten, welchen die Behörde kund that, daß sie ›Ueberflüssige‹ seien. – Was half's? Wir mußten Knall und Fall fort, und gingen nun nach Zuckmantel, wo wir uns in schöner Gebirgsgegend aufhielten bis man Berlin sicher glaubte.«
»Als aber später zwei Meilen von Berlin die Schlacht von Groß-Beeren geschlagen wurde, und die Gefahr in der That dringend war, dachte Niemand daran, zu fliehen. Es fehlte an Zeit um sich zu fürchten.« –
Doch die Fährlichkeiten der Kriegszeit wurden glücklich überwunden. Die Unabhängigkeit des Vaterlandes war wiedererkämpft, sein Ruhm wieder hergestellt. Und gehörte der Kreis, in welchem Henriette Herz lebte, früher zu denen, in welchen die Zeit der Abhängigkeit und des Verfalls am schmerzlichsten empfunden worden war, so jetzt zu denjenigen, in welchem man, im Bewußtsein den Umschwung der Dinge mit allen geistigen Mitteln gefördert zu[67] haben, sich von den neuen Zuständen, die auch für die innere Entwickelung des Vaterlandes so verheißend schienen, am mächtigsten gehoben fühlte. Und auch den kurzen Sturm, welchen das neue Erscheinen Napoleons in Frankreich im Jahre 1815 heraufbeschwor, sah man im wiedererlangten Selbstgefühl ohne die schweren Befürchtungen heranziehen, zu welchen die anfänglich so raschen Fortschritte des entthronten Helden zu berechtigen schienen. – Mit den Verhältnissen des Staates hatten sich nächstdem auch die pekuniären der Freundin wieder geordnet, ja ihre früheren unfreiwilligen Entbehrungen hatten ihr jetzt die Frucht eines kleinen aufgesammelten Kapitals eingetragen.
So hätte sich denn diese Zeit zu einer der befriedigendsten ihres Lebens gestalten können, wäre sie nicht eben damals durch harte Schläge in ihrer Familie betroffen worden. Schon im Jahre 1815 verlor sie eine geliebte unverheirathet gebliebene Schwester, von allen ihren Geschwistern anscheinend die ihr an Geist und Gemüth verwandteste, und daher wohl auch ihrem Herzen am Nächsten stehende, mit vielem Sinne für Kunst begabt, selbst tüchtige Pastellmalerin, und im Frühjahr 1817 ihre Mutter, welcher sie, bei allem ihrem Walten in der großen Welt doch stets als eine liebende und aufmerksame Tochter zur Seite gestanden hatte.
Der Tod der Letzteren bezeichnet jedoch eine neue Phase ihres Lebens, ihren Uebertritt zur christlichen Religion. – Sahen wir eine Frau, deren Bildung fast gänzlich auf dem Boden des Christenthums ruhte, und die wir so lebendig von dem Geiste des Gründers desselben durchdrungen erkannten, sich äußerlich noch immer nicht zu demselben bekennen,[68] so haben wir dies jener pietätvollen Rücksichtnahme zuzuschreiben, welche den Besseren ihrer Generation eine zweite Natur war, während sie einem Theil der heutigen vielleicht als eine Uebertreibung, ja als eine an das Unsittliche streifende Verletzung des Rechtes der freien Selbstbestimmung erscheinen würde. Genug, für sie war der Gedanke an die Kränkung bestimmend, welche es der orthodox-jüdischen Mutter verursachen würde, in der Tochter eine Abtrünnige von dem Glauben der Väter zu sehn. Eben so wenig aber konnte ein heimlicher Uebertritt ihrem Charakter zusagen, obgleich ein Solcher auch ihrer Mutter bei der Abgeschiedenheit, in welcher diese in ihren letzten Lebensjahren von der Welt lebte, verborgen geblieben wäre. Auffallend möchte es hiernach nun aber erscheinen, daß der öffentliche, welchen Schleiermacher nunmehr von ihr verlangte, von ihr abgelehnt wurde, ja daß dies Verlangen die erste und einzige Wolke heraufbeschwor, welche, wie vorübergehend auch, ihr schönes Verhältniß zu diesem Freunde umflorte. Aber auch hier waren Rücksichten auf werthe, dem jüdischen Glauben anhängende Freunde und Freundinnen wohl vorzugsweise maßgebend für ihre Weigerung. Diese hätten in ihrem öffentlichen Uebertritte zum Christenthume eine mindestens überflüssige Demonstration gegen den Glauben gesehn, welchen sie verließ. Gewiß aber ist es nächstdem, daß ein Solcher bei der bekannten und bedeutenden Persönlichkeit der Uebertretenden, wie er ein Gegenstand der Theilnahme aller Klassen gewesen wäre, Vielen doch auch lediglich zur Befriedigung einer leeren, gaffenden Neugier gedient hätte. Auch dies schon widerstrebte ihrem Selbstgefühl wie ihrer Weiblichkeit, ja es widerstrebte selbst ihrem[69] religiösen Gefühl, welchem im Augenblicke eines so heiligen, für sie so bedeutungsvollen Actes vor allem eine Stimme einzuräumen sie sich berechtigt glaubte.
Schleiermacher, der Priester und Lehrer des Christenthums, wurde zu seinem entgegenstehenden Verlangen vielleicht eben durch die hohe Bedeutung der Uebertretenden bestimmt, und keinenfalls dürfen wir ihm tiefe und reine Motive hinsichts desselben absprechen. Aber eine Einigung war nicht zu erreichen. Und so begab sich denn Henriette Herz in den ersten Tagen des Juni 1817 nach dem kleinen, ruhigen Zossen in der Mark zu dem dortigen Superintendenten Wolf, mit welchem, und namentlich mit dessen Gattin, sie befreundet war, und ließ sich daselbst, während eines sechswöchentlichen Aufenthalts, welchen sie in stiller Sammlung in der ehrenwerthen, frommen Familie zubrachte, in den Bund der Christenheit aufnehmen.
So konnte sie denn, auch äußerlich Mitglied der großen christlichen Gemeinschaft, nach der alten Hauptstadt der Christenheit ziehn, zu welcher die verschiedenartigsten Interessen, unter denen jedoch die der Kunst voranstanden, sie schon längst hingezogen hatten. Sie trat sogleich von Zossen aus die Reise am 16. Juli 1817 an, und erst der Herbst des Jahres 1819 sah sie wieder in Berlin. Nichts des Schönen, was Kunst und Natur boten, wurde auf dem Wege ungesehn gelassen, aber die Menschen, welche sie mit so vieler Liebe umfaßte, wurden deshalb nicht vernachlässigt. Sie suchte aller Orten die alten Freunde mit alter Liebe auf, sie suchte und fand neue. Auch in der Fremde wie daheim drängten sich fast alle ausgezeichnetesten Persönlichkeiten ihr entgegen, und sie hielt diejenigen mühelos fest,[70] in welchen sie ächten Menschenwerth erkannte. Aber in aller Wärme des Herzens wahrte sie auch hier bewußt und taktvoll das Maaß, so daß sie, die Annäherung Anderer nur so weit begünstigend als es ihr angemessen erschien, sich Anderen nie mehr nähernd als sie es ihnen genehm erachten konnte, nie zurückzuweisen, aber auch nie einen Schritt zurückzuthun hatte. Einen Beleg zu dieser bewußten Haltung giebt uns eine Stelle in ihrem italienischen Tagebuche. »Bei Reinholds« – in Rom – »war unter andern Fürst Kaunitz, der österreichische Gesandte, und in seinem Gefolge sah ich Meyern, den Verfasser des Dyana-sore. Ich fand ihn kalt und unfreundlich. Und wenn ich schon Göthe's Wort: ›die Freunde läßt man gehn, die Anderen läßt man laufen‹, im Ganzen nicht befolgen kann, so kann ich es doch in der letzten Hälfte recht gut.« –
Die Reise ging über Leipzig, Baireuth, Nürnberg und Augsburg wo sie während eines vierzehntägigen Aufenthaltes viel mit F.H. Jacobi war. Bei diesem fand sie auch ihren Jugendfreund Dohm wieder, den sie schon früher einmal auf einer Reise, als er eben von der verhängnißvollen Sendung nach Rastatt zurückkehrte, unerwartet getroffen hatte. Durch Tyrol über Verona und Padua ging es dann nach Venedig, wo acht Tage der unermüdlichen Besichtigung der Kunstwerke der Lagunenstadt gewidmet wurden, von da nach Florenz, dessen Schätze sie vier Wochen fesselten, und von wo sie Ausflüge nach Pisa und Livorno machte. Hier hatte sie auch die Freude ihren jüngeren Freund Immanuel Bekker zu finden, welcher ihr ein werther Begleiter nach Rom wurde. In dieser Stadt kam sie am 11. October 1817 an, und verweilte daselbst, einen[71] Ausflug nach Neapel und dessen Umgegend, welchen sie, größtentheils in Begleitung Thorwaldsens, vom 4. September bis 5. October 1818 machte, abgerechnet, bis zum 2. Mai 1819, also länger als anderthalb Jahre. Sie fand hier ihre Freundin Caroline von Humboldt, an deren Seite ihr die Wanderungen zu den Kunstwerken der ewigen Stadt doppelt lehr- und genußreich wurden, mit ihren Töchtern. Später, im Juni 1818, ward ihr auch die unverhoffte Freude, Dorothea von Schlegel dort wiederzusehen, welche zum Besuch ihrer Söhne, der daselbst lebenden Maler Philipp und Johann Veit dahin gekommen war, und mit welcher sie einen Sommeraufenthalt in dem reizenden Genzano machte. –
Eine neue Schule deutscher Kunst bildete sich damals in Rom. Sie stand zu all' den jungen Künstlern in Beziehung, welche später als hervorragende Meister derselben genannt wurden, von den übrigen Künstlern in naher zu Thorwaldsen, Eberhard, Koch, in entfernterer zu der freilich nicht großen Zahl der berühmteren italienischen. Niebuhr, Bunsen, Platner, sämmtlich nah mit ihr befreundet, waren ihr für die Kenntniß der alten Stadt der Cäsaren von unschätzbarem Werthe. Bald trat sie in gesellige Verhältnisse, welche ihr die Bekanntschaft der hervorragendsten Fremden verschaffte, die sich an diesem Sammelplatze der Notabilitäten aller Nationen aufhielten. In wie beschränkten Räumen, mit wie beschränkten Mitteln auch, war sie in dem Fall selbst Gesellschaft zu empfangen. Aber in diesen beschränkten Räumen fanden sich ungeladen weltliche und Kirchenfürsten ein. Unter den Ersteren war der Kronprinz Ludwig von Baiern einer von denen, welche ihr mit der wohlwollendsten[72] Aufmerksamkeit entgegenkamen, – der, wie es scheint, etwas geistesbeschränkte Senator von Rom, Herzog Friedrich von Sachsen-Gotha, scheint hierin mehr als erfreulich war gethan zu haben – unter den Letzteren der damals in Rom allmächtige Kardinal Consalvi. –
Das fast zu einer zweiten Heimath gewordene Rom wurde in Begleitung der Frau von Humboldt und Immanuel Bekkers verlassen. Ueber Perugia und Spoleto ging die Gesellschaft nach Florenz, wo von Neuem ein dreiwöchentlicher Aufenthalt gemacht ward. Der Weg nach Mailand ward über Bologna, Parma und Piacenza eingeschlagen. Der schönen Hauptstadt der Lombardei wurden acht Tage gewidmet, und von ihr aus wurde ein Ausflug nach dem Comer-See unternommen. Dann ging's über den Simplon, durch das Wallis, über Vevay, Bern, Zürich nach Schaffhausen. In Stuttgart ward flüchtig die Bekanntschaft Uhlands gemacht, und durch ein zufälliges Zusammentreffen bei Cotta, Jean Paul, der auf der Hinreise in Baireuth verfehlt worden war, nach langen Jahren zum letzten Male wiedergesehen. In Frankfurt ward Louis, jetzt Ludwig Börne, »von seiner tollen Leidenschaft geheilt«, als ein »berühmter Mann« wiedergefunden. Sodann wurden die Taunusbäder, Mainz, Köln, so wie die anderen interessantesten Städte des Niederrheins gesehen, und einige Wochen in Bonn in Arndts gastlichem Hause zugebracht. Ueber Frankfurt ward mit einer werthen Freundin, der Gattin Uhden's, der Rückweg nach Berlin genommen.
Und doch endete die schöne und genußreiche Reise, von welcher sie ihr ganzes übriges Leben hindurch geistig zehrte, mit einem Mißton. Sie mußte, als Gast Arndt's, Zeugin[73] davon sein, daß der ihr als so patriotisch und loyal bekannte Freund bei fast noch nächtlicher Weile auf obrigkeitlichen Befehl überfallen und seiner Papiere beraubt wurde. Die Betroffenheit über dieses Ereigniß machte sie erstarren. Noch am nächsten Tage vermochte sie es nur mit den Worten in ihrem Tagebuche zu notiren: »Der 15. Juli 1819. Gestern habe ich hier im Hause etwas erlebt, was ich nie erlebt haben wollte. Arnd's Papiere wurden weggeholt.« –
Sie neigte ihrer Natur nach nicht zur Politik hin. Es war lediglich Folge ihrer Vaterlandsliebe, wenn sie sich zur Zeit fremder Unterdrückung mächtig zum lebhaftesten Antheil an allen Bestrebungen getrieben fühlte, welche auf die Erweckung deutschen Sinnes hinzielten. Aber eine Maaßregel wie diese hier mußte sie doch nöthigen, ihren Blick auf die inneren Zustände des Landes zu richten, und sich zu fragen, ob mit der Verfolgung solcher Männer die Erfüllung der Hoffnungen auf freisinnige Institutionen vereinbar sei? – Es behielt nicht bei Arndt sein Bewenden. Noch mehrere ihrer Freunde, deren Verdienste um die Erweckung ächter Vaterlandsliebe ihr bekannt genug waren, fielen Verfolgungen anheim, ja selbst ihr Freund Schleiermacher wurde mindestens sehr »mißliebig.« Sie ward von Trauer ergriffen. Ihrer altgewohnten Loyalität konnten zwar alle diese Ereignisse keinen Eintrag thun. Sie war von Ehrfurcht vor den Tugenden des Königs erfüllt, und von seinem besten Willen überzeugt. In den Maßnahmen, welche sie betrübten, sah sie die Einwirkung von Mächten, welchen selbst die Höchsten im Staate sich nicht zu entwinden vermochten. Manches, was vor ihren Augen vorging, bestätigte sie in dieser Ansicht. Zu dem Auffallendsten darunter[74] gehörte es, daß der bekannte Franz Lieber, welcher sich später in den Nordamerikanischen Freistaaten eine nützliche und geachtete Thätigkeit gründete, trotz der beruhigenden Versicherungen des Königs selbst gegen Niebuhr hinsichts seiner, und trotz der wiederholten Verwendungen dieses gewiß nicht demagogisch gesinnten Staatsmannes für ihn, nicht vor Verhaftungen und Verfolgungen zu schützen war, und sich einem neuen Kerker nur durch eilige Flucht nach England entziehen konnte. Als er zu diesem Behufe ihre Uuterstützung in Anspruch nahm, zögerte die so loyale Frau keinen Augenblick sie ihm zu gewähren. Sie versah ihn mit dringenden Empfehlungen nach London, unter welchen eine an ihre Freundin, die bekannte Schriftstellerin Sophie Domeyer, früher Bernhard, geborne Gad, ihm vor Allen nützlich wurde. Bezeichnend ist es hierbei für ihren hohen Rechtlichkeitssinn, daß die einzige Frage, an deren befriedigende Beantwortung sie die Bewilligung derselben knüpfte, die war, ob er etwa bei der Entlassung aus seiner letzten Haft in Köpenick sein Wort gegeben habe, Preußen nicht zu verlassen. –
Die Geselligkeit, welche für Henriette Herz nicht bloß ein Element der Wirksamkeit, sondern wahrhaft ein Lebenselement war, gestaltete sich trotz ihrer langen Abwesenheit von ihrem Wohnorte um so schneller wieder um sie, als die mannigfachen Anschauungen, mit welchen die Reise sie bereichert hatte und ihre verschiedenen interessanten Erlebnisse auf derselben ihrer Unterhaltung neuen Reiz verliehen. Ja vielleicht haben wir dabei auch in Anschlag zu bringen, daß sie trotz ihres bereits vorgerückten Alters noch immer in der Reihe der schönen Frauen zählte. Sie selbst, nicht[75] unaufmerksam auf ihr Aeußeres, wie dies bei einer so gefeierten Schönheit wohl begreiflich ist, datirte zwar von ihrem Aufenthalt in Rom einen merkbaren Wendepunkt in dieser Beziehung, aber noch galt sie nur wenige Wochen vor ihrer Abreise von dort, daher in ihrem 55sten Jahre, selbst den Künstlern für schön genug, um an Einem Tage vier derselben zu veranlassen, sie zu zeichnen, um sich ihre Züge festzuhalten. Und Camuccini, ein gerade für die Formen kompetenter Künstler, fand diese in dem aus einer dieser Sitzungen hervorgegangenen Profil-Portrait von der Hand Wilhelm Hensels allen, an die Natur irgend zu stellenden Forderungen an reinste Schönheit so entsprechend, daß er stets mit neuer Freude zu demselben zurückkehrte.
Freilich wurde sie insofern allgemach schon an ihre vorgerückten Jahre erinnert, als der Tod bereits anfing, in den Kreis ihrer Jugendfreunde schmerzliche Lücken zu reißen. Hinsichtlich der Zahl füllten sich diese allerdings schnell wieder. Denn fortdauernd bewarben sich ausgezeichnete Männer um ihren Umgang und ihre Freundschaft. Selbst Jünglinge, zum Theil Söhne, ja Enkel ihrer Jugendfreunde, ihr oft von fernher zugewiesen, und bei ihrer hohen Humanität nicht minder freundlich aufgenommen als Männer von bewährtestem Wirken und Rufe, benutzten so oft es thunlich war die Erlaubniß sich ihr nahen zu dürfen, und man sah bis in die letzten Jahre ihres Lebens in ihren Zimmern nicht selten den berühmten Gelehrten und den ergrauten Staatsmann neben dem frischen Studirenden, welchen jedoch der durch die ganze Gesellschaft fortklingende ungezwungene Ton, den die Wirthin anzuschlagen gewußt hatte, von aller Befangenheit hinsichtlich seiner Umgebung frei hielt. Hatte[76] sie nun schon im August 1819 mit einigem Rechte in ihr Tagebuch schreiben können: »An der Table d'hôte in Schwalbach fand ich ein Fräulein Reizenstein, das, wie ich, alle Menschen kennt«, so mußte auf diese Weise die Masse interessanter Persönlichkeiten, wel che sie kannte, noch zunehmen, hiermit aber auch die eines Unterhaltungsstoffes, welcher stets vou Neuem zu ihr hinzog. Und sie war in ihren Mittheilungen über solche Persönlichkeiten nicht karg, und wurde in denselben durch ein treffliches Gedächtniß unterstützt, welches sie in den Stand setzte, selbst das Aeußere längst Verstorbener mit aller Genauigkeit zu schildern.
Die freie Zeit, welche ihr die, durch solche Bedingungen begünstigte Geselligkeit ließ, wurde dabei bis kurz vor ihrem Ende ununterbrochen einer ihr oder Anderen nutzenbringenden Thätigkeit gewidmet. Sie las nicht nur die klassischen Werke der deutschen und der fremden Literatur, welche ihr früher schon Quellen der Bildung und des Genusses geworden waren, wiederholt, sondern suchte sich mit allen besseren neuen Erscheinungen bekannt zu machen. Unbemittelten jungen Mädchen gab sie unentgeltlichen Sprachunterricht, und selbst der größte Theil der Erzeugnisse ihrer Handarbeit wurde wohlthätigen Stiftungen zugewendet. –
So ging noch manches Jahr in wenig gestörter Heiterkeit und in oft geäußertem Danke gegen Gott für die vielen reinen Freuden und Genüsse, welche er ihr so andauernd gewährt habe, dahin. Aber es waren ihr noch heiße Schmerzen vorbehalten, und nicht bloß solche, welche in dem natürlichen Laufe der Dinge liegen, wie etwa der Tod der Angehörigen und Jugendfreunde sie Jedem unausbleiblich[77] bringt welchem ein langes Lebensziel beschieden ist, und daher auch ihr nothwendig bringen mußte.
Schon die allgemeinen Zustände waren geeignet, ihr manche Stunde zu trüben. Wie große Aufmerksamkeit auch die Verhältnisse Frankreichs bereits einige Zeit vor der Juli-Revolution auf sich gezogen haben mochten, doch kam diese Katastrophe wie ein Blitzstrahl aus heiterm Himmel, und mit ihr stiegen plötzlich Befürchtungen für die Zukunft des Vaterlandes wie böse nächtliche Geister herauf, während früher höchstens einige Bedenken über die bestehenden Zustände laut geworden waren. Diese Befürchtungen würden bei ihrer loyalen Zuversichtlichkeit vielleicht wenig Eindruck auf sie gemacht haben, wären sie nur von Solchen geäußert worden, bei welchen sie schon ein politisches Unbehagen oder eine Lust nach Neuerungen zu kennen glaubte. Aber weun sie von den ängstlichen Befürchtungen Niebuhr's hören mußte, wenn Nicolovius schwere Besorgnisse kund gab, mußte sie selbst von Bangen erfüllt werden. Und von da an, und dies war von Wesentlichkeit für sie, erlitt auch die Unbefangenheit der geselligen Verhältnisse eine Trübung. Die Trübsal der politischen Conversation war nicht mehr aus den Gesellschaftszimmern zu bannen. Umgeben wie sie es von den verschiedensten Elementen in Beziehung auf Alter, Stand und Beruf war, hörte sie die verschiedenartigsten politischen Ansichten aussprechen; aber eines ging ihr aus Allem mit Gewißheit hervor, daß die Harmonie, an welche sie geglaubt, allmälig schreienden Mißklängen Platz gemacht hatte, deren späte Auflösung vielleicht nur nach vernichtenden Scenen der Gewalt zu erwarten war. Sie nahm wenig[78] thätigen Antheil an dem, wie auch äußerlich maßhaltenden Kampfe der Meinungen, der sich oft um sie bewegte. Aber an einem schmerzlichen Ausdruck in ihren Zügen erkannte man ihr Gefühl, daß ein Paradies für sie verloren sei.
Bald aber begann auch der Tod in noch rascherer Folge als sie zu erwarten Ursache hatte, eben im Kreise der ihrem Herzen zunächst stehenden Freunde und Freundinnen eine emsige, grausame Ernte zu halten. Wir wollen von den allgemeiner gekannten Persönlichkeiten unter ihnen nur Göckingk, den Grafen Alexander Dohna, Niebuhr, Caroline von Humboldt, Rahel von Varnhagen, Schleiermacher, Carl von Laroche, Wilhelm von Humboldt nennen; unersetzliche Verluste für sie. Aber auch der gewaltsame Tod eines nahen Verwandten sollte ihr eine kaum jemals vernarbende Wunde schlagen. Einer ihrer Neffen, der einzige, früh verwaiste Sohn einer geliebten, bereits im Jahre 1823 verstorbenen Schwester, welchem sie eben deshalb eine zweite Mutter sein zu müssen glaubte, fiel im Jahre 1834 in der Blüthe des Lebens in einem Duell, zu welchem er sich in Folge einer von ihm nicht provocirten Beleidigung, zu deren Zurücknahme er den Gegner nicht bewegen konnte, genöthigt glaubte. Und weniger noch als den Schmerz über seinen gewaltsamen Tod konnte die Greisin den Mißton bewältigen, mit welchem eine harte Aeußerung, die der Gegner, wie ihr berichtet wurde, noch gegen den tödtlich von ihm getroffenen Jüngling gethan haben sollte, ihr, allem Unedlen abholdes Gemüth erfüllte.
Doch wollte das, der trefflichen Frau noch immer nicht unfreundliche Geschick ihr auch manchen Ersatz für so schwere Verluste nicht vorenthalten. Wir rechnen dahin die Versetzung[79] des ihrem Herzen überaus theuern Henrik Steffens nach Berlin, des gemüthlichsten, theilnehmendsten Freundes und zugleich des angeregtesten und anregendsten Gesellschafters, sowie die Uebersiedelung der einzig ihr noch übriggebliebenen Schwester hierher, mit welcher sie später, um der kränkelnden Frau in jedem Augenblick ihre schwesterliche Sorgfalt widmen zu können, eine gemeinschaftliche Wohnung bezog; vor Allem aber den unschätzbaren Gewinn einer liebenden Gefährtin in der hinterlassenen Tochter jenes Superintendenten Wolf, welcher sie in das Christenthnm eingeführt hatte, und welche in seltenem Verein nicht nur befähigt war, allen ihren geistigen Bedürfnissen entgegenzukommen, sondern durch liebevolle und zweckgemäße Pflege dem Körper die Hinfälligkeit des Alters weniger fühlbar werden zu lassen.
Denn unausbleiblich mußten zuletzt Zeit und schmerzliche Ereignisse ihre Macht über ihre physische Natur geltend machen. Sie verfiel wiederholt in schwere Krankheiten, zu deren Beseitigung die treue und umsichtige Sorgfalt ihres Hausarztes, des Dr. I. Henschel, sowie der stets bereite Rath ihres Freundes Dieffenbach ohne Zweifel sehr wesentlich beitrugen, welche jedoch ohne einen eben so urkräftigen körperlichen Organismus, als es der ihres Geistes und Gemüthes war, kaum zu bewältigen gewesen wären; denn fast unerhörterweise überwand jener einige Male den beinahe immer tödtlichen »Brand der Alten.« Ja, ein Sturz über das Treppengeländer ihrer Sommerwohnung auf das Granitpflaster der Hausflur, von welchem die ernstesten Folgen befürchtet werden mußten, blieb ohne irgend dauernde Nachtheile. Und stets von Neuem umgab sie sich dann sobald[80] es thunlich war mit ihren Freunden. Ihr noch in den spätesten Lebenstagen jugendlich wallendes Herz konnte der ihr liebgewordenen Menschen nun einmal nicht entrathen.
Auch der Lebhaftigkeit des Geistes thaten zuletzt die Jahre wohl einigen Abbruch. Die Abnahme des Gedächtnisses war, wie gewöhnlich bei Greisen, zu erst merkbar. Aber es war eine der interessantesten Eigenthümlichkeiten der so günstig organisirten Frau, daß sie in einer Zeit, zu welcher sie schon neuerliche Ereignisse und kaum gefaßte Vorsätze vergessen konnte, nie eine Anforderung vergaß, welche an ihr Herz gemacht wurde. War z.B. eine Bitte um eine, an irgend eine Eventualität gebundene Verwendung an sie gerichtet worden, so hatte sie ihr desfallsiges Versprechen nie vergessen, wenn auch die geeignete Zeit zur Erfüllung desselben erst nach vielen Monaten eintrat. Als das geistige Gedächtniß schon fast entschwunden war, hatte sie sich das des Herzens in ungeschwächter Kraft erhalten.
Leider sollte die Frau, welche in ihrem Eifer die Sorgen Anderer zu lindern nie nachließ, noch in ihren spätesten Lebenstagen selbst von Sorgen bedrängt werden. Das Alter vermehrte ihre Bedürfnisse, wiederholte Krankheiten hatten bedeutende Ausgaben erfordert, sie sah ihr kleines Kapital schwinden, und hatte zu fürchten, bei längerem Leben von einer kleinen Wittwen-Pension subsistiren zu müssen, welche schon in früheren Tagen zu ihrem Unterhalt nicht ausgereicht hätte. So geheim sie diese Erdennoth hielt, sie kam im Jahre 1845 dennoch zur Kunde Alexanders von Humboldt. Der treue Freund wußte, daß König Friedrich Wilhelm VI. sich oft mit lebhafter Theilnahme nach dem Ergehen der edlen Frau erkundigte, von welcher er stets so[81] viel des Guten gehört hatte, und in deren Haus er schon als Kind durch seinen Erzieher Delbrück eingeführt worden war, wo er unter Anderen die ersten physikalischen Experimente gesehen hatte. Er knüpfte an diese, ihm selbst öfter geäußerte hohe Theilnahme an, um den König um eine einmalige Subvention und eine kleine Pension für die Freundin zu bitten. Der König bewilligte die Erstere nicht nur sofort, sondern fügte hinsichtlich der Letzteren hinzu: »Für eine Frau, welche solang ihre Kräfte es erlaubten so thätig für das allgemeine Beste mitgewirkt hat, muß ich mehr thun, als Sie von mir begehren. Für sie muß auch ich thun, was in meinen Kräften steht.« – Nach sofort vorgenommener Revision des Pensions-Fonds verfügte der König noch an demselben Abende die Bewilligung des doppelten der erbetenen Pension. Aber die zarte und schonende Form der Bewilligung erhöhete die Gabe noch weit über ihre pecuniäre Bedeutung hinaus. In einem Handbillet an den Geheimen-Cabinetsrath Müller erklärte der König, daß da die Hofräthin Herz, »eine Frau, deren Namen Er von frühester Kindheit an mit der innigsten Hochachtung habe aussprechen hören«, selbst nichts erbeten habe, und überhaupt die ganze Sache ohne ihr Wissen geschehen sei, Er es angemessen finde, keine Cabinetsordre die Bewilligungen betreffend an sie selbst zu richten, vielmehr die ganze Angelegenheit durch Herrn von Humboldt gehen zu lassen. – So wurde denn die treffliche Frau durch eine sofortige Subvention von 50 Stück Friedrichsd'or und eine jährliche Pension von 500 Thalern, beide aus der Privat-Chatonille des Königs, nicht nur von lastender Sorge befreit, sondern durch so ehrende Aeußerungen der Theilnahme, deren Kunde[82] ihr nicht vorenthalten ward, mächtig gehoben und mit neuer Lebensfreudigkeit erfüllt.
Der wohlwollende Monarch ließ es hierbei nicht bewenden. Schon oft hatte der König den Wunsch ausgesprochen, die ehrwürdige Matrone noch einmal vor ihrem Ende zu sehen, sowie die Hoffnung ihr einmal im Thiergarten wo sie ihre Sommerwohnung hatte zu begegnen. Diese Hoffnung konnte in den letzten Zeiten ihres Lebens um so weniger in Erfüllung gehen, als zunehmende Schwäche ihr nur selten einen Spaziergang erlaubte. Der König begünstigte sie daher am 6. Juli 1847 durch seinen Besuch, und unterhielt sich auf's theilnehmendste und freundlichste mit ihr, zugleich auch durch lebendige Erinnerung selbst an Kleinigkeiten welche sie betrafen, ein ehrendes Interesse für sie bekundend. –
Hatte inzwischen der Tod fortwährend nicht nachgelassen, ihr von den werthesten der nur noch kleinen Schaar der älteren Freunde zu rauben, unter welchen wir hier nur Reimer, Reinhardt, Hoßbach und den treuen liebevollen Steffens anführen wollen, so war doch das im Jahre 1846 erfolgte Ableben der einzigen ihr noch gebliebenen Schwester wohl vor Allem niederdrückend für sie. Ihr Blick mußte sich nothwendig immer mehr nach dem Jenseits richten, wohin die Meisten der ihrem Herzen nahe Stehenden vorangegangen waren, während sie doch auch dem Leben insofern bis zuletzt sein Recht einräumte, als sie sich fortdauernd mit ihren Freunden umgab, und ihre Theilnahme auch für die kleinsten Begegnisse derselben nicht erkalten ließ. Aber noch sollte ihr Herz vor ihrem Verscheiden durch den Tod einer, einem viel jüngeren Geschlechte gehörenden Lieben tief schmerzlich ergriffen werden. Zu der Familie Mendelssohn stand[83] sie schon seit der Zeit des berühmten Ahnen Moses Mendelssohn in naher Beziehung, ihren Mitgliedern ebenso viel Liebe weihend als Beweise aufrichtiger Freundschaft von ihnen empfangend. Schon hatte sie hier den Tod eines ausgezeichneten Ehepaars, des Stadtraths Mendelssohn-Bartholdy und seiner Gattin, zu betrauern gehabt. Jetzt ging auch deren Tochter die gemüth- und talentreiche Fanny Hensel in der Blüthe der Jahre dahin. Das völlig Unerwartete des Falles verlieh ihrem Schmerze über denselben einen verschärften Stachel.
Auch ihre urkräftige Natur unterlag endlich. Doch nicht früher als vierzehn Tage vor ihrem Ableben empfing ihr Sterbelager sie. Sie sah ihrem Ende mit Ergebung entgegen. Schon etwa acht Tage vor demselben nahm sie das Abendmahl aus den Händen des Predigers Jonas, des ihr befreundeten Schülers Schleiermachers. Die zärtliche Sorgfalt ihrer treuen Pflegerin sowie ihrer Schwesterkinder strebte ihre Leiden soviel als möglich zu lindern, aber so lange ihr Bewußtsein sie nicht verließ, veranlaßte ihre Liebe sie zu Aeußerungen der Besorgniß, daß die Pflege, welche ihr wurde, ihren Pflegern nachtheilig werden möchte. – So starb die edle Frau liebevoll wie sie gelebt hatte, aber auch noch im Tode gleichwie in ihrem langen Erdenleben Liebe erfahrend, am 22. October 1847 nach kurz vorher zurückgelegtem 83stem Lebensjahre. –
1 Im 12. Bande der Geschichte der See- und Landreisen. Berlin, Haude. 1799.
2 In dem Magazin von merkwürdigen neuen Reisebeschreibungen von J.R. Forster. Berlin, Voß. 1800.
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