[219] Die Zeit meines Aufenthalts in Rom von 1817 bis 1819 bezeichnet einen Wendepunkt in der deutschen Kunst. Der Geist, welcher damals von den vielen dort anwesenden vaterländischen Künstlern ausging, verbreitete sich von jener Zeit an über Deutschland, und namentlich über das nördliche, und dies um so mehr, als manche derselben nach ihrer bald darauf erfolgten Rückkehr in das Vaterland sehr besuchte Schulen gründeten. Ich sah fast alle damals in Rom lebenden deutschen Künstler oft. Der Umgang mit ihnen war interessant genug. Es waren meist gesittete und kenntnißreiche junge Männer, welche über ihre Kunst zu sprechen wußten, ja mehrere derselben vielleicht besser als es ihnen für ihre Leistungen nützte. Denn ihre Richtung war, wie auch eine ernste und würdige, doch von Einseitigkeit nicht frei; eine von dieser abweichende Kunstansicht aber wurde, wenn auch vielleicht von einem oder dem Anderen damals schon im Stillen gehegt, doch aus Furcht Anstoß zu geben nicht ausgesprochen, und so raisonnirte man sich gewissermaßen immer tiefer in die Manier hinein. Wenn ich sage, daß kein Widerspruch geäußert wurde, so lag dies daran, daß jene Kunstansicht etwas von Fanatismus an sich trug,[220] denn sie hing mit dem religiösen Bekenntnisse der Künstler zusammen, welche noch dazu meist Neubekehrte, und daher im Glauben um so eifriger waren. – Dieser religiöse Eifer, der auch gegen Nichtkünstler gar nicht ohne seine Unduldsamkeit war, bildete jedoch für Protestanten auch eine Schattenseite des Umgangs mit den deutschen Künstlern.
Ich glaube gern, daß diese neue Kunstrichtung zum Theil eine sehr natürliche Gegenwirkung gegen die ihr vorangegangene, völlig weltliche und flache war, bin aber doch auch der Ansicht, daß die Nothwendigkeit, in welcher selbst die deutschen protestantischen Künstler sich befanden, ihrem religiösen Bedürfnisse in katholischen Kirchen zu genügen, nicht ohne Einwirkung auf die Gestaltung der neuen Richtung blieb. Es gab damals noch keinen protestantischen Gesandschaftsprediger in Rom, und daher auch keinen protestantischen Gottesdienst, und unläugbar mußte der katholische Kultus für den Kunstsinn wie für die Phantasie dieser jungen Männer ansprechender sein, als der protestantische. Da gab es denn bald Convertiten, und die Neubekehrten begründeten in Kurzem eine Manier, die sich an den strengsten Styl christlicher Kunst anlehnte, weil er ihnen eben der christlichste schien, welcher jedoch nicht eben der, den Anforderungen an Kunstschönheit entsprechendeste war.
Ich machte Niebuhr vor meiner Abreise nach Neapel im Jahre 1818 hierauf aufmerksam, und er versprach mir, für Anstellung eines Gesandschaftspredigers Sorge zu tragen. Er hoffe, fügte er hinzu, ich würde schon bei meiner Rückkehr einen solchen vorfinden. Und irre ich nicht, so fand ich in der That alsdann schon den ersten preußischen Gesandschaftsprediger, Schmieder, in Rom.[221]
Den meisten dieser Kunstjünger haftete, bei der sonst höchst liebenswürdigen Persönlichkeit sehr Vieler derselben, doch eine gewisse Krankhaftigkeit an, und nur zwei der damals in Rom lebenden Künstler gaben eigentlich den Eindruck zugleich von Ursprünglichkeit und unverkümmerter innerer Gesundheit, diese aber gehörten eben zu den älteren. Dies waren Koch und Thorwaldsen, der Letztere allerdings kein Deutscher, der sich jedoch zu den deutschen Künstlern hielt, beide freilich durch ihre Kunstfächer, der Erste als Landschafter, der Andere als Bildhauer, jener frommen Kunstrichtung enthoben. Nur war mit beiden nicht allzuviel zu sprechen, mit Koch namentlich für ein Frauenzimmer nicht. Dieser Schöpfer so vieler schönen, geistvollen, von tief eindringender Naturbeobachtung zeugenden Landschaften und auch in der Unterhaltung von geistreicher Lebendigkeit, ist ein Tyroler Bauer, und gewohnt alles, was es auch sei, mit den nächstliegenden und derbsten, wenngleich oft bezeichnendsten und am meisten charakteristischen Namen zu nennen; mit Thorwaldsen nicht, weil er eigentlich gar keine Sprache spricht, denn seine Muttersprache hat er fast vergessen, und doch keine andere Sprache gut genug gelernt, um sich mit Leichtigkeit in derselben auszudrücken. Oft betrachtete ich den herrlichen Kopf, das wunderbar strahlende blaue Auge des großen Künstlers, und dachte: wie trefflich müßte der Mann sprechen wenn er überhaupt sprechen könnte! – Was er aber auszudrücken wußte, zeugte von Gesundheit und Tüchtigkeit. –
Die Deutschen, sowohl Künstler als Literaten, erregten damals bei den Römern, in höherem Grade aber noch als bei diesen, welchen der Anblick nicht mehr neu war, bei[222] den Fremden, einiges Aufsehen durch ihre sogenannte deutsche Tracht, und mehr noch als durch diese, durch das lang herabhängende, oft sehr verwilderte Haar, welchen Schmuck Keiner entbehren zu können glaubte, er mochte ihm nun gut oder schlecht stehen. Der große breitschulterige Rückert besonders that in Beziehung auf das Haar das irgend Erreichbare. Er war außerhalb Roms ein Schrecken der Kinder, aber nicht bloß der Kinder, oft sogar der Erwachsenen. Als im Sommer 1818 ich mit meiner Freundin Dorothea Schlegel und einigen anderen Damen einige Monate in Genzano in einem am See von Nemi belegenen Hause wohnte, gehörte auch eine ebenfalls in der Gegend wohnende Principessa Simonetti1 zu unseren Bekannten. Diese ging eines Tages, gefolgt von der Amme, welche ihr Kindchen trug, aus, als ihnen plötzlich Rückert, der sich damals in L'Arriccia aufhielt, in den Weg trat. – »Simone mago, oimè Simone mago!« – (Simon der Zauberer! Wehe mir, Simon der Zauberer!) rief entsetzt die Amme aus, und war durch kein Zureden zum Stehen zu bringen. Spornstreichs und ohne sich auch nur umzublicken lief sie wieder nach Hause, hinter ihr die Prinzessin, welche alle Ursache hatte für ihr Kind zu fürchten. Es war eine überaus komische Hetzjagd. – Und dabei war der Gefürchtete selbst nicht ohne Furcht. Seine lebhafte Phantasie, welcher wir so viele schöne Schöpfungen danken, wurde ihm selbst in Italien mitunter zur Plage. Briganti und Schlangen waren die Gespenster, welche ihn schreckten.[223] Um uns von L'Arriccia aus zu besuchen, hatte er einen Weg von einer Viertelstunde durch den Wald zu machen, und nie war er zu bewegen bis zur Dämmerungszeit bei uns zu bleiben. Seine Einbildungskraft malte ihm stets Räuber vor, welche die macchia (den Buschwald) erfüllen würden sobald es dunkelte, und doch verlautete nicht das mindeste von Unsicherheit der Gegend. Und als Frau von Schlegel und ich ihn einst baten, sich im Freien neben uns zu setzen, weigerte er sich dessen, so heiß und abmattend auch die Luft war, und erklärte uns auf unser Andringen endlich, er thue es nicht – der Schlangen wegen.
Die Erinnerung an solche kleine Schwächen macht es mir um so mehr zur Pflicht einige schöne Züge von ihm im Gedächtniß zu bewahren. So hatte sich unter Anderen Atterbom seiner Herzensgüte zu erfreuen. Dieser schwedische Dichter, daheim in mannigfache Streitigkeiten verwickelt, war in bester Absicht von Frau von Hellwig nach Italien mitgenommen worden. Aber sie hatte übersehen, daß er in diesem Lande Mittel zur Subsistenz bedürfen würde, und dann welche zur Heimkehr. So befand er sich schon in Italien in großer Bedrängniß. Rückert befreite ihn durch thätige Unterstützung, ja durch eigene Aufopferung aus derselben. –
Ich bin in der That geneigt zu glauben, daß die Lebhaftigkeit der Phantasie der Dichter, geeignet alle Gefühle in ihnen zu steigern, auch das der Furcht mächtiger in ihnen erregen kann, als in uns gewöhnlichen Sterblichen. So erzählte man sich bei meiner Anwesenheit in Rom von der Furchtsamkeit Oelenschlägers gar wundersame Geschichten. Folgende ist eine derselben. Als er einmal mit den[224] Brüdern Riepenhausen, den bekannten Kupferstechern, von Rom aus einen Ausflug nach Tivoli machte, beschlossen diese, welchen seine Furchtsamkeit bekannt war, einen Scherz auf sie zu gründen. Nach getroffener Verabredung mit der Wirthin im Gasthofe, lief diese, anscheinend sehr unruhig bald Treppe auf und Treppe ab, bald im Zimmer umher. »Was mag der Frau sein?« fragte Oelenschläger, aufmerksam geworden. – Einer der Riepenhausen befragte sie um den Grund ihres Treibens. Nach einigem Zögern erklärte sie, daß sie alle Vorzeichen eines Erdbebens bemerke. Ein gelblicher, schwefelfahler Ton der Luft, noch andere Erscheinungen welche sie angab, alles deute auf ein Solches hin. – Oelenschläger erbleichte, seine Begleiter waren anscheinend betroffen. – »Aber was ist in solchem Falle zu thun?« fragte er endlich mit bebender Stimme. – »Ja was wäre da zu thun!« rief einer der Riepenhausen. »Sich seinem Schicksal zu ergeben! Wohl dem der klettern kann! Denn auf einem hohen Baume allein giebt es einige Sicherheit.« – Oelenschläger schwieg in sich versunken. – Plötzlich hob einer seiner Begleiter unbemerkt mit dem Knie den Tisch, so daß die Flaschen schwankten, und aus den Gläsern Wein überfloß. – Entsetzt fuhr Oelenschläger auf und eilte aus dem Hause. – Bald bemerkten die Anderen durch das Fenster, wie der wohlbeleibte, unbeholfene Mann mit Händen und Beinen eine hohe Pinie umklammerte, und hinauf zu klettern begann. Mit unsäglicher Anstrengung gelang es ihm endlich den Gipfel zu erreichen. Da saß nun hoch oben unbeweglich, geduckt und ängstlich der Dichter, der den Muth so mancher Nordlandsrecken zu[225] singen gewußt hatte, und erwartete bange die krampfhaften Zuckungen der Erde. Diese blieben freilich aus, aber nur mit Mühe gelang es endlich seinen Begleitern durch die beruhigendesten Versicherungen, ihn von dem Baume herabzukirren und zur Rückkehr nach Rom zu bewegen. –
Von den italienischen Künstlern wüßte ich nicht viel zu sagen. Ich gestehe, daß sie weder als Künstler noch als Menschen mich besonders zu interessiren wußten. Selbst den damals hochgefeierten und bis zum Uebermaaße beschäftigten Canova kann ich davon nicht ausnehmen. Als Künstler hat er zwar die bis zu seiner Zeit in größter Ausartung durch geistlose Nachahmer herrschende Berninische Manier beseitigt, aber meiner Meinung nach nur eine andere Maniertheit an die Stelle gesetzt. Diejenige Berninis betraf hauptsächlich die Gewandung, und dies war allenfalls zu ertragen, bei Canova äußert sie sich in den Linien und in der Bewegung der Figuren. Die Ersteren sind von einer Weichheit, die bis zur Verweichlichung geht. Ein Perseus, welchen er nebst einem Paare unausstehlicher Fechter in einem Zimmer des Vatikans in fast unmittelbarer Nähe des Laokoon und des Apoll von Belvedere aufzustellen die Stirn hatte, gleicht einem schönen tänzelnden Mädchen.
Im Umgange war Canova von feiner Sitte und vieler Lebendigkeit. Wie fast alle Italiener, denen ihr Italien in jeder Beziehung genügt, bewunderte er es wenn man noch eine andere Sprache sprach als die eigene. Aber er konnte auch gleich den meisten seiner Landsleute sein Erstaunen nicht bergen, wenn man ein vernünftiges Wort[226] sagte. Italiener, wenn sie fremde Länder nicht sehr genau kennen, betrachten die Bewohner derselben noch immer mehr oder weniger als Barbaren.
Canova besuchte mich in Begleitung eines Freundes sehr bald nach meiner Ankunft in Rom. Als er das zweite Mal kam, hatten meine Reisegefährtin und ich einen Abguß des Reliefs der »Nacht« von Thorwaldsen, welcher in meinem Zimmer hing, und welchem die gleichfalls weiße Wand unvortheilhaft stand, soeben mit einem Kranze von Lorbeern und Immergrün umgeben, welche wir zu diesem Behufe in den Orti inglesi gepflückt hatten. Der Zufall wollte, daß Canova der Erste war, welcher es so umkränzt sah. Er äußerte nichts, aber er kam von da an nie wieder, ungeachtet ich ihn später noch mehre Male in seiner Werkstatt besuchte. – Das Verhältniß zwischen beiden Künstlern war nicht das beste, und konnte es bei eben so abweichender Persönlichkeit als künstlerischer Richtung auch kaum sein. –
Nächst den Deutschen waren es die Engländer welche damals in Rom die Aufmerksamkeit auf sich zogen. Die Frauen waren höchst wunderlich gekleidet, und noch mehr Aufsehn erregte die absonderliche Touristenkleidung vieler Männer, an welche man nach der vorhergegangenen mehrjährigen Ausschließung der Engländer vom Continente in Italien noch nicht so gewöhnt war als später. Dabei gab ihnen eben in Folge dieser längeren Isolirung alles was nicht englischer Sitte entsprach, Anstoß, und die Männer glaubten selbst Plumpheit und Rohheit nicht scheuen zu dürfen, um die Einwirkungen solcher ihnen nicht zusagender Sitten und Gewohnheiten von sich abzuwenden, was sie[227] sehr unbeliebt und zur Zielscheibe des Spottes der Römer machte. Selbst meine Reisegefährtin und ich hatten uns auf solchen Anlaß über schlechte Behandlung Seitens eines Engländers zu beklagen. Wir fuhren während des Carnevals maskirt im Corso, und unser Begleiter warf einen Engländer mit Confetti, wie dies bei diesem Feste ganz gebräuchlich ist. In dem Reisehandbuche des guten Mannes mochte jedoch wohl von diesem Gebrauche nichts enthalten gewesen sein. Er kam an den Wagen und stieß meine Gefährtin heftig mit dem Stock. Ich war ganz empört von dieser Rohheit, meine Begleiterin aber sann auf Vergeltung. Maskirt und überhaupt sehr vermummt, steckte sie ihm am nächsten Tage auf dem Corso ein Billet in die Hand, worin ihm von einem »Wohlmeinenden« mitgetheilt wurde, daß sein Leben wegen seiner gestrigen Beleidigung einiger Damen in Rom auf's Höchste gefährdet sei. – Wie viel wir uns auch seit dem an allen von Fremden besuchten Orten umherbewegten, wir sahen den Engländer nicht wieder. –
Ich erhielt später in Berlin einen neuen Beweis, daß manche Engländer im Auslande ein im Allgemeinen ehrenwerthes Nationalgefühl bis zu dem Grade steigern, um die Sitte des fremden Landes selbst dann völlig unberücksichtigt zu lassen, wenn sie ihnen vollkommen berechtigt entgegentritt, und da der Fall wunderlich genug ist, so will ich ihn erzählen.
Lady Frances Mackenzie hatte mir Charles Scott, den Sohn Walter Scotts, empfohlen, als er Deutschland besuchte. Ich kann nicht läugnen, daß seine Bekanntschaft mein Erstaunen darüber hervorrief, daß der Vater eben[228] diesem Sohne seine Liebe vorzugsweise vor seinen anderen Kindern zugewendet hatte. Ich wenigstens mußte sein Wesen vielmehr abstoßend als anziehend finden. Lady Mackenzie hatte ihrer Empfehlung den Wunsch hinzugefügt, daß ich den jungen Mann in das Haus des Ministers Humboldt einführen möchte. Aber Herr Charles Scott sprach keine andere Sprache als seine Muttersprache, im Humboldtschen Hause jedoch hatte man damals – es war vor der Zeit von Humboldts Gesandtschaft in London – eine entschiedene Abneigung gegen das Englischsprechen. Frau von Humboldt selbst bat mich deshalb, ihn ihr nicht zuzuführen, und es war mir hinterher angenehm, daß aus diesem Grunde eine Einführung unterblieb, welche mir manchen Verdruß hätte bereiten können. Denn Mr. Charles Scott war kürzer angebunden und rücksichtsloser, als man es im Humboldtschen Hause ertragen hätte ohne verstimmt zu werden. Er gab mir selbst Gelegenheit dies zu empfinden. Ich sprach einmal mit ihm in sehr anerkennender Weise von einem Romane seines Vaters, als von diesem verfaßt. Nun hatte sich Walter Scott damals zwar noch nicht öffentlich zu seinen Werken bekannt, seine Autorschaft derselben war aber bereits notorisch und wiederholt öffentlich behauptet und von ihm niemals bestritten worden. »My father never spoke of such a book,« antwortete der Sohn sehr kurz. Und wahrscheinlich um mir meine Indiskretion noch schärfer zu markiren, und jeder weiteren Aeußerung meinerseits über ein Werk seines Vaters zuvorzukommen, fügte er nach einer kurzen Pause die wunderlichen Worte hiuzu: »He never spoke of a book!«
Der Fall jedoch, in welchem er auf eine sehr aufsehnerregende[229] Weise gegen die deutschen Begriffe von Sitte und Schicklichkeit verstieß, ist der folgende. – Bei Hofe, irre ich nicht bei dem Herzog Carl von Mecklenburg, sollte ein Ball im Costüm stattfinden, zu welchem Mr. Charles, wie er mir mittheilte, eingeladen war. Ich fragte ihn, in welchem Costüm er erscheinen werde. »In my highland-dress,« – lautete die Antwort. Vergebens bezeugte ich, markirte ich mein Erstaunen, wiederholte ich meine Frage, »In my highland-dress!« lautete unverändert die Antwort. – »Ganz treu? Nicht mit einer den Umständen angemessenen Modification?« – »In my highland-dress!« – wurde mir beharrlich geantwortet. – Zu verwundern ist es, daß der englische Gesandte, der ebenfalls von dem Vorsatze wußte, und aus mehr als einem Grunde deutlicher mit ihm hätte sprechen können als ich, ihn nicht davon abzubringen suchte. Kurz Mr. Charles erschien in der That in seinem highland-dress, und ein großer Theil der Unbefangenheit, mit welcher sich die Damen ohne diesen Umstand auf diesem Feste bewegt hätten, wurde ihnen durch die Bemühungen geraubt, den highland-dress des Mr. Charles Scott, oder vielmehr das was an demselben eben nicht dress war, zu meiden. –
Einen anderen seiner Landsleute, und zwar einen viel höher Stehenden und daher in der Gesellschaft viel Berechtigteren seine Ansichten von Sitte zur Geltung zu bringen, habe ich dagegen wegen seines willigen Eingehens auf unsere deutsche Art zu loben. Es war dies der Herzog von Clarence, welcher um das Jahr 1800 einen Winter in Berlin zubrachte, und welchen ich während seiner Anwesenheit daselbst viel sah. Schon damals zeichneten Wohlwollen[230] und Humanität den äußerlich zwar ansehnlichen aber nicht gerade schönen Prinzen aus, welcher in dieser Hinsicht seinem Bruder dem Herzoge von Cambridge nachstand. Auch die deutsche Literatur interessirte ihn lebhaft, und er ging gern mit Gelehrten und anderen unterrichteten Leuten um, welches Standes sie auch sein mochten. Selbst an der Feßlerschen Lesegesellschaft nahm er zuweilen Theil.
Dagegen gab mir dieser Prinz einmal Gelegenheit mich zu überzeugen, wie selten so hochgestellte Personen eine richtige Ansicht von den äußeren Verhältnissen selbst solcher Leute haben, welche sie zu ihrem Umgange zuziehen. Es handelte sich wieder um einen Ball im Costüm bei Hofe. Der Herzog bat mich schriftlich, ihm meinen Diamantschmuck zu demselben zu leihen. Und welchen Werth hätte dieser haben müssen, sollte ein englischer Prinz an einem königlichen Hofe in ihm glänzen können! – Ich antwortete ihm, ich sei überhaupt nicht reich genug um einen Diamantschmuck zu besitzen, aber selbst wenn ich es in dem Maaße wäre um Eigenthümerin eines seiner würdigen zu sein, so würde es mir an der dazu erforderlichen Eitelkeit fehlen. –
Uns Deutschen ist der Vorwurf des Bestrebens, unsere Art und Sitte auch im fremden Lande durchzuführen, nicht füglich zu machen, ja unser Fehler ist vielleicht der entgegengesetzte, der eines zu leichten Aufgebens unserer Nationalität, ja dieser geht bei manchen Deutschen, welche sich in fremden Ländern niedergelassen haben, bis zur Verläugnung der schönen Muttersprache. Und diese Betrachtung führt mich von meiner Abschweifung nach Rom zurück, weil ich eben dort die so seltene entgegengesetzte Erfahrung[231] machte, welche ich jedoch mit einem sehr langweiligen Abende bezahlen mußte.
Die Marchesa Massimi, Tochter des Prinzen Xaver, Bruders des Königs Friedrich August von Sachsen, war, wenngleich in Deutschland geboren, doch in Frankreich erzogen worden, daher das Französische ihre eigentliche Sprache war, und verheirathete sich dann einem Italiener, mit welchem sie in Italien lebte, so daß das Italienische ihre zweite Muttersprache wurde. Dessenungeachtet hatte sie eine große Vorliebe für die Sprache ihres Geburtslandes behalten. Sie ließ es ihre Kinder lehren und sprach es mit ihnen, und gab öfter società tedesche (deutsche Gesellschaften). Ich hatte schon von diesen Gesellschaften gehört, welche auf einige Zeit durch den Tod eines Schwagers der Marquise unterbrochen worden waren, als ich von ihr zu einer picola società eingeladen wurde. Ich war, ich läugne es nicht, recht neugierig auf das deutsche geistige Mahl, welches man uns Deutschen in Wälschland auftischen würde, denn es mußte ein feines sein wenn es uns, die wir von der Quelle kamen, befriedigen sollte. Endlich wurden wir mit bedeutungsvollen Mienen in einen kleinen Saal geführt, in dessen Hintergrund Schirme aufgestellt waren. Unsere Spannung auf das Geheimniß welches sie bargen war groß. Bald sollte es sich offenbaren. Hinter einem Schirme nach dem anderen trat irgend Einer ein Papier in der Hand hervor, aus welchem er eine Rolle aus einem dramatisirten Sprüchworte ablas. Die Kinder des Hauses waren unter den Lesenden. Alle diese Italiener aber, wenn sie auch sonst das Deutsche richtig aussprachen, hatten keinen[232] Begriff von dem Tonfall oder Gesang der deutschen Sprache. Sie sprachen sie ungefähr wie die Taubstummen sie sprechen. Das hätte der Sache etwas Komisches gegeben, hätte man nur lachen dürfen; so aber vermehrten die Bemühungen das Lachen zu unterdrücken, noch die Pein. Glücklicherweise sind dramatisirte Sprüchwörter kurz, und man las ihrer nicht viel ab. Mir aber wurde nun die Ungeduld erklärlicher als je, von welcher ich oft Gelehrte erfaßt sah, wenn Layen ihnen dadurch besondere Aufmerksamkeit und großes Vergnügen zu erweisen meinten, daß sie ihre Kenntnisse in dem Fache der Anderen vor diesen auskramten. – So konnten wir denn der guten und freundlichen Marchesa für ihren deutschen Sinn in der That viel weniger Dank wissen, als wir ihr solchen ihrer guten Absicht und der Schicklichkeit wegen aussprachen. –
Ist der Deutsche, wie ich schon bemerkte, im Allgemeinen sehr geneigt, im fremden Lande seine Nationalität aufzugeben, ja zu verläugnen, und neigt dagegen der in Deutschland ansässige Fremde sehr selten dazu, so kannte ich doch einen der Letzteren, und der noch dazu einem Volke angehörte, das sich sonst am schwersten in eine fremde Volksthümlichkeit hineinlebt, welcher durch und durch ein Deutscher geworden war. Dies war Chamisso. Sowie seine Gedichte bekunden, wie sehr sein Sinn und sein Geist deutsch geworden waren, so ließ auch sein persönlicher Umgang kaum irgend etwas Französisches mehr hervorblicken. Aber nicht nur den Franzosen, sondern auch den Adelichen hatte er vollkommen abzustreifen gewußt. Erst sehr spät erfuhr ich, daß seine Familie bedeutenden regierenden Häusern, ja sogar dem dänischen Königshause verwandt[233] ist, aber ihre Vornehmheit leuchtete trotz ihrer Verarmung in Folge der ersten französischen Revolution aus ihrem ganzen Wesen hervor, als sie während der Letzteren nach Berlin kam. Chamisso wurde damals Page bei der Mutter des Königs,2 dann Offizier, und preußischer Offizier unter dem alten Regime, und wer hätte von diesem Allen je etwas an ihm bemerkt? Niemand war weniger anmaßend als er, Niemand machte für seine Person weniger Ansprüche. Die Begegnung, welche ihm bei seiner Weltumseglung auf dem russischen Schiffe widerfuhr, hat er daher gewiß nicht verschuldet, und am wenigsten dadurch, daß er sich eine höhere Stellung als die ihm gebührende angemaßt hätte. In seinen Manieren war er durchaus bürgerlich im besseren Sinne des Wortes, in seinen Gewohnheiten schlicht, sein Aeußeres vernachlässigte er sogar bisweilen bis zur Uebertreibung.
Das Letztere gab Anlaß zu einer komischen Geschichte. Ich pflegte einige Sommermonate auf dem Gute L. bei der Familie v.W. zuzubringen, wo ich in der Frau vom Hause eine treffliche Freundin zu verehren hatte. Da tritt eines Tages der Bediente ein, und überreicht mir eilfertig und ängstlich eine Karte, auf welcher die Worte stehen: Ein Wilder von den Sandwich-Inseln.
»Ein Wilder?« fragte ich erstaunt. – »Ja, wild genug sieht er aus!« – antwortete scheu der Bediente.
Ich trat sehr gespannt in das Vorzimmer. Ein Mann mit lang herabhängendem Haar, unrasirt, in einem schlechten grünen Kalmuck-Flausch, die Botanisiertrommel über die eine[234] Schulter, über die andere einen Kasten gehängt, welcher, wie ich später erfuhr, ein Teloskop enthielt, stand vor mir. Es war Chamisso. Er war kurz vorher von seiner Reise um die Welt zurückgekehrt, hatte mich noch nicht wiedergesehen, und benutzte jetzt, auf einer botanischen Exkursion in der Nähe des Gutes vorüberwandernd, die günstige Gelegenheit dazu. – Wie ein Wilder von den Sandwich-Inseln sah er nun freilich nicht aus, aber doch dermaßen, daß ich es nicht wagte, ihn in die feine Familie, in welcher man gewöhnt war alles mit Glaçé-Handschuhen anzufassen, einzuführen, ohne ihr in der Geschwindigkeit seine Geschichte gemacht, und ihr als Mittel gegen den unrasirten Bart seinen Stammbaum und als Mittel gegen den Flausch seine Reise um die Welt eingegeben zu haben. Nun wurde er aber auch sehr freundlich aufgenommen, blieb den ganzen Tag über, und setzte erst am nächsten Vormittage seine Wanderschaft fort. –
Die Marchesa Massimi, von welcher ich vorhin sprach, erinnert mich, daß man in Berlin verschiedentlich verbreitete, ich hätte mich dem Papste vorstellen lassen, und an diese Vorstellung sogar Erzählungen von einem in Rom erfolgten Uebertritte meinerseits zum katholischen Glauben knüpfte; denn jene Fürstin war es, welche damals das Ehrenamt der Einführung der fremden Damen bei dem Papste bekleidete. Aber auch nicht einmal jene Vorstellung fand statt. Zwar waren schon alle Verabredungen hinsichts derselben zwischen uns getroffen, sogar der Schleier welcher für die Vorstellende de rigueur ist, war schon gekauft, als mir die vernünftige Erwägung kam, daß die herkömmlichen Vorgänge bei einer solchen Präsentation, darin bestehend,[235] daß die Vorgestellte Miene macht, dem heiligen Vater den Pantoffel zu küssen, dieser es abwehrt, und dann einige Worte zu ihr spricht, der Umstände derselben nicht werth seien. Zudem hatte ich Pius VII. öfter in unmittelbarster Nähe gesehen, z.B. am Weihnachts-Heiligabend 1817 in St. Maria Maggiore, und am folgenden Gründonnerstag bei der Fußwaschung und Speisung. An dem ersten dieser Tage wurde der Sessel, welchen er verließ, um nach dem Throne zu gehn, dicht vor uns niedergelassen. Der Papst sah sehr bleich aus, und enthielt sich merkbar des Hustens, doch war seine Stimme als er der Messe beistand, stark und klar. Bei der Fußwaschung und der darauf folgenden Speisung der sogenannten Pilger fand ich ihn schon viel kränklicher und schwächer, so daß die Emsigkeit, mit welcher er trotzdem diese Priester unter welchen auch ein Neger war, mit Speise und Trank bediente, mich wahrhaft rührte, und um so mehr, als ich meinte, der gute Greis müsse sich sagen, es dürfte das letzte Mal sein, daß er dies Symbol christlicher Demuth übe. Auch diese Schwäche war ein Grund, daß ich ihn einer leeren Ceremonie halber nicht in Bewegung setzen wollte. Dennoch lebte er noch fünf Jahre, und starb auch dann nur in Folge eines Falles. –
Seinen Günstling, den Kardinal Consalvi, sah ich oft, sowohl bei mir als bei gemeinschaftlichen Bekannten, am Meisten und im engsten Kreise bei meiner Freundin Dorothea von Schlegel. Es konnte in Italien, wo man jeden sich darbietenden Vortheil zu benutzen bemüht ist, hiernach kaum fehlen, daß meine Verwendung bei dem allmächtigen Minister öfter in Anspruch genommen wurde. Einmal hat mich ein solches Ansuchen in peinliche Verlegenheit gesetzt.[236] Es galt nämlich, einen jungen Mann, welcher sich mit einem Mädchen vergangen hatte, die Folgen jedoch nicht durch eine Heirath wieder gutmachen wollte, von der nach unseren Begriffen freilich sehr harten, in Rom jedoch gesetzlich darauf stehenden Galeerenstrafe zu befreien. Ich kämpfte lange mit mir. Endlich jedoch siegte die Erwägung, daß der junge Mann sich selbst von der Strafe durch einen Schritt befreien könne, welchen eben Ehre und Pflicht ihm ohnedies geboten. Ich fühlte wohl, daß beiden Theilen aus einer auf solche Weise geschlossene Ehe kein besonderes Glück erblühen könne, doch war dies eben eine Folge ihrer Schuld, welche beide Theile zu tragen hatten. Ich versagte meine Verwendung. –
Consalvi war ein hochgewachsener hübscher Mann von der feinsten weltmännischen Haltung. Ob von so weltlichem Sinne, daß, wie man sagte, Napoleon eine Manifestation dieses Sinnes benutzen konnte, um dem Kirchenfürsten in dem Konkordate, welches er mit ihm, als dem Bevollmächtigten Pius VII., schloß, dem Staate sehr vortheilhafte Bedingungen abzudringen, muß ich dahingestellt sein lassen. Gewiß ist, daß sich äußerst bequem mit ihm umgehen ließ, und daß nichts an ihm den Geistlichen verrathen hätte, hätte es seine Kleidung nicht gethan.
Dagegen hatte sonderbarer Weise Fesch, welcher in seinen früheren Jahren dem geistlichen Stande schon auf längere Zeit Valet gesagt hatte, Kriegskommissär geworden war, als solcher, wie man versichert, Lieferungsgeschäfte betrieb, und nur auf Napoleons Geheiß in den früheren Stand zurückgetreten war, ganz das Aeußere eines kleinen feisten Prälaten. Im Anfange meines Aufenthalts in Rom[237] gewährte er den Fremden mit großer Liberalität Zutritt zu seiner Gemäldesammlung, welche viel des Trefflichen enthielt. Gegen mich war er freundlich genug, mich selbst durch alle Zimmer zu führen. Aber so wenig ich sonst auf meine Kunstkennerschaft gebe, so möchte ich doch nicht auf die bedeutenden Namen schwören, die er vielen ziemlich mittelmäßigen Kunstwerken beilegte. Er theilte mir zuletzt mit, daß er die Sammlung gegen eine Leibrente von 12,000 Scudi zu verkaufen wünsche, und der ziemlich kaufmännische Geist welcher aus ihm sprach ließ einigen Verdacht in mir aufkommen, daß ich seine große Zuvorkommenheit vielleicht der Ansicht dankte, ich könne ihm durch meine mannichfachen Beziehungen zur Erreichung dieses Zweckes verhelfen. Das Geschäft mußte aber jedem Kauflustigen als ein sehr gewagtes erscheinen, denn er sah sehr gesund aus und viel jünger als er war. Englische Rücksichtlosigkeit entzog den Kunstfreunden später die leichte Zugänglichkeit zu der jedenfalls sehr interessanten Sammlung. Engländer, welche doch die Indiskretionen Fremder hinsichtlich ihrer Landsleute so scharf zu rügen lieben, hatten die fast unverzeihliche begangen, die auf dem Schreibtische liegenden Papiere des Kardinals zu durchstöbern, während er sie ungeleitet in den Zimmern sich ergehen ließ, damit sie desto ungestörter die Kunstwerke betrachten könnten. Diese unangenehme Erfahrung rechtfertigte allerdings Zurückhaltung und Vorsicht Seitens des Eigenthümers. –
Der Wunsch, möglichst wenige Kunstwerke von Bedeutung in Rom ungesehen zu lassen, führte mich in die Wohnung eines zweiten Verbannten von europäischem Rufe, wenngleich nicht vom besten, in die des Friedensfürsten,[238] Don Manuel Godoy. Von Gemälden fand ich wenige von Bedeutung, aber nicht ohne Bedeutung und bezeichnend genug erschien es mir, daß die Zimmer dieses Günstlings einer Königin ganz wie die Zimmer einer petite maîtresse eingerichtet waren, namentlich das Schlafzimmer. –
Eine der angenehmsten und liebenswürdigsten Erscheinungen war mir, und gewiß allen damals in Rom befindlichen Deutschen, der Kronprinz Ludwig von Baiern. Es that mir fürwahr wehe, wenn ich später manche Stimmen des Tadels sich gegen ihn erheben hören mußte. Er, der äußerlich so Hochgestellte, welchem bei dem Alter des Königs, seines Vaters, der Thron bereits winkte den er wenige Jahre später bestieg, und zugleich der schon durch sein umfassendes Wissen zu Ansprüchen berechtigte Mann, war gleichwohl der anspruchsloseste, welchen ich jemals gekannt hatte. Man vergaß bei ihm ganz seinen Rang, aber wahrlich nicht um ihn deshalb weniger zu achten. Wie er sich seinerseits denen ganz hingab welchen er wohlwollte, wo man dann seine Rechtlichkeit, seine Religiosität, seinen Sinn für Kunst, seine Verehrung alles Guten, seinen Fleiß anzuerkennen sich gedrungen fühlte, so schloß er auch andererseits so Begünstigten unwiderstehlich die Herzen auf, denn sie mußten sich ihm gegenüber zum Aufgeben aller Zurückhaltung gedrungen fühlen.
Alle irgend namhafte, damals in Rom befindliche Deutsche, zumal aber die Künstler, hatten sich mehr oder minder seiner wohlthuenden Aufmerksamkeit zu erfreuen, aber ich darf sagen, daß er gegen mich ganz besonders freundlich war, und, nächst der Frau von Humboldt, mich am meisten auszeichnete. Ich werde deshalb nie aufhören eine dankbare[239] Erinnerung an ihn zu bewahren. Ich sah ihn fast täglich, ja zu Zeiten täglich zweimal, und unangemeldet schmückte er mitunter meine kleinen – stets ungeladenen – Abendgesellschaften durch seine Gegenwart. Ich erinnere mich besonders eines sehr anregenden Abends, an welchem er unter Anderen Immanuel Bekker, Cornelius, Mosler, Koch, Ringseis und den wackeren Eberhard bei mir fand, welchen Letzteren, wenngleich ein Bayer, er in Rom erst würdigen lernte. Der Abend war der zwangloseste welchen man denken kann, denn auch im gesellschaftlichen Umgange war der Prinz durchaus bequem. Wie er denn überhaupt seiner Würde nichts zu vergeben glaubte, wenn er weder Anderen irgend welchen Zwang auflegte, noch selbst den Prinzen kundgab. »Noch zu Haus?« – rief er mir wohl von der Straße aus nach meinem Fenster hinauf, wenn ich mich noch an diesem befand während es in Rom etwas Besonderes zu sehen gab.
Daß er meist ohne Begleitung ausging hätte ihm öfter beinah Unannehmlichkeiten zugezogen. Eines Abends rief er mir, bei mir eintretend, zu: »So eben wäre ich bei einem Haar arretirt worden!« Er hatte sich in der Dunkelheit in dem Hause geirrt, und war in die Wohnung ihm gänzlich Unbekannter gerathen. Und da er in derselben ohne Weiteres in die inneren Zimmer gegangen war, so hatten herzukommende Diener ihn für einen verdächtigen Menschen gehalten, und ihn festnehmen lassen wollen. –
Noch ein anderer, im engeren Freundeskreise mit dem Prinzen sehr heiter verlebter Abend ist mir lebhaft im Gedächtnisse, und zwar wurde dieser in einem Hause zugebracht, welches oberflächliches Urtheil vielleicht dem Rang[240] und der Würde eines Thronerben noch weniger entsprechend erachtet haben möchte, als das meine. Es war das der Signora Buti, einer achtungswerthen Wittwe, welche Fremde logirte, meist aber Deutsche, und vorzugsweise deutsche Künstler, bei welcher aber auch Thorwaldsen fast während der ganzen Zeit seines Aufenthalts in Rom wohnte. Das Abendessen nahmen in der Regel alle Hausbewohner gemeinschaftlich ein, wobei die Wirthin und ihre sehr hübschen Töchter denn auch nicht fehlten. Es ging da in interessanter Gesellschaft sehr heiter zu, und Frau von Humboldt, eine andere Freundin und ich hatten uns deshalb auch einmal für den Abend anmelden lassen. Dem Kronprinzen war durch Herrn von Eckardtstein ein Wink davon geworden, und ganz unerwartet stellte auch er mit seinem Gefolge sich ein. Der Abend, welcher sich bis zwei Stunden nach Mitternacht hinzog, war einer der fröhlichsten meines Lebens, ja ich darf ihn von Ausgelassenheit nicht freisprechen. Und man denke sich die bunte Zusammensetzung der Gesellschaft von dem Kronprinzen an bis zu den Töchtern des Hauses, welche man dem Stande der Arbeiterinnen beizählen durfte, weil sie, um ihrerseits der früh verwittweten Mutter, welcher auch noch die Sorge für einen unmündigen Sohn oblag, die Bürde zu erleichtern, für Geld nähten und wuschen, durch die verschiedensten Nüancen der Stände und Bildungsstufen hindurch! Aber ein solch buntes Gemisch der Gesellschaft ist auch nur in dem glücklichen Süden möglich, wo nächst gesundem Verstande, Grazie, Takt und gute Sitte in der Regel auch dem Geringsten inwohnen, und die Macht über die anmuthigsten Wendungen einer schönen und wohlklingenden[241] Sprache Gemeingut ist. In Deutschland ist eine solche Gesellschaft fast eine unmögliche. Den Theilnehmern an derselben aus den höheren Ständen würde hier sofort der Vorwurf der Unschicklichkeit gemacht werden, ja es würden vielleicht sehr bereitwillig unsittliche Absichten präsumirt werden. –
Auch in Rom hatte ich bisweilen Anlaß mich an die Mittel meiner Bekannten Behufs der Erleichterung Unglücklicher zu wenden. Der Prinz spendete bei solchen Gelegenheiten selbst für seinen Stand reichlich. Einmal war das Letztere besonders hinsichtlich eines armen kranken Bildhauers der Fall, der, sollte er nicht unrettbar dem Tode verfallen, seine Wohnung, welche ihm im Winter auch nicht einen einzigen Kamin bot, wechseln mußte, jedoch aller Mittel entbehrte, die rückständige Miethe für die jetzige, und die vorauszuentrichtende für eine künftige zu zahlen. Als ich zudem nun noch erfuhr, daß der Prinz ihm auch seinen Arzt geschickt habe, dankte ich ihm sehr bewegt. Da ergriff er meine Hand, und rief in einem Tone, aus welchem ungeschminkte Wahrheit sprach: »Ich danke Ihnen!« –
Wurde dem Prinzen zu Ehren irgend eine Festlichkeit, etwa eine Beleuchtung u.s.w. veranstaltet, welche ein Interesse für die deutschen Künstler und seine sonstigen Bekannten haben konnte, so verfehlte er nie sie davon zu benachrichtigen. Unter den Genüssen, welche mir selbst durch solche Begünstigung wurden, nimmt die Beleuchtung der Antiken im Vatikan für mich eine erste Stelle ein.
Die Künstler geizten nach seinem Lobe, weil sie seine Kunstkenntniß anzuerkennen hatten, und seine Kunstliebe eine durchaus ungeheuchelte war. Er hat diese später genugsam durch die mannichfachen und großartigen Werke[242] bekundet, welche er ausführen ließ. Während er es nun so als die würdigste Benutzung seiner reichen Geldmittel erachtete, Kunstschöpfungen in's Leben zu rufen, mußte es ihn begreiflich mit Unwillen erfüllen, wenn er des Geldes halber einen reichen Fürsten sich trefflicher ererbter Kunstwerke entäußern sah. Und so habe ich ihn nur einmal zornig, und doch vielleicht in höherem Grade noch als zornig, ergriffen gesehn, als er das Casino der Villa Borghese seiner herrlichen Skulpturen beraubt sah. Sein Unwille machte sich in einem Gedichte Luft, welches er mir mittheilte, und von welchem ich noch eine Abschrift besitze.
Vor allem aber rühmten sämmtliche in Rom anwesende Deutschen von dem Prinzen, daß Er, der in so vielen Beziehungen zu gelten den Anspruch hatte, keinen höheren Ehrgeiz zu besitzen schien als den, ein Deutscher zu sein. Es war die Zeit des Deutschthums. Auch den Kronprinzen sah man nicht anders als im deutschen Rocke, auf dem Kopfe die Mütze mit dem Landwehrkreuze. Er liebte es aber auch, alle Deutsche in diesem Rocke und mit dem Barett zu sehn, und wer, namentlich unter den Künstlern, nicht die Mittel besaß, sich diese Kleidungsstücke selbst anzuschaffen, dem verehrte er sie. Ein Deutscher in gewöhnlicher Tracht wurde zuletzt gewissermaßen anrüchig. Er galt für einen Undeutschen, und, wenn diese Anschuldigung nicht Platz greifen konnte, doch für einen Philister. Noch heute ist mir in der Erinnerung der Augenblick ergötzlich, in welchem ich meinen guten Immanuel Bekker, der sein Lebelang sich um nichts weniger Noth gemacht hatte als um seine Kleidung, endlich aber der vielen Insinuationen und Andeutungen im Betreff derselben satt und müde geworden[243] war, mit süßsauerm Lächeln im altdeutschen Rocke in mein Zimmer treten sah.
Kurz, die Deutschen und namentlich die Künstler fanden in dem Prinzen den seltensten Verein aller schönen Eigenschaften und edlen Neigungen. Die Letzteren waren für ihn enthusiasmirt ja begeistert, und ihr Enthusiasmus wurde ansteckend. Auch mir erschien der Prinz von so großer Trefflichkeit, daß ich, wie denn alle irdische Größe und Höhe solche Befürchtung einzuflößen geeignet ist, für ihren Bestand fürchtete. Und als ich in solcher Stimmung einst in seiner Begleitung die spanische Treppe hinaufsteigend, ihn fragte: »Werden Sie denn auch als König so bleiben wie Sie jetzt sind?« antwortete er mir, die Schlußzeile des Schillerschen Gedichts »Kolumbus« variirend:3
»Was der Jüngling verspricht, leistet der Mann euch gewiß.«
Der damalige Aufenthalt des Prinzen in Rom wurde vor seiner auf den nächsten Morgen festgesetzten Abreise nach Griechenland durch jenes herrliche, ihm von den deutschen Künstlern veranstaltete Fest beschlossen, dessen Beschreibung seiner Zeit alle besseren deutschen Blätter enthielten. Ich will daher nicht auf sie zurückkommen, und nur einige damals nicht bekannt gewordene Einzelheiten erzählen. – Die Künstler beabsichtigten anfänglich, das diplomatische Corps zu dem Feste einzuladen, Frauen jedoch von demselben auszuschließen. Der Prinz verbat sich das Erstere, und erbat sich die Letzteren. Es waren ihrer etwa zwanzig in der Gesellschaft, welche aus ungefähr hundertundzwanzig[244] Personen bestand, unter ihnen mehre Frauen und Bräute anwesender Künstler, Frau von Humboldt, deren Töchter und ich. Die Herren nahmen das Souper stehend ein, mit Ausnahme des Kronprinzen, welcher seinen Platz zwischen Frau von Humboldt und mir genommen hatte, wie er sich denn überhaupt am meisten mit uns unterhielt. Das Fest zog sich bis spät in die Nacht hin. Auf 4 Uhr Morgens hatte der Prinz seine Messe bestellt, um 5 Uhr wollte er abreisen.
Beim Abschiede verlangte er wiederholt von mir das Versprechen eines zweiten Zusammentreffens in Rom nach Verlauf von zwei Jahren. Ich konnte es ihm nicht geben, und hätte es auch nicht halten können. Meine Bewegung bei diesem Abschiede war groß, meine Wünsche für den Prinzen waren die aufrichtigsten und heißesten. –
1 Oder Sermoneta. Die Verstorbene wußte dies nicht mehr genau.
Anmerk. des Herausgebers.
2 Friedrich Wilhelm III.
3 Das bezügliche Distichon lautet:
»Mit dem Genius steht die Natur in ewigem Bunde;
Was der eine verspricht, leistet die andre gewiß.«
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