VIII.

[202] »Ruhe that dir Noth,« sagte ich zu Berlioz, »wie fühlst du dich hier, sans indiscrétion?« Er antwortete lachend: »Man ärgert sich nicht, und das ist keine Kleinigkeit. Hatte ich doch dort unten den Aerger als täglichen Besucher zu empfangen; ich hätte ihn oft abweisen können, ich that es nicht, ich hatte mich an ihn gewöhnt. Fast fehlte mir etwas, wenn er sich nicht einstellte.« »Durftest du nicht Manches leichter nehmen?« frug ich ihn; – »während der Jahre wenigstens, während welcher wir uns viel sahen, fiel es mir oft auf, wie schwer du die Dinge nahmst – ich war damals freilich noch übertrieben jung.« »Sache des Temperaments,« erwiderte er, »und noch immer kann ich's nicht so ganz los werden. Das Gesindel ist auch gar zu dick gesäet bei euch.« »Merci,« sagte ich. [202] »Present company allways excepted,« rief Berlioz aus; »ich denke, du wirst meiner Ansicht nicht widersprechen; thätest du's, so würde ich dir entgegnen, daß mein Blick viel geschärfter ist als der deine. – Entsetzlich ist's, welch ein Abgrund von Gemeinheit sich vor dem Auge aufthut, wenn man es halbwegs anstrengt; und zwar bei Vielen, die sehr anständig thun und auch für sehr anständig gelten.« »Bedenke doch,« versetzte ich, »wie schwer es ist, durch alle die engen winkeligen Straßen des Lebens sich zu Fuße durchzudrängen, ohne sich zu beschmutzen oder bespritzt zu werden.« »Als ob die Fahrenden reinlich blieben,« antwortete Berlioz. »Müssen sie doch ein-und aussteigen,« sagte ich lachend. »Glaube mir,« fuhr der kühne Hector fort, »wenn du nicht weißt, ob es Einer gut oder schlimm mit dir meint, so glaube stets das letztere, du wirst dabei sicherer fahren und vorwärts kommen. Am besten, man setzt stets voraus, man werde hintergangen, und ist immer schon zur Abwehr bereit.« »Darf ich dir jetzt hier Vorwürfe machen? lieber Berlioz,« sagte ich, »ich finde dich undankbar, du hattest viele Freunde, warme, aufrichtige, thätige Freunde, solche die es hinter dem Rücken sind!« »Das leugne ich nicht,« entgegnete Berlioz, »doch wie Viele handelten aus Angst, aus Eigensucht, wie Viele wollten mich benutzen!« »'s ist ein nicht zu verachtendes Ding, die Macht, nützlich sein zu können,« sagte ich, »vollends, wenn man Gebrauch davon macht – ich meine im guten Sinne, wie du es, meines Wissens, oft genug gethan!« »Ich war gutmüthig bis zur Schwäche,« murmelte Berlioz. »Das liest man aus deinen Schriften nicht heraus,« sagte ich; »aber wohl magst du zuweilen mit mehr Nachsicht geschrieben als geurtheilt haben.« »Wer die kritische Feder in die Hand nimmt,« erwiderte Berlioz, »müßte so unabhängig sein – so unabhängig – wie es Niemand zu sein vermag.« »Nicht einmal die Götter des Olymps sind es gewesen!« rief ich. »Arme Götter! aber sie hatten doch ein hübsches Leben,« meinte Berlioz, »jedenfalls ein besseres als ein scheltender Schriftsteller oder ein kämpfender Componist, vollends als Einer, der beides in sich vereinigt.« »Der Eine hilft dem Andern,« sagte ich, »das hat man an Gluck, an dir und an Wagner gesehen. Was[203] die Leute euren Worten nicht glaubten, das glaubten sie euren Tönen – und –« »Und,« unterbrach mich der Freund, »was sie unsern Tönen nicht glaubten, das glaubten sie unsern Worten, willst du sagen? Gluck laß vor Allem aus dem Spiel, du weißt, wie ich an dem hing und hänge – er hat für sich geschrieben, er that wohl daran, er durfte an sich glauben und hat an sich geglaubt. Was mich betrifft: wenn ich nicht an mich geglaubt hätte, wie hätte ich Etwas hervorbringen können? Weder Cherubini noch Rossini setzten Vertrauen in mein Talent – und Wagner! wohl, du weißt, ich liebte ihn nicht und – liebe ihn nicht; daß er aber aufrichtig, davon bin ich überzeugt, und zwar nicht allein, wenn er sich lobt, auch wenn er Andere herabsetzt. Glücklicherweise findet er mehr Gläubige für's Erstere als für's Letztere.« »Er findet für Alles Gläubige,« entgegnete ich; »aber du, was sagst du dazu, daß die Pariser dir jetzt Altäre errichten und Opfer bringen?« »Ich wollte, sie hätten es gethan, als ich noch unter ihnen lebte! Unten verlangte ich danach und es hätte mich beglückt. Wenn man schon über sich selbst hinaus ist, kommen sie nachgehinkt! Damals hätte es mich gehoben, zu neuer Arbeit angestachelt – jetzt ist mir's gleichgültig, ich habe Anderes zu thun. Habe ich doch gearbeitet wie kaum Einer! wenn ich meine Sachen gut hörte und sie packten das Volk, das war ganz schön – aber welche Anstrengung, welche Kämpfe, welche Geduld! Nie begriff ich's, wenn ich hörte, daß das Componiren Dem und Jenem eine Lust sei! – mir war's ein mühsames Aufgebot aller meiner Kräfte; wunderbar genug, daß ich ihm nicht unterlag. Und da kamen diese kleinen Scribler mit ihren kleinen Liedchen und ihren erbärmlichen Späßchen – und das war ein stetes Amüsement – sie amüsirten sich, die Pinsel amüsirten sich, alle Welt amüsirte sich und man spielte selbst die Rolle eines Einfaltspinsels, wenn man nicht mitthat. Gottlob, daß ich das hinter mir habe und so viel Anderes obendrein! Die Rücksicht und die Vorsicht, und die Nachsicht, und die Umsicht, – das Einzige, was ich mir zuweilen noch herbeiwünschte, wäre ein Orchester, um hineinzufahren und herauszuarbeiten, was alles drinnen steckt. Vergeblicher Wunsch! aber es gibt Besseres. Leb' wohl und freu dich deines Lebens!«[204] »Es ist noch ein gut Stück vom alten, oder vielmehr vom jungen Berlioz in ihm geblieben,« sagte ich zu mir selbst, nachdem er mich verlassen, »und er hat noch viele Aehnlichkeit mit seiner Musik. Doch wer kommt dort her? ein bekanntes Gesicht! – wahrhaftig, Dr. Eckermann, mein alter Dr. Eckermann! Vor einigen fünfzig Jahren mein Freund und Lehrer.« Freundlich lächelte er mich an. »Ihnen ist ein langer Aufenthalt auf Erden vergönnt und ich wünsche Ihnen Glück dazu,« sagte er, »die freundliche Gewohnheit des Daseins ist ein gutes Ding. Hier und da erfahre ich, was Sie treiben, und sehe gern, daß Sie sich unsere Weimarer Ueberzeugungen bewahrten. Ich habe sie mit hieher gebracht und habe es nicht zu bereuen. Goethe ist immer groß und herrlich – wunderbar!« »Sie sehen ihn auch hier häufig, Sie Glücklicher?« frug ich. »Gewiß,« erwiderte er, »Goethe war stets so treu wie gut, nur die konnten ihn verkennen, die ihn nicht kannten.« »Oder ihn nicht erkannten,« fügte ich hinzu. »Aber zeigte er sich nicht zuweilen wie die Kastanie ›umschalet stachlig‹, wie es im Divan heißt? Neulich las ich, er habe den armen Weber einst so kühl empfangen, daß dieser aus Schmerz darüber krank geworden.« »Das kann doch nur Folge eines Mißverständnisses gewesen sein,« erwiderte Eckermann. »Bedenken Sie, welche Ansprüche an den fast achtzigjährigen Mann fortwährend gemacht wurden! Anerkennung des Talents, des Verdienstes Anderer war so tief in seiner Natur begründet – ja, er mag darin vielleicht zu viel gethan haben. Schließlich war er ein Mensch!« »Die Idealgestalt eines Menschen!« rief ich aus. »Die sucht man freilich zu verwischen,« entgegnete Eckermann. »Spürt man nicht heute noch, unter dem Vorwande gewissenhafter Forschung, jeder seiner kleinsten Schwächen nach? Beschäftigt man sich nicht ernsthaft mit Dingen, die ohne allen Werth sind für das Verständniß des Dichters, des Forschers, des Weisen?« »Sie müssen aber auch zugestehen,« sagte ich, »daß viele tüchtige Männer in würdigster Weise sich eine Lebensaufgabe daraus machen, den größten Dichter seinem Volke stets näher zu bringen, nicht nur die Bewunderung für ihn zu erhöhen, auch die Bildung durch ihn zu verallgemeinern.« »Das wird hier nicht verkannt,«[205] entgegnete Eckermann, »wir sehen aber nicht, daß Viel dadurch erreicht werde. Ihr habt jetzt Aufgaben, welche die besten Kräfte in Anspruch nehmen, – es ist Großes geleistet worden und Größeres muß geleistet werden, wenn ein hohes Ziel erreicht werden soll. Befindet ihr euch doch auch jetzt wieder in einer Sturm- und Drangperiode, anders geartet und gefährlicher, als jene erste es war. Schade, daß ihr unten nicht vorwärts kommen könnt, ohne bald nach rechts, bald nach links auszugleiten, – daß ihr im Gefühle ermangelnder Kraft Reizmittel zu Hülfe nehmt, die weniger stärken als benebeln. Das ist nicht die richtige Zeit für Goe the'sche Lehre. Doch der Augenblick wird kommen, wo das Bedürfniß wieder erwacht, sich gesund zu baden in Klarheit und Reinheit und wahrer Schöne. Dann werden die Deutschen das hohe Glück erkennen, das ihnen zu Theil ward, einen Homer zu besitzen, der Goethe heißt; der nicht nur göttlichem Kampfe, der auch göttlichem Frieden Ausdruck verliehen; in dem der Größte wie der Geringste finden mag, was ihm Noth thut, nicht zum Kampf um's Dasein, wie euer Lieblingswort lautet, sondern zum Sieg über dasselbe« »Es muß noch viel gekämpft werden bis dahin,« sagte ich, »doch verlassen wir die Gedanken an die Zukunft, lieber Doctor. Für den Augenblick habe ich nur einen Wunsch – Sie errathen ihn?« »Sie möchten Goethe sehen?« frug Eckermann freundlich, »Sie sollen ihn sehen.« Er wendete sich nach hinten, mir winkend, ihm zu folgen – das Herz schlug mir vernehmbar. Da plötzlich stand Goethe vor mir, nicht als Greis, wie ich ihn einstmals gesehen, als reifer, kräftiger, blühender Mann, Ehrfurcht und Liebe erweckend. »Eckermann hat mir mitgetheilt,« hub er an, »daß Sie sich meiner angenommen und den Leuten zu beweisen versucht haben, mein Verhältniß zu Ihrer Kunst sei nicht das eines Verständnißlosen vor einem Geheimnisse gewesen. Gewiß nicht! Doch hatte ich stets das Bewußtsein, der Tonkunst nicht hinreichend gerüstet gegenüber zu stehen. Man begreift nur, was man gelernt und geübt hat – in der Musik spielt freilich das ewig Unbegreifliche, nur Nachzufühlende eine große Rolle. Vor Allem muß hierbei das Ohr mit dem, was ihm geboten wird, ins Reine kommen; es muß[206] das Neue, ihm Ungewohnte gut und oft hören. In meinen jüngern Jahren wurde mir dieses Glück, und ich wußte es zu schätzen und zu genießen. Die großen Erscheinungen jener Zeit haben mich durch's Leben begleitet. Später brachte es der Lauf der Dinge mit sich, daß mir solche Wohlthat seltener und immer seltener zu Theil wurde, die organisch sich entwickelnde Reihe musicalischer Schöpfungen war für mich mehr oder weniger zerrissen, ich fühlte die Lücken und konnte sie nicht ausfüllen; klar steht mir das Alles vor der Seele, und ich danke Ihnen, daß Sie versucht haben, es mir nachzuempfinden. Forschen und arbeiten Sie weiter, lieber Hiller – für sich und Andere.« Wie ein Traum verflüchtigte sich die Gestalt, an deren Lippen ich horchend gehangen.

Quelle:
Hiller, Ferdinand: Erinnerungsblätter. Köln 1884, S. 202-207.
Lizenz:

Buchempfehlung

Jean Paul

Flegeljahre. Eine Biographie

Flegeljahre. Eine Biographie

Ein reicher Mann aus Haßlau hat sein verklausuliertes Testament mit aberwitzigen Auflagen für die Erben versehen. Mindestens eine Träne muss dem Verstorbenen nachgeweint werden, gemeinsame Wohnung soll bezogen werden und so unterschiedliche Berufe wie der des Klavierstimmers, Gärtner und Pfarrers müssen erfolgreich ausgeübt werden, bevor die Erben an den begehrten Nachlass kommen.

386 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon