Komplimente.

[8] Als besondere Akte unserer Höflichkeit sind Grüße und Komplimente anzusehen. Beide haben den Zweck, unsere Achtung gegen andere auszudrücken und an den Tag zu legen; während dies beim Komplimente mehr durch eine stumme Verbeugung, Stellung oder Bewegung des Körpers geschieht, tritt zu diesem beim Gruße noch ein freundliches, artiges Wort und seitens der Männer die Entblößung des Kopfes hinzu. Daß dies alles anmutig und leicht, natürlich und ungezwungen zu geschehen hat, braucht kaum erwähnt zu werden. Vor einer hochansehnlichen Persönlichkeit verbeuge man sich tief in einer Entfernung von 3 bis 4 Schritten; weniger tief und geringer entfernt vor Personen höheren Standes, der man im allgemeinen Hochachtung und Ehrfurcht zu bezeugen pflegt. Geschieht die Begegnung auf öffentlichem Wege, so bleibe man während der Verbeugung mit dem Hute in der Hand einen Augenblick stehen, bis die Respektspersonen vorüber sind. Man beginnt eine anstandsvolle Verbeugung mit dem Kopfe und dann mit dem Rücken, jedoch richte man sich mit dem Rücken eher in die Höhe als mit dem Kopfe. Die Bewegungen müssen langsam und stetig geschehen und Anmut und Grazie zeigen. – Bei dem Komplimente im Ste hen, wenn jemand vor uns tritt, [9] und uns eine Nachricht oder eine Verbindlichkeit zu sagen oder einen Auftrag zu erteilen, soll man den einen bei der Ferse etwas gehobenen Fuß in einer kleinen Entfernung geräuschlos hinter den andern zurückziehen, wenn die Beugung des Kopfes aufwärts geschieht. Bei längerer Dauer kann man natürlich mit den Füßen abwechseln, was jedoch ruhig und langsam zu geschehen hat. – Das Kompliment im Sitzen kommt meistens nur als Dank auf einen empfangenen Gruß vor und besteht in einer mäßigen Beugung des Kopfes und Rückens ohne irgend eine andere Bewegung des Körpers. Man macht dieses Kompliment in Gesellschaften, wo bereits alles sitzt, und nur in der Reihe oder Runde, beim Eintreten eines neuen Gastes, oder wenn uns jemand etwas Verbindliches sagt, etwas darreicht, etc., wofür wir ihm artig danken wollen. Intime Freunde drücke einander statt dessen wohl vertraulich die Hände. –

Der am häufigsten vorkommende Gruß ist derjenige während einer Begegnung auf der Straße. Kommt man in die Nähe einer bekannten Persönlichkeit, gleichviel ob dieselbe geht, stillsteht oder sitzt, so ist man zum Grüßen verpflichtet. Der Herr genügt dieser Verpflichtung, indem er seinen Hut vom Kopfe nimmt und über demselben schwebend hält, während er an der zu grüßenden Person vorüberschreitet; erst wenn er vorüber ist, bedeckt er sich wieder. Es ist auch nicht gleichgiltig, mit welcher Hand man den Hut vom Kopfe hebt und über demselben schwebend hält. Man benützt hierzu diejenige Hand, welche der zu grüßenden [10] Person abgewendet ist, und macht sie eventuell zu diesem Zwecke von Stock oder Schirm frei. Der Sinn dieser Regel liegt in der Verpflichtung, den zu Grüßenden auch anzublicken, weshalb der Blick frei sein muß. Wenn man mit jemand Arm in Arm schreitet, besonders wenn man eine Dame führt, ist man an diese Regel nicht gebunden; man benutzt dann eben die freie Hand. Dieselbe Ausnahme muß gestattet werden, wenn man etwas unter dem Arm oder in der Hand trägt, außer Stock und Schirm. Personen, welche vertrautere Bekannte sind, begnügen sich in unserm Vaterlande vielfach damit, daß sie den Hut nur leicht lüften oder auch nur mit der Hand an die Krempe des Hutes fassen. Doch ist dieser Bequemlichkeitsgruß eben nur gegen untergebene Personen. Gegen hochgestellte Personen, hohe Vorgesetzte und üherhaupt Leute, welchen man eine besondere Ehrerbietung erweisen will, wendet man eine Weise an, die dem militärischen Frontmachen analog ist. Man bleibt stehen, wendet der betreffenden Persönlichkeit voll seine Front zu, schließt die Beine mit den Hacken aneinander, hält den Hut in der herabhängenden Rechten so, daß seine Innenseite lose am Beinkleide liegt, und verneigt sich mit dem Kopfe allein. Hiermit ist auch gleichzeitig das Grüßen im Stehen überhaupt geschildert, gleichviel ob es im Freien oder im geschlossenen Raume stattfindet. Wenn man sitzend eine höher gestellte Person zu grüßen hat, so erhebt man sich und grüßt mit einer Verneigung, den Hut in der Rechten. Auch gegen Gleichgestellte, [11] vornehmlich aber gegen Damen, empfiehlt es sich, wenigstens sich halb von seinem Sitze zu erheben, dann aber natürlich den Hut nur ein wenig über das Haupt zu erheben, und eine kleine Verneigung des letzteren eintreten zu lassen. Beim Grüßen gänzlich sitzen zu bleiben und nur den Hut zu lüften, ist entweder familiär oder herablassend. Alle bisher geschilderten Formen des Grüßens haben stumm zu geschehen, insofern sie nicht zwischen nähern Bekannten stattfinden. Respektspersonen, besonders aber Damen, grüßt man durch stumme Pantomime. Kennt man sich schon näher, dann fügt man noch den Zuruf: gehorsamer, ergebenster Diener, guten Tag etc. bei. Wenn die Entfernung so groß ist, daß nur Schreien das Verständnis ermöglichen würde, so unterbleibt natürlich der Zuruf auch den intimsten Bekannten gegenüber. Damen verschone man lieber ganz mit dem Zuruf, es sei denn, daß man einer Dame genügend nahe stehe, um ohne Anstoß auch auf der Straße einige Worte mit ihr plaudern zu können. Geht man an der Wohnung von nähern Bekannten vorüber, so überzeugt man sich davon, ob jemand am Fenster steht und grüßt eventuell im Vorbeigehen. In Begleitung eines Herrn, der von auderen gegrüßt wird, hat man die Verpflichtung, wiedergrüßend mit zu danken, auch wenn man die grüßende Person gar nicht kennt. Bleibt unsere Begleitung bei der von ihr gegrüßten Persönlichkeit stehen, um einige Worte mit derselben zu wechseln, so entfernt man sich einige Schritte, um sie ungestört zu lassen, wartet hier und beteiligt [12] sich bei der Verabschiedung, wie man sich an der Begrüßung beteiligt hat, um hierauf den Weg fortzusetzen.

In neuerer Zeit ist der Händedruck mehr und mehr in allgemeine Aufnahme gekommen und man muß sagen, daß es ein schöner, echt deutscher Brauch ist. Aber man lasse die Hand nach einem leichten Drucke wieder fahren und verfalle nicht in die Ungezogenheit des biderben Zufassens, Drückens und Quetschens. Auch ist der Handschlag nicht gegen jedermann zulässig; besonders möchten wir jungen Herren raten, sich mit ihrem Händedruck nicht älteren Personen aufzudrängen. Daß der Ältere dem Jüngeren die Hand bietet, ist natürlicher und eine Art von Auszeichnung; der Jüngere hat dann in die dargebotene Rechte mit Respekt einzuschlagen. Die Verweigerung eines angebotenen Handschlags kommt in allen Fällen einer Beleidigung und dem Aufheben aller bisherigen freundschaftlichen Beziehungen gleich. Auch Damen zeichnen wohl diesen oder jenen Herren ihrer Bekanntschaft durch »ein Händchen« aus. Es ist dies für den Betreffenden eine wohl zu schätzende Ehre; jedoch soll man es den Damen überhaupt überlassen, ob sie einem Herrn und welchem die Hand reichen wollen. Die Bitte »um ein Händchen«, mit Artigkeit vorgetragen, wird wohl von keiner Dame übelgenommen, doch muß ihr die volle Freiheit der Gewährung oder Versagung gewahrt bleiben.

Der Handkuß ist keine allgemein verbreitete Art der Begrüßung. Wo er geübt wird, da faßt der Herr leicht die Hand der Dame und beugt sich [13] auf diese nieder, indem er sie mit seinen Lippen leicht berührt, dann läßt er, indem er sich emporrichtet, die geküßte Hand wieder los. –

Es erübrigt nur noch, einiges über das Grüßen der Damen zu sagen. Grüßt eine Dame auf der Straße im Gehen, gleichviel ob sie zuerst grüßt oder für einen empfangenen Gruß dankt, so hat sie weiter nichts zu thun, als den Kopf ein wenig zu neigen. Darüber hinaus kann nichts als erforderlich bezeichnet werden. Erlaubt ist der Dame noch ein Übriges. Ebenso kann sie sich gegen vertrautere Bekannte des Zurufs bedienen, wie es beim Grüßen der Herren geschildert wurde. Auch ist der Dame noch das Mittel des Winkens mit der Hand gegeben, um die Intimität eines Grußes zu erhöhen. Aber bei Anwendung dieses Mittels ist Vorsicht anzuraten, da es leicht als Vertraulichkeit oder eine besondere Gunst gedeutet wird. – Im Stehen, und wenn sie die höchste Ehrerbietung und Hochachtung in den Gruß legen wollen, haben Damen sich mit dem ganzen Körper anmutig zu verneigen. Das Knixen ist veraltet und wird höchstens noch von kleinen Mädchen angewandt. In absteigender Linie steht von dieser vollen Verbeugung an bis zu einer kaum noch bemerkbaren, entweder kalten, stolzen oder herablassenden Bewegung des Hauptes den Damen eine solche Fülle von verschiedenen Abstufungen im Grüßen zu Gebote, daß es ihnen in der That völlig in die Hand gelegt ist, in welches Verhältnis sie sich selbst zu derjenigen Person gesetzt sehen wollen, der ihr Gruß gerade gilt. Älteren Damen [14] gegenüber wird ein junges Mädchen die volle Verneigung ausführen; jungen Herren gegenüber unterbleibt sie. Sitzt eine Dame, so grüßt sie je nachdem entweder durch eine Bewegung des Hauptes oder eine Verneigung, zu welcher sie sich halb erhebt. – Was von dem Gruß gesagt ist, gilt im allgemeinen auch von dem Dank, nur kann der Dank immer etwas freundlicher sein, da er zugleich eine Anerkennung für eine erwiesene Aufmerksamkeit ist. Einen empfangenen Gruß nicht erwidern, ist einfach ungezogen; auch soll man einem grüßenden Kinde unbedingt freundlich und durch einen vernehmbaren Zuruf danken.

Quelle:
Junker, Franz: Das feine Benehmen in Gesellschaften. Styrum, vorm. Oberhausen [1887], S. 8-15.
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