Erstes Kapitel

Vom Sprechen.

[13] Auch beim Sprechen kann man auf guten Ton halten. Ein sehr hastiges, überstürztes Sprechen ist ebensowenig guter Ton wie ein sehr langsames, geziertes Reden.

Man soll keine Silbe verschlucken. Man soll nicht zuviel, nicht zuwenig sprechen.

Wer zuviel spricht, wird oftmals eine Unüberlegtheit zutage fördern, wer zuwenig spricht, kann für hochmütig oder schüchtern gehalten werden.

Man soll sich öffentlich nicht einer fremden Sprache bedienen, wenn man bei der Gelegenheit ebensogut seine eigene Sprache gebrauchen könnte.

Man soll sich keine Dialekte angewöhnen.

Am gebildetsten ist stets eine dialektfreie Sprache.

Man soll in einer Gesellschaft nicht beständig das Wort führen, selbst wenn man am geistreichsten ist.[13]

Andere hören sich auch mal gern sprechen, und die geistreichste Unterhaltung ermüdet mit der Zeit, wenn eine einzelne Person das Wort führt.

Man soll vorher überlegen, was man spricht. Ein ausgeplaudertes Geheimnis, eine Beleidigung ist nicht wieder zurückzunehmen, desgleichen eine Dummheit. Junge Mädchen sollen nicht in alles hineinsprechen und sich besonders vor schlüpfrigen Unterhaltungen hüten.

Kinder haben sich in die Unterhaltung Erwachsener nur, wenn sie gefragt werden, einzumischen.

Man soll nicht zu laut, nicht zu leise sprechen.

Wer von Natur eine scharfe, laute Stimme hat, suche dieselbe durch Gewohnheit zu dämpfen.

Man soll in der Unterhaltung nicht nach Witzen haschen. Ein Übermaß von Witzen ermüdet.

Man soll nicht mit allzu großem Pathos sprechen, aber auch nicht in nachlässiger, gleichgültiger Weise.

Man soll mit seinen Dienstboten nicht in ihrer Sprache, d.h. in ungebildeter Weise, sprechen, sondern im Gegenteil durch eine reine, gute Sprache veredelnd auf sie zu wirken suchen.

Man soll bei Kindern nicht über Sprachverdrehungen lachen, sondern sie jedesmal verbessern.[14]

Man soll beim Sprechen nicht zuviel Zitate und Fremdwörter anwenden.

Man hüte sich, die Unwahrheit zu sprechen. Bei einer Unwahrheit ertappt zu werden, setzt mehr herab als das Eingestehen eines Fehlers, eines Versehens.

Man bemühe sich nicht, allzu blumenreich und gewählt zu sprechen. Eine einfach natürliche Sprache klingt am vornehmsten und ist selbst für geistreiche Gedanken der geschmackvollste Rahmen.

Der heutige Zeitgeist verlangt eine präzise Ausdrucksweise, frei von Phrasen, Umschweifen.

In knapper Form viel auszudrücken, ist unsere jetzige Richtung auf dem Sprachgebiet.

Man vermelde lebhafte, deklamatorische Handbewegungen beim Sprechen, ein die Worte begleitendes Wiegen und Zappeln des Körpers; eine edle, ruhige Sprache muß mit vornehmer, ruhiger Körperhaltung Hand in Hand gehen.

Beim Erzählen eines Witzes darf man nicht die Hälfte selbst weglachen. Je trockener der Vortrag eines Witzes, desto wirkungsvoller.

Je ruhiger ein Witz erzählt wird, desto drastischer wirkt er unter Umständen.

Ein allzu langsames, gedehntes Sprechen macht den Eindruck, als wenn man nach Worten sucht.

Es ist taktlos, einem andern in die Rede zu fallen.[15]

Wenn man auch noch so sehr den Drang in sich fühlt, das Wort zur Gegenrede zu ergreifen, so warte man doch stets, bis der andere ausgesprochen hat.

Das Durcheinandersprechen mehrerer Personen macht einen höchst unharmonischen Eindruck. Man kann ein Thema gemeinschaftlich zu mehreren verhandeln, ohne daß die Unterhaltung zu wüstem Lärmen ausartet.

In Geschäften, in denen man etwas kaufen will, überhaupt bei allen geschäftsmäßigen Verhandlungen befleißige man sich besonders einer kurzen, genauen Ausdrucksweise, wenn man schnell zum Ziele gelangen will.

Öffentlich sprechen sollten nur diejenigen, die besonders hierzu veranlagt sind. Leute, denen die Gabe der Redekunst von der Natur versagt wurde, tun besser, öffentlich zu schweigen, da sie durch das Gegenteil vor allen Dingen sich selbst, aber auch andere in peinliche Situationen bringen können.

Jedenfalls verzeiht man einem geistreichen Mann, der mit Verstand zu sprechen weiß, weit eher einen Mangel an Organ oder einen Zungenfehler, als dem geistlosen Schwätzer eine interesselose, langweilige Abhandlung.

Es ist unpassend, wenn zwei in Gegenwart eines Dritten miteinander flüstern.[16]

Ganz junge Leute sollen nicht zu keck und herausfordernd, aber auch nicht zu schüchtern und leise sprechen.

Man soll nicht über Dinge sprechen, die man nicht versteht.

Wenn man jemand auf der Straße anspricht, um sich nach dem Weg, nach der Uhr usw. zu erkundigen, so hat man sich als Dame gegen den Betreffenden leicht zu verneigen, als Herr hat man den Hut zu lüften.

Wird ein Herr einer Dame auf der Straße vorgestellt, so hat er den Hut zu ziehen, desgleichen, wenn er von einer Dame auf der Straße über irgend etwas, einen Weg usw., um Bescheid gefragt wird.

Wird einem Herrn in der Gesellschaft ein Toast gewidmet, so hat er sich beim Schluß desselben zuvörderst gegen den Sprecher dankend zu verneigen und des weiteren gegen jeden, der ihm sich naht, um ihm zuzutrinken.

Der Sprecher eines Toastes hat sich beim Beginn gegen die Gesellschaft zu verneigen.

Wird jemandem ein besonderes Lob gespendet, so hat er sich ebenfalls gegen die Person, von der es ausging, dankend zu verneigen.

Jüngere Kinder gewöhnen sich leicht ein schnelles, überstürztes Sprechen an und verfallen dann ins Stottern. Diese üble Angewohnheit,[17] die, wenn nicht rechtzeitig beobachtet und unterdrückt, für immer haften bleiben kann, soll man gleich in den Anfängen mit größter Konsequenz auszurotten suchen und zu diesem Zwecke kein Mittel unversucht lassen.

Nicht bei allen Stotternden beruht dieses höchst peinliche Gebrechen auf einem Zungenfehler, sondern es ist häufiger üble Angewohnheit, die in der Jugend nicht rechtzeitig bemerkt und ausgerottet wurde.

Bei Kranken soll man nur in gedämpftem Ton sprechen. Man soll mit Schwerhörigen mit vernehmlicher Stimme sprechen, aber nicht so laut schreien, daß es die Betreffenden (grade die Gebrechlichen sind am empfindlichsten) verletzen könnte.

Man soll an öffentlichen Plätzen, Theatern, Konzerten, Museen, auf der Straße nicht laut sprechen. Besonders hüte man sich, Namen laut an öffentlichen Plätzen zu nennen.[18]

Quelle:
Kallmann, Emma: Der gute Ton. Berlin 1926, S. 13-19.
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