Mein zweiter Aufenthalt in England

[113] Volk und Knecht und Überwinder,

Sie gestehn zu jeder Zeit,

Höchstes Glück der Erdenkinder

Sei nur die Persönlichkeit.

Goethe.[113]


So war ich denn im Juli 1896 plötzlich an den Strand der Themse zurückgeworfen. Ich kam mir vor wie im Traum. Es erschien mir, als sei ich von einem stürmisch bewegten Meer in einen stillen und friedlichen Hafen eingelaufen. Als ich am Morgen nach meiner Ankunft in London durch Haymarket ging, mir so wohl erinnerlich aus früheren Jahren, fragte ich mich, ob im Hinblick auf mein persönliches Wohl und Wehe dieses ganze Zwischenspiel der Begründung Deutsch-Ostafrikas, mit dem »Falle Peters« im Anschluß, für mich vorteilhaft gewesen sei oder nicht, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn ich meine Landsleute ihren eigenen überseeischen Aufgaben überlassen hätte. Ich ließ diese Frage an jenem Morgen unbeantwortet. Jedenfalls knüpfte mein Empfinden und mein Erinnern sehr bald an den Herbst 1883 an, meine deutsche Wirksamkeit wurde zum Zwischenfall.

Vor allem fühlte ich mich im Juli 1896 von Deutschland frei. Verpflichtungen gegen dieses Land hatte ich nicht mehr. Nachdem Regierung und das Volk, von oben bis unten, als Antwort auf die Begründung Deutsch-Ostafrikas und für die Nervenkraft, welche ich nur aus Nationalgefühl, ohne jeden Dank, ohne jeden Lohn für seinen Dienst umsonst eingesetzt hatte, mich geschmäht, verhöhnt, beschimpft, auf mir herumgetrampelt hatten, rieten mir auch wohlwollende und sehr ruhige Freunde, den Staub des Vaterlandes endgültig abzuschütteln, und mit dem, was ich war und hatte, in das stammverwandte Engländertum einzugehen,[114] welches mir seine Arme weit öffnete. Jeder Hanswurst zwischen Alpen und Nordsee, unter dem brüllenden Beifall aller Bierphilister, hielt es 1896 für besonders heldenhaft, mir seinen Eselstritt zu versetzen. Dem Deutschen Reich aber konnte es völlig gleichgültig sein, ob ich von nun ab für das britische Reich oder die Botokuden wirkte, oder zu welchem Staatswesen ich mich bekannte, nachdem meine Arbeitskraft für seine eigenen Interessen praktisch bereits 1891 ausgeschalten war und formell 1895. Wer hätte es mir verargen können, wenn ich mich für fernere Zusammengehörigkeit bedankt hätte? Ich möchte wissen, welcher Deutsche in meiner Lage es nicht getan haben würde!

Aber was meine Gefühle gegen Deutschland und die Deutschen damals auch sein mochten, ich hielt es auch jetzt noch für anständig, nicht zu vergessen, daß ich aus diesem Volk hervorgegangen sei, daß ich also zu ihm gehöre und auch weiter zu ihm gehören müsse, bis einmal der Tod mir die Freiheit der Selbstbestimmung unter den Völkern der Erde zurückgeben werde. Man wird diesen Gedanken vielleicht nicht verstehen. Ich war Schopenhauerianer und glaubte demnach an die Erscheinungswelt einerseits, mit den zeitlichen Vorgängen in und um uns, und dem wirklichen Sein anderseits mit dem Ding an sich, und daß auch das wahre Wesen meines eigenen Ich diesem angehört, demnach unberührt über den Tod hinüberreicht. Auch hatte ich einen großen Kreis von persönlichen Freunden und Verwandten in Deutschland, welche selbst in jener Zeit treu zu mir hielten.

Einstweilen blieben meine Beziehungen zu meiner Heimat erhalten durch die unerquicklichen Vorgänge im Disziplinarverfahren gegen mich. Ich mußte mehrmals zu Vernehmungen aufs Auswärtige Amt nach Berlin. Ich mußte meinen Berliner Haushalt auflösen, meine Sachen verkaufen, meine Geldmittel nach London ziehen. Ich mußte mich umgekehrt in London einrichten und dort auch gesellschaftlich[115] Fuß fassen. Dabei bemerkte ich sehr bald, daß der Vernichtungshieb, den meine deutschen Feinde gegen mich getan zu haben glaubten, in Wirklichkeit ein Schlag ins Wasser gewesen war. Sie konnten mich einfach deshalb nicht treffen, weil das, was ich getan hatte, besonders die deutsche Emin Pascha-Expedition, international bekannt, demnach durch die Haltung eines einzelnen Volkes nicht aus der Welt zu schaffen war.

Die öffentliche Meinung in Großbritannien war durch den Lärm des »Falles Peters« überhaupt nicht berührt, oder höchstens insoweit, als die allgemeine Geringschätzung gegenüber dem Begriff »german« bei den gebildeten Klassen vielleicht etwas vertieft war. Für mich und meine Stellung blieb vor allem die deutsche Emin Pascha-Expedition entscheidend. Zu meinem Erstaunen kannte man sie auch bis in die unteren Teile des Volkes, man kam mir von allen Seiten mit Achtung, ja mit besonderer Aufmerksamkeit entgegen. Klubs boten mir freiwillig ihre Mitgliedschaft an, Körperschaften veranstalteten mir zu Ehren Festessen und Bierabende, die beste Londoner Gesellschaft beeilte sich mit Besuchen und Einladungen. Es kam vor, daß der Besitzer eines Ladens, in dem ich vielleicht einige Kleinigkeiten gekauft hatte, wenn ich Namen und Adresse angab, mir sagte: »a very well known name, Sir!« (Ein sehr bekannter Name, Herr). Ich brauchte nur jede deutsche Zeitung abzubestellen, auch meine deutschen Freunde zu bitten, mir nicht die geringsten deutschen Zeitungsnotizen zu schicken, aus allen deutschen Klubs und Vereinen auszutreten – was alles sofort geschah –, um sehr bald fast zu vergessen, daß es ein Land wie Deutschland überhaupt gebe. Jedenfalls ragte es über den Horizont meines Denkens kaum viel höher als China oder Argentinien. Man macht sich in Deutschland keine Vorstellung, wie vollkommen gleichgültig es um 1897 den Briten auf der ganzen Erde war. Ich bin in London zuweilen im vollen Ernst von gebildeten[116] Engländern gefragt worden, ob Deutschland ein Badeort sei. So sehr im Vordergrunde alles Denkens und Fühlens an der Themse stehen England und die Engländer; so völlig schalten sie jedes theoretische Interesse an anderen aus. Erst durch den deutschen Burenrummel 1901/1902 ist das Bestehen des Deutschen Reiches in England gewissermaßen entdeckt worden. Man kann sich denken, wie völlig gleichgültig es 1896 in London war, was man in Deutschland dachte, sagte oder schrieb; danach krähte drüben weder Hund noch Hahn.

Bis mein Disziplinarverfahren in Deutschland beendigt war, bis ich also auch äußerlich Ruhe hatte, führte ich in England mehr ein Reiseleben. Ich hielt mich in den Sommermonaten 1896 meistens in Eastbourne auf, im Sommer 1897 auf der Insel Yersey, im Winter dazwischen meistens in Tunbridge Wells. Nachher nahm ich mir ein Flat (abgeschlossene Wohnung) in Park Lane, von 1902 ab ein Flat in Buckingham Gate; hernach, als ich verheiratet war, ein Haus in Castelnau (Barnes). Jahrelang habe ich kein Wort deutsch gesprochen, zwar nicht ich, wohl aber die Engländer, mit denen ich zu tun hatte, vergaßen oft ganz, daß ich Deutscher war.

Bald nach meiner Ankunft in London fing ich an, mich nach einem neuen Wirkungskreis umzutun. Ich hatte nicht die Absicht, in englische Dienste zu treten, weil dies vorausgesetzt haben würde, daß ich englischer Untertan würde. Ich lehnte deshalb Anerbietungen, welche mir von Rhodesscher Seite und auch amtlich mittelbar gemacht wurden, ab. Man legte mir nahe, wenngleich nur mündlich und mittelbar, Gouverneur von Uganda zu werden. Die mannigfaltigen Behauptungen deutscher Zeitungen:Dr. Carl Peters, welcher bekanntlich im englischen Solde steht«, gehörten demnach in dasselbe Gebiet der Lüge, wie so manche andere Verleumdung über meine Person. Ich habe sie damals überhaupt nicht gelesen, weil mich die öffentliche Meinung[117] in Deutschland nicht mehr interessierte. Aber Verwandten von mir in Deutschland sind sie zu Gesicht gekommen.

Ich hatte im Jahre 1895 in der Bibliothek eines Freundes von mir in Blumenthal an der Weser eine alte Karte von Mittel- und Südafrika aus dem Jahre 1705 gefunden. Diese Karte hatte ich damals veröffentlicht und gleich darauf eine Studie »Das goldene Ophir Salomos« geschrieben. Auf der Karte waren neben anderem die portugiesischen Goldmärkte des 16. und 17. Jahrhunderts deutlich aufgeführt. Ich ging jetzt daran, diese Aufzeichnungen zum Gegenstand einer genaueren Untersuchung zu machen und die Plätze in den Sambesigebieten selbst aufzusuchen. Dazu gründete ich die »Dr. Carl Peters' Estates and Exploration Co.«, eine Gesellschaft wie so viele andere in englischen Formen und mit Pfundaktien, aber mit vorwiegend deutschem Gelde. Ich trat auch nicht in deren »Sold«, wie die deutschen Zeitungen logen, sondern wurde ihr Vorsitzender und später der Führer ihrer Expeditionen in die Gebiete zwischen Sambesi und Sabi. Ich muß über alle Einzelheiten dieser Reisen, besonders der ersten, auf mein Buch »Im Goldland des Altertums« (Lehmann, München 1902), verweisen, welches ich gleichzeitig als »The Eldorado of the ancients« auf englisch schrieb und erscheinen ließ. Ich lenkte damit in die Bahnen der eigentlichen Afrikaforschung über, und in der Tat, solche war angenehmer als das Seiltanzen im Marschallschen Intrigenspiel der deutschen Kolonialpolitik. Mein Leben hatte damit auf einmal wieder einen großen und würdigen Inhalt. Ich richtete mir in Leadenhallstreet, E. C. ein »Office« (Büro) ein, welches ich einem zuverlässigen Sekretär unterordnete, und reiste selbst im Januar 1899 zunächst nach dem Sambesi ab, um meine Forschungen zu beginnen. Vorher gaben mir noch etwa 180 Engländer, zum Teil aus vornehmen und leitenden Kreisen, im Hotel Cecil ein Abschiedsessen.

Ich will an dieser Stelle nur kurz zusammenfassen, daß[118] ich im ganzen sechs Forschungsreisen im Hinterland von Chinde und Sofala geleitet, und dabei festgestellt habe, daß dort ganz untrügliche Merkmale für das alttestamentliche Goldland Ophir vorhanden sind. Ophir, in seiner südarabischen Form Asir, war das lateinische aler, aus welchem nachweislich das Wort »terra africa« und unser Name »Afrika« entstanden ist1.[119]

Ich habe schon früher darauf hingewiesen, daß man für die Lösung der Ophirfrage ein wirkliches geographisches Minen- und Ruinenland irgendwo auf der Erde nachweisen muß und sich nicht auf bloße philologische Tüfteleien und Namensklänge vom Studiertisch in Europa aus beschränken darf. Man muß Ophir also nicht von seinem Sofa aus erraten, sondern als geographischer Forscher entdecken, es durch Bauten und archäologische Funde nachweisen, nicht aber glauben, es nach Art von Karl Ritter, Alexander v. Humboldt u.a. rein theoretisch erschließen zu können. (Siehe hierzu auch meine abschließende kleine Schrift »Ophir nach den letzten Forschungen«, Berlin 1908.)

Ich bin demnach, bestimmter gesagt, der Meinung, daß Sofala oder Sofara in Südostafrika mit seinem Hinterland, insbesondere Manica-Maschona- und Matabeleland, das Salomonische Ophir der Bibel gewesen ist. Seine Ruinenmasse mit seinen vielen Tausenden von alten Minen liegen noch heute als Urkunden der alten jüdisch-phönikischen Tätigkeit um die Gebiete vom Sabi und Sambesi da.

Es war eine wunderbare Zeit von Träumen, Arbeiten und Nachgrübeln, welche ich zu Beginn dieses Jahrhunderts verlebte. Ich wohnte abwechselnd in England, abwechselnd in Südafrika, welches ich vom Tafelberg nordwärts bis zum Sambesi erforschte. Niemals in meinem reiferen Leben bin ich glücklicher gewesen. In London stand mir die beste Gesellschaft in allen ihren Schichten offen. Um auch politisch über den Gang der großen Ereignisse eine klare Anschauung zu gewinnen, schloß ich mich der Primrose league (Primelliga) an, welche mich in Verbindung mit einer Reihe der besten politischen Köpfe des Landes brachte. Die Primrose league ist die Organisation der Konservativen Partei Englands, und durch sie lernte ich nicht nur die staatsmännischen Köpfe kennen, welche sich in der sogenannten Season, von Mai bis August, in London drängten, u.a. den Marquis[120] von Salisbury, Mr. Balfour, die Cecils, sondern ich kam auch in wiederholte Berührungen mit Mr. Gladstone, Sir Donald Currie, dem Herzog von Marlborough, meinem »Vetter« Mr. Chamberlain, Sir Edward Grey, Lady Randolph Churchill, der Herzogin von Sutherland und anderen, mit wem ich wollte. Das Gefühl, daß ich nicht ein Engländer sei, verlor sich allmählich, und somit wurde ich vertraut mit allen englischen Anschauungen und britischen Empfindungen. Ich lernte die Politik und die Bewegungen dieses Landes verstehen und erfuhr von ihren Hoffnungen, Sorgen und innersten Willenseinrichtungen. Ich hatte auf der andern Seite auch mit den leitenden Köpfen in Südafrika zu tun, sowohl mit Paul Krüger und Dr. Leyds, als auch mit Cecil Rhodes und einem Teil seiner Umgebung; und somit lernte ich auch die großen südafrikanischen Gegensätze und Strömungen anschaulich kennen. Wie ich in Europa den britischen Imperialismus und seine Ziele verstehen lernte, so erfaßte ich in Südafrika, wo ich jahrelang ansässig und selbst von behördlichen Entscheidungen und Mißgriffen abhängig war, die Gesichtspunkte und Gesetze der Kolonialpolitik. Ich finde, jemand, der auf sein Gehalt in Europa angewiesen ist, kann sie nicht so klar einsehen wie jemand, welcher die Rückwirkung fremder Einsicht unmittelbar in seiner eigenen Tasche verspürt. Ersterer bleibt immer mehr ein Fremdkörper in überseeischen Gebieten. Der Beamte, wenn er auch noch so lange im Lande sitzt, wird sich nicht so gut ein Urteil bilden können über das, was demselben frommt, wie der Farmer, der Kaufmann, der Minentechniker, welcher die Sünden der Beamtenwillkür am eigenen Leibe empfindet, dessen Behagen und geschäftliches Fortkommen von fremder Laune abhängt. Solche Leute können demnach auch am besten über die verschiedene Kolonialpolitik der einzelnen Völker urteilen.

Den Burenkrieg machte ich zum großen Teil in Südafrika mit, und, da ich auf beiden Seiten Beziehungen[121] hatte, so konnte ich mir ein richtiges Urteil über die kämpfenden Parteien bilden. Vor allem war es mir schon seit Beginn 1900 klar, daß die Buren gar keine Aussichten hatten, längere Zeit den Kampf gegen das britische Reich durchzuführen. Dieses hätte sich darauf beschränken können, ihnen einfach ihre Zufuhren abzuschneiden, um sie früher oder später auf die Knie zu zwingen. Denn Südafrika war für seine Ernährung um 1900 noch auf Zufuhren über See angewiesen. Ungeheuer kurzsichtig erschien mir damals die Haltung Deutschlands. Dieses hätte die Gelegenheit benutzen können, den unvermeidlichen Kampf mit England unter günstigen Voraussetzungen durchzuführen. Die britische Flotte war durch den Krieg in Südafrika beschäftigt. Vor allem aber war die Stimmung in allen Staaten so, daß damals Deutschland diplomatisch die Rolle hätte spielen können, welche heute England gegen uns durchführt. Deutschland hätte sehr wohl an die Spitze einer großen Völkerverbindung treten können, um die südafrikanische Frage zu regeln. Dies erwartete man allgemein. Dies hofften vor allem die Buren. Wenn es eine so energische und klug berechnende Politik nicht betreiben wollte, so war es geradezu dumm, den sogenannten Burenrummel zu machen. Nach beliebter Art zu schreien und zu schimpfen und in England jedem Kinde auf der Straße klarzumachen, daß in der Mitte von Europa der eigentliche Mitbewerber sitze, der Feind der Zukunft. Damals ist der gegenwärtige Krieg geboren worden. Damals ist es jedem Engländer klar geworden, daß Deutschland unter energischerer Führung einmal eine wirkliche Gefahr für das britische Reich werden könne und vernichtet werden müsse. An der Themse aber wurstelt man im allgemeinen nicht bloß so fort wie anderswo, sondern man macht Politik für die Jahrhunderte. Ich konnte 1902 persönlich feststellen, wie der Entschluß, mit Deutschland später abzurechnen, sich eigentlich in jedes einzelnen Herzen befestigte, wie der Haß gegen diese Germans[122] von Tag zu Tag wuchs, zum Teil auch wegen der geschmacklosen Ausfälle der deutschen Witzblätter gegen die englische Königsfamilie und das britische Heer. Ich habe in jenen Jahren fortwährend meine Landsleute gewarnt, sich doch nicht so töricht zwischen zwei Stühle zu setzen; aber meine Warnungen waren nicht »amtlich«, verdienten demnach auch keine Beachtung. (Siehe meine auf die südafrikanische Frage bezüglichen Aufsätze in meinem »Zur Weltpolitik«, S. 264–285.)

In jenen Jahren, wo ich in Europa war, trieb ich gründliche Forschungen auch zu meiner genaueren Kenntnis von England und den Engländern. Nicht nur machte ich Reisen zu Pferd und zu Fuß durch das ganze Land, sondern ich erkundete auch die Lebensbedingungen der einzelnen Gesellschaftsklassen, besuchte die Märkte in London; kurz, ich sah mir England mit den Augen eines Mannes an, welcher es kennen lernen will. Daneben beschäftigte ich mich mit allen in Frage kommenden statistischen Veröffentlichungen, vornehmlich mit den parlamentarischen Papieren. So kann ich sagen, daß ich es gründlich kennen gelernt habe. Der Niederschlag dieser Bemühungen ist mein Buch »England und die Engländer«, (Hamburg, Rüsch'sche Verlagsbuchhandlung) gewesen, welches ich im Sommer 1904 schrieb, und zwar gleich in Deutsch und Englisch. Es beruht in allen Einzelheiten auf persönlicher Anschauung und galt damals in England als das bestbeobachtete deutsche Werk über das englische Volk. Ich habe später eine Reihe maßgebender englischer Beurteilungen in dem Vorwort einer folgenden Auflage abgedruckt.

In jener Zeit hatte ich eine persönliche Beziehung in London, welche sich mir auch in der Rückerinnerung aufdrängt, das war Dr. Adolf Rosendorff, der begabte Herausgeber der gesamten deutschen Presse drüben, vor allem der »Finanzchronik«, für welche ich jahrelang die politischen Leitartikel geschrieben habe. Ihm danke ich manche Anregung[123] und Belehrung. Leider starb er schon 1909 in verhältnismäßig jungen Jahren.

Meine geschäftlichen Interessen im Zusammenhang mit »Dr. Carl Peters' Estates and Exploration Co.«, welche ich später in »South East Africa Ld.« umtaufte, brachten mich zu Beginn dieses Jahrhunderts von neuem in Beziehungen mit Deutschen und auch mehrere Male nach Deutschland selbst zurück. 1906 unternahm ich eine Vortragsreise von Berlin über Breslau, Dresden, München, Frankfurt a. M., Hannover, Hamburg und andere Städte. Auf dieser Reise konnte ich wahrnehmen, daß die vielen unwidersprochenen Lügen über mich in deutschen Zeitungen begonnen hatten, sich in den Köpfen der Öffentlichkeit festzusetzen, und daß mein Schweigen von vielen Zuschauern völlig falsch aufgefaßt worden war. »Dr. Carl Peters mußte sich bekanntlich die und die Beschimpfung gefallen lassen.« Also die Pinsel waren der Meinung, nicht, daß ich die vielen Lügen und Schimpfereien in deutschen Zeitungen überhaupt nicht gelesen hatte, also nicht kannte, sondern daß ich mich scheute, die Verleumder vor Gericht zu ziehen. Dies hat mich von 1907 an veranlaßt, einige der Hauptschimpfer zu verklagen und in Deutschland eine Reihe von Beleidigungsprozessen zu führen, welche ich alle gewonnen habe, und welche die Unwahrheit und die völlige Haltlosigkeit der seinerzeit von Herrn Bebel im Reichstag gegen mich vorgebrachten Verleumdungen bewiesen. Ich glaube, es waren im ganzen elf Prozesse. Nun wurde ich für einen Teil meiner Landsleute aus dem »schweigend Eingeständigen« zur Abwechslung wieder einmal der »unleidliche Krakeeler«; genau wie ich 1889 aus dem redenden Agitator und Kolonialtheoretiker mich in den wüst kampflustigen Mörder umgewandelt hatte. »Das ewige Prozesseführen.« Daß mir das Prozesseführen in Deutschland ebensowenig Vergnügen machte, wie das Kämpfen in Afrika, brauche ich für einsichtige und billig denkende Leser wohl kaum auszusprechen.[124]

Ich hatte richtig gerechnet, wenn ich bis 1907 dem ganzen Lärm aus dem Wege gegangen war. Denn abgesehen von rein theoretischen Kundgebungen gewisser Kreise Deutschlands, für welche ich diesen sicherlich dankbar bin, habe ich nicht gefunden, daß der Nachweis, daß der »Fall Peters« juristisch ganz hinfällig sei, in meiner Lage praktisch das geringste geändert hat. Ob ich mit Recht oder mit Unrecht aus dem Reichsdienst verjagt war, war scheinbar ganz gleichgültig, der Makel blieb und wird nunmehr auch wohl bis zum Ende bleiben.

Am 27. Februar 1909 verheiratete ich mich mit Thea Herbers, der Tochter des verstorbenen Kommerzienrats Herbers aus Iserlohn, und habe damit eine verständnisvolle und treue Gefährtin für den Rest meines Lebens gewonnen.

Mein Dasein nahm in London immer ruhigere Bahnen an. In der Regel vollzog sich mein Tageslauf folgendermaßen, und dies ist nach meiner Hochzeit im wesentlichen geblieben wie vorher. Nach dem Frühstück, um neun Uhr morgens, pflegte ich einen energischen Spaziergang zu machen, auf dem ich stets von meinem Hund, einem klugen Airedale-Terrier, begleitet war. Diese Ausgänge machte ich teilweise auch zu Pferde von Park Lane oder Buckingham Gate aus durch Hyde Park und Kensington Gardens. Wenn ich von diesen Spaziergängen zurückkam, war die eigentliche Arbeitszeit des Tages von elf bis zwölf Uhr, ich schrieb. Alle meine schaffende Arbeit in meinem ganzen Leben habe ich um diese Zeit erledigt, niemals des Abends nach dem Essen, oder gar des Nachts. Mehrmals wöchentlich ging ich morgens auch in die City, um Geschäfte in meinem Bureau vorzunehmen, oder meinen Rechtsanwalt bzw. meine Bank zu besuchen. Das Mittagsfrühstück (luncheon) spielte in England mehr und mehr eine untergeordnete Rolle. Jahrelang nahm ich um ein Uhr mittags, in der Regel im Stehen, nur ein Glas Milch und etwa einen[125] Apfel oder anderes Obst. Des Nachmittags beschäftigte ich mich immer nur aufnehmend. Ich las wissenschaftliche Werke, Philosophie, gute Poesie, schrieb auch wohl Briefe. Von vier bis sechs Uhr gehörte wieder einem längeren Spaziergang. Ich fuhr nach Kew Gardens, Hampton Court oder Richmond, besuchte wohl auch das British Museum, die National- oder Tate Gallery. Ganze Nachmittage in der besseren Jahreszeit habe ich wohl auch rudernd auf der oberen Themse zugebracht, oder ich fuhr auf einem Vergnügungsdampfer stromabwärts nach Greenwich oder bis zum Nore-Leuchtfeuer. Im Winter nachmittags nahm ich sehr oft am Gottesdienst in der Westminster Abbey teil, wo mich die alten Erinnerungen der britischen Geschichte umgaben. An den Abenden las ich leichtere Bücher: Thackeray, Dickens, Wells, Conan Doyle, Gustav Freytag usw., oder ich ging in einen meiner Klubs und spielte Karten. Manchen Abend verbrachte ich auch in Theatern, Vorträgen. Zweimal wöchentlich nahm ich Einladungen zum Abendessen an, zweimal pflegte ich Gäste bei mir zu sehen. Die Sommermonate verbrachte ich gern an der See in Südengland oder Nordfrankreich. Ich suchte Eastbourne, Brighton, Folkestone, auch Boulogne, Calais, Dover, Ostende und Scheveningen auf und habe mir von allen diesen Gegenden eine auf Anschauung beruhende Kenntnis angeeignet. In meinen späteren Jahren habe ich die Monate von Weihnachten bis etwa Mai mit Vorliebe in Süd- oder Nordafrika zugebracht, in Ägypten bin ich wohl mehr als ein dutzendmal gewesen. Aber auch in Tunis, Algier und Marokko.

Man wird zugeben, daß eine solche Lebensführung, die Verbindung von geistiger Betätigung und gesellschaftlichen Anregungen angenehm genug war. Im allgemeinen liegt auch über meinem ganzen englischen Aufenthalt bis zum Weltkrieg hin ein friedlicher Glanz. Ich bezweifle, daß mir Deutschland, in welcher Gestalt auch immer, ein ähnliches Maß von Behagen hätte bieten können. Der Engländer[126] wenn auch zurückhaltend, ist im Zusammenleben außerordentlich verbindlich und gütig und zeigt dabei ein großes Maß von Billigkeit und Gerechtigkeit. Die Großzügigkeit des ganzen öffentlichen englischen Lebens machte sich in jeder Haushaltung fühlbar. Neid und zudringliche Neugier in die Verhältnisse des lieben Nachbarn schien es in diesem Lande nicht zu geben. Man kümmerte sich auch nicht einmal um die Namen seiner Hausgenossen, geschweige denn um deren Lebensgewohnheiten und Verhältnisse. Was einer »ist«, bzw. welchen Titel er hat, kümmert auch seine Freunde nicht. Womit sich jemand seinen Unterhalt verdient, ist ganz seine eigene Sache. Dies alles gibt dem englischen Leben eine gewisse Breite und innere Freiheit, welche auch durch die kirchliche und gesellschaftliche Gebundenheit nicht sonderlich beeinträchtigt wird.

Diese Darstellung meines zweiten Aufenthaltes in England würde nicht vollständig sein, wenn ich nicht auch über die Entwicklung von South East Africa Ld. Bericht erstattete. Denn mein ganzes Londoner Leben ist durch diese Minenunternehmung in Südafrika beeinflußt worden. Meine Haupthilfe bei diesem Geschäft in Deutschland war Dr. Oskar Wolff-Walsrode. Ich war 1899, 1900–1901, 1905, 1906, 1909–1910 und 1911 im Zusammenhang mit dieser Unternehmung, welche zum Teil mit meinen Ophirforschungen zusammenfiel, in Südafrika. Ich fuhr dahin, teils um Westafrika über Kapstadt und Johannesburg, teils um Ostafrika über Ägypten und Sansibar. Mit diesen Reisen verbanden sich mehr oder weniger lange Besuche teils in Madeira und Teneriffa, teils am unteren und oberen Nil.

Die Erforschung der Sambesi-Gebiete und von Macombe's Land war das erste Ergebnis dieser Expeditionen, jedoch waren diese Ergebnisse für tiefergehende bergmännische Untersuchungen nicht verlockend. Anders war es in Manicaland und Penhalonga bei Umtali. Hier waren die Oberflächenarbeiten so ermutigend, daß wir an verschiedenen[127] Goldadern tiefergehende Aufschließungen vorgenommen haben. Ich muß auch an dieser Stelle betonen, was ich früher gesagt habe, »man kann einer Mine nicht in die Tiefe sehen, sondern man muß Schachte und Stollen hineintreiben, um zu erkennen, was sie wert ist«. Das aber kostet Arbeit und Geld. Da man niemals genau voraussagen kann, wie das Endergebnis sein wird, so ist bei der Beteiligung an solchen Versuchen jedesmal ein Risiko vorhanden. Es ist stets so, als wenn man sein Geld einer Lotterie anvertraut. Man kann gewinnen, aber man kann seinen Einsatz auch verlieren.

Die Hauptsache ist, daß man sich eine zuverlässige und einsichtige minentechnische Beratung sichert und gute Mineningenieure zur richtigen Ausführung der erforderlichen Arbeiten. Das ist sowohl am Sambesi wie am Mudza, besonders aber im Penhalongatal und später im Transvaal geschehen. Was menschlicher Einsicht und dem Können einzelner möglich war, ist getan. Aber der finanzielle Rückhalt war wohl von vornherein zu schwach, und somit ist dies Minenunternehmen von Anfang bis zu Ende eine Quelle steter Sorgen und Beunruhigungen für mich gewesen. Die erschlossenen Erzgänge im Manicaland und in Penhalonga haben in der Tiefe nicht gehalten, was sie an der Oberfläche versprachen. Nur im Transvaal, die Malidyke-Mine, wies sich dauernd als abbaufähig aus. Ich habe das ganze Unternehmen 1910 einer englischen Finanzgruppe verkauft, derart, daß meine alten Aktionäre in der neu zu gründenden Gesellschaft für jede alte Aktie eine gleichwertige neue bekamen. Nachdem ich 1911 den ganzen Besitz einem Vertreter dieser Gruppe an Ort und Stelle übergeben hatte, bin ich selbst aus der Leitung der Sache zurückgetreten, welche, soviel ich weiß, noch heute fortläuft.

Ich selbst habe an dieser Minenunternehmung außer viel Zeit und Nervenkraft 160–170000 Mark eingebüßt. Daß man nicht ungestraft unter Palmen wandelt, wußte[128] ich schon früher, daß auch die Subtropen dem Europäer gefährlich werden können, habe ich erst in Südafrika erfahren. Der Weltkrieg von 1914 hat auch diese deutsch-englische Unternehmung vorläufig verschlungen. Ich bin im Verlauf der Jahre zu der Überzeugung gelangt, daß die Goldarbeiten im alten Ophir hauptsächlich auf alluvialen Goldwäschereien beruhten, zum Teil aber unregelmäßige »Nester« (pockets) in Quarz und Schiefer, aber auch in anderen Gesteinsarten, wie z.B. Diorit, betrafen.

Am 20. Juli 1914 besuchte mich in London ein alter Bekannter, welcher seinen Aufenthalt inzwischen von London nach Sachsen verlegt hatte. Er steht jetzt als Hauptmann im Felde und schrieb mir vor einiger Zeit von dort: »Sie hatten recht, als Sie mir am 20. Juli 1914 beim gemütlichen Teestündchen in Ihrem englischen Heim mit Bestimmtheit sagten, in Kürze haben wir den Krieg.« Ich hatte dies meiner Schwiegermutter, Frau Kommerzienrat Herbers, bereits im September 1912 zu Iserlohn gesagt. Denn ich wußte, daß man ihn in England bestimmt wollte und erwartete ihn bereits als Folge der Marokkowirren. Aber ich ahnte damals nicht, daß er von vornherein seine Wendung gegen die Freiheit und das Vermögen der einzelnen Staatsbürger der beteiligten Länder nehmen, überhaupt sich mit vollständiger Nichtachtung der völkerrechtlichen Bestimmungen entwickeln werde, wie sie in Genf und im Haag bestimmt waren.[129]

1

Ein Herr R. Hennig hat in Band 23 Heft 5 der geographischen Zeitschrift (Leipzig, B. G. Teubner), der übrigens mein oben erwähntes Buch nicht gelesen hat, einige auch im übrigen sehr oberflächliche Behauptungen zur Ophir-Frage zum besten gegeben. Augenscheinlich kennt er, ebensowenig wie mein Hauptwerk und manches andere, so auch meine kleine Schrift: »Ophir nach den letzten Forschungen« (Berlin 1908) nicht. Er würde sich sonst vermutlich nicht mit dem Bemühen, die Tukkhiim der Königsbücher zu erklären, abgegeben haben. Von der auch hier gestreiften Theorie, den Namen Afrika von Ophir abzuleiten, sagt er: »Unwissenschaftliche Phantasten suchten selbst das Wort Afrika von Ophir abzuleiten.« Herr Hennig hätte ruhig meinen Namen nennen können. Denn, soweit ich sehe, bin ich in der ganzen Weltliteratur der erste, welcher dies gesucht hat. An einer anderen Stelle (Prometheus Nr. 446, S. 642 bis 643) witzelt Herr Hennig, er werde sich nicht wundern, wenn andere Phantasten demnächst Ofen-Pest oder Offenbach von Ophir ableiten würden. Das beweist, daß er die Ableitung von Afrika aus Ophir überhaupt nicht kapiert hat. Es ist so recht die arrogante Art geistloser Stubengelehrter, welche lebende Sprachen überhaupt nur aus Büchern kennen. Ich bin überzeugt, daß Herr Hennig niemals einen lebendigen Semiten in seiner eigenen Sprache hat sprechen hören. Er würde sonst wissen, daß alle Vokale, sei es im Arabischen, sei es in den Somalisprachen, rein guttural lauten und keine ausgeprägten Klangtöne wie bei uns sind. Daß der Name Ophir ums Jahr 1000 v. Chr. ums Jahr 200 v. Chr. sich automatisch durch natürliche Lautverschiebung ins Wort Asir im Hebräischen umwandeln mußte, hätte er freilich auch aus Büchern lernen können. Daß aber die Römer aus Asir, welches sie von den Karthagern kennen lernten, den Namen Provincia africa gemacht haben, und daß hieraus unser Wort Afrika entstanden ist, das ist eine geschichtliche Tatsache. Was ist daran nun »unwissenschaftliche Phantasterei«? Unwissenschaftlich scheint mir bei seiner Behandlung der Ophir-Frage nur die Auffassung des Herrn Hennig zu sein.

Was er auf S. 270 über die Entscheidung geographisch-historischer Rätselfragen usw. sagt, hat er mittelbar S. 210–212 meines 1902 erschienenen Buches: »Im Goldland des Altertums« entnommen, ohne es jedoch für nötig zu halten, anzugeben, welche Quelle er benutzt hat.

Quelle:
Peters, Carl: Lebenserinnerungen. Hamburg 1918, S. 113-131.
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