Sechstes Kapitel

[99] Es kam der glückliche und unglückliche Zeitpunkt, nämlich das 1765te Jahr herbei. Man hörte von weitem schon unter dem gemeinen Volke, daß der kaiserliche Hof nach Innspruck kommen sollte.

Es wurden wirklich Quartiere bestellt und alle übrige Anstalten gemacht.

O! wie erfreute ich mich, daß unsre gute Kaiserin Maria Theresia auch einmal unser Vaterland zu sehen verlangte.

Ich ließ gleich ein Dutzend schöne weiße Handschuhe machen, um ihr damit ein Präsent zu machen.

Im Juni trafen schon allerhand fremde Herrschaften ein, um dem Beilager des Großherzogs von Toskana beizuwohnen. Anfangs Juli kam auch wirklich der ganze kaiserliche Hof, und der Einzug geschah unter fröhlichem Jubelgeschrei vieler tausend Menschen, wegen der glücklichen Ankunft unsrer besten und mildesten Landesmutter und bei unsrer Nation unsterblichen Kaiserin Maria Theresia. Es wurden Freudenfeste, Ball, Opern und Freischießen angestellt und die ganze Stadt mit Wachslichtern illuminiert. Dem Tag darauf wurde das Beilager gehalten, und in der St. Jakobs Stadtpfarrkirche um zwölf Uhr von dem Kardinal Migazzi die Kopulation vollzogen.

Ich hatte das Glück, wie überall, daß ich durch einen bekannten Sakristan durch die Sakristei eingelassen wurde und ein Ministrantenkleid anzuziehen bekam, wo ich Gelegenheit hatte, im Chor alles auf das Beste zu sehen. Ich hatte in meinem Leben noch niemal in einer Kirche beieinander so viele Majestäten, Geschmuck[100] und Brillanten, als dortmals, gesehen. Denselbigen Abend wurde auf dem Rennplatz vor der Residenz in Beisein einer unzähligen Menge Volkes ein Feuerwerk abgebrannt. Wir hatten aber die ganze Zeit, solang der Hof in Innspruck war, eine so ungünstige Witterung, daß es schien, der ganze Himmel hätte schon vorhinein getrauert. Zu gleicher Zeit kam ein solcher schwerer Regen, daß er den Namen Francisco und das ganze Feuerwerk auslöschte und alles Volk erbärmlich benetzte und traurig nach Hause jagte, welche Auslöschung jedermann für eine üble Bedeutung hielt.

Die höchsten Herrschaften befanden sich samt der übeln Witterung doch ganz gesund und wohlauf; bis endlich (ich zittere am ganzen Leibe, wenn ich daran denke) der für das Land Tyrol so unglückliche Tag ankam, nämlich der 18te August Anno 1765, an einem Sonntage. Es war große, aber doch nicht mehr offene Mittagstafel, denn die gemeinen Leute durften nicht mehr hinein, wie vorher. Ich war vormittags beim Obersthofmeister vom Erzherzog Leopold, Grafen von Künigl; dieser sagte mir, ich sollte heut um zwei Uhr zu ihm kommen und meine Handschuhe mit mir nehmen, er wolle mich mit sich im Riesensaale zur Tafel nehmen, daß ich der Kaiserin meine Handschuhe geben könnte. Ich ging zu meiner Gräfin von Trapp nach Hause, aß allda über Mittag, nahm sodann meine Handschuhe, kam um halb zwei Uhr zum Graf Künigl und wartete allda eine Weile. Da man zur Tafel blies, ging der Graf, nahm mich mit sich bis in den Riesensaal, stellte mich in ein Eck hin, wo ich wartete, wie er mir befahl. Es kamen die höchsten Herrschaften in der schönsten Ordnung und setzten sich ebenso zur Tafel. Es waren[101] auch viele vornehme Herrschaften im Saal, welche zusahen.

Nach einer halben Stunde erblickte mich der Kaiser Franciskus und winkte mir sogleich, daß ich zu ihm kommen sollte. Ich kam voll Furcht und Freude zu ihm und machte mit einer Kniebeugung mein Kompliment. Neben ihm saßen seine Schwester Eleonora und die Erzherzogin Maria Anna.

Ich hatte das Handschuhpäckl in meiner Rocktasche, und währenddem ich das Kompliment machte, ersah der Kaiser das Päckl und fragte gleich: »Was hast du da?« Ich sagte, es wären ein Dutzend Handschuhe, welche ich meiner lieben Kaiserin für das mir zu Schönbrunn Anno 1757 gnädigst erteilte Recht, ein Häusl zu bauen, zum Präsent geben wollte. Er sagte: »Laß sie mich sehen!« Ich gab ihm solche, und er nahm gleich ein Messer und schnitte mir Bändl und Papier davon. Ich tat darüber einen lauten Schrei und drohete ihm, daß ich ihn deswegen beim Burgpfleger Kühebach verklagen wollte. Er lachte, und alle bei der ganzen Tafel mit ihm.

Er gab die Handschuhe ohne meinem Versehen unter der Tafel weiter und schnapps waren sie verloren. Ich lief nach, konnte sie aber nicht finden; ich ging deswegen wieder zurück zum Kaiser und begehrte solche von ihm; er aber sagte, er habe sie nicht, und fragte mich zugleich, was ich mir wünschete; ich glaubte, es wäre die Meinung von den Speisen der Tafel, und sagte: »Nichts.« Er fragte mich: »Wo hast du geessen?« – »Bei der Gräfin Trapp«, war die Antwort. Der Kaiser sprach zu der Gräfin, welche gegenüber an der Tafel saß: »Es ist schade, wie mögen Sie doch einem solchen Buben etwas geben?« Sie machte ihre tiefe Verbeugung, und indessen[102] sagte ich: »Franz! gieb du mir zu essen.« Hierüber lachte er, und die Erzherzogin Maria Anna sagte zu mir: »Du bist ja nicht gescheit! mein Papa hat dich ja gefragt, was du wünschest; er hätte dir etwas gegeben.« Ich tat einen Pfiff und sagte: »Hops, Franz, das ist was anders! Was hast du gesagt?« Er sprach: »Was du dir wünschest?«

»Daß du mich gern hättest und (indem ich mit der Hand aufs Maul deutete), daß ich zu leben hätte.« Er sagte: »Komm am Mittwoch zu mir und laß dich melden; ich will dir was geben, daß du, dein Weib und Kind zu leben haben.«

Ich tat aus Freuden einen Sprung und lauten Schrei und sagte: »Franz! ein Mann ein Wort«; ich gab ihm die Hand, er lachte, schlug mir ein und gab mir die Hand zu küssen; ich rief den Fürst Auersberg zum Zeugen und sprach: »Du bist ein ehrlicher Mann und hast gehört, was der Kaiser gesagt hat.«

Der Kaiser lachte immer fort, griff mit einer Hand in seine Kamisoltasche, schenkte mir fünfzehn Dukaten und eine Medaille mit des Großherzogs Leopold und seiner Gemahlin Porträt, mit der Überschrift: Foedus amoris; und sagte auch: »Das ist das Handgeld auf den Mittwoch, damit du siehst, daß du kommen darfst.«

Ich kniete vor ihm nieder, dankte ihm; und der Prinz Karl wies mir inzwischen meine Handschuhe, auf welche ich gleich lief; allein sie waren unter der Tafel schon wieder weiter, und ich sah sie beim Kaiser. Ich lief wieder hinüber, und er gab mir sie und sagte: »Jetzt gieb sie meiner Theresl.«

Also unterhielte sich der größte Monarch an seiner letzten Tafel mit einem seiner mindesten und ärmsten Untertanen so lange, daß wirklich schon das Konfekt aufgetragen[103] wurde. Nun ging ich mit meinen Handschuhen zu der Kaiserin, und ein Kammerherr gab mir einen silbernen Teller, daß ich meine Handschuhe darauf legen konnte; ich kniete auch nieder, küßte ihr den Rock und gab ihr selbe. Sie nahm solche gnädigst und lachend an, zog ihre Handschuhe ab und die meinigen an, welche recht waren und sie erfreuten.

Sie fragte mich auch, was ihr Kaiser Franz mit mir gemacht habe; ich sagte es ihr; indessen gab sie mir ihre angehabte Handschuhe zum Muster, welche ich noch heutzutage habe, und sagte: »Bring mir auf dem Mittwoch noch solche zwölf Dutzend, ich will dir hernach auch was schenken.« Unterdessen stunden alle von der Tafel auf, und die höchsten Herrschaften schwenkten ihnen den Mund aus; der Kaiser und die Kaiserin küßten einander, und sodann wurde Koffee getrunken.

Endlich nach vielen Komplimenten gingen die höchsten Herrschaften auseinander in ihrer Zimmer. Die Kaiserin winkte mir, daß ich sollte mit ihr kommen, welcher ich gleich durch das Vorzimmer, Audienzzimmer und durch die Garderobe bis ins Schlafzimmer nachfolgte. Es waren allda Porträts von allen ihren Kindern. Sie fragte mich, ob ich sie kenne, und ich nannte sie alle bei ihrem Namen: Sie lachte und sagte: »Das freuet mich, und wenn du am Mittwoch bei meinem Kaiser Franz gewesen bist, so komm auch zu mir und zeige mir, was er dir geschenkt hat, denn, wenn er giebt, so giebt er gut, und er hat dich gern, Jung! du kannst glücklich sein; und bring mir auch zugleich meine Handschuhe.«

Sie gab mir für mein Dutzend Paar Handschuhe 12 Kremnitzer Dukaten und ihre Hand zu küssen, wofür ich tausendmal dankte. Hier gab ich ihr auch ein Memorial,[104] um Erlangung eines Bierfratschlschanks, welches sie gnädigst annahm und mich ihrer Gnade bei der Hand versichert hat, welchen Schank ich zwar erst Anno 1770, aber richtig erhielte. Sie verließ mich unter der Tür, durch welche ich rückwärts hinausging, und nun ging alles in die Oper. Der Kaiser Franz war in derselben ganz aufgeräumt und gutes Humors. Als die Oper aus war, ging der Kaiser Franz samt seinem Gefolge und dem römischen König über den Franziskanergang nach der Burg zurück. Die Kaiserin kam eben mit ihrer Bedienung über eine kleine Weile hinterdrein. Der Kaiser ging in ein Vorzimmer, wo zween Grenadier neben einer Tür Wacht stunden. Es waren bei dieser Tür zwo Treppen, von welchen eine der Kaiser mit einem Fuß besteigen wollte.

Ach Schröcken! er sank links an den wachtstehenden Grenadier, welcher aus Schröcken auswich, und also fiel der beste Kaiser zwar etwas sachte auf den Boden. In einer Viertlstunde, o Gott! gesund, lebendig und tot. Es war um Dreiviertl auf zehn Uhr abends. Der jetzt regierende Kaiser Joseph kam dazu und nahm seinen halbverschiedenen Herrn Papa in seine Arme. Alle Menschen stunden da wie Statuen, denn der Schröcken war so groß, daß man ihn nicht beschreiben kann. Die Kaiserin, welche von diesem unverhofften schröcklichen Zufalle nichts wußte und bald nachkam, begleitete man über eine andere Stiege in ihrer Zimmer, unter dem Vorwand, daß durch diesen Gang sehr gefährlich zu gehen wäre und daß man sich wegen den locker gewordenen Ziegeln Leids tun könnte. Sie ließ sich bereden und wurde, ohne daß ihr etwas Übels zu denken beifiel, in ihre Zimmer gebracht. Ich bin nach der Oper nach[105] Hause gegangen, ohne mir etwas von diesem mich so tief niederschlagenden Unglück träumen zu lassen.

Es logierten in meinem Hause der Fürst von Kiemsee, der Karl Firmian, Gouverneur von Mailand, und mehrere Herrschaften, welche alle bei der Nachttafel, wobei ich aufwartete, sehr aufgeräumt und lustig waren. Indessen kam des Fürsten sein Läufer, welcher seinem Herrn ganz leise ins Ohr sagte: »Euer fürstl. Gnaden, den Kaiser hat diesem Augenblick der Schlag berührt und er ist nun leider wirklich tot.«

Der Fürst erschrak und sagte: »Du bist nicht gescheit; ich komme noch nicht lange von der Oper und hab ihn alldort gesund und aufgeräumt gesehen.« – »Euer fürstl. Gnaden«, erwiderte der Läufer, »ich komme dem Augenblicke vom Hofe, man trug ihn in ein Zimmer, die Tore in der Burg wurden gesperrt, und es ist so und nicht anderst.«

Der Fürst schickte nun, um sichere Nachricht einzuholen, einen Kavalier nach Hof, welcher auch die nämliche Bestätigung brachte.

In Eil stund man von der Tafel auf; alles weinte und bedauerte den guten Kaiser und Marien Theresien; alle gingen traurigst in ihre Zimmer. Ich heulte und wälzte mich in meinem Zimmer aus Trauer und Bekümmerung um den besten Kaiser, für die liebe Kaiserin und über mein Unglück. Nun wieder nach Hof.

Es wurde dem Augenblick ein mündlicher Eilbot nach Wien abgeschickt, über eine Stunde wieder einer, und unsere gute Kaiserin, Maria Theresia, wußte noch gar nichts.

Sie befahl, man sollte ihren Kaiser fragen, ob man nicht bald zur Tafel anrichten lassen sollte.[106]

Es kam die Antwort, man sollte noch ein wenig warten, dem Kaiser Franz wäre nicht ganz wohl. Sie war bekümmert um ihren lieben Kaiser und hatte über diese Botschaft keine Ruhe mehr.

Es waren der jetzige Kaiser Joseph und der Kaiserin Beichtvater bei ihr im Zimmer. Über eine kleine Weile befahl sie wieder zu fragen, ob noch nicht Zeit zum Speisen wäre, und wenn ihrem lieben Kaiser nicht wohl sei, so wollte sie allein bei ihm im Zimmer speisen. Es kam die Antwort, daß man die Tafel nur sollte fortgehen lassen, es wäre ihm gar nicht wohl und deswegen wollte er nicht zur Tafel gehen. Jetzt wollte sie mit Gewalt hinüber, um zu sehen, wie es mit ihrem Kaiser beschaffen wäre; allein man hielte sie ab, soviel man konnte, man brachte ihr allerhand löbliche Diskurse bei, und aus diesen merkte sie, daß was Widriges passiert sein müsse. Sie wollte abermal mit Gewalt den Augenschein selbst einnehmen, aber sie wurde wieder abgehalten.

Nun kam der gewaltsamste und erschröcklichste Herzensstoß über die beste Matron, denn ihr Sohn, Kaiser Joseph, mußte ihr selbst sagen, daß ihn Gott zu sich genommen und er nicht mehr bei Leben sei, mit den Worten: »Mama, auf diese Art habe ich meinen besten Papa sel. verloren.«

Diese Donnerworte, welche die beste Kaiserin selbst von ihrem Sohne Joseph hören mußte, brachten ihr solchen eindringlichen Schröcken, daß sie augenblicklich in eine so schwere Ohnmacht dahingesunken, daß alle Bemühungen der Leibärzte und andrer Hofleute, zum größten Leidwesen des Kaiser Josephs, welcher auf zwo Seiten zu kämpfen hatte, in Zeit von drei Stunden vergeben[107] waren, sie wieder zurechtzubringen. Man kann sich die erstaunliche Niedergeschlagenheit des ganzen kaiserl. Hofes, wie auch meine und aller übrigen Völker Betrübnis nicht genug vorstellen.

Am andern Tage ging alles traurig in den Gassen herum; die besten Freunde redeten aus Trauer nicht einander an und wurde sogar keine Glocke geläutet. Die wachthabenden Offiziere zogen mit großen Trauerflören und mit piano gerührten Trommeln auf; alles war bestürzt, und alle Festivitäten waren auf einmal eingestellt. Alle auswärtigen Herrschaften wollten über Hals und Kopf wieder nach Hause, und waren nicht genug Pferde und Chaisen aufzubringen, weil alles auf einmal aufbrechen wollte.

Es war an einem Dienstag, als ich aus meiner Liegerstätte mit Lamentieren bei der Gräfin von Trapp zum Vorschein kam; alle bedauerten mich wahrhaft, und die gedachte Gräfin riet mir, daß ich zum Säckler gehen und sechs Dutzend schwarze Handschuhe für Ihre Majestät die Kaiserin, statt der weißen, nehmen sollte, welches mir, aus Verwirrung in Betrachtung meines und der lieben, guten und betrübten Kaiserin Unglück, nicht würde eingefallen sein. Ich ging also zum Säckler Veit Mohr, dieser hatte solche im Vorrat und er gab mir, soviel ich verlangte. Da ich damit bei Hofe im Vorzimmer ankam, ließ ich mich durch die Kammerfräule Gräfin Insagin melden; diese hieß mich weinend warten und meldete es ebenfalls weinend der Kaiserin. Wie sie herauskam, sagte sie mir, daß ich hineingehen soll zu Ihrer Majestät der Kaiserin. Ich sagte, ich könnte vor Weinen nicht, und legte deswegen meine Handschuhe auf ein Kanapee; sie sagte aber: »Die Kaiserin hat es befohlen«,[108] und machte mir zugleich das Kabinett auf; ich mußte also hinein zu der höchstbetrübten Kaiserin, welche mich also anredete: »Gelt, Peterl! was wir Menschen sind, und was Gott tun kann? O! mein lieber Franz ist nicht mehr!«

Sie weinte untröstlich, und ich konnte vor Schluchzen kein Wort reden, kniete vor ihr nieder, küßte ihren Rock und ging weinend zur Tür hinaus. In der Garderobe bezahlte mir die Gräfin Insagin die sechs Dutzend schwarze Handschuhe und sagte zu mir, ich sollte wegen meinem versprochenen Präsent nur einmal nach Wien kommen, sie wollte die Kaiserin schon daran erinnern und mir verhilflich sein.

Itzt zu dem nunmehr sel. Kaiser Franz.

Dieser wurde auf einem Abend von einem Kavallerie-Regiment mit Fackeln nach Hall auf ein Schiff begleitet, von da aus er zu Wasser bis Wien zu den PP. Kapuzinern in die für ihn schon vorher neuerbaute Gruft gebracht wurde. Unsere betrübte Kaiserin und Landesmutter, Maria Theresia, mußte in diesen traurigen Umständen noch bei zwo Wochen in Innspruck zubringen, bis endlich zu Hall einige Schiffe ausgerüstet wurden, auf welchen die von unserer ganzen Nation beweinte betrübte Landesmutter ihre Heimreise nach Wien antreten konnte, nach welcher Reise wir wenig Hoffnung mehr hatten, sie noch einmal zu sehen; wir begleiteten sie also dahin mit von allen Herzen aufrichtigen Wünschen.

In Innspruck war nichts mehr zu tun, weil alle Freuden auf einmal verschwunden waren, mithin ging ich auch mit gesenktem und sehr traurigem Kopfe ins Zillerthal nach Haus.[109]

Alles schien mir verdrüßlich, alles war mir zuwider, und der Tod schwebte mir Tag und Nacht vor den Augen; ich hatte weder Rast noch Ruhe, so daß jedermann befürchtete, ich möchte ganz kleinmütig werden. Meine Freunde rieten mir deswegen, mich zu fassen, auf ein neues wieder eine Handelschaft anzunehmen und mich damit auf das Land zu begeben, damit mir die Sache besser aus dem Kopfe kommen möchte.

Zu dem Ende kaufte ich mir zu Innspruck Frauenzimmer-Handschuhe, grüne Hüte, beschlagene Halsbänder für Hunde und etliche Dutzend Strümpfbänder ein und ging mit einem Kameraden außer Land ins Baiern und Schwaben; ich kam endlich nach Ellwang zum Fürsten, welcher mich bedauerte, gnädig aufnahm und mir befahl, eine Zeitlang bei ihm zu bleiben; denn er hatte mich, wie auch alle Herrschaften, sehr gern. Um mich wieder aufgeräumt und lustig zu machen, gab man mir öfters mehr zu trinken. In der Früh Liqueur, untertags Bier und Wein, und so alles durcheinander, daß ich auf die Letzt ins Trinken kam und aufgeräumt wurde, mehr, als dem Fürsten lieb war, deswegen dieser für notwendig hielt, mir einen Aufseher oder Hofmeister beizulegen, welcher auf mich acht haben und ihm von meiner Aufführung Bericht abstatten sollte.

Der Fürst war auch im Erzstift Köln präbendiert; er war nun Willens, aus Plaisier und wegen Luftsveränderung eine Reise von Ellwang nach Köln anzutreten. Es wurde alles dazu bereitet und eingepackt: mit ihm mußten reisen Herr Hofmarschall von Schwarzach, Herr v. Leyden, Vizedom, Herr v. Thurn, Hofkavalier, Herr Eib, Hofrat, Herr geistl. Rat Brucker, als Spediteur, und unser Zahlmeister, Herr Kammerdiener Vacano, Kuchlschreiber,[110] Heiducken, Hoflaquais und Kutscher mit zween Zügen Pferde.

Der Fürst erlaubte mir auch mitzureisen, und ich wurde in die Liste als Hundshofmeister eingetragen. Die Bedienung samt der Bagage brach auf, und ich kam mit dieser zu Mildeburg, wo die Anstalten zum Einschiffen gemacht wurden, einen Tag vor dem Fürsten an. Wir hatten des Müllers von Wertheim seine zwei Jagd- und zwei Nebenschiffe, welche alle berühmt waren.

Es waren im Goldenen Anker Musikanten, wobei wir uns die ganze Nacht lustig machten.

Ich hatte meine zween Hunde inzwischen eingesperrt; um neun Uhr wollte ich nachsehen und sie füttern; Au weh! wie erschrak ich, da ich keinen Hund mehr sah: sie waren fort. Um eilf Uhr aber, da die Turner bliesen und der Fürst mit der Suite kam, wurde ich wieder erfreuet, da ich sah, daß die Hunde vorausliefen.

Nach der Ankunft des Fürsten gingen wir gleich zu Schiffe; indessen wurden auf der Jagd sechs Böller losgebrannt und sodann abgefahren. Wir legten auch unsere Reise, welche der Fürst als Graf von Fugger machte, in Zeit von zehn Tagen auf dem Wasser zurück. Unterwegs, wo etwas Gutes zu bekommen war, fuhr der Schreiner Martin mit einem Nachen hinaus und proviantierte uns mit Wein, Brezen und was er nur aufbringen konnte, im Überfluß. Einsmals kochte ich auch eine tyrolerische Brezensuppe mit Käse und frischem Butter geschmelzt und brachte sie dem Fürsten, welcher mir selbe sehr lobte und nach zwanzig Jahren noch sehr oft davon redete.

Diese Brezensuppe wurde von uns allen bei Butz und Stingl aufgezehrt, und weil wir einen Krug Wertheimer[111] darauf tranken und die Hofmusikanten, welche immerfort aufspielten, bei uns hatten, so kamen wir, da die Sonne unterging, recht lustig und vergnügt bei Mainz vom Main in den Rhein, wo wir mitten in dem Rhein mit Ankern über Nacht blieben und die Schiffe mit Flambos beleuchtet wurden. Des andern Tages fuhren wir durch die Schiffbrücke bei Biberich, Bingen, Mausturm und Binginger Loch glücklich vorbei und kamen mit der Zeit gegen Koblenz und der Festung Ehrenbreitstein zu, wo ich mit meinen sechs Böllern auf der Jagd die Festung begrüßte, und wir auch unter dem Donner der Kanonen empfangen wurden. Se. kurfürstl. Durchl. der regierende Kurfürst Klemens Wenzeslaus, als Koadjutor von Ellwang, kam uns in einer Jagd entgegen und empfing unsern alten Fürsten als wie seinen Vater auf das zärtlichste. Es war wahrhaft rührend anzusehen, deswegen auch allen Zusehern Tränen aus den Augen quollen.

Der Kurfürst begleitete unsern liebenswürdigsten Fürsten nach dem Tal in seine Residenz, wo herrlich gespeiset und hernach wieder unter dem Donner der Kanonen im Namen Gottes abgefahren wurde.

Wir kamen den Rhein hinunter bei Bonn vorbei und endlich zu Köln glücklich an. Allda landeten wir, stiegen gleich nach der Ordnung aus, und weil des Fürsten seine zwei Häuser auf dem Domplatz nicht ganz ausgebaut und meubliert waren, so mußte der Fürst bei seinem Bruder, der in der Rheinstraße, dem Graf Felix, logieren. Es waren unser sehr viele Leute, und der Hof war zu klein; deswegen mußte ich und mein Hofmeister in dem Glashaus des Gartens unser Quartier nehmen und darin schlafen.[112]

Des andern Tags ging ich in der Stadt herum spazieren, um die Merkwürdigkeiten von Köln zu be trachten und zu sehen; ich kam unter andern in den Dom, wo ich alles betrachtete. Nach geendigtem Gottesdienst gingen wir aus der Kirche über den Domplatz gegen des Fürsten Haus, wo man eben bauete. Hart an dem Dom in einem Gebäude hörten wir schreien und streiten. Wir waren kurieus und gingen hinein: es war ein Religios in einem braunen Habit auf der Kanzel, und mehr als hundert Theologen und Juristen unten herum auf das höchste gegeneinander im Disput, aber alles lateinisch. Wir dachten, es wäre, wie bei uns im Tyrol, daß es bald zum Raufen kommen würde, und sahen nur, welcher zuerst zuschlagen werde. Wir hatten beide silberne Schlagringe an dem Finger und waren bereit, über jenen, der der erste zu raufen anfangen würde, herzuwischen und ihn toll abzuklopfen. Aber weit gefehlt! Sie wurden im Disput wieder einig, es ging zu Ende und alles ruhig auseinander.

Wir gingen auch wieder heraus und in der Stadt herum; die Leute betrachteten mich in meiner Kleidung als ein Wunder, und ich verstund auch die plattdeutsche Sprache der Kölner nicht. Bei der Tafel fragte mich der Fürst, wie mir Köln gefallen, wo ich gewesen und was ich gesehen habe? Ich erzählte ihm alles, worüber er herzlich gelacht, daß ich schon dem ersten Tag gleich in die Disputation gekommen bin. Kurzum, mir gefiel es sehr wohl, und der Bleicherwein schmeckte mir ganz gut.

Ich fing auch an, in der Stadt bei den Herrschaften bekannt zu werden; sie wollten von meinen Waren haben, aber ich durfte außer der Meßzeit nicht hausieren gehen. Der Fürst sagte, ich sollte zum regierenden Herrn Burgermeister[113] von Kuen gehen und ihn bitten, vielleicht erlaubte er mir es. Ich wies ihm meine Handschuhe, wovon er mir zwei Dutzend abkaufte, und bat ihn um die Erlaubnis. Er sagte mir aber, er könne mir außer der Meßzeit das Hausieren-Gehen nicht erlauben; denn der Rat der Boutique ließ mir die Ware wegnehmen. Ich erzählte es dem Fürsten, welcher darüber lachte und zu mir sagte: »Du mußt damit Präsente machen.«

Über ein paar Tage ließ ich mir eine Porte-Chaise bestellen, nahm einen Pack meiner Waren zu mir hinein und ließ mich darnach zu den ersten Herrschaften hausieren tragen; denn mir ward nur das Hausieren-Gehen verboten. Wo ich hinkam, verkaufte ich, und die Herrschaften lachten über meinen Verstand und Einfall. Ich brachte meine meiste Ware ziemlich bald an.

Unter andern kam ich in ein Haus: die Mutter und zwei schöne Fräulen kauften mir drei Dutzend ab; eine Fräule sagte, sie hätte Muster, ich sollte mit ihr auf ihr Zimmer gehen, ob ich dergleichen schaffen könnte. Wir gingen, und sie wies mir ihre Handschuhe: es waren dänische; sie fragte mich auch zugleich: »Hast du Strumpfbänder? und was kostet das Paar?« – »Sechs Kopfstücke!« – »Willst du mir eine abmessen?« – »O ja! vom Herzen gern.« –

Sie setzte sich auf einen Stuhl und gab mir das Knie; ich meßte, meßte Strümpfbänder ab und dachte mir: im Schweiß deines Angesichts mußt du dein Brot gewinnen. Vor Konfusion, ich weiß nicht, wo ich geblieben bin, kam ich nach Haus zur fürstlichen Tafel, erzählte ihm, aber nicht alles; ich sagte ihm von den Handschuhen und was ich gelöst habe; aber von Strümpfbändern? Nichts.

Meine Ware ging bald zu Ende, und ich hatte gute Tage;[114] alles war wohlauf und der Fürst gesund. Eines Abends bei halbem Mondschein gingen wir um eilf Uhr in der Nacht in unser Glashaus schlafen, zogen uns nackend aus, legten uns nieder und fingen an in der Stille zu beten. Ich war sehr furchtsam, und dies war bekannt. Um zwölf Uhr hörte ich von weitem etwas; nüchtern war ich auch nicht; ich schauete durch die Fenster und in allen Ecken herum. Ich hörte brummen und sah eine Art von einem Bären durch den Garten ganz sachte auf mein Glashaus zumarschieren.

Alle Haare stunden mir gen Berg, ich sprang auf vom Bette, fing jämmerlich an zu schreien, flugs war ich zur Tür hinaus, wie mich Gott erschaffen hat, und über den Hof hinüber, wo alle Kavalier und andere Leute sich versteckt hatten. Der Kuchlschreiber fiel über eine Kiste und zerquetschte sich den Fuß, daß er vier Wochen liegen mußte; ich lief über die Stiege hinauf ins Vorzimmer; der Fürst schalte, weil er nicht wußte, was das für ein Lärmen war: aus Furcht, daß es brenne, rief er seine Leute zu sich.

Man meldete ihm, es wäre ein Bär im Garten, welcher den Tyroler Peterl aus seinem Bette gejagt hätte.

Ich wurde wieder in den Hof hinuntergeführt, und mein Hofmeister kam aus dem Glashause, brachte mir das Hemd, ich zog es an und stund mit Furcht und Zittern da; alles schrie und lachte; die Kavalier ließen den Bären fangen, er wurde zu mir in den Hof geführt; ich wollte ausreißen und nicht abwarten, aber man hielt mich mit Gewalt; man brachte ihn zu mir, und der Bär fing mit mir zu reden an. Man zeigte mir, daß es der Hofläufer Karl war, welchen die Kavalier in des Fürsten seine Bärenhaut einnähen ließen.[115]

Wie es hier ergangen, kann sich jeder denken. Ich stund im Zweifel, ob ich mich wieder in meinem Glashause schlafen legen sollte oder nicht. Der Herr von Thurn sagte aber: »Adam! scher dich in dein Paradies, oder ich verhaue dir deinen Arsch.«

Alles ging endlich gegen ein Uhr auseinander und legte sich schlafen. Mir aber wollte kein Schlaf beikommen; ich nahm daher meine Zuflucht zu einer Bouteille Bleicherwein, weil ich gemeiniglich eine dergleichen im Vorrat hatte. Ich brachte die Nacht mit meinem Hofmeister und der Bouteille in Betrachtung und Überlegung meines Schicksals und meiner Begebenheiten ziemlich gut zu. Dem Tag darauf bei der Tafel fing man es wieder an, wo man es gestern gelassen hatte, und ich wurde ziemlich als ein Poltron und Hasenherz geplagt.

Meine Waren und Strümpfbänder waren nun verkauft, und ich ging noch eine Zeitlang mit einem Läufer und meinem Hofmeister in der Stadt herum, wir besahen die Schätze, Altertümer und andere Merkwürdigkeiten sowohl im Dom bei den h. Drei Königen, als auch bei St. Ursula und in der goldenen Kammer, das von sich selbst aus der Mauer gewachsene Kruzifix bei den Weißen Frauen, St. Peter, St. Mergen Damenstift und St. Kompert, wo auch die zwei Pferde auf dem Heumarkt in einem Hause unter dem Dache zu sehen sind.

Der Herr von Truchseß war Domprobst und auch zugleich Probst bei St. Geran oder Kompert, dieser kannte mich von dem Fürsten aus, er war ein lustiger Herr und hatte mich sehr gern. Bei diesem speisete ich über Mittag; wir aßen gut und tranken die besten Weine und wurden ziemlich lustig und aufgeräumt; er sagte mir auch, daß er in Straßburg präbendiert und Domherr sei.[116]

Allda befände sich eine große Noblesse und viele Damen: wenn ich wollte, so könnte ich allda viele Handschuhe anbringen; er gehe bald dahin, wolle auch meine Kleider mitnehmen und mich überall aufführen und rekommandieren. Ich erwiderte, ich könnte nicht französisch reden. Er sagte aber, es könnten viele Herrschaften Deutsch, und was ich notwendig brauchte, wollte er mich schon lehren. Ich war damit zufrieden, und die Reise wurde beschlossen.

Er kam öfters zur fürstl. Tafel, und wir redeten manchesmal davon; der Fürst hielt es auch für mich nützlich. Ich brachte ihm also meine Kleider, schrieb auf Innspruck um neue Handschuhe und kam öfters zu ihm in die Lektion. Ich blieb noch eine Zeit zu Köln und bedankte mich beim Fürsten. Der Truchseß fuhr bald nach Straßburg, dem ich zu Fuß nachkommen sollte. Ehevor sagte er mir, wenn ich vor Straßburg über die Rheinbrücke käme, so stünde eine Schildwacht daselbst; dieser sollte ich meinen Passeport weisen und höflich zu ihr sagen: »Monsieur, votre très humble serviteur! Baisez mon cul! vous plaît-il?« so wird er mich mit aller Höflichkeit passieren lassen. Ich glaubte, es wäre alles richtig, weil es mir ein geistlicher Domherr im Ernst gesagt hat.

Er fuhr nach Straßburg, und wir gingen von Köln auf Bonn, Koblenz, über den Hundsrücken auf Mainz, Worms, Mannheim, Brusel, Karlsruhe, Radstadt, Stohlhofen und endlich nach Kehl. Unterwegs von Köln bis nach Kehl wiederholte ich Tag und Nacht bei mir mein Kompliment, daß ich es ja nicht vergessen sollte. Zu Kehl beim Schwarzen Adler oder Rehfuß blieben wir über Nacht, und da war noch alles ziemlich deutsch.[117]

Dem andern Tag um zehn Uhr trat ich den Weg ganz furchtsam an, ging über die lange Brücke mit dem Paß in der Hand und sah schon von weitem die Schildwacht. Ich zog den Hut ab und machte mein Kompliment, indem ich sagte: »Monsieur, votre très humble serviteur! Baisez mon cul! vous plaît-il?« Sakramust! wie erschrak ich, als er mir mit der Muskete ein paar Rippenstöße versetzte und sagte: »Fouti garçon allemand, sacre bougre!« Ich hielt nicht lange Stand und lief wieder zurücke in Eil, den Paß und Hut in Händen haltend, über die Brücke.

Im Wirtshause setzte ich mich nieder, schnaufte aus, überlegte das widrige Schicksal meines Kompliments und daß aus meinem hoffnungsvollen Projekt wieder nichts geworden ist. Ich blieb im Wirtshaus und schickte den Kellner zum Truchseß nach Straßburg mit einem Briefe. Dieser kam dem andern Tag in einer Kutsche herausgefahren und wollte mich und meine Handschuhe hineinnehmen; ich sagte aber: »Behüt mich Gott, ins Frankreich gehe ich in meinem Leben nicht mehr; wie wird es erst darin aussehen, weil es auf der Grenze schon so arg heruntergeht.« Wie ich ihm den ganzen Verlauf erzählte, hab ich geglaubt, der Truchseß lache sich über eine Stunde zu Tod, so daß er nicht mehr stehen konnte, er wollte mich hernach mit sich hinein haben, aber es war unmöglich. Er nahm meine Handschuhe mit sich, denn er hatte Gesellschaft, welcher er mein gehabtes Schicksal erzählte, worüber nicht wenig gelacht und es überall bekannt gemacht wurde. Er verkaufte mir auch alle meine Handschuhe, schickte mir das Geld dafür und meine Kleider durch einen Bedienten; ich bedankte mich, und wir gingen sodann wieder zurück[118] über Radstadt, Brusel, Stuttgart, Ulm, Augsburg und sodann durchs Tyrol nach Haus. Ich war sonst auf dieser Reise ganz glücklich, daß ich mir ein wenig Geld zusamm erspart habe, mit dem ich, mein Weib und zwei kleine Kinderln eine gute Weile auskommen konnten.

Quelle:
Prosch, Peter: Leben und Ereignisse des Peter Prosch, eines Tyrolers von Ried im Zillerthal, oder Das wunderbare Schicksal, Geschrieben in den Zeiten der Aufklärung, München 1964, S. 99-119.
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