Ankunft

[117] Nach einer siebentägigen Reise von Celle langten wir endlich glücklich in Stedten an. Um seine Familie zu überraschen, stieg mein Herr vor dem Tore ab und ging in das Schloß, während ich einstweilen das Gut von außen in Augenschein nahm. Das erste, was mir in die Augen fiel, war eine über dem Tor in Stein gehauene Eule, die mich zu bewillkommnen schien; das zweite war eine Art von Schnellgalgen und ein großes Rad an einer starken Säule, welches, wie ich später erfuhr, eine Rammelmaschine war, welche zur Anlegung eines Teiches und eines Viehbrunnens angewandt wurde.

Darauf ward ich von einem Knechte bewillkommt, welcher mir einen Pferdestall anwies, mir die Pferde absatteln half und für das nötige Futter zu sorgen versprach.

Beim Eintritt in das Haus kam mir eine betagte Jungfer entgegen, bewillkommte mich und bot mir ein Glas[117] Wein und einen Teller voll Kuchen zur Vorkost. Kaum hatt ich mich bedankt, so empfing mich der Gärtner und der Herr Verwalter und führten mich beide in ihre Stube, um an der aufgetragnen Mittagsmahlzeit teilzunehmen. Ich suchte mich zu entschuldigen, es half aber nichts, ich mußte mich am Kammertische niederlassen und mitspeisen. Während der Mahlzeit ward auch für das Gesinde aufgetragen, das seine Stube nebenan hatte und mir, sieben Personen stark, beim Durchgange seinen Willkommen durch einen traulichen Handschlag ausdrückte.

Während der Mahlzeit fiel es mir auf, aus dem Munde des Verwalters Pflug meine kindliche Landessprache reden zu hören: ich gab ihm meine Verwunderung darüber zu erkennen und erfuhr, daß ich nicht weit von meinem Geburtsorte, er selbst aber lange in Ingersleben als Verwalter gewesen wäre. Was mich aber besonders für diesen Mann einnahm, war, daß er meinen Vater selbst recht gut gekannt hatte.

Eben machte der Gärtner Werner die Bemerkung, mein Schicksal habe es so gewollt, daß ich wieder meinem Geburtsorte nahe kommen sollte und daß der Heller da gelte, wo er geschlagen wäre, als ich zum Herrn beschieden wurde. Bei meinem Eintritt unterhielt er sich mit einem alten Manne und frug ihn, wie weit sie mit der Maschine gekommen wären, worauf dieser antwortete: »Je nu, wir haben sie angebracht und können damit morgen einen Versuch machen.« – »Das tut«, erwiderte mein Herr, »und macht eure Sachen aufs beste!« Darauf wandte er sich zu mir und sagte: »Gottlob, glücklich angekommen sind wir noch, aber der Roßarzt mag wegen des Pferdes wohl recht haben! – Jetzt komm mit mir.« Ich mußte ihm aus der Stube über einen langen Gang in das eigentliche Wohnhaus folgen, wo er mich seiner anwesenden Gattin und seinen Kindern vorstellte. Nach einiger Unterredung wurden mir meine künftigen Geschäfte genannt und zugleich bemerkt, daß es nicht unvorteilhaft für mich sein würde, wenn ich sie zu ihrer[118] Zufriedenheit verrichtete. Auch beschenkte mich die Großtante, Frau von Ingersleben, gleich mit einigen abgelegten Kleidungsstücken und zwei neuen Hemden.

Neben meinen gewöhnlichen Dienstgeschäften half ich mit bei dem Bau, zu welchem die kostspieligen Maschinen dienten, ohne daß man durch sie seinen Zweck erreichte; auch die Baumschule half ich mit anlegen, durch welche sich der Herr Rittmeister ein bleibendes Andenken gestiftet hat.

Es gefiel mir sehr in dieser Gegend, da ich besonders mit den beiden jungen Herrn ausreiten und auf die Jagd gehen konnte. Einer derselben kam als Lieutenant unter das Regiment von Goldacker nach Querfurt, und da ich für den Vater zu jung war, so traf mich das Los, ihn als Reitknecht in seine Garnison begleiten zu müssen. Hier hatt ich am 29. Juli des Jahres 1783 das Unglück, bei dem großen Brande meine sämtliche Equipage einzubüßen, weshalb ich meinem jungen Herrn, der Urlaub nahm, wieder aufs Gut nach Stedten folgen mußte.

Hier traf sich's, daß die Prophezeiung der Frau Kommissärin Cramer in Celle in Erfüllung ging, indem ich mich mit einem andern Mädchen, namens Kähnitzerin aus Weimar, in einen Liebesbund eingelassen hatte, der es nötig machte, an eine baldige Kopulation zu denken und um meine Dienstentlassung zu bitten, in welche die gnädige Frau von Seebach ungern willigte.

Bei dem Brande in Querfurt war mir mein Abschied vom Herrn von Brock mit verlorengegangen, welchen der Herr Rittmeister von Seebach gelesen hatte, deswegen bemerkte dies derselbe in dem ehrenvollen Abschiede, den er mir erteilte, zu meiner Legitimation.

Quelle:
Sachse, Johann Christoph: Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers. Von ihm selbst verfasst, Berlin 1977, S. 117-119.
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Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers
Der deutsche Gil Blas. Eingeführt von Goethe. Oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers