Zweiter Abschnitt

[65] Der schnelle Übergang aus den Freuden des Hirtenlebens in die Strapazen der Ernte machte anfangs auf meine Zufriedenheit einen widrigen Eindruck; keine Ruh bei Tag und Nacht, bis alles vom Felde eingesammelt war. Schon früh um zwei Uhr rief Bostel gewöhnlich mit lauter Stimme: »Christop, stah up, de Klock het fife slagen, wi mäth däschken.« (Steh auf, Christoph, die Glocke hat fünf geschlagen, wir müssen dreschen.) Wenn wir nun zwei bis drei Stroh abgedroschen hatten, so ging es zum Frühstück, welches meistenteils aus Grütze, Kohl, Kartoffeln und Milchspeisen, der Nachtisch aber aus Butter, Käse, Speck und Heringen bestand.

Vor Müdigkeit und Schlaftrunkenheit konnt ich oft gar nicht essen, oder ich aß halbwachend, wobei ich den Schleif oder hölzernen Löffel manchmal in die Schüssel fallen ließ.

Mit Tagesanbruch mußt ich die Ochsen und Pferde aufsuchen, die zu dieser Zeit nicht mehr gehütet, sondern, nach vollbrachter Arbeit, ins freie Feld gejagt wurden, wo sie die Nacht hindurch, bis in den Spätherbst, weideten. Manchmal kam es mir vor, als wenn diese Tiere früh sich absichtlich vor mir zu verbergen suchten, besonders der alte einäugige Kommer, der, wenn er sich satt gefressen hatte, sich in einem Busche zu verstecken pflegte, wo er sich so still hielt, daß man zehnmal vor ihm vorbeilaufen konnte, ohne ihn gewahr zu werden.

Das empfindlichste war mir dabei, daß ich, nach langem Außenbleiben, von Bosteln gemeiniglich zur Rede gestellt[66] und beschuldigt wurde, absichtlich herumgelaufen zu sein, damit der Tag vergehen möchte. Glücklicherweise traf mich nie das Schicksal anderer, deren Vieh in fremde Fluren lief und von den Schützen gepfändet wurde, sonst würde Bostel für das Pfandgeld meinen Rücken in Anspruch genommen haben, ob ich gleich noch keinen Schlag von ihm bekommen hatte.

Quelle:
Sachse, Johann Christoph: Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers. Von ihm selbst verfasst, Berlin 1977, S. 65-67.
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Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers
Der deutsche Gil Blas. Eingeführt von Goethe. Oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers