[105] Das Stiftsfräulein von Druchleben, eine Tante, welche meinen Herrn noch nicht als Offizier gesehen hatte, veranlaßte ihn, ihr zu Kloster Mariensee einen Besuch abzustatten. Wir fanden daselbst eine freundliche Aufnahme. Unter anderm Zeitvertreib während unsers Aufenthalts[105] wurde abends auch die Karte gespielt. Hierauf erbot sich ein Klostermädchen, mir die Karte zu schlagen, um, wie sie sagte, hinter meine Geheimnisse zu kommen. Ich ließ es deswegen zu, erschrak aber doch, als sie mir bekanntmachte, daß mir ein großer Verdruß bevorstünd und ich nicht wieder zu ihnen kommen würde. Da sich mein Herr auf der Hinreise nach Mariensee förmlich mit mir wegen des Vorgefallenen ausgesöhnt hatte und ich mir keines neuen Fehlers bewußt war, so konnt ich mir nicht denken, woher der Verdruß kommen sollte. Doch dazu wurde bald Rat. Nach einem zweitägigen Aufenthalte fiel es meinem Herrn noch vor dem Abendessen ein, wieder zurückzureisen. Da wir erst nach eingenommenem Soupée fortgelassen wurden, so ritten wir erst spät von Mariensee wieder fort. Daher kam es, daß wir uns verirrten und querfeldeinwärts reiten mußten, um wieder auf den rechten Weg zu kommen. Unterweges stießen wir auf einen Graben, über den ich mit meinem Pferde ohne Mühe setzte; da des Herrn Bijou schlechterdings aber nicht überspringen wollte, so sah sich mein Herr genötigt, abzusteigen, um das Pferd neben einem Stege durchs Wasser zu leiten; das Pferd scheute sich aber und zog ihn neben sich mit Leib und Seele in den Graben hinab, so daß er bis an die Ohren in den Morast versank. Da erhob er ein Zetergeschrei und rief: »Hülfe, Christoph! Hülfe, lieber Christoph!«
Ohne an solch einen Unfall zu denken, war ich langsam vorausgeritten und konnte folglich nicht sogleich Beistand leisten. Endlich gelang es mir mit vieler Mühe, sowohl meinen Herrn als seinen Liebling, das Pferd, aus dem Moraste und auf die entgegengesetzte Seite zu bringen. Zum Lohne dafür und aus Ärger darüber, daß er nun gezwungen war, den übrigen Weg nach Hause zu Fuße zu machen, rechnete er mir die Schuld an dem Unfalle zu und zankte, fluchte und schmähte wie ein Rohrsperling auf mich, so, daß ich nicht stillschweigen konnte. Darüber ward er vollends so aufgebracht, daß[106] er unter der damals gewöhnlichen Offiziersformel auf mich loskam: »Kerl, dich soll der Teufel holen!« – Ohne Zweifel hätt er auf mich zugeschlagen, hätt ihn meine Haltung und daß ich ihm auf der Stelle den Dienst aufkündigte, nicht davon abgehalten. Als wir nach Hause kamen, rechneten wir zusammen, und kaum waren wir miteinander ins Reine, so reute es mich und meinen Herrn. Indes blieb ich fest auf meinem Vorsatze stehen, um nicht meinen Herrn zu reizen, welcher leicht an mir hätte Ursache suchen und finden können, mich noch in den Sprenkel schließen zu lassen. Er entließ mich daher mit einem guten Zeugnisse seiner Dienste.
Ausgewählte Ausgaben von
Der deutsche Gil Blas
|