Nachdem ich den Schluß meines 74sten Jahres zum Nachlesen der Selbstabschrift meines Lebens-Testaments verwandt habe, so will ich an meinem 75sten Geburtstage codicillarisch noch zufügen, wie mir bey diesem Durchlesen ein- und aufgefallen ist, daß durch die verschiedenen Einschiebsel der Vortrag keinesweges gewonnen, daß vieles zur Erleichterung des Lesens in beßre Ordnung und Verbindung hätte gebracht werden können und sollen; da ich aber weder die Kunst des sogenannten Renterirens, das die Näthe der Einstickereyen unbemerkbar macht, verstehe, noch es den Metallgießern nachzumachen im Stande bin, die, wenn sie am gegoßenen Stück große Risse und Blasen[391] bemerken, sich zum Einschmelzen und Umguß entschließen können, so hab ich lieber alles bleiben lassen, wie es einmal gerathen war. Die dem Alter anklebende Krittelsucht hätte mich überdem zu Abänderungen verleiten können, die oft verschlimmern, statt zu verbessern. Alte Füße stoßen überall auf dem Steinflaster an, nicht eben weil letztres, gleich dem Königsbergischen, holprich ist, sondern weil sie unvermögend sind, sich leicht genug über die Unebenheiten zu erheben. Auch würde ich durch alle beabsichtigten meliores compositiones doch dem nicht haben Genüge leisten können, was Herder von solchen Aufsätzen fordert, und was ich zur Lehre und Besserung für andere als gutes Wort in der Beylage C. mit abdrucken zu lassen beschlossen habe.
Weit entfernt, ein Lobredner vergangener Zeiten und ein Prophet ihrer künftigen Verschlimmerung zu seyn, würd ich ohne die Ueberzeugung von ihrer Zunahme im Guten den menschlichen Verstand für keine göttliche Wohlthat erkennen, und es für eine Anwandlung von Menschenhaß halten, wenn ich, ungeachtet bemerkter Abnahme eigner Kräfte, mich entschlösse, die Hände mit unthätiger[392] Hingebung in den Schooß zu legen. Denn wenn auch mein Leben seit einiger Zeit noch leiser wie sonst dahin schleicht, weil mein schwächer gewordnes Gehör mir einen immer kleiner werdenden Antheil an der Gesellschaft zu nehmen erlaubt und ich mich in ihr auf die Defensive einschränken muß, so, daß ich lieber aus dem Wege trete als begegne, lieber antworte als frage oder anrede, lieber Besuche abwarte als selbst abgebe, so glaub ich doch nicht, daß Necker Recht hat, wenn er in seinen vorangeführten Manuscripts Seite 49 sagt: les vieillards menent une vie penible, lorsqu'ils font encore en êtat de tout apprecier, de tout fenir. La riante perspective de l'avenir ne leur appartient plus, et quand ils veulent parler du passé, on ne les écoute gueres: chacun court vers les combats du monde – c'est beaucoup, quand on les salue en passant sondern halte diese Aeußerung für ein genommnes Aergerniß eines grämlichen Egoismus, den man indessen einem Necker nicht verüblen kann, und setze zum Beweise meines Behagens am Urtheil über mich, eine Stelle aus einem Briefe des Ministers von Schrötter[393] vom 11. Januar 1810 in die Note – risum teneatis amici.1
Besäß' ich vorzügliche Schriftstellergaben, so schrieb ich gern ein Büchlein über das Alter2 in dem vielleicht manches vorkommen[394] würde, was Cicero in seinen quatuor causis, cur senectus misera videatur,[395] nicht berührt hat, weil er es zu seiner Zeit nicht wissen, ja kaum ahnen konnte, denn Regnier sagt in seiner fünften Satyre:
[396]
Chaque age a ses plaisirs, son gout et ses humeures,
Et comme nostre poil blanchissent nos plaisirs.
[397]
und Voltaire versichert
Que n'a pas l'esprit de son age,
De son age a touts les malheurs.
Sein Hauptcapitel würde gewiß von der Nothwendigkeit, sich bis an das Lebensende beschäftigt zu er halten, handeln. Denn meine Liebe zur Leibes- und Geistesthätigkeit ist noch nicht verschwunden, erhält vielmehr den Muth zu leben in mir so lebendig und aufrecht, daß ich denen, die schon alt sind oder es noch werden können, auch hier nicht unterlassen kann laut zuzurufen: Hütet euch vor der Unthätigkeit, bemäntelt nie die heimliche Neigung zum Nichtsthun mit dem Vorwande der Kraftabnahme, glaubt vielmehr, daß in einer den Kräften angemeßnen Anstrengung die Stärkung liegt, die den Eintritt der Hinfälligkeit (marasmus senilis) verzögert, in der die eigentliche Beschwerlichkeit des Alters besteht.
Als ich heut erwachte, schrieb ich mir nachstehende Reime auf:
Die Thätigkeit, die leeres Stroh nie drischt,
Bestimmt des Menschen Werth, sie giebt ihm, laut Erfahrung,
Gesundheit, frohen Muth, Bekleidung, Obdach, Nahrung,
Schützt vor der Langweile, mischt[398]
In seinen Sämannsschweiß ein mildes Erndtehoffen,
Und, achtsam aufs Geschäft, zersirent
Sie selbst die tiefste Traurigkeit.
Wohl dem, den jung ihr Reiz sich ihr zu widmen treibet
Der bis zum Sterbtag' ihr hold und ergeben bleibet.
Der bis an sein spätes Lebensende unermüdet beschäftigte Heyne hatte gewiß ganz Recht, als er sagte: Senectuti ingruenti aditus obsepiri potest animi virium intentione, obniti, ne velis esse senex, est aliqua retardatio. (J. Müllers Werke. Thl. 18. Seite 58.) und ich denke in der Stunde, in der ich Anno 1736 geboren wurde, daher meinen Dienst in der deutschen Gesellschaft mit einer Vorlesung über Wahrheit und Freymüthigkeit anzutreten.3
Ein Jahr vor Kants4 Tode sprachen wir über häusliche Angelegenheiten, und[399] er frug mich, ob ich mir nicht bey Zeiten einen Wastansky5 zulegen wollte? »Sie glauben es nicht, wie vortreflich es ist, einen Freund gefunden zu haben, dem man sein ganzes Hauswesen überlassen kann, mit voller Ueberzeugung, er werde es wie sein eignes verwalten,« ich war aber damals so wenig wie jetzt der Meinung des philosophischen Erzvaters, der doch auch manches kleine Hausgeschäft, bis ganz zuletzt, selbst persönlich übernahm, weil ich den bloßen Entschluß zu solcher Hingebung für ein Zeichen halte, daß das Gefühl der höchsten Schwäche zum Durchbruch zu kommen auf dem Sprunge stehe, und daß man diesem so lange als möglich vor oder auszubeugen trachten müsse. Kann nicht in solchem Dienstfordern und Leisten die Freundschaft vom Forderer als Herrschaft gemißbraucht werden? Muß Sie nicht den Leister bis zur Dienerschaft erniedrigen?
Meine[400] Meine Hausverwaltung wird mir oft freylich ziemlich lästig, allein ich halte mich für verpflichtet, sie so lange zu besorgen, als ich noch irgend Kraft in mir spüre. Nichtbrauch ist oft so schädlich wie Mißbrauch. Wer wollte sich durchs Schwachwerden der Augen verleiten lassen, sie auf immer zu verbinden?6 Und obgleich der Zustand eines[401] ganz kindisch gewordenen und fast nur Thier gebliebenen Menschen, der blos ißt, trinkt[402] und schläft, ihm selbst keine Leiden verursachen mag, so hat doch dieser Anblick jederzeit soviel Herzzerreißendes für mich gehabt, daß ich mir das Beibehalten der Besonnenheit bis zum letzten Lebensaugenblick, stets als eine wahre Glückseligkeit gewünscht habe, wo möglich verbunden mit etwas Kraft zu[403] körperlicher Thätigkeit, weil, wenn eine oder die andere ganz wegfällt, die Kette zerreißt, vermittelst welcher man mit andern Menschen zusammen hält. Wie mäßige Ermüdung, dergleichen ich mir durch kleine Arbeiten im selbst angelegten (seit Ostern 1814 velaßnen) Gärtchen zu schaffen suche, das Einschlafen befördert, das ich für keine Kleinigkeit halte und bisher genossen habe, so denke ich, muß die fortwährende Leibes- und Geistes-Beschäftigung das Sterben erleichtern, oder eigentlich unmerklich machen, und wohl mir, wenn auch mir das herrliche Loos fiele, im letzten Moment sagen zu können nach Simeon: »Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren,« nachdem seine Augen genug gesehen haben von dieser Welt, um gerne zur andern überzugehen, und nach Paul Gerhardt zu singen:
Wo ich bisher gesessen
war nicht mein rechtes Haus:
Mein Zeit ist ausgemessen
und gern tret ich hinaus,
leg, was ich hier gebrauchet,
sehr ruhig alles ab,
und wenn ich ausgehauchet,
verscharr man mich ins Grab.
[404]
Den 2. Februar 1811.
Ich wollte den abermaligen Nachtrag zu meiner Biographie erst an meinem 76sten Geburtstage niederschreiben, allein die Verse Virgils
tarda senectus
Debilitat vires animi mutatque vigorem.
Aen. IX. 610.
die ich im Federschen Umriß vom Leben der Churfürstin Sophie von Hannover angeführt fand, machen mich wegen der Erlebung des 8ten Augusts besorgt, und ich schrieb daher schon heute dieses Postscript.
* * *
Nach Aufhebung der in der Biographie erwähnten Commission des Normal-Erziehungs-Instituts sitzte die Sektion des Cultus und allgemeinen Unterrichts im Ministerio des Innern mich und den jetzigen Marienwerderschen Consistorial-Rath und Superintendent Röckner zu allgemeinen Commissarien für das Institut an, und trug uns die Untersuchung der vom Regierungs-Rath Graff gemachten Bemerkungen über das Benehmen des Oberschulrath Zeller, während des mit den Predigern abgehaltenen Lehrcursus und mit den Kindern, auf.[405] Diese Revision zeigte nun zwar, daß das Experimentiren mit den Kindern den Oberschulrath zu manchen Misgriffen, theils beim Aufsetzen der Lehrbücher, theils in der Kinderbehandlung verleitet hatte, aber auch, daß er manche eigenthümliche Eigenschaften besäße, die Pestalozzische Methode in Gang und Schwung zu bringen. Es wurden indessen verschiedne Abänderungen mit Zellers Zustimmung in der Lehrart und Disciplin gemacht, er selbst aber von der Direktion des hiesigen Instituts abgerufen und ihm ein andrer Wirkungskreis angewiesen.
Da Zeller, dem ich seine Fehler schon immer freundschaftlich offen angezeigt, und der die Richtigkeit meiner Ausstellungen oft aus dem Schaden ihrer Nichtbefolgung erkannt hatte, sich den Commissarien zutrauungsvoll überließ, so lief diese Institutsrevolution recht gut ab, und laut Briefen und Aktenstücken waren auch die Berlinschen Vorgesetzten zufrieden.
Das lebhafte Interesse, das die Königin Luise während ihres hiesigen Aufenthalts sowohl an dem Institut, als an Zellers Persönlichkeit nahm, und das gnädige Vertrauen, mit dem sie auch mich jederzeit[406] behandelt hat, muß mich entschuldigen, daß ich Ihres Todes, dessen ich schon erwähnt habe, nochmals gedenke.
Nicht der König allein, sondern der Staat überhaupt hat durch diesen Sterbefall einen unersetzlichen Verlust erlitten. So abgeneigt Sie sich immer von aller Einmischung in Regierungs-Angelegenheiten mir und andern gezeigt hatte, so hat doch zuverläßig Ihr bloßes Mitdasyen oft durch eine sanfte Aeußerung, so zu sagen im Vorbeygehen, viel Gutes gestiftet, manches Böse oder Lästige abgewendet. Ihr irdisches Daseyn war ein himmlischer Genius für den Sie ehrenden und liebenden König, dem seine tiefe Trauer, wenn sie auch nie aufhörte, nicht verdacht werden kann. Wer Sie näher gekannt hat, beklagt gewiß den, zwar Ihr selbst vortheilhaften Hingang in eine Welt, in der Ihre jetzige Lage gegen die unvortheilhafte in der unsrigen sehr abstechen muß, allein so wenig mich auch die um Sie angelegte Welttrauer befremdet, so kann ich doch die Art von Hausirerey nicht billigen, die geistliche und weltliche Denkmal-Unternehmer mit Ihrem Andenken treiben, und die in Spielerey,[407] wo nicht gar in etwas ärgeres ausartet. Von den zahllosen über Sie erschienenen Aufsätzen in Versen und in Prosa entspricht vielleicht keiner dem, was Sie war. Am meisten hat mir der Schluß von Jean Pauls kleinem Stück in der Herbstblumine gefallen:
»Ehe Sie geboren wurde, trat ihr Genius vor das Schicksal und sagte: ich habe vielerley Kränze für das Kind, den Blumenkranz der Schönheit, den Myrthenkranz der Ehe, die Krone eines Königs, den Lorbeer- und Eichenkranz deutscher Vaterlandsliebe, auch eine Dornenkrone – welche von allen darf ich dem Kinde geben? Gieb sie ihm alle deine Kränze und Kronen, sagte das Schicksal, aber es bleibt noch ein Kranz zurück, der alle übrigen belohnt. Am Tage, wo der Todtenkranz auf dem erhabenen Haupte stand, erschien der Genius wieder, und nur seine Thränen fragten – da antwortete eine Stimme: Blick auf – und der Gott der Christen erschien.«
[408]
nächst diesem die Nänien und Apotheosen meines Freundes, des Major von S,7 ein Neujahrsgeschenk für ihre Verehrer mit dem Motto
Quae praestat virtute sua, ne prisca vetustas
Laude pudicitiae secula nostra premat,
Quae Veneris formam, mores Junonis habendo
Sola est coelesti digna reperta toro.
Ovid. ep. ex Ponto Lib. III.
in 6. Abschnitten Vorwort, Aufwallung des Gefühls, Besänftigung, Luisa's-Stimme, die Monumente, Schluß, schön und herzlich gedacht in verschiednen Versarten.
Am natürlichsten scheinen mir die letzten Lebensstunden Luisens, die Ihr Bruder, der Erbprinz von Strelitz, geschrieben haben soll, obgleich der Name des Prinzsolmschen Kindererziehers, Karl Hahn, auf dem Titel genannt steht, und die mir die Prinzessin Solms mit einem Brief voll innigster Trauer zuschickte.
Bekäme das Publikum die Briefe zu lesen, die der König an meinen alten Freund Borowsky eigenhändig geschrieben, so würde es sich sehr lebhaft von dem tiefen[409] Herzleide des Königs überzeugen. Ich erinnre mich nicht, verständigere, gefühlvollere, die Verlustempfindung inniger aussprechende. Briefe gelesen zu haben mir hat ihre Lesung vielfältig den Wunsch abgenöthigt: möchte doch dieser so richtig, so bieder, so gut denkende Landesvater nicht so oft handeln lassen, wie nicht gehandelt werden würde, wenn er mancher selbstgedachten meschlichen Mißbilligung den Vorzug geben wollte vor der Dämonologie vorschneller Räthe, die, einer Hauptabsicht der neuen Staatsverwaltung zuwider, mehr Geschreibe, mehr Offizianten und größte Verwaltungskosten einführen, als die alte brauchte und die neue nöthig hätte8. Könnte doch ein König einen Freund haben.9
* * *
Bey der Classification, die der König den 18 Januar 1810 mit dem rothen Adler-Orden vornahm, wetteten ein Paar bedeutende Staatsmänner um Göthe's Wahlverwandtschaften über die Frage, ob ich den Orden bekommen würde? und der Neinsager gewann. Ich müßte meine ganze Biographie durchgegleisnert, oder man müßte sie mit weniger Achtsamkeit gelesen haben, wenn man bezweifeln wollte, daß mir diese Uebergehung auch im mindesten empfindlich gewesen sey, ob es mich gleich verdroß, unter den Bekreuzten Menschen zu finden, die kein, und manche übergangen zu sehen, die ein wahres jus quaesitum auf solches Ehrenzeichen hatten. In meinen Zusätzen zu den Gedanken und Meinungen etc., wird man einiges über diese Materie finden, hingeschrieben zur Zeit, als die Zertheilung des rothen Adler-Ordens in Classen zur Sprache gekommen war.[410] Am 24sten Januar 1811, den ich als den Geburtstag Friedrich II. zu feyern gewohnt bin, begegnete mir einer meiner Freunde auf der Straße mit den Worten: »ich gratuliere« und wozu denn? »zum rothen Adlerchen« den ich am 28sten sauber eingekapselt mit einem Cabinetsschreiben erhielt – so war ich denn auch ein Creuzträger geworden, dem es aber mehr Vergnügen macht, zu sehen und zu hören, wie man ihm diese Staatsbeehrung nicht misgönnt, und sich darüber freut, als er sie sich selbst zu Herzen nehmen kann, doch ohne abzuleugnen, daß mir dieser Beweis des königlichen Andenkens wohl gethan hat, und daß ich Seiner Königlichen Majestät sehr aufrichtig dafür gedankt habe.10 Als ich jenen Neinsager nach seiner Ursache fragte,[411] erwiederte er mir: »Sie sollen einmal in einer Sache für einen fremden vornehmen Mann an den König geschrieben haben, und diese Freyheit soll ihnen übel genommen seyn« – das erste ist richtig, das letzte kann ich nicht glauben, weil mir der König auf meine damalige Dreustigkeit eigenhändig geantwortet hatte: »Meinen Dank übrigens für ihre Freymüthigkeit und die ohne Zweifel dabey gehabte gute Absicht.« und hätte jener Fall den so höchstrechtlichen König wider mich einnehmen können, so würd ich auch bey der zweyten Ordensvertheilung übergangen seyn, denn in meinen Briefen und Versen an die mir unvergeßliche Königin hat er beim Durchsuchen Ihrer Papiere gewiß manches gefunden, was Ihn selbst betraf weil ich von dem Könige, den ich aufrichtig hochschätze, immer nicht habe begreifen können, wie er sich vielfältig mit seinen großen und kleinen Umgebungen so benimmt, daß der künftige Tacitus bey seiner Charakterschilderung in mancherley Verlegenheit kommen, und vielleicht den hochedeln Menschen durch den sich zu wenig zutrauenden, und andern zu viel nachsehenden König in Verdacht bringen wird. Einsachheit der Sitten, Klarheit des Verstandes und Gemüthlichkeit sind drey dem Könige unabstreitbare Eigenschaften. Findet man sie aber wohl in vielen von Ihm unterzeichneten Landesverordnungen gehörig ausgesprochen, wird ihnen nicht oft in und durch die Ausführung widersprochen? Ich bin fest überzeugt, daß letztere weniger Hindernisse finden, und manches sogar Glück machen würde, wenn man das thäte, was der König im Rath beym Vortrage und auch im gemein Leben sagt und sonst äußert.
Der gedruckte Gesetzbuchstabe scheint oft den Geist des Gesetzes zu tödten, und der Lebendigmacher giebt es wenige. – Ich muß daher wohl bis an mein Lebensende bey der mehrmals geäußerten Maynung beharren, daß die Umgebungen die Fürsten die Hauptquellen des guten und bösen Rufs der Fürsten sind, und daß es der Nachwelt viel, mehrentheils vergebene Mühe kostet, der Regenten eigne Ehre aufzudecken, so wie deren eigne Schande zu erweisen. Sollten die Fürsten daher nicht desto behutsamer in der Wahl ihrer Umgebungen seyn?.
Den 20sten May 1811.
Vor einigen Tagen hört ich in einer Theegesellschaft eine kleine Gruppe sich mit den gewöhnlichen Conversationssprüngen von der Freundschaft unterhalten, und ob man gleich manche meiner Aeußerungen aus Rücksicht auf mein Alter höflichst bestritt, so will ich doch einige derselben niederschreiben.[412] Liegt es blos an der Schwäche des hohen Alters und an seiner absoluten Unfähigkeit zu manchen leiblichen und geistigen Genüssen, oder liegt es an der warnenden Wiedererinnerung des vielen schon Erlebten, daß es beynah unvermögend ist, neue Freundschaften zu schlüßen, ja selbst die in spätern Jahren angeknüpften gehörig fortzusetzen? Führt etwa der Spiritus Rektor, der dem Dicasterio der Seelenfähigkeiten vorsteht, im hohen Alter sein Regiment mit härterm Eigensinn, und hält er Verstand, Willen, Einbildungskraft und Empfindung so streng im Zügel, daß keines von ihnen seinen eigenen Schritt fortgehen und sich über irgend etwas nach Belieben ein und auslassen kann?
Einbildungskraft und Empfindung sind die Wählerinnen in der Freundschaft, und ob sich gleich der Verstand des Bestätigungsrecht zueignet, so begiebt sich doch der Wille, dieser Stiefbruder des Eigensinns, selten seines Einspruchrechts und läßt es sich noch seltner nehmen, so daß mehrentheils dem Willen und dem Eigensinn die endliche Entscheidung überlassen bleibt: es dürfte daher wohl im Eigensinn, der mit den Jahren so lange zunimmt, bis der Marasmus senilis[413] auch ihm ein Ende macht, die Hauptursache der Abneigung und Unfähigkeit des Greisenalters gegen und zu Freundschaften, zu suchen seyn.
Außer dem Eigensinn mischt sich vielleicht noch ins Spiel eine Art von Argwohn, die aus dem Gefühl eigner Schwachheit und aus der Besorgniß entsteht, dieser Schwachheit wegen von andern wenig, oder gar nicht, oder nur zum Schein geachtet zu werden. Dieses Mistrauen, das man die Hektik der Freundschaft nennen könnte, hält den Greis ab, die ihm von andern dargebotene Hand anzunehmen und ihre Darbietung mit einem herzlichen Druck zu erwiedern.
Es kann aber diese Abneigung und Unvermögenheit des Greises auch in dem Umstande liegen, daß er den Menschen abgemerkt hat, wie sie beynah alles nur für sich selbst thun, und daß die ihm schon fehlende Kraft oder Zeit, andre für sich zu benutzen, ihn abgeneigt macht, sich von ihnen benutzen zu lassen.
Gleichalte Menschen scheinen, wo nicht einen förmlichen Widerwillen gegen einander zu haben, so doch aus dem Gefühl eignes[414] Unvermögens auf die gleiche Unvermögenheit des andern Theils zu schlüßen, und daher eine nähere Verbindung entbehrlich zu finden.
Mit jungen Menschen einen Freundschaftsbund einzugehen vermag der Greis auch nicht. Ein neues Bret läßt sich an kein altes leimen, an dem alter Leim klebt, und wer mag sich die Mühe machen, den Altersleim abzuschaben, wer wollt es wagen, ihn mit dreusten Hobelstrichen wegzuschaffen?
Vereinen sich Greis und Jüngling, so veranlaßt und unterhält diese Verbindung gemeinhin bürgerliche Nothwendigkeit oder häußliches Bedürfniß, und nähern sie sich ja aus Gemüthlichkeit, so wird man finden, daß die Neigung der Altern zu den Jungen mehr von der Weichlichkeit der elterlichen Liebe, die der Jungen zu den Alten mehr von einer eigennützigen Schmeicheley oder Leichtsinnigkeit, oder kalter Ehrfurcht an sich hat.
Zwey gleichjunge Herzen schießen sympathetisch an einander, und ihre Freundschaft hat daher etwas von der Unbedachtsamkeit der Schul- und Kriegs-Cameradschaft an sich, dagegen sympathisirt das verknorpelte und verknöcherte Alter eigentlich[415] mit nichts, und seine etwannige Geschmeidichkeit ist selten mehr als eine manierirte, die dem zarten Gefühl der Jüngern nicht zuspricht. Fast glaub ich die Freundschaft sey etwas so zartes, edles, kräftiges, daß der Mensch ihm nur vom 25sten bis zum 50sten Jahre gewachsen seyn könne.
Den 26sten May 1811.
Da mein Leben jetzt nur an der Greisalters-Krücke zu gehen vermag, und Geist und Leib nur wenig selbst zu thun im Stande sind, so kann ich höchstens anführen, was ich andre beginnen sehe.
So wohnte ich vor einigen Wochen einer feyerlichen Einweihung der ersten Bürgerschule in meiner Vaterstadt bey, und hörte ihren Rector eine mit zu viel Personalitätspfeffer gewürzte Rede halten, in der zwar viel gut Gedachtes und Gesagtes vorkam, aber selbst von diesem schien mir manches am unrechten Ort, zu unrechter Zeit, und besonders einem Theil seiner Zuhörer nicht angemessen, so daß ich besorge dieser übrigens kraftvolle Mann werde sich aus Mangel an Zeit-Ort- und Person-Takt in der Folge auch an den Kinderköpfen[416] versehen und vergreifen, und zu ihrer Ausbildung weniger beytragen, als man von eigentlichen Bürgerschulen erwartet, die, wenn man ihren Zweck erwägt, manches Schwierige mehr, als die Gelehrtenschulen in und an sich haben, dafür aber auch, wenn er erreicht wird, zum allgemeinen Wohlstande, mehr als diese, beytragen können.
Vorgestern war ich eingeladen, auch eine Kelle Kalk auf den Grundstein der in der Nähe des botanischen Gartens zu erbauenden Sternwarte zu werfen; in die ihm beygesellte Capsel waren, außer einer kurzen Notiz über den jetzigen Wissenschaftszustand in Königsberg, auch folgendes Verslein von mir gesteckt:
Zur Zeit, da jeder Stand- und Meß-Punkt auf der Erde
Verrückt war, da sprach unser Friederich,
der Recht und Wahrheit liebt »Es werde
die Sternwart hier gebaut, damit der Preuße sich
am Himmel in das Laufen aller Sterne,
ohn' sich zu irren, finden lerne.«
Denn so lang Bessel's hier den Horizont beschauen,
kann man ganz dreust den Sternen trauen.
[417]
Professor Bessel, der nicht nur in seiner Lieblingswissenschaft ein vollendeter Mann, sondern auch im bürgerlichen Leben sehr liebenswürdig ist, hatte von mir ein Paar Worte zum Einlegen verlangt, und ich schicke ihm vorstehende, gewiß mehr zum Scherz, als im Ernst, so wie auch Anno 1813 einige Inschriften auf eine schwarze Steintafel, von denen er folgende vorzog:
der Erdendruck (1800) verwehrte uns
hier nicht den Weg zum Himmlischen,
rieth aber zu dem allen bekannten:
Per aspera ad Astra.
Sonderbar ist es doch, daß in den preußischen Unglücksjahren mehr für die Wissenschaften gethan und auf sie verwendet wird, als in jenen Zeiten geschah, in denen die Monarchie unter Friedrich II. sich so wohl befand, und für den Nahr- und Wehrstand reichlich gesorgt wurde. Sollte die jetzige Ausgabwillfährigkeit aus einer verborgen liegenden Ahnung entspringen, daß es unmöglich sey, sich aus dem Versinken der physischen und politischen Kräfte auf einem andern Wege zu retten, als auf der wissenschaftlichen Culturbahn? Es wäre[418] nicht das erstemal, daß Mittel, durch die man gewisse Zwecke zu erreichen beabsichtigt, Wirkungen hervorbringen, die, wenn man letztre vermuthet hätte, nicht würden angewandt seyn.11 Bey manchen Gesetzschreibern trift das bekannte: sie wissen nicht was sie thun, und thun Verkehrters, im Glauben, sie thun Gott einen Dienst daran – ein – und ist ein Wink zu reichhaltigem tröstlichen Nachdenken, über viele große wunderliche sonst unerklärliche Ereignisse – so denk ich denn auch beim Anschauen der zeitigen vielfältigen Schulreformen manches, was mancher, in diesem Fach mit Geräusch und selbst mit Eifer Arbeitende nicht denken, was ihm kaum ahnen mag – Wer einst dieses lieset, denke auch weiter nach, helfe aber doch, so gern wie ich, Pestalozzis Elementarmethode verbreiten, weil ich glaube, es liege in seiner Zahlen-Form-Gesangs-Lehre der[419] Hauptschlüssel zur Verstand- und Charaktereröffnung. – Möchte doch diesem großen Drey in allen Schulen eine besondre Classe gewidmet und diese von allen Kindern besucht werden, vor ihrer Aufnahme in die unterste Classe der Gelehrten- und Bürgerschulen. Sollte man aber darauf ausgehen, die pestalozzische Methode in die Wissenschaften einzuschwärzen, so besorg ich sehr, dieser Schleichhandel könne und werde keinen Bildungssegen bringen.12
Den 7ten August 1811.
Den letzten Tag meines 75sten Jahres hab' ich also erlebt, und wie muß ich Gott danken, daß seinen Schluß keiner von den Unfällen betroffen, unter denen die im großem Brande vom 14ten Junius d. J. Verunglückten beynah erliegen, und die vielen Tausenden das Ertragen, der durch mancherley[420] Veranstaltungen erschwerten Lasten noch saurer machen. Der Gang durch das bürgerliche Leben hat seine eignen, von ihm unabtrennbare Schwierigkeiten, allein auch viele Vortheile – die Hauptkunst der Gesetzgebung soll darauf ausgehen, erstere zu vermindern, letztere zu vermehren, und kann ihres Zweckes nicht ärger verfehlen, als wenn sie von den Eigenthümlichkeiten der Menschennatur abweicht und, dieser Verfehlung wegen, ihre Vorschriften immer abändern muß – der Windwechsel auf der See ist nicht so schädlich, wie das häufige Declariren oder Zurücknehmen der Verordnungen – wenn der Oberaufseher der Löschanstalten nicht früh genug einen festen Plan entwirft, was er dem Feuer überlassen will, um das übrige zu retten, so greift das Feuer gewiß so um sich, daß ihm am Ende auch das Anfangs Rettmögliche hingegeben werden muß. Ueber diesen Text liesse sich in unsern Tagen viel predigen, wer aber die Morgenandacht aus Schlaflust versäumt, schläft auch gemeinhin in der Nachmittagskirche – das öffentliche oder Geschäftsleben scheint so verpfuscht zu seyn, daß darüber etwas zu sagen nur die Pfuscherey vermehren[421] möchte, die man in den politischen Zeitschriften treiben sieht. – Gehe es also ohne meine Begleitung zum Grabe oder zur Wiedergeburt und zu neuem beßerm Wandel, mir genüge es, heut ein Paar Worte über leibliches Sterben nieder zu schreiben.
Im Laufe dieses Jahres starb einer meiner Jugendfreunde, als er von einem Freundschaftbesuche aus dem Schlitten stieg, so, daß er nicht mehr sein gewöhnliches Wohnzimmer erreichen konnte, und einen meiner Verwandten überraschte der Tod bey seinen Akten, das Verdauungspfeifchen im Munde. Was mag wünschenswerther seyn, plötzlich zu sterben orer langsam, jedoch schmerzlos?
Nachdem ich in dieser Nacht, in der mich ein Feuerlärm um 1 Uhr aufweckte, über diese quaestio non minus curiosa quam otiosa nachdachte, neigten sich meine Wünsche zur letzten Todesart.
Das plötzliche Sterben ist ein Glücksfall, der einen so überrascht, daß man beynah nichts von ihm weiß, oder nicht erfährt, was man an ihm hat. Dagegen läßt sich beym langsamen, NB. schmerzlosen, ein Genuß denken, der um so angenehmer[422] seyn muß, je sichrer man ihn auf die Rechnung einer nicht werkarmen Lebensführung schreiben darf, und da im Vergleichen der Dinge eine besondre Anmuth steckt, so möchte wohl kein Stand- oder Zeitpunkt geeigneter seyn zu einem Vergleichanstellen, als der auf dem stillen Wege aus dem irdischen zu einem überirdischen Leben. Freylich gehört eine gute Lage eigner lieblicher Umstände dazu, um durch das Misliche derselben in keine Verlegenheit über sich oder andre zu kommen, woraus wenigstens Geistesschmerz entstehen würde. Ich glaube, der Tod sieht nur häßlich oder schrecklich aus, wenn er dem Lebenden plötzlich vor die Augen tritt; erwartet man ihn ruhig und sieht ihn allmählig sich nähern, so müsse es einem so gehen wie einem Ehemann, der eine häßliche, aber Geist-und Gemüthreiche Frau heirathet, die ihm immer lieber wird, je länger er mit ihr lebt und sich von ihren guten Eigenschaften Kenntnisse schafft.
Ich breche hier ab, weil mir einfällt, daß ein hohes Alter, wie das meinige, nicht minder unvermögend sey, über das Sterben richtig zu denken, wie die Jünglingsschaft, da jenes dem Tode zu nahe, diese von ihm[423] zu entfernt zu stehen scheint, es überdem mehr eine Gefühls- als eine Verstandssache seyn dürfte, den rechten Punkt zur Abfassung eines richtigen Urtheils hierin zu treffen. Ehrlich versichern kann ich indessen, daß ich das langsame Sterben nicht aus Neigung zur Lebensverlängerung vorziehe – ihm aber die Schmerzlosigkeit zur Conditio sine qua non mache, denn um dem Schmerz auszuweichen, kann kein Tod zu schnell kommen.13
[424]
Den 16ten August 1811.
Gestern vernahm ich, daß einige, die mich am Geburtstage des Königs (3. Aug.) einen kleinen Aufsatz vorlesen hörten, mit meinem Thema unzufrieden gewesen – ich suchte zu beweisen, daß die Severität diejenige Eigenschaft sey, der ein Regent die Oberherrschaft über seine guten Eigenschaften einräumen müsse, wenn er nicht die guten Absichten der letztern wollte unerfüllt bleiben sehen. Meine Vorliebe für die Strenge, ohne die, meiner Meinung nach, keine Ordnung bestehen, kein Fleiß gedeihen kann, die man meinem Dienstbüchlein vorzuwerfen pflegt, bewog mich auch diesesmal, zu behaupten, daß kein Regent, kein Haupt eines Collegii, kein Hausvater, kein Freund, kein Kunstrichter ohne Severität vor Gott und auch nicht vor Menschen mit Ehren bestehen könne. Der Anblick unsrer Zeit giebt einem hierüber, nach dem gemeinen Ausdruck, den Glauben in die Hand und beweißt, daß der von leichtsinnigen oder unwissenden Regierungs-Handhabern ausgeübten Strenge nicht anders, als durch die Severität des obersten Regierers abzuhelfen sey. Sie schafft selbst den harten Mitteln,[425] die manche Zeitläufte durchaus unvermeidlich machen, eine Zusammenhaltung, deren Dauer den Bedrückten und Leidenden Zeit schafft, sich von der Nothwendigkeit solcher Zeithärte zu überzeugen, und erspart ihnen das Unangenehme, das der Befehlswechsel veranlaßt, der nur schlechte Melodien von Verbesserung und Erleichterung ableyert, die dem, der ein gutes reines Gehör hat, ein Greuel sind. Die Severität eines Regenten kann nie schaden, und selbst ihre Härte, im Nothfalle als einziges Mittel angewandt, wird, wenn sie diesen Zweck erreicht, so wenig gehaßt werden, wie der Uebelgeschmack einer Arzeney von dem durch sie genesenen Kranken. – Wer ohne Severität lebt, scheint mir auf dem Wege zu seyn, der vom Fleiß abführt, ohne den, man sage was man wolle, selbst das größte Genie ein prächtig schönes Meteor wird.
Als ich gestern den Discours de la gloire de Frederic las, den Johannes Müller am 29sten Januar 1807, in der Berlinschen Akademie vorgelesen,14 und in[426] dem ihm manches, ich weiß nicht warum, übel genommen und mißverstanden wurde, und Mitanlaß zu seiner Entfernung gegeben hat, fiel mir nachstehende Stelle auf: S. Chrysostome, dans ce beau stile, dont l'harmonie est encore moins admirable, que la proprieté des expressions, a la coutume de compréndre touts les vices et touts les defauts sous le nom general de paresse (ραϑυμία), c'est de l'effort de la volonté, que depend l'exellence de chacun dans sa position 15 und diese Anstrengung des Willens, (wie Göthe es übersetzt) was kann sie leichter und besser befördern, als die Severität. Machten sich die Menschen nur näher bekannt mit ihr, sie würden bald finden, daß sie keine Störerin wahrer Vergnügen ist.
Meine Severität im Urtheil über manche mimische Darstellungen der schon vorerwöhnten[427] wahrlich großen Künstlerin Henriette Schütz hat mich gar nicht gehindert, an einigen derselben recht großes Vergnügen zu finden, ob sie gleich die Besorgniß erregten, daß die Lust sie nachzumachen den Sitten Ihrer Zeitgenossen nachtheilige Versuche auf die Bahn bringen könnte – daß Madame Schütz, diese sehr interessante genialische Frau, die Grenzen der mimischen Kunst sehr erweitert, ist nicht zu leugnen, es fragt sich aber, ob es nicht besser wäre, wenn man den malerischen Ausdruck der leiblichen und geistigen Menschengestalt der Malerey und Sculptur, ob sie gleich nur immer Einen Moment benutzen können, ausschließlich überliesse? In der fortschreitenden Darstellung scheint mir eine Art von Verführung zu liegen, deren man die Malerey und Sculptur beynah gar nicht, die Tanzkunst aber desto öftrer beschuldigt, und die man meines Erachtens vergeblich mit dem Vortheil, den sie der Schauspielkunst bringen soll, entschuldigt. – Mir wenigstens scheint es für die dramatische Vorstellung gefährlich, sehr viel von ihrer Darstellung aufzunehmen – weil ein so tiefes Eindringen in die Gefühle, Minen und[428] Stellungen, mehr innre Hochhebung erfordert, als die Schauspielkunst nöthig hat. Als Zuschauer Ihrer Merope bin ich in diesem Glauben bestärkt, die so ausgeübte mimische Kunst reißt leicht ins forte, wo man mit dem piano besser auskommen würde – der in der mimischen Kunst erlangte Meistergrad wird sie um so mehr hindern, ihn auch in dem heroischen Schauspiel zu erhalten, als es mir geschienen, und aus der Art, wie ich sie ernsthafte und scherzhafte Stücke aus Göthe, Schiller, Voß etc., declamiren gehört und gesehen habe, noch klarer geworden, die Natur habe sie zur großen komischen Schauspielerin geboren werden lassen, sie habe sich aber aus mir unbekannt gebliebenen Ursachen zur tragischen erzogen oder erziehen lassen.
Ob einst die Leser mit diesen abschweifenden Gedanken und Meinungen zufrieden seyn werden? Die Jugend erhält Erlaß der noch fehlenden Jahre (veniam aetatis), um für altklug gehalten zu werden; sollte das Alter sich nicht auch einen solchen nachsichtigen Erlaß erbitten dürfen, um mit jugendlicher Dreustigkeit sich auslassen zu können?
Auch mag mir Johann Falk verzeihen,[429] daß von seinen Aeußerungen über Madame Händel-Schütz, die ich gestern (den 2. Oktbr.) im Almanach Urania gelesen, viele Stellen mir nicht zugesprochen haben, manche ganz unrichtig vorgekommen sind – der öftere Umgang mit solchen Künstlern veranlaßt nicht selten Urtheilsbestechungen, die der Aussprecher selbst nicht vermuthet, und denen er dann deshalb unterliegt.
Am 5ten Junius 1812.
Seit wenigstens einem Jahr hat wohl kein über den Gang der Dinge ernstlich Nachdenkender seinen Tag anders, als mit dem Seufzer angefangen und beschlossen: in quae tempora nos reservasti Domine! Leichtsinnigen Köpfen und habsüchtigen Händen scheinen Steuer und Ruder der Staatsgaleeren überlassen, und die Verordnungen mit Fleiß auf Schrauben gestellt zu seyn, um sich seiner entschuldigen und leichter andre beschuldigen zu können – das Land wird fast weniger von fremden Tygern und Hyänen zerfleischt, als es von Elephanten zertreten wird, die wohlgenährt ihre Rüssel mißbrauchen, weil ihr Cornak es an der nothwendigen Aufsicht fehlen läßt. Die[430] Abfasser der Ediktparentationen kommen mir vor wie die Leichenbegleiter, die sich darum nicht kümmern, woran der Todte gestorben ist, wenn sie nur ihre Schmausportion reichlich und Citronen in die Hand bekommen, um den Leichengeruch nicht zu empfinden. Würde nicht den wahren Offensivkriegen neuer, kleiner und großer Schwarzenberge ein Ende gemacht werden, wenn der sein Land doch gewiß liebende Regent den staatswirthschaftlichen Todesengeln Stillstand geböte?
Ein biblischer Schriftsteller sagt: Wehe dem Lande, des König ein Kind ist; aber doppelt weh möchte man ausrufen, wo der Regent, ob er gleich die Majorennität völlig erreicht hat, dennoch die Vormundschaft alten und jungen Roués überläßt. Wenn die Nachwelt aus den Edikten und Akten die Leiden der Unterthanen erkennen wird, wird sie nicht die Klagen derer gerechtfertigt finden, die die Hauptquellen des europäischen Verderbens aus den großen Residenzen herleiten, und aus der übermäßigen Gleichmüthigkeit der Regenten, durch die sie ihre eigne Unthätigkeit beweisen und dem Unfleiß böser Regierungsgehülfen einen gar zu[431] freyen Spielraum lassen? So wahr und schlimm das alte plectuntur Achivi dum delirant reges ist, so ist es gewiß noch schlimmer, wenn die im Rathe sitzenden Achivi rasen, und der Regent nicht Lust oder Muth hat, der Tollvater der Dienstachiver zu seyn.
Den 24sten Junius 1812.
Die Franzosen, die seit einigen Monaten Preussen heuschreckenartig verzehren, machten es vor einigen Jahren als Feinde arg, als Freunde treiben sie es gewiß noch ärger, theils weil den gallicanischen übertriebnen Forderungen nicht mit genug Muth und Klugheit widerstanden wird, theils weil die Franzosen, meiner Meinung nach, in allem schlimmer geworden sind. Der vom Marschall bis zum Fuhrknecht herab eingerißne Luxus bestätigt das bekannte male parta male dilabuntur. Hat aber Napoleon nicht in seinem Solo einen Sprung gemacht, der ihm nicht wohl bekommen wird? Der feuchtkalte Boden Rußlands ist vom westlichen Boden Europens so verschieden, daß zu vermuthen ist, die französische Leichtsinnsblüthe werde die Kälte nicht ertragen können, und[432] der corsische Kunstgärtner Mühe haben, den Stamm selbst unbeschädigt zu erhalten.
Napoleon, dem es bisher gelungen, seine Feinde durch den ersten Schlag so zu erschrecken, daß sie den zweyten nicht abzuwarten wagten, hat die Russen an seine großen Anstalten sich nicht kehrend gefunden. Sie warten die weithergekommenen, aus allerhand sich nicht kennenden, nicht liebenden Völkerschaften zusammen getriebnen Soldaten in ihrem eignen Lande ab, und wenn der über diese Kaltblütigkeit höchst unwillige Kaiser sie mit seinen, keinesweges mehr wie sonst gestimmten, Heeren angreifen wird, so bezweifle ich seine Obsiegung. Gesetzt aber auch, es gelänge ihm die erste Schlacht, so scheinen die Russen durch die übereilten Friedensschlüsse von Campoformio, Preßburg, Tilsit, belehrt zu seyn, eine zweyte könne glücklichere Erfolge haben, und haben sie dieses nicht gelernt, so versteht ihre Staatsverwaltung nicht ihre großen Kräfte zu brauchen, welches eben so nachtheilig ist, als der Mißbrauch der kleingewordnen in andern Ländern. Einem Gerede zu Folge soll Napoleon der Kaiserin Maria Louise und den Räthen, die ihm in Mainz zum Frieden[433] gerathen, erwiedert haben: tout ou rien – und auf dem hiesigen Schloß hab er, wie es heißt, nach Erhaltung einer Nachricht aus Rußland gesagt: il faut vaincre cu mourir. Durch das unwahrscheinliche Zutreffen des erstern wird das letztre desto wahrscheinlicher, besonders da man in der französischen Armee ein stilles, oft auch laut werdendes Unzufriedenseyn mit diesem wahrlich übermüthigem Kriege wahrnehmen will, welches nach einer verlornen Schlacht üble Folgen haben kann. Von der Roßbachschen Leichtfüßigkeit haben sich nach der Schlacht bei Eylau neue Proben gezeigt, und sollte das Vernehmen von den Erfolgen der Wellingtonschen Beharrlichkeit in Spanien gegen die große Zahl und den Muth der Gallier die Russen nicht belehren, wie man die Franzosen behandeln müsse, um sie erst müde, dann verdrüßlich, und endlich so kleinmüthig zu machen, daß sie von ihren Gigantenprojekten zuletzt von selbst abstehen?
Die Nationalität der russisch gebornen Großen ist von ganz andrer Art wie die von Napoleon seinen gemachten Großen eingeimpfte. Jene kämpfen für den vortheilhaften Absatz ihrer Gütherpro-[434] dukte zur Befriedigung ihres eignen Wohllebens, diese für den augenblicklichen Genuß zusammengeraubter, beweglicher Güter, die sich keinesweges so wie der Bodenreichthum vermehren lassen. Außerdem kann der, welcher Muth hat sein Hausrecht zu gebrauchen, ziemlich sicher auf die Verjagung des unverschämten Ueberfallers rechnen.
Vom russischen Clima, Boden und Volksgeist ist zwar das nicht zu erwarten, was in Spanien möglich ist, aber Clima, Boden und Volksgeist der Russen ist den Franzosen noch weit entgegengesetzter, als in Spanien, und es würde daher der russische Feldherr, der den Wellington sclavisch nachahmen wollte, zu der übelberüchtigten Nachahmer-Heerde zu zählen seyn. Alexanders Ueberwindung könnte doch nur den siegssüchtigen Uebermuth Napoleons befriedigen, dagegen könnte die Besiegung Napoleons, den Russen höchstwichtige Vortheile und Ruhe, ja sogar den deutschen, italienischen und holländischen Nationen ihre ehemalige Selbstständigkeit schaffen. Sollte in dieser Verschiedenheit der Erfolge nicht ein Grund mehr liegen, Napoleons[435] Demüthigung eher zu erwarten, als Alexanders Zugrunderichtung?
Das Kriegsglück mag indessen für Rußland oder Frankreich entscheiden, so bleiben beyde doch immer große Reiche; was wird aber werden aus meinem kleinen Vaterlande, dessen Boden zur Unfruchtbarkeit jetzt bis auf viele Generationen vertreten wird? Im Fall die Franzosen flöhen, würden die verfolgenden Russen es nicht noch unheilbarer verwüsten? Werden unsre unzählbaren Edikte und Verordnungen die, durch sie oft vermehrten, Schäden heilen? Läßt sich zu einer Zeit, in der nach Hallers Ausdruck oft kaum das Wissen hilft und Irrthum sicher schadet, Hülfe von der Miethlingschaft erwarten, die gewöhnlich nur auf Befriedigung ihres Stolzes, auf Vergrösserung ihres Vermögens und auf Sättigung ihrer Sinnlichkeit ausgeht?
Schon hatte die erste Convention nach dem Tilsitschen Frieden die Landesübel vermehrt, und doch fährt man fort, durch wiederhohlte Verhandlungen diese verschmitztinsolenten, sogenannten Freunde zu neuen Forderungen zu berechtigen, und ihnen Mittel an die Hand zu geben, ihre Härte und ihr[436] Wohlgefallen am Vernichten und Quälen zu beschönigen. Scheint es doch, als glaube man, es liege im Druck neuer Lasten Kraft, die alten desto geduldiger zu tragen.
Wer Gelegenheit hat die französische Armee näher zu beschauen, wird finden, daß in dem Zwischenraum vom letzten Kriege bis zur Verbindung mit Preussen, selbst die gemeinen Soldaten roués geworden sind, die das Schwelgerische und Aergerliche jener Orleansschen Umgebungen wiederholen. Die mehrsten ihrer schnell hochgestiegnen Befehlshaber scheinen in die gemeine Natur ihrer erziehungslosen Jugend zurückzufallen, und den Soldaten Beyspiele der Grobheit, Habsucht, Freude an Zerstörung und sinnlosen Frivolität zu geben. Der Geistes- und Herzens-Sanscülotismus hat mit der Bekleidungspracht der Armee um die Wette zugenommen, und die Einfachheit der vorigen Heereinrichtung sticht gegen die Putz- und Equipagenvermehrung der jetzigen so augenscheinlich ab, als sie die Landeslasten zu Befriedigung dieser Bedürfnisse vergrößert. Bivouaks, ununterbrochne Märsche, bisweiliger Mangel an Sold und Lebensmitteln härten den Soldaten keineswegs ab, wenn[437] man ihm in Zwischenräumen Plünderungen und Mißhandlungen erlaubt. Solche Nachsichten reizen zwar manchmal zu augenblicklicher Kühnheit und Gefahrverachtung auf, sind aber auch ein Hebel, der den, welcher sich zu ihnen gewöhnt, oft träger und kraftloser macht, wenn er diesen Hebel nicht gleich bey der Hand hat und sich eigner Armkraft bedienen soll.
Läßt sich unter diesen Umständen nicht hoffen, daß die Franzosen ihre Demüthiger in den Russen finden werden, wie ich es ihnen schon im vorigen Kriege lachend prophezeyte, wenn die bey mir einquartirten Offiziere von den Russen mit Verachtung sprachen? Als einige von ihnen an meinem Tische nach den Entfernungen von Petersburg und Moskau fragten und die Tage bis zur Hinkunft nachzählten, sagte einer, der mehrmal in Rußland als Courier gewesen war, sehr trocken: on n'y arrive pas si vite, und betonte das arrive merklich. Werden die Franzosen zurückgetrieben, und thun die Schweden dann, was man von ihnen hofft, die Engländer, was sie zu thun schuldig sind, und die Deutschen, wozu sie Recht und Pflicht auffordern, o dann wird[438] der Rhein noch wieder germanisch, und Europa von der drückenden französischen Umarmung durch den fränkischen Besitz von Dalmatien und der Nordküste entbunden werden. Möchten dann sich auch die Franzosen wieder Egyptens bemächtigen, um den, stets nach Verkehrsmonopolien strebenden Britten entgegen zu stehen und die Handelsopulenz nicht zu überwiegend in die Hände Einer Nation gerathen zu lassen; die französische kann ihrer Natur nach nie eine so strengcommercirende werden, als die englische es sich seit langer Zeit zur Natur gemacht hat, und wir würden immer noch ein gutes Mitleben geniessen.
Den 8ten August 1812.
Nach einer unruhigen Nacht, die mir meine Pamina durch ihr mütterliches Suchen nach den ihr gestern abgenommnen Jungen gemacht, bin ich heut in mein sieben und siebzigstes Jahr getreten; der Himmel gebe, daß es nicht dem vorigen an großen Geldverlusten, Krankheiten meiner Lebensgefährtin und andern Zeitereignissen gleichen möge, denen man nichts als Geduld und den Glauben entgegen setzen[439] kann, es sey nichts so böse, daß es sich nicht endlich in Gutes sollte auflösen können. Wohl dem, der es zu erleben hoffen darf und es dann klug und dankbar genießt.
Vom Kriege, dessen Ende meines Erachtens nicht anders als sehr nachtheilig für die Franzosen ausfallen kann und wird, wie ich es schon unterm 24sten Junius niedergeschrieben habe, sag ich kein Wort, ob ich gleich manche seiner Unannehmlichkeiten, besonders durch beständige Einquartierungen, merklich gefühlt habe, und ihr Aufhören noch nicht absehe.
Mit erndteverderblichem Regen hat der heutige Tag begonnen, vielleicht erholt er sich zum Sonnenschein und sieht dann so schön und lieblich aus, wie die herrlichen Blumen, die, mir in Töpfen und Sträussern von einigen Freundinnen zugeschickt, ich auf meinem Tisch um eine Tasse schönen Caffee gestellt fand.
Mit meiner Gesundheit geht es, die Gehörsabnahme ausgenommen, ganz leidlich für mein Alter, und meine Laune scheint einer Seestadt zu gleichen, die von der Landseite streng und hart eingeschlossen, das Meer frey hat, auf dem die Zufuhr sie vor[440] dem Hungertode sichert, und der die Hoffnung auf möglichen Entsatz von der Wasserseite den Vertheidigungs-Muth stärkt.
In meinen Beschäftigungen und sparsamen Zeitvertreiben hat sich nichts geändert, weil ich es für Unrecht halte, sich vom Tode müssig überraschen zu lassen.
Vom längst verstorbenen berühmten Arzt Selle hört' ich neulich erzählen, er habe seinen Tod berechnet gehabt, und in den letzten Lebensstunden sich einen Spiegel vorhalten lassen, um zu beobachten, wie er stürbe; ist es aber nicht beynah kindische Neugierde und eine vergebne Mühe, Beobachtungen anzustellen, deren Resultate man weder für sich noch für andre weiter nutzen kann? Hätte Selle seine Spiegelbemerkungen zum besten seiner Kunst und Wissenschaft aufzeichnen können, so würd ich sie ihm nicht verdacht haben.
Sollte nicht das stille Hingeben in den Tod das Schicklichste für die letzten Lebensstunden seyn? Montaigne war andrer Meinung, und ich war es auch; allein kommt Zeit, kommt Rath, und dieser letzte, glaub ich, sey der beste.
In den letzten Wochen des abgewichnen[441] Jahres hab ich die zur Druckerey bestimmte Abschrift der Biographie nachgelesen, und muß wünschen, daß die künftigen Leser mit dem Vortrage zufriedener seyn mögen, wie ich selbst, dem er durch die vielen spätern Einflickungen noch holpriger geworden zu seyn scheint. Eine Umarbeitung ist mir weit übern Kopf gewachsen; findet ihr Herausgeber einst einige Stilkampen zu häßlich, so mag er sie ebnen und dem Ganzen zu einer schönen Wiesenglätte verhelfen, deren Blumen und Kräuter dem auf ihr wandelnden alle Sinne erfreuen.
Valete, favete – vermuthlich wird dieses semel pro semper ausgesprochen.
Den 10ten September 1812.
Der alte Hugh von Trautwangen sagt im 3ten Bande des Zauberringes von Fouque S. 155: »Mein Leben zieht sich nunmehr in die gewöhnliche Abgestorbenheit eines kinderlosen Greises zurück und schrumpft zusammen, wie andre erfrorne Blätter auch;« wenn man aber auch noch so alt und nur nicht ganz kindischunempfindlich geworden ist, so hört man doch beim Gehen das Rauschen der auf dem Boden[442] liegenden erfrornen Blätter; ihr Geräusch weckt auch mich, und zwar aus dem Zweifelstraume, in den mich die sich widersprechenden Gerüchte über den großen Krieg auf russischem Boden einwiegten, indem vielfältiges Streiten über seinen Ausgang mich betäubt hatte. Nachdem ich mich wieder wach geschüttelt, glaub ich nach wie vor, Frankreich könne nicht gewinnen, und Napoleons großes Anstreben werde den russischen Coloß nicht zum Umfallen bringen. Selbst die Glieder, die er ihm dann und wann abhaut, fallen zerschmetternd auf die blutjungen französischen Krieger. Der Charakter der russischen Großen und des Volks, die Fremdheit des Climas, das öftre Bivouaquiren auf naßkalter Erde, die weit auseinander liegenden Wohnstätte der Einwohner, die Schwierigkeit der Armeeverpflegung und ihrer Vollzähligerhaltung, die der russischen Cavallerie weit an thierischen Kräften untergeordnete Reiterey der Franzosen, von der mir einst ein kluger Pohle sagte, er müßte lachen, wenn er einen französischen Reiter sähe, aber weinen über das Pferd, auf dem er säße – die größre Stoßkraft des russischen Infanteristen beim Gebrauch[443] des Bajonets verbürgen mir schon das Unterliegen der Franzosen, die Nachtheile eines langen Aufenthalts im Norden ungerechnet. Verspätete sich das handelssüchtige England nicht, wie gewöhnlich, mit Landungen und Geldbewilligungen, wie sehr könnte die gute Sache des Continents jetzt befördert werden!
Bey allem Respekt vor Napoleons militairischer und politischer Intelligenz, scheint es mir doch, daß er den Entschluß zu diesem Kriege in einer Geistesabwesenheit gefaßt habe, und daß sein Beharren einen neuen Beweis für das alte: Hochmuth kommt nicht weit vor dem Fall, abgeben werde.
Behält Rußland die Oberhand, so werden die im Glück übermüthigen und im Unglück niederträchtigen Pohlen, die ganze Schwere der wider sie geballten Siegerfaust fühlen, nicht unverdient für die Insolenz öffentlicher Reden bey augenscheinlichem Mangel an Kraft zum Handeln, und wirkt Alexanders gemüthliche Gesinnung nicht kräftig auf seinen persönlichen Freund Friedrich Wilhelm, so stürzt Preussen in einen Elendsgrund, aus dem ihm selbst ein sehr weiser, höchst strenger und langregierender König erst mit vieler Mühe wird helfen können.[444]
Ein höchst unangenehmer Umstand ist der dicke Nebel, den Kaiser Napoleon um sich verbreitet, aus dem er nur nach eignem Gutfinden Neuigkeitsblitze zur Aufhellung fahren läßt, denen man aber es oft ansieht, daß sie nur Colofoniumseffecte sind; indem die Bülletinschreiber häufig das mendacem oportet esse memorem vergessen. Zählt man nach französischen Angaben die verwundeten, gefangnen und getödteten Russen, so liegt beynah ihr ganzes Heer im Grabe und in Gefangenschaft, wogegen das der Franzosen die Kunst des Sichfestmachens verstehen müßte.
Da die kleine Vendée Blutströme kostete, und nur durch sanfte Künste beruhigt werden konnte, wie kann man erwarten, daß Spanien und Portugall, vom Geist der Vendée ergriffen, durch Soldaten sollten bezwungen werden, die einer ihnen von jeher verhaßten Nation gehören – und ist England gleich nach der Geschichte keinem treu geblieben, so wird es doch Spanien nicht verlassen, aus Hoffnung auf die künftigen Handelsgewinnste, die es vom nicht leicht erwachenden Trägheitsschlafe der Spanier erwartet. Hätte die Natur den vielen[445] großen Gaben Napoleons die Mässigung zugefügt, wer könnte diesem Glücksgünstlinge widerstehen – aber, aber – memo ante obitum beatus.
Am 24sten September 1812.
Die Eroberung von Smolensk war der Vorbote von der am 14ten September erfolgten Einnahme Moskaus – die Russen liessen den wirklich erfolgten Sieg auf dem Schlachtfeld von Mosaisk liegen, wo ihn Napoleon aufnahm. Nun wird er in der größten europäischen Stadt vielleicht 200,000 Mann dicht um sich versammelt halten und, wenn ihm nicht das Friedemachen wieder glückt, seine Plane mit besser genährten Truppen aufs neue im Frühjahr durchzusetzen beginnen.
Man glaubte, die kräftigen, obgleich geschwächten Russen würden noch einen Kampf für Moskau wagen, nach dessen Verlust diese Stadt vermuthlich eine Flammenbeute geworden wäre – sie sind aber bey ihren, wahrlich nicht unschicklichen Krebsmanövern geblieben, und die Franzosen sind in Moskau. Muß man nicht dabey auf den Gedanken kommen, daß die Russen auf[446] irgend etwas bauen, was ihnen endlichen Sieg versprich? In England wird diese Besitznahme gewiß viel Aufsehen machen, und eine Hauptbedingung des Friedens, die Abgabe der Länder an der Ostsee an Pohlen, oder wenigstens ihre Besetzung mit französischen Truppen bis zum Frieden mit England, seyn.
Noch steht freylich die Parthie zwischen Rußland und Frankreich wie quatre à neuf, kann aber Eine von letzterm verlorne Schlacht ihnen nicht weit mehr schaden, als alle bisher von ihnen gewonnene dem erstern? Mag auch der Muth den Gallier und ihr Vertrauen zum Intelligenz-Ubergewicht Napoleons steigen, so kann doch erst ein langer Friede zeigen, ob letztrer ein wirklich großer Mann sey und nicht blos ein glücklicher Weltbezwinger zu einer Zeit, da auf manchen Thronen Wesen saßen, die nur im gewöhnlichen Lehnstuhl ohne Schwindel zu sitzen vermochten.
Den 4ten Oktober 1812.
Ein furchtbar genialischer Streich war es wohl, daß man sich entschloß, das den Russen fast heilige Moskau bis auf ein[447] Viertel abbrennen zu lassen. Zwar mögen noch viele gemauerte Palläste zu Lazarethen, Casernen und andern militairischen Behuf stehen geblieben seyn, allein die Gelegenheit, eine große Armee an Einem Ort, ziemlich bequem unterbringen zu können, ist doch verloren, und statt des Schutzes wider die Witterung werden sich sehr große nicht ungewöhnliche Kriegsübel einfinden, die vermuthlich Napoleons Verderben mehr beschleunigen werden, als die Manövers der russischen Generale, die ihm indessen schon das Leben sauer machen, und in denen er sich häufig zu verrechnen scheint.
Die preussischen Truppen haben sich bis Mietau zurückgezogen, und glückt es dem Fürsten Wittgenstein, im Verein mit der Besatzung von Riga, das schwächere Macdonaldsche Corps zu überwältigen und sich des zur Belagerung von Riga bestimmten Artillerie-Parks zu bemächtigen, nöthigt dann eine schwedische mit der englischen zusammenstoßende Flotte die Dänen, von der französischen Parthey abzutreten, so werden Napoleons Angelegenheiten, gewaltig ins Gedränge kommen, und er wohl einsehen[448] müssen, daß auf den Extremitäten Europas sein Glück nicht grüne und blühe.
Madrid ist wieder in den Händen der Engländer, und bis die für Spanien bestimmten 120,000 Conscribirten an Stelle und Ort kommen, kann es mit den Franzosen in Rußland schon zum kläglichsten fuimus Troes gekommen seyn! Denn hoffentlich läßt Kaiser Alexander, der Gott Lob im Minister Stein einen höchst muthigen und persönlich in die Weltangelegenheiten eingeflochtnen Rathgeber hat, sich durch verlorne Schlachten nicht zum Frieden mit Napoleon, so sehr letztrer ihn wünschen mag, herabdemüthigen – kommt jetzt ein rechtlicher zu Stande, so ersetzen die russischen Handelsgegenstände bald das verbrannte Moskau und alles Verwüstete – nur müssen Regierungskünsteleyen nicht die Natur in ihrer Wirkung stören – auch Preussen wird sich von seinem Elend und Erniedrigungsstande wieder erholen, wenn – caetera quis nescit, und also sapienti sat 16
[449]
Den 27sten May 1813.
Da mein Valete vom 8ten August 1812 nicht das letzte gewesen, ich aber für die Erlebung des diesjährigen 8ten Augusts keine sichre Bürgschaft habe, so will ich statt die Himmelfahrtspredigt meines lieben, höchst canzelgerechten Consistorial-Raths Krause anzuhören, abermals einen kleinen Nachtrag zu meiner Biographie niederschreiben, nachdem ich ihr schon manches unchronologisch, doch mit der Jahrszahl Bezeichnetes eingeschaltet habe.
Zu den Hauptereignissen meines bald sich endenden 77sten Jahres gehört wohl eine Krankheit, die am 25sten Oktbr. 1812 begann und mich über zwey Monate zum Bett- und Stubehüten nöthigte. Was ich am ungernsten durch sie verloren habe, ist der eigne Anblick der unerhörten und der[450] Nachwelt gewiß unglaublichen Art des Rückzuges der so zahlreich, stark und schön nach Rußland gezognen, und so schwach und häßlich von da zurückkommenden Heere Napoleons. Einige Offiziere, die bei mir einquartirt gewesen, von denen ich nur ein Paar an mein Bett konnte kommen lassen, überzeugten meine Ohren und Augen von ihrem Elende.
Wird es den Geschichtschreibern dieses Zeitraums nicht ergehen, wie denen, welche die Anfänge der großen Roma beschrieben, an welche den festen Glauben in frühern Zeiten Beaufort und in der neusten Niebuhr uns so ziemlich benommen haben, und muß man den Zweifeln dieser nicht oft mehr trauen, als den Zeugnissen jener?
Meinen mir während der langen Krankheit ihre herzliche Theilnahme bezeugenden Freunden erwiederte ich, meiner leiblichen großen Schwachheit ungeachtet, diese mit so herzlicher Lebhaftigkeit, daß auf die meisten Besuche ein stärkres Fieber folgte, und der Arzt zuletzt alle Unterhaltung mit ihnen untersagen mußte. Was ich während der Krankheit aufschrieb, wird man jedesmal mit seinem Datum bezeichnet finden. Der[451] Himmel gebe nur, daß seine Leser nicht des Verfassers langes Liegen auf Gänsefedern ihm ansehen mögen.
Undank wäre es, wenn ich hier nicht des Fräuleins von Osten gedächte, die mir viele Abende auf eine Art vorlas, wie es hier wohl viele Männer und Frauen nicht nachthun würden. Schon vor vielen Jahren hatt' ich dieses liebe, in allen weiblichen Hand- und Geistes-Künsten ausgebildete Mädchen kennen gelernt, und war ihr, als sie durch die Zeitumstände auch in Nahrungssorgen gerieth und sich zur Gesellschafts-Fräuleinschaft durchaus nicht entschliessen wollte, anräthig, eine kleine Schule einzurichten, wider welches Gedankens Ausführung ihre altadelige Familie so vieles auszusetzen fand, als ich darauf zu bestehen Ursach hatte, indem ich dem Adel, zu dessen Widersachern ich keinesweges gehöre, so viele Vorurtheile ich vielen seiner Mitglieder noch ankleben sehe, zu zeigen wünschte, daß das Schulmeistern den 16 Ahnen nicht den mindesten Abbruch thue, wie ich denn überhaupt der Meinung bin, daß der geistliche Stand der Protestanten gewinnen würde, wenn sich junge Edelleute zum theologischen[452] Studio entschlössen, zumal sie das jus zu studiren gewohnt sind, und mit der Arzneygelahrtheit auch schon begonnen haben.
In der Folge haben die damals Abrathenden eingesehen, daß sie ein gutes Loos getroffen, indem sie ein ruhiges, sie nährendes Wesen mit ihren Jüngerinnen treibt, deren Zahl sie nicht über 12 oder 15 vergrößern will, weil ihr gewissenhafter Unterricht in Allem, mit Ausnahme des Singens und Zeichnens, ihr nicht erlaubt, die Schule zur Gelderwerbs-Kunst zu mißbrauchen, wie solches leider nur zu oft der Fall und eine Ursache ist, warum in vielen Mädchen- und Knaben-Schulen die Jugend so wenig in litteris als moribus zunimmt.
Zur Verwunderung meiner Bekannten habe ich mich zwar von dieser schweren Krankheit sehr erholt, indessen ist mir doch eine Körperschwäche zurückgeblieben, die mir keinen langen Spaziergang erlaubt, und von der ich keine Erlösung verhoffe, nachdem der von jeher probatgefundne Gebrauch des kalten Wassers von innen und außen bisher nicht hat helfen wollen. Gott aber muß ich danken, daß ich noch immer bey Tag und des Abends ohne Brille lesen und schreiben[453] kann; zwar steh' ich im Gedächtniß, wie in vielen andern, dem verstorbnen Wieland weit nach, der noch im 80sten Jahr Cicero's Briefe – und wie! übersetzen konnte, und behalte daher vom Gelesenen beynah gar nichts, indessen versteh ich es doch während dem Lesen, nehm an allem, was zur Menschenbildung beyträgt, ziemlich lebhaften Antheil, und habe daher auch den 2ten Band von Göthe aus seinem Leben mit Vergnügen gelesen und sehr lehrreich gefunden. Was er über das Vortheilhafte des Spielens in Gesellschaft Seite 320 sagt, hat mir sehr eingeleuchtet, da ich mich erinnre, daß ich manchmal ein Paar Stunden am Spieltisch, selbst mit Nutzen für den Dienst, gesessen habe, und so hat mir auch die Bekanntschaft mit Welling, Agricola, Valentin, der Aurea catena Homeri, deren er Seite 300 gedenkt, keinesweges geschadet, oft haben mich sogar die Sonnenblicke, die aus ihren dicken Nebeln und Sonnenfinsternissen hervorstrahlten, überrascht und in Erstaunen gesetzt.
[454]
Den 8ten August 1813.
Mein lieber Freund, der Consistorialrath Krause hat sehr Recht, wenn er in seinem heut früh um 6 erhaltnen Glückwunsch zu meinem Neujahr sagt: »Es war ein ernstes Jahr, auf das sie heute zurücksehen, sie standen in demselben zweymal vor den Pforten der Ewigkeit, ihnen selbst schienen sie sich öffnen zu wollen, und dann begleiteten sie zu denselben die edle Gefährtin ihres Lebens.« Meine Krankheit hab ich so gut überstanden, wie es sich von meinen gestern vollendeten 77 Jahren, nur immer erwarten läßt, aber die Nachwehen vom Verlust der mir so theuren Lebensgefährtin werden sicher nicht schwinden, bevor ich nicht auch heimgegangen seyn werde. Ach der längste Tag des Jahres, der 21. Jun., war der, der mir den gewiß längsten Schmerz brachte. Ich habe an meiner Gattin mehr verloren, als ich glaubte, daß man verlieren könnte. Sie war so gut, so vernünftig, so ganz für mich geschaffen, und eben darum ist in meinem sonst unabgeänderten Hause eine Leere entstanden, die sich durch nichts ausfüllen läßt, seit dem sie nicht mehr neben mir da ist. Ein einziger[455] Umstand dabey hat etwas milderndes, der nehmlich, daß ihr Sterben vor mir sie vor den tausend Unannehmlichkeiten der Rechts- und Unrechts-Menschen bewahrt hat, denen ein Mann, wenn er auch schon recht alt ist, besser begegnen und widerstehen kann, wie eine hochbetagte, durch mancherley schmerzhafte Krankheiten geschwächte Frau. Diese Unannehmlichkeiten hoff ich noch glücklich zu besiegen, aber die Trauer um Sie wird nie von mir weichen, so sehr auch meine Freunde auf das Recht der Zeit über Leiden und Freuden rechnen. Am 24sten Juny sah und hört ich die Erde auf ihren einfachen Sarg herabtönen. Möchte man doch auch mich meiner Vorschrift gemäß, so in dem bereits fertigstehenden Sarge der Erde übergeben, die unser aller Mutter ist, durch die aber der gerade Weg zum Vater geht, der ewig ist.
Nach einem frommen Leben starb meine Babet bald nach dem Eintritt ins 80ste Jahr so schnell, daß zwischen einem kleinen Gespräch mit mir und ihrem Tode kaum eine Minute verstrich. Bey einer gewissen Anhänglichkeit an das Leben, die ihr eigen war, halt ich den schnellen Gang aus dem[456] geliebten Leben für eine ihr von Gott besonders erwiesene Wohlthat. Würde sie mir doch zu Theil, da mir der Lebensverlust ohnedem nicht der wichtigste scheint.
Die Feyer meines Geburtstages war für Sie ein Geschäft, auf das Sie sich schon viele Wochen vorher zubereitete. An den heutigen hatte Sie auch schon gedacht. An den vorigen erwacht' ich jedesmal herzlich froh und freute mich der Thränen, die ihren Glückwunsch zum wiedererlebten begleiteten: wie verschieden werden heut meine Empfindungen am Tische des Landhofmeisters von Auerswald seyn, der heut zu seiner Feyer einige unsrer Freunde in die Loge eingeladen hat, wie verschieden von denen, die mein Herz unter den wenigen Freunden fühlte, die Sie zur Feyer dieses Tages an ihrem Haustisch zu versammlen pflegte! Ich kann mit Recht sagen, alles ist bei mir anders geworden, seitdem diese Eine von mir geschieden ist, so gewiß ich glaube, daß sie jetzt glücklicher lebt, als sie hier hätte leben können.
Der Mensch ist zu selbstsüchtig, möcht ich sagen, um im Denken an das Glück andrer wahren Trost über sein Verlornes[457] zu finden. Die Jugend schüttelt, vermittelst ihrer Lebhaftigkeit, Freude und Leid bald ab, beyde brausen in ihr auf und laufen über. Die Theilnahme im Alter, besonders die traurende, ist andrer Art und benimmt sich anders. Das Zittern des Alters veranlaßt kein Ueberlaufen, aber es schüttelt die Masse, besonders die des Trauerstoffes, desto dichter zusammen.
Das Sterben meiner Gattin hat beynah alle Erinnrung an die Ereignisse des zurückgelegten Jahres aus meinem Gedächtnisse vertilgt, und wenn ich die, wohl in keinem vernünftig vaterländischgesinnten Kopf und Herzen je verlöschenden Gefühle und Ueberzeugungen über eine bis zum Erstaunen kostspielige Staatsverwaltung, als ein vor der Hand leider unheilbares Uebel, übersehe, und mit freylich sauer werdender Geduld und Ergebung mittrage, so scheint nichts vorgefallen zu seyn, als etwa, daß ich mancherley, der Zeit angemessene Verse gemacht habe, von denen auch einige unter dem Titel: Ein Vierblattsklee, gewachsen unter Eis und Schnee, gedruckt sind, daß ich den Minister Stein wiedergesehen, und mit dem nicht mit Un-[458] recht bekannt gewordnen Moritz Arndt Umgang gehabt, worüber ich auch etwas in der Biographie beygeschriftelt habe, daß ich ferner dem Professor Vater, zu dessen Geburtstagsfeyer ich am 27sten May eingeladen war, das ihm vom Kaiser Alexander, wegen seiner Verdienste um die russische Sprachlehre ertheilte Creutz des Wladimirordens dritter Classe, welches ich an eben diesem Tage vom Geheimen Staatsrath von Schön erhalten hatte, nach einem Auftrage des Ministers Stein eingeknüpft habe, und daß mich die hiesige königl. deutsche Gesellschaft, meiner Einwendungen ungeachtet, zu ihrem zeitigen Direktor erwählt hat, von welchem Aemtchen ich eben keine Freudenkäppchen erwarte, weil ich das Dirigiren überhaupt für eine schwere Sache, das Dirigiren einer Versammlung studirter Menschen für die allerschwerste halte. Ich will es indessen wagen, ob sich das Wagen gleich für einen eisgrauen Kopf nicht sonderlich schickt und höchst selten gut einschlägt. – Zum Glück ist meine neue Würde keinen Stempelabgaben und Strafen unterworfen, die ich bei Antretung meiner traurigen Erbschaft näher habe kennen lernen müssen.[459] Ueber die an das Wunderbare grenzenden politischen Ereignisse, die den Völkern zur Erkennung ihres Kraftreichthums verhelfen können, zu dessen Gebrauchserleichterung alle Stände und Geschlechter freywillig so große Opfer bringen, daß wenn sie fehlschlügen, ihre Wiedererholung beynah unmöglich seyn würde, von deren guten Anwendung aber man sich gewaltige Erfolge, und unter diesen als den größten: Napoleons nothgedrungne Zurückkehrung zu Vernunft und Gerechtigkeit, so wie einen baldigen dauerhaften Weltfrieden versprechen kann, über alle diese Zeitwunder sag ich, ungeachtet meines seit ihrem Eintreten unerschütterlich gebliebnen Glaubens an das Glücken der guten Sache, nichts, um nicht zum Mitschwärmen über den heiligen Krieg hingerissen zu werden. Sie bleibe Gott, dem Kronprinzen von Schweden17[460] und dem erwarteten Sieger von Hohenlinden, dem treflichen Moreau18, heimgestellt. Vielleicht ist schon mehr als zu viel davon geredet und geschrieben, ohne Eingebung des wahren heiligen Geistes. –
Schriftliche und mündliche Glückwünsche, begleitet von Kuchen, Blumen etc., unterbrachen mich hier, und ohne die durch sie abgeänderte Stimmung meines Gedankenspiels, hätt ich vielleicht Lust zur Fortsetzung des letztvorstehenden, oder einen Rückfall in meine Trauer bekommen; beyden zu entgehen schlüß ich lieber diese, vermuthlich letzte, Nachschrift zu meiner Biographie mit dem Wunsche: Gott lasse mich noch den großen Frieden erleben und dann den Tod der Gerechten sterben!
[461]
Den 17ten August 1813.
Lebt wohl, bald ist der letzte Vers
Des Lebensliedes aus,
Doch seiner vielen Strophen klang
Nicht jede blos für's Haus.
Und klingen sie im Alter gleich
Nicht kräftig mehr und klar,
So denk ich doch sehr gern der Zeit,
Wo alles anders war.
Mein gutes Weib gieng schon voran,
Alleinseyn ist nicht gut:
Ich folg ihr drum gern bald dahin,
Wo man nur Gutes thut.
Vom Leben und für's Leben ist
Erinnrung Hauptgewinn;
Dank für das Frohgenoßne giebt
Auch für den Rest noch Sinn.
Ist gleich schon abgebraucht der Stahl,
Mit dem die Schneid' geprunkt,
Trift auch das Aug, jetzt schwach, nicht mehr
Beym Schuß den Scheibenpunkt.
Benimmt der Taufscheintag dem Schlaf,
Dem Wein und Brod die Kraft,[462]
Die Stärkung, ohne Aesculap,
Der müden Jugend schafft.
Wird träg und flach der Geistesstrom,
Das Zungenruder schwer,
Das Füllhorn der Gesprächigkeit
Nur zu geschwind oft leer.
Blieb von der Launenheiterkeit,
Die im Gesellschaftskampf
Aufblühte, Flammen schlug, gleich nichts,
Als Asche oder Dampf.
Das Gartenbeet, von dem ich gern
Duftreiche Sträuschen schnitt,
Der Acker, der auch Früchte trug
Für den, der Mangel litt,
Stehn beyde gleich vom Schnee bedeckt,
Ganz Blum- und Aehrenlos –
Mit Wucher giebt den Einsaatfleiß
Zurück der Erdenschooß.
Es wird des Lebens Art und Kunst
Oft nur zu viel geliebt,
Weil man vom Tode wähnt, er nimmt
Mehr, als er wieder giebt.
Allein, fürwahr, um Art und Kunst
Ist's nicht durch ihn geschehn,[463]
Denn nichts vergeht ja – drum getroft,
Lehbt wohl, auf Wiedersehn.
Und giebt's kein wiederkennendes
So gibt das Paradies
Gewiß doch reichlichen Ersatz
Für das, was man verließ.
Vor einigen Tagen traf ich beim Aufschlagen des Gesangbuchs auf das wunderliche Gespräch zwischen einem Verstorbenen, (Gehabt euch wohl ihr meine Freunde) dem Chor der Leichenbegleiter (Nun laßt uns seinen Leib begraben) und einer Stimme, (Aus Erde hat ihn Gott formirt) und da ich in Prosa bisher vergeblich Abschied genommen, so dacht ich, mit einem gereimten werde es vielleicht mehr Ernst werden, und schrieb vorstehendes nieder. Möchte es doch den Lesern keine Langeweile machen, vielmehr sie nach der Lesung bewegen zu einem freundlichen und redlichen: Gehab dich wohl du guter Freund.
Den 9ten May 1814.
Aergerlichkeit über das, was man hätte thun können und sollen und nicht gethan hat, so wie über manches, das geschehen ist[464] und nicht hätte geschehen dürfen, scheint einen stilus curiae in die schriftlichen und mündlichen Urtheile über Napoleon eingeführt zu haben, der die künftige Geschichte oft in Verlegenheit bringen wird, zumal da manche eifrigstböse von ihm Redende nicht umhin können, Dinge von ihm anzuführen, die offenbar zeigen, er wäre nicht so schlimm gewesen, hätten ihn nicht noch Schlimmre umgeben. Man lese, was Fox im Jahr 1802 über ihn urtheilte (Ludens Nemesis 1r Bd. S. 508) und was der Verfasser des Aufsatzes Napoleons Ausgang, der zu seinen vorzüglichsten Tadlern gehört, in der Nemesis S. 542. etc. von ihn sagt:
Der Aeußerung, daß man Napoleon vor ein öffentliches Gericht stellen sollte, kann ich bis jetzt nicht beystimmen. Wer so erstaunliche Unternehmungen gewagt, oft sogar ausgeführt hat, gehört vor kein, immer doch nur kleines, Reichsgericht, er muß ganz dem Weltgericht überlassen werden, das ihm gewiß sein Recht strenger wird wiederfahren lassen, als es eine Guilliottine je vermocht hätte. Sollten Heuchler und Schmeichler, die sich nicht auf den Strom der Wahrheit wagten, bevor ihnen nicht[465] fremde Hände sichre Brücken geschlagen, die ihn durch immerwährendes Ja und Lob ärger machten, als er von Natur gewesen seyn mag, sollten diese berechtigt oder im Stande seyn, eine solche höchstsonderbare Menschengeburt recht zu richten?
Carnots Brief an Ludwig XVIII19, das Schreiben Eines, der nichts ist, an alle, die nichts sind,20 und Lettre duMarquis de Chabannes au Comte de Blacas, Londres 1815,21 verdienen mit Nachdenken gelesen zu werden.
Den 7ten July 1814.
Was soll ich nun sagen? Widerrufen kann ich nicht; aber was liesse sich nach so vielem erlebten Unglaublichen hinzusetzen zur Lehre, zur Strafe – zur Besserung aber wohl nicht. Ein Volk, wie die Franzosen, läßt sich nicht anders, als mit Strenge in Grenzen halten, und Gutmüthigkeits-Uebereilungen reizen seinen stolzen Leichtsinn, statt ihn zur Buße, das ist zur Erkenntniß und Besserung zu leiten, zu neuen Versündigungen[466] an denen, die ihm Güte erzeigten. Sieger, die den Kriegsgletscher zu schnell schmelzen lassen, bringen selbst die Wasserstürze hervor, die sie selbst überschwemmen, und leiten Ströme auf zur Ungebühr angelegte Mühlen, die nicht weiter mahlen sollten.
Nach den Zeitungen hat Frankreich durch den Frieden vom 21sten Novbr. 1815 gewonnen 168 Meilen Land, 500,000 Menschen und 2,717,000 Fr. Ertrag. Und klingt es nicht wunderlich, wenn es heißt: »es könne in einiger Hinsicht jedoch zum Trost gereichen, daß Frankreich diese Bedingungen nicht ertrotzt hat, sondern daß sie von den Verbündeten vorgeschrieben sind,« wem fällt dabey nicht ein: tant mieux pour eux, tant pis pour nous?
Wie konnte man den Franzosen einen Frieden geben, der sie in allen ihren bösen Eigenschaften bestärken, und den entthronten, nach Elba verbannten Napoleon zum Lachen bewegen muß, ob er gleich, wofern er nicht mit einer schrecklichen Mentalreservation von der Herrscherbühne abgetreten ist, über sein letztes Benehmen ernstlich weinen sollte. Das menschliche Herz ist[467] freylich ein trotzig und verzagt Ding, wie konnte aber das seine, das so viele Jahre getrotzt hatte, plötzlich so ganz verzagen, und sich nicht zum letzten Trostversuch ermannen, um an der Spitze eines ihm treu gebliebnen Haufens zu sterben? Ein solcher Entschluß hätte das Urtheil über ihn wahrlich schwieriger gemacht.
Den 8ten August 1814.
Daß das Abschiednehmen nicht tödtlich sey, erfuhr ich abermals an meinem neun und siebzigsten Geburtstage, den ich heut, mich so wohlbefindend, erlebt habe, als es in diesem Alter geschehen kann; ich will mich daher auch nicht ferner mit solchem Adieusagen befassen, sondern still fortleben in der möglichst ruhigen Erwartung des Ausganges aus der Welt, über die ich freylich gar nicht zu klagen, zu welcher gehörigem Gebrauch ich aber viel weniger Kraft habe, als meine gütigen Freunde mir einreden wollen.
Das gewiß nicht angenehme Gefühl: ertragen zu werden, begleitet mich in jede Gesellschaft, die ich daher auch immer mit einer Art von Zwang besuche, um meinen Freunden, die mir gänzliche Zurück-[468] ziehung widerrathen, nicht eigensinnig zu scheinen.
Die Begebenheiten und Erfahrungen im Kleinen und Großen, welche die abgewichnen zehn Jahre zu dreyßig Jahren gemacht haben, machen es mir daher nicht im mindesten befremdlich, daß ich, der schon vor zehn Jahren ein Greis war, in diesem Jahre noch merklicher wie in den vorigen an Leib und Seele abgenommen habe. Bey der zugenommnen Schwäche der Augen und Ohren, für die es beynah über Vermögen zu sehen und zu hören giebt, bin ich mithin viel unfähiger geworden, den Sprüngen und Läufen des Weltkreisels gehörig auszuweichen oder zu begegnen. Zum Glück ist mir ungeschwächt geblieben die Erwartung des Bessern und der Glaube, daß durch alle Leiden der Gegenwart nicht zu theuer erkauft werde die Zukunft, und ich spreche getrost Flemmings und Heyne's letzten Reime nach, erstre aus einem Sonnet, das er drey Tage vor seinem Tode machte:
– – – – – – – – – – – – Freunde, – – –
Ich sag euch gute Nacht, und trete willig ab,
Sonst alles ist gethan, bis an das schwarze Grab.
Was frey dem Tode steht, das thu er seinem Feinde.[469]
Was bin ich viel besorgt den Odem aufzugeben?
An mir ist minder nicht das lebet, als mein Leben.
Flemmings deutsche Poemata, Lübeck
bey Jauchen, ohne Jahrzahl S. 670.
letztere aus der mit vielem Vergnügen gelesenen Schrift: Christ. Gottl. Heyne, biographisch dargestellt von Heeren, Göttingen 1814 S. 468.
Ich sterb des Todes der Natur,
Des Lebens satt, vor Alter matt.
Es trocknet ab der Stamm, und nur
Hält sich zu dem verhärteten Gebilde
Der Fasern, weich und milde
Das Geistige, das aus der Wurzel Nahrung zieht,
Bis es, vom groben Stoff gelöst, und frey entflieht.
Ob nun gleich der dünne Faden, an dem mein Leben noch hängt, in den letzten sechs Monaten merklich dünner geworden ist, so waren doch meine heutigen Morgengedanken Gott Lob ohne die mindeste Furcht vorseinem unvermeidlichen baldigen Abreißen.
Aus meinem letzten Jahr weiß ich nichts anzuführen, als etwa, daß ich in ihm das Alte Testament in Augustis und de Wette's Ubersetzung gelesen und mich in der Meinung bestärkt habe, daß seine Lesung zum moralischen Ausbilden der Jugend[470] beynah ganz entbehrt werden könne. Für die Geschichte behält es einen sichern Werth, auch sollten Jesus Sirach, Salomons Sprüche, allen Neuen Testamenten beygefügt werden; Christi Bergpredigt bleibt indessen unendlich reicher und nützlicher zur Geistes- und Herzens-Ausbildung, als alles, was Moses und die Propheten, den König David nicht ausgeschlossen, sagen.
Auch hab' ich in den drey letzten Monaten meine Biographie durchgesehen und hin und wieder kleine Beyschriften gemacht, besonders aber, um die mir durch Kolbens lehrreiche, obgleich etwas breitgerathne Schriften und durch die französische Nationalhäßlichkeit doppelt anstößig gewordnen fremden Wörter möglichst wegzuschaffen. Alle zu verwerfen, konnt ich mich nicht entschliessen, indem mir zuträglich scheint, wenigstens die beyzubehalten, die dem Volk durch häufigen Gebrauch verständlicher geworden sind, als sie ihm durch Uebersetzungen oder Umschreibungen würden gemacht werden können. Von wirklichen Abänderungen, die nicht selten nöthig seyn mögen, hat mich die Besorgniß vor Verschlechterung, der das Alter ausgesetzt ist, abgehalten.[471] Da die Begebenheiten des letzten Jahres mir für den kräftigsten Kopf der Zeit noch viel zu groß scheinen, so hat mich Schwachen nur sehr weniges von dem in den unzähligen Zeitschriften für und wider Verzeichneten angesprochen, alles aber vom Daseyn der lenkenden Vorsichtshand aufs lebhafteste überzeugt. Wie hätten sonst unzählige falsche Maasregeln und Mißgriffe doch zum Ziel führen, scheinbar ganz erschöpfte Kräfte solche Kraftwirkungen hervorbringen, soviel zum Ertragen der Noth und des Elendes behülflich seyn können? Aus dem Chaos brachte der Schöpfer eine Weltordnung hervor; wer weiß, war nicht persönliche und sachliche Weltverwirrung nothwendig, dem Licht beßrer Ordnung den Durchbruch zu erleichtern und zu sichern, so, daß man über manche Staatsverwalter beten müßte: Vater, vergieb ihnen, denn sie wußten nicht, was sie thaten.22 Sollte[472] es nicht zu menschenfeindlich seyn zu denken, daß sonst gebildete Staatskünstler nicht gute Absichten gehabt hätten? Ich bin geneigt zu glauben, die Vorsicht lasse, um ihrer guten Absichten willen, selbst die zu ihrer Erreichung verkehrt angewandten Mittel doch gut gedeihen. Der himmlische Vater wird nie müde, in schwachen Kindern mächtig zu seyn, und so wird es auch ein glückliches Ende nehmen mit mir, der sich diesem Vater unbedingt hingegeben hat.
Nachschrift den 11ten August 1814.
Von den kleinen Opfern, womit Freunde und Freundinnen mir eine Theilnahme an meinem Geburtstage bezeuget, rührten mich am meisten ein Paar Blumen-Kränze und Sträuße, die mir meines Hauswirths Motherby allerliebste Kinder, Nanzi und Robert, brachten. Gott segne sie und ihre genialischen Eltern!
Die vorzüglichste Art, mit der man diesesmal den 8ten August ausgezeichnet hat, scheint meine eigne Ahnung, daß er wohl mein letzter seyn werde, auch in meinen Freunden erweckt zu haben. – Wie mein Gott will, so gescheh's allezeit, sein Will[473] der ist der beste, – heißt's in einem meiner Lieblingslieder.
Vorgestern sagte mir ein kluger lieber Mann: er bewundre meinen noch immer beybehaltnen Einfluß, bei meiner zunehmenden den Anspruchlosigkeit, und ich erwiederte ihm: eben diese von jeher geäußerte Anspruchlosigkeit hilft mir die Mitmenschen überzeugen, daß ich es mit keinem schlimm meine und keinem zu etwas rathe, was ich an seiner Stelle nicht selbst würde gethan haben: nachdem man mich immer so handeln gesehen, hat man mich im Besitz dieses von mir sehr werthgehaltenen Glücks gelassen, und glaubt jetzt mich ganz berechtiget zu seinem Genusse.
Wenn nun gleich der freundschaftlich frohe Ton, der unter den vom Herrn Landhofmeister von Auerswald zur Feyer meines Geburtstags in der drey Kronen Loge eingeladnen Gästen herrschte, jetzt schon verhallt ist, so ist doch der Toast, den ein Freund, der bey seiner sonstigen Abneigung von allen Versen ein höchst glücklicher Toast-Improvisator ist, bey Tisch ausbrachte, mir geblieben, und ich trag ihn hier ein:
[474] Eilen und weilen zu leben
Das sey der Sterblichen Streben!
Eilen, die Schwingen des Geistes zu mehren,
Weilen, am Erbe des Lebens zu zehren.
Sehet, der glückliche Weise,
Der unserm feyrenden Kreise
Jährlich den Seegen ertheilt,
Er hat geeilt und geweilt.
Den 12ten December 1814.
Die hab ich der Welt einen zweyten Tacitus herzlicher gewünscht, als in diesem Wienerkongreß-Jahr; die Geschichte hat keine ihr gleiche,23 obwohl dem tridentinischen wenigstens in einigen Leiblichkeiten ähnliche, Versammlung und höherer Zwecke wegen aufzuweisen, denn noch nie lebten drey so große Fürsten so lange, in solcher Lage mit einander wie Franz, Alexander[475] und Friedrich Wilhelm. Wird auf diesen Regententagen, nicht etwas recht Großes beschlossen, und die Ausführung des Beschlossenen auch fest gesichert, dann darf die europäische Welt kaum weiter hoffen, von den Regierungsverkehrtheiten erlößt zu werden, in die man den Papst, auf den ich einst sehr viel hielt, den König von Spanien, auf dessen Erkenntlichkeit ich stark rechnete, die hannöverschen Regenten, von denen ich wohl nichts besseres erwartete24 und den Großherzog von Baden, der in der Unähnlichkeit mit seinem Großvater eine Ehre zu suchen scheint, zurückfallen sieht.
Ist unter den bisher erschienenen Gelegenheits-Schriften gleich keine, meines Erachtens, von Uebertreibung ganz frey, selbst die Schriften des mir von Alters her höchst[476] schätzbare Nicolaus Vogt, und Schmidts Wiedergeburt Deutschlands nicht ausgenommen, so steht doch in manchen über Frankreich soviel Kluges und Ausführbares für Deutschland, daß die Congreßisten ihre Misgriffe einst nicht mit Unwissenheit werden entschuldigen oder sagen können, es wären ihnen wenigstens keine Büchergeister erschienen, um sie zu warnen, der Welt nicht neue Qualen zu bereiten. Wenn wir aber Lucae XVI lesen, der Vater Abraham habe dem reichen Mann in der Hölle, der ihn bat, seine Brüder, die auch Mosen und die Propheten hatten, durch eine Geistererscheinung ad saniora bringen zu lassen, geantwortet, »hören sie Mosen und die Propheten nicht, so werden sie auch nicht glauben, ob jemand von den Todten auferstände;« muß einem dann nicht auch vor dem Erfolg des Congresses bange werden?25
Den 29sten Junius 1815.
Vom Alter (senectus) macht man sich keinen rechten Begriff, so lange man nicht[477] selbst sehr alt (senex) ist. Die jüngern Menschen trauen ihm bald zu viel, bald zu wenig zu, und glauben sich entweder verpflichtet, dem unter einer gewissen allgemeinen Achtung Altgewordnen mit einem besondern Zutrauen zu seinen Kräften schmeicheln und ihn dadurch wenigstens über deren Abnahme beruhigen zu müssen, oder sie halten sich für berechtigt, bey bemerkter sichtlicher Kraftverminderung sich aus den Grauköpfen nichts machen zu dürfen.
Wozu hilft mir diese Bemerkung? Zu einer gemüthlichen Zufriedenheit in meinen einsamen Stunden und zur willigen Anstrengung alles dessen, was mir von Herz und Geist noch übrig geblieben, um denen, die mir durch Unterbrechung meiner so zu sagen freywilligen Muse ihr gefälliges Erinnern an einen alten Mann zu erkennen geben, meine Dankbarkeit dafür zu bezeugen.
Den 4ten July 1815.
Unser Leben währet 70, wenn es hoch kommt sind es 80, sagt David im 10ten Verse des 90sten Psalms mit großem Recht, denn was nach Ueberschreitung dieses Termins noch gelebt wird, hat nur Etwas dem[478] Leben Aehnliches, das mehr im Empfinden der Kraftabnahme besteht, als es wirklichen Kraftgenuß zuläßt. Indessen wär es eine Thorheit und Ungerechtigkeit zugleich, wenn man sich über eine längere Dauer des Lebens ärgern, oder nicht Gott auch für sie danken wollte, besonders wenn das Lebvermögen noch nicht so erschöpft ist, daß man blos schwerfallen und drücken, aber gar nicht tragen oder heben könnte.
Mit meinem Alter muß ich sehr zufrieden seyn, denn erlaubt es mir auch nicht, aus freyer Hand zu geben, so doch mit dankbarer zu empfangen und denen, die sich mit mir unterhalten, nicht alles schuldig zu bleiben. Hab ich doch sogar zum Ersatz meines Jugendfreundes L'Estocq einen neuen Freund im General Freyherrn von Valentini gewonnen, dessen Zutrauen in den vielen Zwiesprachen, während seines hiesigen Aufenthalts, mir bis zu dem Grade zu Theil geworden, daß er mir bey seinem Ausmarsch zu den jetzt fast beendigten Wunderkriege seine sämmtlichen Papiere zurückgelassen.
Viele Wochen hat mich das Durchlesen seines vieljährigen interessanten Briefwechsels[479] mit dem militairisch berühmten, 1814 als Dessauscher Oberhofmeister gestorbnen Herrn von Berenhorst, seiner fleißigen Reisebemerkungen und, meines Erachtens, treflich durchdachten, kleinen Aufsätze über den theoretischen und praktischen Kriegsdienst, zu denen ihm seine Feldzüge gegen die Franzosen und Türken Stoff genug gegeben, sehr angenehm unterhalten. Möchte ihn doch mein Zureden bewogen haben, einst aus diesen Materialien etwas über die Jahre von 1805 bis 1814 zu schreiben. Seine Geschichte des Feldzuges von 1809, des Gefechtes bei Saalfeld, über den kleinen Krieg etc. haben bereits gezeigt, daß er dazu geeignet sey, und daß er weder so einseitig noch so wortverschwenderisch seyn würde, wie der sonst verdienstvolle Herr von Massenbach. Bescheidenheit und Kenntniß sind in ihm glücklich gepaart, und Gott Lob, daß der 18te Juny 1815, der den von 1757 bey Collin vergessen macht, ihn, den sonst schon oft stark verwundeten, gesund gelassen hat.
Was wird aber der Erfolg der großen Siege seyn? Ein andrer wichtiger General schrieb mir unterm 30sten December 1814[480] »wie viel müßt ich ihnen schreiben, wenn ich ihnen alles mittheilen wollte, was ich über den Congreß, seine Natur und Eigenschaft und über die – denke, die mit Federposen verderben, was durch Waffen mit dem Blute so vieler Tausenden gewonnen war.«
Der große Zustrom glücklicher Ereignisse scheint die Ueberlegungskraft derer, die letztere zum Besten des preussischen Staats anwenden sollten, so zu überfluthen und zu betäuben, daß sie die Besonnenheit verlieren, und von einer Versäumniß der Zeit und Umstände, von einer Künsteley, – zu immer neuen übergehen, besonders da ein guter, lieber, den Verhandlungen gewiß satt und müder König ihnen nicht mit Ernst zuruft: – weiter solls nicht nach euren Köpfen und Herzensschwächen gehen, sondern nach meiner reinen Einsicht.
Den 5ten July 1815.
Ich sah der Beantwortung meines letzten Briefes an den Minister Schrötter, mit dem ich ihm seinen letzten Brief, wie unter uns abgemacht war, zurückgeschickt hatte, entgegen, und gestern brachte mir[481] der Landhofmeister von Auerswald die Nachricht, der Minister sey den 30. Juny gestorben, und ich möchte zu seinem Bruder, dem hiesigen Canzler von Sch. gehen.
Einige Jahre früher hätt' ich diesen Auftrag gewiß nicht übernommen, noch weniger ihn leidlich ausführen können. Jetzt half mir die Gleichmüthigkeit des hohen Alters, die den leidigen Vortheil hat zu den ken, alles schon erlebt zu haben, oder wegen der Naheit des Todes nicht mehr erleben zu dürfen.
Der Staatsrath Nicolovius hatte mir noch unterm 20sten Juny geschrieben: »M. Schr. hat ihnen wohl schon geschrieben, oder thut es in kurzem. Ihre Gesundheit haben wir neulich an einem sehr vergnügten Mittage in balsamischem Rheinwein von 1811, aus hellklingenden englischen Gläsern getrunken; kann er von Ihnen, von Hippel und von Kant erzählen, so leuchtet sein Gesicht« und nun ist auch dieser mein vieljähriger Herzensfreund, den ich wahrlich nicht zu überleben gedachte, nicht mehr unter den Lebenden, denen er unzählige große und kleine gute Dienste gethan, deren Nichtanerkennung und Nichtbenutzung ihn oft würden tiefpersönlich gekränkt haben, hätte er über diesen Punkt nicht eine ihm ganz eigne Fassung gehabt, die ihm durch die Erfahrung, daß das kluge[482] Verworfne oft wieder angenommen würde, sehr erleichtert wurde.
Mein ihm oft sehr lebhaft geäußerter Wunsch, seine Sammlungen wie Sully zu benutzen, ist leider unerfüllt geblieben und wird es auch wohl bleiben. – Zwar hätte manchen diese Arbeit merklich beschämt, aber wie viele hätte sie nicht auch bessern und belehren können!
Du bist heimgegangen, vollendeter Mann und Vater, zu deiner dir immer treu gebliebenen Agnes und deinem Eduard, dessen früher Tod deine schönsten Erwartungen zerstörte und den deinigen gewiß mit veranlaßte. Eure Seelen sind nun vereint, wäre es die meine doch auch schon mit Euch und allen mir schon vorausgegangnen sehr Lieben!
Den 14ten July 1815.
Endlich hab' ich in der Beylage zu Nr. 80 der Haudespenerschen Zeitung, den Tod des Ministers, selbst ohne seines Alters Bestimmung, angezeigt gefunden.
Wie wahr hat D. Pappus im Liede: Ich hab' meine Sache Gott heimgestellt, gesungen:
Man trägt eins nach dem andern hin
Wohl aus dem Auge und aus dem Sinn,
Die Welt vergisset unser bald,
Sey jung oder alt auch unsrer Ehren mannigfalt.
Sollten aber zurückbleibende Blutsverwandte sich nicht von dem Verdacht solcher[483] baldigen Vergessenheit frey zu erhalten und bey Fremden dem Glauben vorzubeugen suchen, daß die reiche Erbschaft sie über den Verlust des großen Todten hinlänglich tröste?
Aeußerungen, die mir bey Gelegenheit dieses Todesfalles zu Ohren gekommen, haben mir neue Beweise von der Nichtigkeit der Vorkehrungen über die Behandlung, besonders schriftstellerischer Nachlässe gegeben.
Oft werden selbst testamentarische vermittelst der interpretatio doctrinalis der Erben, da sie vor der strafenden interpretatio autentica des Testators sicher sind, ganz bey Seite gesetzt, wie viel freyere Hand bleibt also in Fällen, wo es nur auf ungestempelte Papiere ankommt!
Wer über das Schicksal solcher Nachlässe nicht gleichgültig ist, oder zum Voraus über die Nichtigkeit seiner Vorkehrungen zu ihrer Behandlung lachen will – hat kein andres Mittel, als ihr durch Vernichtung derselben zuvor zu kommen, oder sie mit einem gutmüthigen transeant cum reliquis etc. ihrem Schicksal zu überlassen.
Den 26sten July 1815.
Vor einiger Zeit entschloß ich mich, alles was ich seit 1806 gereimt habe, drucken zu lassen, ein herzoglicher politischer Zionswächter versagte aber das Imperimatur aus Gründen die nur ein irrendes Gewissen konnte gelten[484] lassen; nachdem sich aber ein freyer denkender Censor und Drucker gefunden, so werden die Leser meiner Biographie einst urtheilen, ob ich mich am Staate versündigt, durch Bekanntmachung einiger Züge seines Sündenzustandes, aus dem ihn zwar die Geistes- und Leibeskräfte seines Volks militairisch erlöset haben, in welchen aber Rückfälle zu besorgen sind, nachdem man die Mäuse gesehen, die der langkreißende Wiener-Congreßtag geboren, und da in dem politischen Sanitäts-Collegio man che Aerzte und Chirurgen sitzen, die mit stumpfen Instrumenten operiren und lange Recepte verschreiben, um sich das Nachdenken über die Wahl der echten Specien zu ersparen, die sich ihrer Fehlgriffe nicht schämen, und froh sind wie ein Dorfsiedler, der für Schulzens herrliche Melodie zu Blühe liebes Veilchen eine Variation glücklich erfunden zu haben wähnt; die, weil sie es mißlich halten, das warmgewordne Volkseisen mit bloßen Händen anzufassen, elendslederne Constitutions-Handschuhe26 anziehn,[485] deren schlechte Näthe wenig Dauer versprechen, so, daß bey den vielen künstlichen[486] Umgestaltungen und Umschmelzereyen eintreffen wird, was Joh. Müller an Dohm schreibt: le plus grand ennemi du bien, c'est le mieux. (Werke 16. Bd. S. 207.)
Vergebens denken, sagen und schreiben tausend rechtlich kluge Menschen, es sey ohne uneingeschränkte Preßfreyheit, ohne beträchtliche Verminderung der stehenden Heere bey allgemeiner Verpflichtung zum Kriegsdienst, ohne gehörige Behandlung der Landwehr, ohne Volksvertreter, die berechtigt sind, Abgaben zu bewilligen und auf die Vereinfachung der Einhebung zu sehen, und ohne Einführung einer von der Formalitätstortur freyern Justiz, ein vergebliches, schon der Mitwelt zum Spott dienendes Bemühen, Constitutionsrisse zu entwerfen, deren Ausführung schiefe, schon während des Baues einstürzende Gebäude hervorbringen muß.
Meine Verse werden dem Uebel zwar nicht abhelfen, allein durch Reden sein Gewissen frey zu machen (dixi et liberavi animam meam) ist doch auch nicht verwerflich, zumal man schon in einer Weißischen Operette mit Wahrheit sang:
Oft kommt der Trost aus Winkeln her,
Wo man ihn nicht vermuthet.
[487]
Den 12ten August 1815.
Erst heute hab ich Zeit und Lust über meinen achtzigsten Geburtstag, wie über seine Vorgänger, einige Worte meiner Biographie beyzufügen.
Sein Morgen verging unter dem Empfange von Besuchen, von Blumen, besonders zweyer symmetrisch gestengelten aufgeblühten Centifolien, auf deren einem Blatte der Ueberbringer, Professor Vater, die Worte vigere pergas gedruckt hatte, und andern kleinen Bescherungen, womit man ihn auszeichnen die Güte gehabt; und da mein gewöhnlicher Bewirther von seinem, als königlicher Stellvertreter in Danzig auszurichtenden Huldigungsgeschäfte noch nicht zurückgekommen war, so wurd' ich 11/2 Meile von der Stadt bey meinem Freunde dem Dr. Jachmann beköstigt auf seinem Landgute Trutenau, in Preussen bekannt durch eine von seinem Schwiegervater I. I. Kanter angelegte Papiermühle, auf der auch Preßspähne gemacht werden, die die englischen übertreffen sollen.
Die Versammlung war bey einer von Martha Jachmann besorgten guten Mahlzeit recht froh, und da unser Toastmeister, krankheitswegen ihr nicht beywohnen konnte, so beschloß ich die Tischereignisse mit einigen Reimen, die in der neuen Ausgabe also lauten:
Ich sah mit herzlichem Behagen
Was heut für mich die Freundschaft that,[488]
Worthdank dafür lohnt's nicht zu sagen,
Drum lieber selbst befolgten Rath.
Den Achtzger-Hafen zu erreichen,
Wem's glücken soll, muß ängstlich nie
Bey Gegenwindes Sorg und Müh
Der Frischmuthslaune Seegel streichen;
Sie schafft das Rettungsboot, durch sie
Erhält die Tragkraft neue Schwingen
Durch Lebensbrandungen zu dringen,
Und so, schon alt, sich zu verjüngen
Auf's Glücken laßt die Gläser klingen.
Als ich des Abends nach Hause kam, ward ich im Garten meines Wirthes Motherby durch eine geschmackvolle Erleuchtung, bey der es nicht an Lampen, Farben und Opferfeuer gebrach, sehr überrascht, und legte mich erst nach 11 Uhr in mein Bett, wo ich unter stillem Dank für die zurückgelegten 79 Jahre bald einschlief und am Morgen mit guten Vorsätzen zum bestmöglichsten Gebrauch meiner sehr abnehmenden Kräfte im neu angefangnen Jahr erwachte. Brächte dieses doch der deutschen Welt den Frieden, den sie durch so große rühmliche Anstrengung sauer verdient hat, und der ihr gewiß zu Theil werden können und müßte, wenn festgesinnte Wahrheitsfreunde sich nicht von Freunden der Lüge auf Nebenwegen vom Hauptziel ableiten liessen, sondern unwandelbar bey dem Glauben blieben, daß jede Gnade, die sich nicht aufs Recht gründet, eine Ungerechtigkeit sey, und daß man durch den Nichtgebrauch seines Rechts sich schuldig mache aller Leiden, die[489] aus solcher Versäumniß in der Zukunft entstehen.
Welcher Deutsche, besonders welcher Preusse ist nicht verpflichtet, recht andächtig zu beten: Domine salvum fac regem, denn der erste Aussprecher dieses salvum dachte dabey gewiß an die Gesundheit, die sich durch keine diplomatisch – politische Pharmaceutic erkünsteln und noch weniger erhalten läßt.
O Domine, Domine, salvum fac regem! Amen,
Amen – das heißt es werde wahr.
Stark bleib' der Glaube immerdar,
Der König sey der rechte Mann,
Der alle Uebel heilen kann,
Fängt Er's nach eignem Sinn mit rechten Händen an.
Hätten ihn doch die herrlichen Erfolge seines einfachen, hochherzigen Aufrufs an sein Volk, durch den Er einen Aufschluß gab über die im Bewußtseyn des Rechts und in der Ausübung der Pflicht bestehende Volksthümlichkeit, hätten sie ihn doch überzeugt, daß Er die Seele seines Volks in seinen Händen trägt, daß sie sich nicht darin durch künstliche Gesetzgebungen festhalten läßt, und daß der Regent sich keinesweges anders frey macht von der Verantwortung des Uebels, das ihm vor Augen kommt, als wenn er es abwendet, denn das bekannte dixi et liberavi meam kann höchstens den zum Gehorchen Verpflichteten beruhigen.[490]
Sollte die aus dem Morning Chronikel in Nr. 52 der allgemeinen Zeitung von 1806 aufgenommene Nachricht aus China, daß nehmlich der dortige Kaiser erklärt habe: »Der Zustand seines Volks sey die Schuld seiner Minister und zum Theil seiner selbst, er habe letztere so oft gewarnt, daß ihm Zunge und Lippen trocken geworden, sie hätten ihn aber nicht verstehen wollen, hätten nachläßig regiert und ihn durch ihre Sorglosigkeit in die Krisis gebracht, in der er sich jetzt befände; daß er aber bereit wäre, sich selbst zu prüfen, sein Herz zu bessern und sich der gnädigsten Leitung des Himmels hinzugeben, der über Ihm sey,« – sollte dieses Erkenntniß und Bekenntniß nicht ein lautes cape tibi hoc für Europa seyn? Die wahre Buße besteht aber nach Luthers Lehre aus Erkenntniß, Bekenntniß und Besserung, ohne welche die beyden erstern nichts helfen können, vielmehr die Schwachheitssünden zu Bosheitssünden werden lassen.
Den 6ten September 1815.
Am 30. August brachte mir der Schwiegersohn des verstorbenen Ministers von Schrötter, Präsident von Goldbeck, ein Paar unvollendet gebliebne Briefe des erstern an mich, beyde vom 4ten und 6ten Juny und fast wörtlich gleichen Inhalts, welches ich gar nicht zu erklären weiß.[491]
Obgleich in meinen Spätlingen Seite 306 schon ein Brief dieses edlen geistreichen Weltmanns gedruckt ist, so besorg ich doch nicht, durch die Mittheilung dieses letzten an mich die Geduld meiner Lese zu mißbrauchen.
Berlin den 4ten Juny 1815.
Ihr Brief vom 4ten v.M. hat mir, lieber S. viel Freude gemacht, nicht bloß dadurch, daß Sie mich wieder etwas von sich haben missen lassen, sondern Sie haben auch einen großen Stein des Anstoßes, der seit fünf Monaten auf meinem Herzen lag, vorläufig wenigstens etwas fortgeruckt. Die letzten 10 bis 11 Wochen kann ich auf meine Krankheit und meine jetzige Cur, welche ich auch für eine halbe Krankheit ausgeben kann, schieben, da sie mir fast alle Arbeit untersagt – in den vorgehenden war ich zum Briefschreiben nicht aufgelegt, und Gott weiß, ob ich es jetzt bin, denn wenn ich an Sie schreibe, such' ich von alten Zeiten her so gern von meinem innern Leben, von meiner innern Welt mich zu unterhalten, und mag Sie gern an meinen Gefühlen Theil nehmen lassen; dazu aber gehört, sie sich selbst in Leben zurückzurufen zu können. Diesem Leben aber bin ich durch die harten Schläge, die das Schicksal mir geschlagen hat, beynah ganz abgestorben. Wenn Sie sagen, Sie könnten mit keinem so sprechen wie mit mir, so antwort ich, ich habe hier auch keinen Ableiter für meine Empfindungen, kein menschliches Geschöpf, dem ich sie mittheilen kann; sie müssen daher wo nicht ganz erstarren, doch am Ende so sich abstumpfen, daß sie in eine Art von Ohnmacht ausgehen.
Wo soll man in unsern Jahren einen Freund finden, der uns die Gefühle der Jugend und die Freuden der vergangnen Zeiten in die Gegenwart übertragen könnte? Alte Freunde sollten daher, nachdem die Zeit sie gesichtet hat, sich immer näher an einander schließen. D.E., der mir ihren Brief brachte, sagte mir, Sie[492] schienen sich zu verjüngen, was mich sehr freut. Sie sollten immer noch herkommen, wenigstens rechne ich darauf, daß, wenn ich verkrüppelter Invalide mich 100 Meilen nach R. zu schleichen suchen will, sie doch wohl? Meilen bis dahin werden zurücklegen können – das, lieber S., könnte ein herrliches Fest abgeben, bis dahin können wir noch herrliche Nachrichten aus Frankreich haben. – Fühlend den Unterschied zwischen 1806 und jetzt, opfern wir dann Speise und Trank und gießen zusammen, wahrscheinlich zum letztenmal, eine Libation zum Andenken derer, die uns so werth waren und nicht mehr sind, und derer, die noch sind, und wahrscheinlich auch nicht lange mehr sein werden. Sollten sich dabey Thränen als Zeichen reiner Gefühle des diesseitigen Menschen in unsre Augen drängen, so wollen wir sie für Winke halten, die uns der Hierophant jenseitiger Geheimnisse giebt, der jedes reine Gefühl noch weniger die jedes Haar vom Haupt verloren gehen läßt.
Den 6ten Juny.
Ueber Publika schreib ich Ihnen am Ende dieses Briefes. – Was Sie mir von innern Einrichtungen und diesem Thun und Treiben sagen, so läßt sich darauf schwerer antworten, als einen Commentar zur Offenbarung Johannis machen. Schon vor einigen Jahren sagte ich: ich fürchte mich weniger vor Napoleon, als vor unsern inländischen X und Q Zügen, und dies um so mehr, als am Tage liegt, daß von den vielen, muthwillig aus Trümmern zusammengesetzten Gebäuden in kurzem wieder kein Stein auf dem andern bleiben kann.27 Einen Hiram, dieses zu ordnen, kann nur Gott senden das Komische bey der Sache ist, daß jeder dieser Baumeister mit den andern unzufrieden ist. –
[493]
In der Denkschrift, die Herr v. Baczko in der hiesigen königl. ökonomischen Gesellschaft vorgelesen, findet man mehr richtige Nachrichten von Friedrich Leopold Freyherrn von Schrötter, königl. preuß. Staatsminister, Ritter des schwarzen und rothen Adler- und des russisch kaiserlichen Alexander Newsky-Or-dens etc.
Der Recensent dieses Aufsatzes in Nr. 283 der Hallischen Literatur-Zeitung schließt mit nachstehenden, gewiß nichts Unwahres enthaltenden Worten:
»Nützliche Selbstthätigkeit, dieser Genius des Daseyns, war vielleicht das eigenthümlichste Bedürfniß des Verewigten. Gepaart[494] mit Einsicht und Scharfsinn, mit Sachkenntniß und Kraft, betrieb er alle Geschäfte mit wahrem Diensteifer, großer Einsicht und der musterhaftesten Ordnung; die seiner Leitung anvertrauten Provinzen verdanken ihm sehr viel nützliche Anstalten, Neuostpreussen seine damaligen Schulanstalten, mithin seine Bildung. Er kannte treflich jenen Ausspruch des Plinius: rebus gerendis pauca capita sufficiunt, multis opus est manibus. Eine schöne Anwendung dieser Worte und ein redendes Denkmal seiner glühenden Vaterlandsliebe ist die berühmte Charte von Preussen, die seinen Namen führend, denselben verewigt. Die Lücken der früher, nach dem Geist der damaligen Zeit, vernachläßigten wissenschaftlichen Bildung füllte er später durch den unermüdlichsten Fleiß und eine große Belesenheit aus. Beförderungsmittel hierzu waren eine ausgesuchte Bibliothek, seltne Sprachkenntnisse und der fortwährende Umgang mit Gelehrten und Künstlern. Hierbey verdient Kant eine besondre Erwähnung, der, so ungern er sich aus Königsberg entfernte, dennoch einige Zeit auf dem Lande (Wohnsdorf, das damals noch des Ministers alter Vater besaß) verlebte. Eine durchaus merkliche Festigkeit seines Charakters, verbunden mit einem gewissen Anstrich von Härte, der in seinem Bildniß vor einem Bande der neuen Ber-[495] liner Monatschrift sehr gut angedeutet ist, liessen kaum den hohen Sinn für Naturschönheiten, Wohlthätigkeit und überhaupt die bessern Eigenschaften des edeln Menschen ahnen.«
Den 7ten November 1815.
Als vor einigen Tagen mich ein alter Bekannter fragte: ob ich auch in meiner Lebensbeschreibung alles treulich angeführt hätte, wo von mir durch Rath und That auf Personen und Sachen eingewirkt wäre, und ob ich bey der Gelegenheit nicht auch manches über Erkenntlichkeit und Undank, meiner Erfahrung gemäß, hätte einfliessen lassen? so erwiederte ich ihm ganz kurz mit den Worten: selten und nein.
Da indessen Einer diese Frage gethan, so kann sie vielleicht auch mehreren einfallen, und ich will daher meine Meinung darüber nicht verschweigen.
Was können solche Anführungen helfen? Wer auf Erkenntlichkeit rechnet und sie annimmt, hat den ganzen Lohn für das Gethane auf einmal dahin, und es bleibt ihm nicht der stille, angenehme, wahre Genuß, den die Erinnrung an eine gute That verschaft.
Wer über Undank bittre Empfindlichkeit äußert, zeigt, daß er das Gute nicht des Guten wegen gethan, und beym Gutesthun scheint mir der kleinste Tropfen Selbstsucht[496] einen Flecken auf das weiße Gewand der Gutmüthigkeit zu machen, der mit keiner, noch so schön schäumenden Seife der Kunstvernunft sich ausreiben läßt. Wer sein Leben so unverholen führt, wie ich das meinige zu führen gesucht habe, thut am Besten, wenn er auf seine guten Werke und Handlungen gar nicht zurück sieht, er mag durch selbige Schulden abgetragen, oder Geschenke gemacht haben. Zum erstern war er verpflichtet, und das letztre hat ihm gewiß mehrentheils größre Freude als Mühe gemacht, weil Geben wahrlich seliger ist, als Nehmen.
Wem seine Nachwelt wirklich etwas zu verdanken hat, kann sicher darauf rechnen, daß die Besten aus ihr es ihm erkennen werden. Dem bey seinem Leben empfangnen Dank benimmt eine Art von Beschämung viel von seiner Anmuth, und ist, beym Lichten besehen, der Mensch, der von Gott so unendlich viel Gutes empfängt, das er Ihm, der Alles hat, nicht erwiedern kann, nicht verbunden zum Mittheilen an seine Nebenwelt, in der es oft an vielem, sehr vielem mangelt? Christus, der den Hang der menschlichen Natur zum Eigennutz genau kannte, rieth daher zum richtigen Messen, weil mit gleichem Maas würde wieder gemessen werden.
Da eine Vorrede über sich andern Gelegenheit zur Nachrede geben kann, so[497] warnt mich der bekannte Doppelsinn des Wortes Nachrede vor weitrer Einlassung in diese Materie.
Den 8ten May 1816.
Der zu Nachträgen etatsmäßig gewordne Tag erscheint zwar erst von heut über drey Monat, auch fehlt es mir nicht an Hoffnung, daß der Tod meine Lossprechung von der Lebensunmündigkeit bis dahin aussetzen werde; da ihm aber nicht zu trauen ist, so will ich lieber den für den 8. Aug. bestimmten heut, wenigstens anfangen, denn
Morgen, Morgen und nicht Heute
Sagen stets die trägen Leute,
zu denen ich nicht gern gezählt werden möchte.
Seit dem 7. November ist mir eigentlich nichts begegnet, außer daß ich
1) vor einigen Wochen meinen letzten Mitschüler verloren, der seit vielen Jahren hier ein höchst spärliches Leben führte, stets über Mangel an Einnahme klagte, indessen doch 12,000 Rthlr. baar im Kasten und überdem ein großes Vermögen nachließ, das seine Hessen hoffentlich besser benutzen werden; daß ich
2) nachdem ich mich zum Druck meiner Zeit reime freywillig entschlossen, ich mich von meinem Freunde Hüllmann auch zum Abdruck der Biographie bey Leibesleben bereden lassen, als wodurch ihm, ihrem künftigen Bekanntmacher, alles Scrupuliren über[498] manche Stellen erspart und mir die Gelegenheit benommen wird zu Beyschriften, die den Vortrag nicht glätten, und deren Uebelstand zu verbessern ich durch Ein- und Umschmelzung zu Einem Ganzen nicht mehr Kraft genug habe; und daß ich
3) am 10ten Februar einen Fall gethan, der meinen Kraftvorrath schrecklich angegriffen und meine Schmerzscheu durch ein vierwöchentliches, höchst peinliches Betthüten auf eine harte Probe gesetzt hat. Zum Glück erlaubte mir mein freygebliebner Kopf an den täglichen Besuchen meiner Freunde Theil zu nehmen und wahr zu finden, was der Philosoph Jacobi sagt: »Heitrer Sinn, und immer froher Muth, wenn der Mensch sich dieses immer geben kann, so giebt er sich das Höchste. In der Freude erscheint die Wahrheit, in Freude erscheint das Leben.« (Allwills Briefsammlung 1792 S. 285.)
Da zu meiner Wiederherstellung die Pflege der Hauspostorin Schmidt sehr vieles beygetragen, so halt ich mich verpflichtet, vor dem Publico ihre meinem Hause seit 1787 geleisteten vielen Dienste anzuerkennen, ob gleich sie selbst vermuthlich diese Biographie nicht lesen wird, und da ich ihr nicht ihre Mühe durch Seufzen und Klagen erschwert habe, so wär es wohl höchst unschicklich meinen Lesern vorzustöhnen. Fröhlich sey also mein Herz, ist gleich nicht ganz vorbey[499] der Leidesschmerz, noch weniger aber das Seelenleiden, das mir der Anblick der oft recht kleinfügigen umständlichen Kunststücke macht, die man anwendet, um das Vaterland, das sich wahrlich noch ärger als ich zerfallen hat, wieder auf die Beine zu bringen; als ob Seiltänzerey nöthig wäre zum Gehenlernen28
Kommt einst, wie ich wünsche und hoffe, die Welt zum Gebrauch der geradeinhertretenden gesunden Vernunft, wird sie sich nicht wundern, daß man so vielfältig die nah vor den Augen liegenden Hausmittel übersah und nach fremden Aerzten und Recepten sich umthat, für deren Wissenschaft und gute Wirkung noch keine Erfahrung Bürgschaft eingelegt hatte, und deren umständliche Herbeyschaffung das Zuspätkommen zur Heilung besorgen ließ? Ist es recht, die Völker in[500] Schlaf zu manipuliren und sich an die Aussprüche der Clairvoiance nicht zu kehren?
Vor einigen Tagen las ich in den Schicksalen eines Schweizers während seiner Reise nach Jerusalem und dem Libanon (2r Bd. S. 147) folgende Stelle: »Was ich schon früher in Ober Egypten und auch tiefer im Lande gesehen, war falsches Wasser. Die Fläche war blendend und gab sogar den Widerschein der Gegenstände im wasserähnlichen Spiegel, man glaubte ganz in der Nähe eines ruhigen Stroms oder Sees zu seyn und bald an das Wasser zu gelangen, so wie man sich aber näherte, verschwand das trügliche Bild, und kein Tropfen Wasser war zu finden, statt dessen aber brennender Sand. Als die Franzosen durch die Wüste nach Damiette marschirten, sah man eine große Menge durch dieses vermeinte Wasser verloren gehen.«
Wem fallen nicht bey diesem falschen Wasser die Constitutionen ein, von denen überall viel gesprochen und geschrieben wird, die in der Theorie ihren unabstreitbaren Werth haben, sich aber nie gegen selbstsüchtige Praktikanten aufrecht erhalten können, wenn diesen zum Durchsetzen ihrer Eingriffe in alles, was über wechselseitige Rechte und Pflichten der Regenten und Völker in jenen abgemacht war, zahlreiche stehende Heere zu Gebote stehen, die mit ihrem Feuerathem[501] die dürren Constitutions-Blätter nach Gefallen der Eingrifflustigen entweder in die Luft wehen oder anzünden; beydes desto leichter, mit je mehr Buchstaben jene Blätter beschrieben sind. Möchte man dann nicht dem Könige David nachsprechen, der nach Samuel B. 2. Cap. 24. B. 14., dem Propheten Gad antwortete. »laß mich in die Hände des Herrn fallen.« Wer kann den Britten das Streiten gegen die Truppenvermehrung verdenken? Gegen Kugeln und Bajonette schützt keine Manga charta, und wäre sie auf mosaischen Steintafeln und im Stil der heiligen Bundesakte geschrieben.29
Adam Müller sagt in seinen Staatsanzeigen (1. B. 2. St. S. 111.) »Es ist nicht alles Gold was glänzt, und gegen den Willen eines bewafneten und geharnischten Zwingherrn,[502] der über kurz oder lang auftreten kann, schützen Ideen und Verfassungen nur dann, wenn jene die öffentliche Meinung völlig durchdrungen, und diese in einem Volke so tiefe Wurzeln geschlagen haben, daß sie nur mit dem Leben de s Volkes selbst vernichtet werden können.«
Wenn die geistige Kraft nicht dafür sorgt, die leibliche unter ihrer Gewalt zu halten, so wird sie von letztrer bald überwältigt werden. »Kinder und Völker müssen nicht blos im Talent, beredt und klug zu seyn, dem Ulysses gleichen, sondern auch im Vermögen, den Bogen zu spannen, ihm nachgebildet werden.« (Jean Paul im Museo Seite 94.)
Die Constitutionenschreiber möcht ich den Freyern der Penelope vergleichen, die ihr Wesen so lange auf Ithaka trieben, bis der starke Landwehrmann Ulysses kam und sie vertilgte.
Wohl uns, daß wir von unserm Vaterlande nicht glauben dürfen, was die bekannte Lepinasse dem Grafen Guibert, lange vor der Revolution, von Frankreich schreibt: »Ein Mann voll Thatkraft und Seelenadel ist hier ein Löwe im Keficht, dem das Gefühl, das er von seiner Kraft hat, zur Folter wird. Er ist ein Riese, verdammt auf Knieen zu rutschen.« (im 69. Brief Seite 342.)
Wohl uns, wenn wir uns in unserm [503] Friedrich Wilhelm einen Ulysses denken, der endlich müde werden wird, die Spielereyen der Buhler anzusehen, und dann, gewarnt durch das, was der russische General Klinger in seinen Reisen vor der Sündfluth, den klugen, frommen, wackern Khalifen S. 159 und 235 und an andern Orten sagen läßt (Klingers Werke 6r. Bd.), Gebrauch wird machen vom Bogen seines gesunden Verstandes und edeln Herzens, den Schnitzwerk und Prunkpüschel nicht stärker spannen, noch sichrer treffen lehren, oder helfen können.
Den 19. Juny.
Bey einem Haar wär ich am 8. dieses, eines gewaltsamen Todes gestorben in meiner Stube, durch einen abermaligen Fall, der mir Blut und Schmerzen gekostet, und meine Besorgniß der Nichterreichung des 8. Augusts nicht vermindert, doch ohne durch die Stirnverwundung mich trübsinnig zu machen.
Ich lese jetzt wieder meiner geistreichen Wirthin, die im Jahr 1813 die, von mir leider nie gesehnen, Rheingegenden30 besuchte, mit Vergnügen vor, und finde diese[504] Beschäftigung mir so angenehm und zuträglich, wie nur immer ein Landschaftmaler den Anblick der Lichtwallungen beym Sonnenuntergange finden mag.
Wäre Frau Johanna bücherkundiger oder süchtiger, so würden ihre Ansichten froher und trauriger Lebensereignisse minder zart, rein und treffend seyn. Der weibliche Scharfsinn ist von so eigenthümlicher Art, daß er dem Geist des Mannes manche Befriedigung schaft, welche diesem selbst bey aller wissenschaftlichen Ueberlegenheit oft nicht zu Theil wird, oder fehlschlägt; wie denn überhaupt ein vertraulicher Zwiesprach mit genialischen Frauen, je weniger technisches oder blos historisches er an sich hat, dem Geist das Wegsteigen über den Bücherbuchstaben erleichtert und die Windeltreppe solcher Unterhaltung gleichsam mit einem Geländer versieht, das wider die Unfälle des Schwindels sichert, die einem, den nicht ein hohes Alter, wie das meinige, hinlänglich bewahrt, bey lebhaftem Wagen in die Regionen der Empfindung, zustoßen könnten.
Den 21sten Juny.
Um mich am Sterbetage meiner unvergeßlichen Babet nicht blos den Gefühlen[505] des durch Sie Verlornen zu überlassen, will ich sie durch einige mir weit entfernter liegende unterbrechen.
Die Wahrnehmung, daß man in dieser Gährungszeit allerhand Mittel zur Beförderung des Auswurfs der Verwaltungs-Unreinigkeiten anwendet, die aber bey der Art, wie man sie abwartet, kein Klarwerden hervorbringen, und daher der auf ihre Beyschaffung verwandten Kosten nicht werth sind – diese Wahrnehmung brachte mich auf den Gedanken, in meinem vermuthlich letzten Lebensjahre die Beförderung eines Werks zu suchen, das der deutschen Welt Ehre, Freude und Nutzen bringen sollte, und ich schrieb daher an den König, was der Leser in der Beylage G finden kann; allein zu Folge der beygefügten Antwort muß die Bearbeitung des alten literarischen Deutschthums, nach wie vor, Stückwerk bleiben, weil es dem Privatfleiß der Gelehrten wohl aus mancherley Ursachen schwerlich gelingen wird, ohne öffentliche baare Unterstützung das angefangne gute Werk zu vollenden und dem Publico den Zugang zu diesem Studio zu erleichtern.
Mein Trost nunmehro ist das bekannte in magnis voluisse sat est, dem ich den Wunsch beyfüge, daß der mir sehr gerühmte deutsche Geist unsers Kronprinzen in Ihm bleiben, und daß die jetzigen Schlegel, Hagen, Büsching, Gräter, Docen[506] Grimm etc. nicht ohne eine über diesen Gegenstand ihnen gleichgesinnte Nachkommenschaft sterben mögen.
Den 16sten July.
Obgleich mein Vorwort für die deutschen Musen keine gute Stelle gefunden, so ließ ich mich doch vom gutgemeinten Vorbitten nicht abschrecken, sondern wandte mich für einen jungen Doktor der Philosophie, den sein vaterländischer Sinn vom Universitätswege auf die Militairstraße geführt, an den Prinzen August Ferdinand von Preussen, als den Obergeneral der Artillerie, und empfahl meinen Brief, aus Beysorge, er möchte das gewöhnliche Buchstabenschicksal haben, der Schwester des Prinzen, Louise Radzivil, die mir noch aus den Königsbergschen Trübsalen her als eine höchst gütige und für alles Schöne und Gute den empfänglichsten Geist athmende Fürstin bekannt war, mit der Bitte, von diesem kräftigen Geiste das nöthige zum Besten des jungen Mannes meinen Buchstaben einzuhauchen. Die von der Prinzessin erhaltne so schön geschriebne, als höchst gefällige Anwort ist zu schmeichelhaft für mich, um mitgetheilt werden zu können.
Hilft mein guter Wille nicht, so wird es mir Leid thun, nicht um den Empfohlnen, den eigne Verdienste doch mit der Zeit weiter befördern müssen, sondern um des[507] Schaden willens, den es dem wahren Dienst bringt, wenn man die dazu wirklich fähigen lange auf ihr Weiterkommen warten läßt.31
Den 20sten July.
Beym Lesen der Aushängbogen der Biographie hab ich abermals gefunden, daß es keineswegs einerley ist, sein Geschriebnes blos geschrieben oder gedruckt zu lesen. Der Druck scheint die neunjährige Quarantaine zu ersetzen, die eine Handschrift, laut dem horazischen nonum prematur in annum halten soll, und die König Friedrich II., da er eine eigne Druckerey hatte, bey seinen Versen mehr hätte benutzen können und sollen. Jetzt, da alles bis auf die Schlußbogen schon in der entfernten Druckerey, und also aeea iacta ist, läßt sich den selbstbemerkten Deficits im Vortrage etc. nicht mehr abhelfen, und ich muß zufrieden seyn, wiederholentlich versichert zu können, daß ich von keiner Person oder Sache etwas gesagt habe, was ich nicht für wahr gehalten muß es mich daher nicht um so mehr verdrüßen, daß der Censor an manchem Höchstunschuldigen ein Aergerniß genommen, und vermöge seiner Streichlicenz mein Buch um manche Wahrheit gebracht hat, weil er nicht bedacht, daß eines rechtlich gesinnten Schriftstellers Hauptpflicht ist, Wahrheit zu sagen, um zum Wahrseyn zu leiten und es zu befördern: wie kann er aber diesen Zweck erreichen, wenn ein Fremder aus Schüchternheit etc. von dem gesagten Wahren nach seinem eignen Gutdünken manches unterschlägt?
Freylich hab ich manche Personen, die mir außer ihrer Dienstlage, blos als Menschen betrachtet, lieb und werth waren, aus[508] Rücksicht auf jene nicht ganz vortheilhaft geschildert, hätt ich aber aus Vorliebe für ihre Persönlichkeit dem Sachrecht Unrecht thun sollen?
Shakespear läßt den Brutus im Julius Cäsar sagen: »Wenn dieser Freund dann fragt, warum Brutus gegen Cäsarn aufstand? ist meine Antwort: nicht weil ich Cäsarn weniger liebte, sondern weil ich Rom mehr liebte.« und in seinem Was ihr wollt sagt Olivia: »ein Mann, der als verständig bekannt ist, verspottet nicht, wenn er auch nichts thut, als tadeln.«
Und hat die preussische Staatsverwaltung, die freylich besser ist, wie viele andre sind, den guten Ruf schon wirklich verdient in dem sie bey manchen Schriftstellern steht, wenn das, was der Inländer von ihr sieht, jenen Ruf wiederlegt?
Wer wollte die Vermehrung der Straßenorgeln und die etwas richtigere Bestiftung ihrer Walzen für wahren Fortschritt in der Musik halten, und von ihren etwas erträglicher gewordnen Liederweisen Verbesserung in der Tonkunst erwarten?
Kann man es oft genug sagen, daß durch zu rasches Einreissen und Abschaffen und zu künstliches Bauen und Einführen, die Wirkungen kluger Einfachheit (mit großem Recht sancta genannten simplicitas) gehindert werden, und daß ohne Herausreissung aus den Sümpfen des leiblichen und geistigen Müssiggangs[509] und der physischen und psychischen Schwelgery, keine wahre Heilung der Regierungskrankheiten sich erwarten, aber wohl besorgen läßt, daß das sichtbare Zunehmen der Krämpfe am Ende zu einer gewaltigen Cur zwingen werde?
O Presse, Presse, wann wirst du gehörig frey seyn, um die Bösen zu nöthigen, selbst gut zu werden, ihres eignen und des allgemeinen Bestens wegen!32
Den 9ten August 1816.
Viele Glückwunschbesuche und das stattliche Mittagsmahl des Herrn Canzlers von Schrötter, bey dem Freund Hüllmann einige Blätter vorlas, bey deren Anhörung ich sehr verlegen mag ausgesehen haben, hinderten mich, das Zeugniß über die, wider Vermuthen gestern erreichte Vollendung meines achtzigsten Jahres niederzuschreiben, und es würde vielleicht auch ganz unterbleiben, wenn dieser Nachtrag nicht der letzte zu meiner Biographie seyn sollte.
Außerdem ist in den letzten Tagen dieses Jahres nichts vorgefallen, außer daß ich am 26sten July acht Meilen in einem Tage zu fahren wagte, um noch einmal das Ostsee-Gestade zu sehen, an dem ich vor mehr als[510] 70 Jahren, wenn mein Vater den dortigen Oberförster Knöpfler besuchte, mir mit bunten Steinchen und Muscheln die Taschen füllte.
Damals wurde an das, jetzt beynah zur Mode gewordne Baden in der See weder von Kranken noch von Gesunden gedacht. Gern hätt ich es selbst noch einmal versucht, allein das meinen Hausgenossen bey der Abreise gethane Versprechen hielt mich davon ab, so schwer es mir auch wurde, mir blos den Wellenschaum an die Füße rollen zu lassen.
Statt des ehemaligen Muschelauflesens beschäftigte mich die Bemerkung, daß Anstalten, wie z.B. gedruckte Instruktionen, Chirurgen, Gensdarmen etc., zur Benutzung eines Badeortes weder aufmuntern noch helfen, wenn nicht zuförderst auch für die Ansetzung eines tüchtigen Speisemeisters für Menschen und Thiere, für einen leidlichen Versammlungsraum auf einem von Natur so dürftigen Lokal, wie das Dorf Cranz jetzt ist, gesorgt wird. Hier befand sich damals eine beträchtliche Anzahl von Personen mehrentheils in räuchrigen Fischerhütten, beynah alles Schattens und eines leidlichen Wirthshauses ermangelnd – die Sorge für einen guten Weg liegt der Regierung hier besonders ab.
Doch was geht das mich weiter an, mich, dessen Geistes- und Leibeskräfte seit einigen Monaten so abgenommen haben, daß es ihm an keine Reise an die See oder an den Rhein, sondern nur an die letzte Lebensreise zu denken geziemt. Ich, den so gut wie den großen [511] Quintus Horatius Flaccus, pedibus delectat claudere verba, will daher meine letzten Worte mit einigen Reimen beschliessen, die als Produkte meiner vorgestrigen Schlaflosigkeit des Lesers gutes Einschlafen beschleunigen mögen.
In einem Ausdruck liegt auf Erden
So viel, wie im: Es ist vollbracht.
Denn sicher eines Planes werden,
Kann man, bey schärfstem Vorbedacht,
Nur erst wenn's heißt: er ist vollbracht.
Wie mancher Anfang hat des Schönen
Fast zu viel Knospen, und verspricht
Mit Blüth' und Früchten reich zu krönen,
Allein gewiß verbürgt er nicht
Den Cranz, den das Vollbracht nur flicht.
Aus unvollend'tem Guten keimet
Manch Giftkraut, das die Flur entstellt,
Und wer mit der Vollendung säumet,
Verkennt sehr oft den Lauf der Welt,
Wenn vor dem Ziel er ihm mißfällt.
Das Ende nur krönt alle Werke,
Nur durch des Schlußsteins Festigkeit
Erhält die Wölbung ihre Stärke,
Nur das: es ist vollbracht verleiht
Auf Schicksalswegen Sicherheit.
Zufriedenheit, nach der im Leben
Der Mensch sich heiß und dürstig läuft
Wird nicht zu Theil dem kühnen Streben,
Das rasch nach ihrem Segen greift,
Den das es ist vollbracht erst reift.
Auch alters Schwachheit drücket minder,
Wenn lebhaft der Gedank erwacht:
Der Kräfte Abnahm führt geschwinder
Zum Tode, der gewiß es macht:
Auf Erden sey es nun vollbracht.
1 Nun wirklich zum Schluß, und diesen recht überzuckert und in Ambrosia, wo nicht verwandelt, so doch getaucht. Ich soll sie grüßen von einer der schönsten Frauen unter den Frauen – und von weicher? die nicht mehr und nicht weniger als eine Königin der Frauen, ja die Königin selbst ist. Haben Sie denn keine Nachricht vom guten S.? Er ist in der vollkommensten Besserung E.M. und er hat es mir selbst geschrieben. Nun das freut mich, grüßen Sie in doch vielmahl und sagen ihm, daß es mir nahe gegangen, daß ich nicht hab Abschied von ihm nehmen können. Die Nachricht von E.M. gnädigem Andenken wird ihn sehr glücklich machen, aber sterben muß er doch bald. Mein Gott warum denn das? Er wird seinen isolirten Zustand und das Andenken an die zwei letzten Jahre nicht ertragen können etc.
Deshalb aber, lieber S. brauchen Sie nicht aus Spaß Ernst zu machen, und sie können mir immer dreust ein Dementi geben.
2 Es sey mir erlaubt hier eine Stelle aus einem Buche abzuschreiben, von dessen kühnen Aeußerungen ich viele für zu gewagt, viele unrichtig, einige aber sehr treffend gefunden habe, und das wohl eine ruhige, bey Leibe nicht absprechende Prüfung verdient. »Die scheinbare Entkräftung, welche in der letzten Zeit des Lebens eintritt, ist vielmehr ein Zeuge, daß der Keim höherer Kräfte die Hülle des jetzigen Daseyns zu zerreißen strebt, daß die Bedürfniße und der Dienst des Lebens erfüllt, die Schuld des jetzigen Daseyns bezahlt sey, und daß nun das Individuum der Freyheit und dem Genuß eines höhern Daseyns entgegenreist. – – Das schwache Alter, nach einem thatenreichen Leben, ist nicht zu beklagen, sondern selig zu sprechen, und oft geschieht es, daß noch in den Stunden des letzten Verlöschens die Schwingen eines neuen höhern Daseyns, wie schnelle Blitze sichtbar werden. Ja, der schwache Greis, welcher nach einem Leben voller Blüthen und Genüsse, nach wohl durchkämpfter Jugend und nach vollendetem Tagewerk, das Maas der innern Kräfte vollkommen verzehrt hat, und welcher nun ohne Liebe und Haß, ohne Bedürfniß und Wirksamkeit nach aussen, ohne Bewußtseyn, ja selbst ohne Gedanken der schönen durchlebten Zeiten, ohne Blick in das künftige, ohne Empfindung der Gegenwart, hülfloser scheint als der Säugling, ist vor andern glücklich zu preisen, welche das Leben, das sich allein im Wirken vollendet, unnöthig gespart haben. Es ist dieser hülflose Zustand eines schwachen Alters ein sanfter, allmähliger Uebergang durch neue Kindheit in den Leib der Mutter – in die Erde. Und dieser neue Zustand des Ungebornen, wo in stiller Auflösung der letzten Bande, in des Grabes tiefem, letzen Schlummer, die Keime eines höhern Daseyns aus der Gährung des Alten bereitet werden, entläßt jenen, schon bey scheinbarem Leben Eingeschlummerten früher und leichter zur neuen Ergänzung. Wenn uns dann endlich, mit der letzten Kraft der Jugend, alle Gefährten, alle Freuden einer bessern Zeit gestorben, wenn uns ohne Genuß und innre Wärme, verwais't an fremder Liebe und Mitleid, ja vergessen von der mit uns lebenden Welt, kaum noch das dumpfe Gefühl, unsrer Kraftlosigkeit geblieben, sind wir am wenigsten von jener ewigen Güte verlassen, welche über das Schwache und Verlaßne, über das zarte Beginnen der Kindheit und über hülfloses Alter am väterlichen wacht. Und wenn selbst die noch übriggebliebenen Freunde an der Gruft schieden, wird jene Hand treulich über uns bleiben, welche uns einst im Mutterleibe gebildet. Das Leben ist vergangen, seine Erinnerungen kehren nicht wieder, und ein Zustand hat uns aufgenommen, welcher ohne Gefühl und Empfinden jenem des Ungebohrnen im Mutterleibe gleich ist. Die Verwesung in ihrem gewaltsam beschleunigten, oder allmähligen Gange ist dieser Zustand. Die Erde oder untergeordnete Naturen verzehren schnell, was nicht mehr unser war, und der Keim eines neuen Daseyns, frey selbst von den letzten Banden, welche ihn an den Planeten fesselten, von nichts Irdischem ferner mehr gehemmt, ja berührt, wird von dem Strahl einer höhern Verklärung aufgenommen.«
Schuberts Ahndungen einer allgemeinen
Geschichte des Lebens. 1ster Thl.
Seite 300 und 91 etc.
Und da ich gestern (den 6. Octbr. 1811.) in des rühmlich bekannten Leonhard Meisters Meisterianis oder über die Welt und den Menschen, über Kunst, Geschmack und Literatur etc. St. Gallen 1811. las, so sprach mich das, was in diesem lesenswerthen, unterhaltenden Buche von Seite 394–407 steht, so lebhaft an, daß ich der Lust es zur Beylage D. zu machen nicht widerstehen konnte, und hoffentlich verzeihen mir die Leser die dadurch vermehrte Seitenzahl.
3 Abgedruckt im letzten Stück des vaterländischen Museums, Januar 1811 und im 3ten Bändchen der Gedanken und Meinungen etc.
4 Bez seinem Namen fällt mir ein, daß seine Schriften viel durch ihre Herausgabe im späten Alter verloren haben. Es fehlte ihm bey ihrer Erscheinung schon an Lust, Muth und Kraft, manches in ihnen näher zu bestimmen, und es dadurch zu berichtigen, oder zu vertheidigen. Die gehörige Blutwärme ist auch in der Schriftstellerey gar nicht unwichtig.
5 Pfarrer bey der Tragheimschen Kirche, dem Kant alle seine Geschäfte uneingeschränkt übergeben hatte, wie man aus Mastanskys Schrift über Kant umständlicher ersehen kann.
6 Im 71sten Bande der Bibliothek der schönen Wissenschaften etc., fand ich Seite 141 folgende Stelle aus La Harpe, die meine Meinung bestätigt: »La vie humaine n'a point assés de plaisirs, pour se passer du travail, et les plaisirs eux mêmes ne peuvent se diversifier assés en se repetant, pour se perpetuer sans degout,« der ich noch ein Paar andere, eine aus Herder und eine von Wieland, über die menschliche Unsterblichkeit beifügen will: »Theilnehmen müssen wir, wir stehen im Strome der Zeit, wo eine Welle die andre treibt; nützlich oder schädlich müssen wir also auf die Zukunft wirken, wie die Vergangenheit auf uns wirkte. Der Kampfpreiß des Lebens ist, daß wir auch in Nacht und Nebel das Ziel treffen, wo der Kranz hängt, das wir die Seite treffen, wo wohlklingende Consonanzen ins Unendliche hinauf und hinunter tönen, wären diese gleich dem gemeinen Ohr unhörbar, sie sind dennoch da, sie tönen weiter, und erwecken harmonische Mitlaute. Nicht durch Schriften wirken wir allein auf die Zukunft, viel mehr können wir es durch Anstalten, Reden, Thaten, Beyspiele und Lebensweise, dadurch drücken wir unser Bild lebendig in andre ab, diese nehmen es an und pflanzen es weiter, unsere Hand sey emsig, unser kurzes Leben werde durch Theilnehmung und Theilgebung verlängert und ewig. Mich dünkt, bei diesem hohen und richtigen Gefühl werde man leicht des Namens vergessen, mit dem unsre Person bei Leibes Leben genannt wird. Nicht unser Bild wollen wir unsern Mitgenossen und der Nachweit vermachen, sondern unsern Geist, unser Herz, die besten Bestrebungen unsers Daseyns, die edelste Form, die wir von andern in uns, auf andre aus uns brachten. – Licht ist das stillste aber das wirksamste Eiement der Natur, es ist der stille Träger fortwirkender Schöpfungskraft; so sey auch unsre Thätigkeit für die Nachweit, und der ganze Lohn derselben, daß durch sie, wie durch verschlungene Lichtstrahlen eine neue Schöpfung lebe – die Seele des Menschen ist nicht aufs Jetzt eingeschränkt, sie muß ihrer Art nach vom Vergangnen für die Zukunft leben, und eben der ist der verständigste oder gleichsam der eigentlichste Mensch, der die Vergangenheit aufs Jetzt, und da dieses in jedem Augenblick vorüber ist, aufs fortgesetzte Jetzt, die Zukunft, richtig anwendet.«
Herders Werke über Philosophie und
Geschichte, 12r. Bd. S. 101. 102.
112 und 304.
»Es ist etwas so menschliches und herzerhebendes in der Vorstellung, auch dann, wenn uns der Tod den Augen und dem Umgang entrückt hat, im Gedächtniß einer ungebornen Welt fortzuleben, ihr noch werth und durch das, was das Beste von uns war, noch nützlich oder angenehm zu seyn! Ganz gewiß haben die edelsten und besten Menschen diesen Gedanken gehegt und gebilligt, und da es blos von uns abhängt, ob er blos Täuschung gewesen sein soll, oder ob wir ihm Wirklichkeit geben wollen, warum sollten wir ihren Geistern eine Befriedigung versagen, die uns selbst nützlich werden kann?«
Lucians sämmtl. Werke, übersetzt von
Wieland 3r. Bd. Beylage zum
Demonax S. 266.
7 Jetzt General-Major 1815.
8 In der allgem. Zeitung N. 52, von 1816, wird aus dem Morning Chronicle erzählt: der Kaiser von China habe in einer Verordnung die Schuld eines Volksaufstandes seinen Ministern und zum Theil sich selbst zugeschrieben und gesagt: »ob ich gleich meine Minister so oft gewarnt, daß mir die Zunge und Lippen trocken wurden, so haben sie mich doch nicht verstehen wollen, haben nachlässig regiert, und mich durch ihre Sorglosigkeit in die Crisis gebracht, in der wir uns jetzt befinden. Ich bin bereit, mich selbst zu prüfen und mein herz zu bessern, kurz mich ganz der gnädigen Leitung des Himmels hinzugeben.« Ich setze zum letztern mein ne quid nimis, und spreche mit Salomo in seinem herrlichen Prediger (Cap. 10, v. 5.): es ist ein Unglück, das ich sah unter der Sonne, nämlich Unverstand, der unter den Gewaltigen gemein ist.
9 Moritz Arndt ist andrer Meynung, und sagt in seinem ohnlängst gelesenen Entwurf der Erziehung und Unterweisung eines Fürsten, Berlin 1813: Es sey, Gott weiß durch welchen albernen Unverstand, die große Glocke der Zeit geworden, die Unmenschlichkeit auszusprechen, ein Fürst dürfe und könne keinen Freund haben, und leere Egoisten und dumme Klügler, die solches aussprechen, wüßten von der Welt und ihrer Regierung nichts« – so hart und mehr als hart diese Aeußerung klingt, so gesieh' ich, den wohl Keiner einen Egoisten und Klügler schetten wird, doch aufrichtig, daß weder die Beweiße noch die angeführten Beyspiele mich von meinem Glauben abgewandt haben, und bezweiste sogar, daß Moriz Arndt den Granvella oder Kaunitz sicj zum Freunde gewählt, oder sich von ihnen hätte wählen lassen.
Sollten indessen einmal die Fürstenkinder, nach seinem Entwurf NB., in völliger Unwissenheit ihres künstigen Herrschstandes in völliger Abgeschiedenheit vom Hofe erzogen werden, so könnte man hoffen, doch aber auch nur schwach, denn das Gefühl der obersten Gewall scheint die moralische Electricität so zu vermehren, daß zur Behandlung solcher Personen eine Behutsamkeit erfordert wird, die sich meines Erachtens durchaus nicht mit der heilsamen Offenheit der Freundschaft verträgt.
10 Da der Staatsrath Nicolovius den Orden in derselben Rittercreation erhalten hatte, so rückte unser Freund, der Gymnasien-Director Haman in Nr. 13. der hiesigen Hartungschen Zeitung nachstehendes Distichon ein!
N. et S. equestre decus adeptis.
Pectora tanta licet fulgor via ornet equestris,
Hisce tamen fulgor nobilis inde redit.
11 Heute, den Isten May 1816, las ich in Buchholz Journal für Deutschland (2r Bd. 4s Hft. Seite 500.) folgendes: »Was in der Welt Gutes geschieht, kommt in der Regel gegen den Willen derer zum Vorschein, die es herbey geführt haben.« O Gott Lob! Gott Lob!
12 Wie läßt sich aber das erklären, daß man während des Strebens nach Unterrichts- und Erziehungs-Verbesserung zur Ausbreitung des Reichs der Wahrheit, so vieles in der Staatsverwaltung treibt, das den Betrug und die Lüge gang und gebe machen und den Charakter des Volks verderben muß? (im Juny 1812.)
13 Wenn alles ganz so käme,
Wie du gewollt es hast,
Und Gott dir gar nichts nähme
Und gäb dir keine Last,
Wie wär's dann um dein Sterben,
Du Menschenkind, bestellt?
Du möchtest fast verderben,
So lieb wär dir die Welt.
Nun fällt eins nach dem andern,
Manch süßes Band dir ab,
Und heiter kannst du wandern
Gen Himmel durch das Grab.
Dein Zagen ist gebrochen,
Und deine Seele hofft.
Das ward schon oft gesprochen
Doch spricht man's nie zu oft.
De la Motte Fouqué.
14 Johannes von Müller sämmtliche Werke. 8 Thl. Seite 376
15 In der Vorlesung vom 30 Januar 1806, über den Untergang der Freyheit bey den alten Völkern, hatte eben Johann Müller schon gesagt 1. c, S. 128. »Alle Selbstständigkeit, alle Größe den Menschen beruhet auf der Kraft, wie der Gebrauch der Kraft auf dem Willen. Wer genau weiß was er will, und immer und nachdrucksamst es will, dem werden die Mittel nicht fehlen.«
16 Da Fürsten und ihre ersten Staatsbeamten mehmehrentheils durch Tafel- Lust- Spiel- etc. Parthieen abgehalten werden die vielbändigen Memoires de Sully durchzublättern, so würd' ich allen rathen, sich den nur 126 Seiten starken Geist seiner Staatsverwaltung, Altona 1810, anzuschaffen und die 39 kurzen Abschnitte zu beherzigen – Schade, daß der Extraktmacher nicht die Stellen aus den Memoires bezeichnet hat, denn die, die nicht nach dem Sully leben, werden vielleicht bezweifeln, daß er sich so in seinen Denkwürdigkeiten ausgedrückt hat.
17 Daß der Kronprinz von Schweden, wider den ich von Anbeginn ganz im Stillen mistrauisch gewesen, den großen Hoffnungen von ihm keinesweges entsprochen, daß Morean bei Dresden sein Leben verlor, wer wollte darüber trauen? Würden undeutsche Menschen nicht in der Folge die großen Thaten der Deutschen, die Preussens Blücher, Gneisenau, Bülow, York, so herrlich vollbrachten, auf die Rechnung dieser französischen Köpfe geschrieben haben? (den 19. Jul. 1814)
18 Heute den 12. Decbr. hab ich den trefflichen Aufsatz über das Schicksal des Generals Moreau in Ludens Nemesis (I. Bd. IV. St. S. 476) mit großem Vergnügen gelesen, der unter andern auch Moreaus Urtheile über Napoleons letzte Unbesonnenheit enthält.
19 Nemesis 3r Bd. 3s St.
20 Nemesis 2r Bd. 4s St.
21 Rheinscher Merkur Nr. 255.
22 Puffendorf soll gesagt haben: denen, welche das Ruder der öffentlichen Verhältnisse lenken, sind Rathschläge von Privatpersonen ein Gespötte. Ludens Nemesis 2r Bd. 2. St. S. 226 in einem schönen Aufsatz über Geistesverkehr, besonders Preßfreyheit.
23 So eben las ich den 16ten Febr. 1815 in der Königsbergschen Hartungschen Zeitung, es habe Anno 1515 ein Celeberrimus regum congressus in Wien statt gefunden, zu Beylegung aller Uneinigkeiten zwischen den christlichen Regenten, worin gesessen hätten Kaiser Maximilian, die Könige Siegmund von Pohlen, Ludwig von Böhmen, Wladislaus von Ungarn, einige Königinnen und Bothschaften von England, Spanien und Rom etc.
24 Man lese die im Oktoberstücke der Zeiten von 1814 abgedruckte Verordnung, die bürgerliche transitorische Gesetzgebung für S.K.M. sämmtliche deutsche Lande excl. Hildesheim betr. Carlton-Hause, unterzeichnet George R. und Graf Münster, und die ihr beygefügten freymüthigen Betrachtungen über die Lage der Dinge in Hannover.
25 Siehe mit mehrerem de Pradt sur le Congrés de Vienne 1815, 2 Tomes.
26 In Nr. 272 des Rheinschen Mercurs von 1815 fand ich heut (den 11. Aug. 1815) die sehr wahre Stelle: »Die treflichste Verfassung, welche ein Machthaber dem Volke, ohne dessen Zuziehung und Einstimmung giebt, ist ein Werk des Despotismus, eine Verletzung der heiligsten Rechte der Völker, nur nach selbständig ausgesprochnen Bedürfnissen regiert zu werden.« Ihr füg' ich aus der Recension der Bemerkungen über eine Wiederherstellung der landständischen Verfassung des Herzogthums Würtemberg, in Beziehung auf die Verhandlungen der Ständeversamm lung im Königreich Würtemberg, Stuttgard 1815 (in den Nr. 237 bis 240 der Hallisch. Liter. Zeitung) nachstehendes bey: »Um so gewisser wird in unsern Zeiten, für welche das rara est temporum felicitas, ubi et quae sentias, libere dicere, et quae dicas, libere sentire vel per dissentientes liceat, so oft schon als Wunsch oder als Dank zum Motto genommen ist, auch von Seiten der Regierungsmacht den Volksrepräsentationen Anlaß gegeben werden, das Geheimhalten ihrer Ansichten, Gründe und Thaten sich abzugewöhnen, und über Dinge, welche das allgemeine Wohl und den Menschenverstand der Unterthanen betreffen, und über welche nicht der Stand und das Amt allein den Verstand oder eine Infallibilität giebt, sich der von französischer Polizeygewalt nicht mehr gehemmten und hoffentlich auch von der Briefsiegelverletzung nicht mehr gefährdeten Circulation von Gründen und Gegengründen nicht zu entziehen, selbst auf die Gefahr, hier etwa auch auf Advocaten zu stoßen, welche alles für den andern Theil bedeutende verschweigen, und durch die Sache selbst, die sie vertheidigen zu wollen scheinen, durch Andichtung der anstößigsten Maximen und die unhaltbarste Verkettung derselben compromittiren. – Wenn man sein Recht kaufen muß, fällt die Schuld auf den, welcher für das Unrecht bietet. Keine Moral kann dem Recht verbieten, das Unrecht zu überbieten. Das Gebenwollen für Unrecht und die Lust des Nehmens sind die Sünden, die der Geber für sein Recht nicht zu tragen hat. Nur wer für Unrecht giebt, besticht, und hat zwey Seelen auf seiner Seele, die des Verstochnen zum Theil und seine eigne, weil sie das Unrecht durch jedes Mittel will.«
27 Si un homme, dont le maison se seroit ecroulèe, impatient de se mettre à couvert, enconstruisoit aussitot une nouvelle sur les decombres mèmes de l'ancienne, disposé à peupres comme sa chûte les auroit laissés, le voyageur, qui seroit passé au moment du desastre, s'il revenoit quelques jours après, admireroit, en voyant de loin le nonveau étê élevé, mais en s'approchant son admiration se changeroit en pitié, »il faut que l'aveuglement de celui, à qui appartient cette maison, soit grand, diroit il, s'il ne voit pas, qu'elle ècroulera en effet, malgré touts les soins, que le maitre pourroit se donner, pour l'appuyer et la soutenir, et si cet homme repetoit plusieurs fois la même faute, le même resultat se repeteroit aussi. Foulions avec courage et patience dans les decombres, jusqu'a ce que nous en ayons trouvé de suffisament affermis par le tems, et prenons la peine de les disposer de façon à ce qu'ils puissent recevoir le fondement du nouvel èdifice, que nous voulons construire.«
Pieces interessantes etc. p. 67.
28 Der edle, liebe, preussische Oder-Präsident von Vinke sagt auf der ersten Seite seiner wohlgerathnen Darstellung der innern Verwaltung Grosbrittaniens (Berlin 1815) mit großem Recht: »unter den mannigfachinteressanten Ansichten, welche eine nähere Kenntniß von Großbrittanien darbietet, ist unstreitig die merkwürdigste der leise und einfache, doch feste und kräftige Gang der großen Staatsmaschiene und der ganzen innern Verwaltung des Reichs, ohne sichtbare Einwirkung der Regierungsgewalt« und auf der 148sten S. heißt es: »die übeln Seiten der zu wenigen Regierung werden unendlich in England überwogen durch die Unmöglichkeit zu vieler Regierung.«
29 In Pestalozzi's Schrift an die Unschuld, den Ernst und den Edelmuth seines Zeitalters und Vaterlands ( Iferten 1815), in der so viel goldne Worte auch über das Regierungswesen stehen, heißt es S. 264: »Aber alles nur auf den äußern Formen der Staatsverfassungen ruhende Recht der Bürger ist ohne innre sittlich und geistlich gebildete Bürgerkraft, in den Republiken wie in den Königreichen, nur Staub, den die öffentliche Macht in allen ihren Abtheilungen und Behörden der Schlechtigkeit ihrer Bürger, mir nichts, dir nichts, in die Augen werfen kann, wenn und wo sie nur will. – Selber das Bedürfniß einer geschriebnen und mit wörtlicher Genauigkeit beurkundeten Bestimmung unsrer Rechte setzt den Mangel unsrer innern Kräfte schon zum voraus.«
30 Das unlängst beendigte Schauen und Lesen der malerischen Ansichten des Rheins von Mainz bis Düsseldorf, Frankfurt a.M. 1806) hat mir manchen Seufzer gekostet, und meines Erachtens haben die, welche die Ehrenfeldzüge in den Rheingegenden gemacht, Unrecht, wenn sie die Gelegenheit, diese Zaubergegenden gesehen zu haben, nicht unter die Entschädigungen für manche Beschwerden des heiligen Krieges aufnehmen.
31 In der aus Spa unterm 4ten August erfolgten Antwort benachrichtigen mich Se. königl. Hoheit, daß, wenn mein Empfohlner, nach allgemeiner Vermuthung, seine Examine gut bestände und die Offiziere seiner Brigade ibn vorschriftmäßig zum Cameraden wählten, Sie ihn mit Vergnügen dem Könige zur Bestätigung vorschlagen würden.
32 Siehe Grävels Briefe über Preßfreyheit Hall. Lit. Zeitung von 1816 Nr. 135 und besonders: Fabers durch und durch sachkundigen kleinen Aufsatz: Puisse-t-il se trouver, reve politique. Allemagne 1814.
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