Zweite Hälfte.

[256] Anfangs Septembers 1806. schrieb ich eine Art von Epistel an Johannes Müller, in der die Frage: wo will das hin, in Rücksicht auf mein eignes Ich mehrmals vorkommt. Mit weit lebhafterm Interesse frug ich mich aber seit der eingezogenen Nachricht von der Auerstädter Schlacht mit Rücksicht auf den preußischen Staat: wo will das hin? Wenn man mit Vorstellungen von der Wichtigkeit seines Vaterlandes alt und grau geworden und von der Greisheitslast nicht ganz zur Fühllosigkeit herabgedrückt ist, so macht das Sehen in den Abgrund der Erniedrigung einem den Kopf schwindlich, und die Fragen: wo will das hin? wer hätte das denken können? und wie war das möglich? setzen sich auf das patriotische Herz wie der Geyer auf die Leber des Prometheus. In dem, was ich mir zu ihrer Beantwortung denke, sind' ich nur neue Gründe für den Glauben, daß gewiss Jahre zum Führen großer Geschäfte, die auch leibliche Thätigkeit erfordern, nicht tauglich sind; daß Leichtsinn der obersten Behörden zu vielen Erbärmlichkeiten und groben Pflichtvergessenheiten der untern Behörden Anlaß giebt; daß die richtigsten Theorien[257] durch solche Ausführer zu Elendsquellen umgeschaffen werden; daß Unentschlossenheit ein Cardinalgebrechen jedes Regenten ist, weil sie entweder seine Unfähigkeit und Trägheit, ein Paar sehr oft verbundene Fürstenqualitäten, verräth, oder, wenn man ihm Verstand und Gutmüthigkeit nicht absprechen kann, die gegen den Muthwillen der Dienstharpyen ungeschützten Unterthanen um alles Vertrauen zu solchem Regenten und um die Hoffnung, unter ihm einst wieder glücklich werden zu können, bringt.1[258]

Beim Ausbruch des Krieges bot ich jedem eine Wette an, auf die Gewißheit des[259] ersten preußischen Sieges, da ich die Soldaten, selbst unter Friedrich dem Zweyten nicht, so für den Krieg enthousiasmirt gesehen. Nun sah ich dieses Heer geschlagen, verwirrt, und fast konnte man von ihm wie vom verfolgten Christo sagen: Keiner wußte, wo er sein Haupt hinlegen sollte.

Die Zeit und die Art, wie dieser Krieg begann und geführt wurde, erregte in patriotischen Herzen eine Bitterkeit, die, wenn sie allgemein geworden wäre, zu politischen Ausschweifungen hätte führen können. Der Glaube schon, und um so mehr noch die Ueberzeugung, daß alles anders hätte gehen können, sollen und müssen, reizt zum Tadel, der keiner Regierung vortheilhaft ist, giebt Anlaß zu einem Mißtrauen, das selbst gute Absichten verkennen läßt, und zum Murren über gute, obgleich beschwerliche Vorkehrungen. Allgemein für überflüßig anerkannte Verwendung der Einnahme verdoppelt des Gefühl, das beynah jede Abgabe unangenehm macht. Man glaubt guten Saamen auf undankbares Land fallen, oder ihn von unverständigen muthwilligen Füßen zertreten zu sehen. Wen wird es nicht ärgern, wenn er einen das Geld auf seidne Strümpfe verwenden,[260] und keins zu einem Paar Schuh übrig behalten sieht? ihn hernach aber klagen hört, daß er nicht auf die Straße gehen könne?

Doch was hilft es, sich dem Nachdenken über die Zeitströmungen hinzugeben, und an die Fluth des öffentlichen Elendes zu erinnern, so lange nichts geschieht, das eine sichre Bürgschaft für eine tröstende Ebbe einlegt? Als mir eines Tages die Schnur meines Fensterrouleaus entschlüpfte, und es plötzlich finster in der Stube ward, dacht ich an die Regierungsfäden, die den europäischen Fürsten entschlüpft und allein Napoleons Händen überlassen zu seyn scheinen. Wird es noch einmal Tag, und wie viel Tag wird es in den Rathsstuben und Cabinetten werden – transeat cum reliquis erroribus 2.

Mein Freund L'Estocq war zur Anführung der preußischen Armeebrocken aus Neuostpreußen abgerufen, und seine Gattin kam mit ihren beyden Töchtern, von denen die älteste einige Monate nachher starb, nebst[261] einem Theil ihres in der Eil zusammengepackten beweglichen Vermögens in mein Haus, wo wir mit Fügung in die wahrlich böse Zeit einmüthig bey einander lebten. Auch in meine neue Wohnung zog die Generalin mit, bis sie wenige Tage vor dem Einmarsch der Franzosen der Königlichen Familie, mit Zurücklassung ihres größern Gepäckes, nach Memel nachzufolgen sich für genöthiget hielt.

Ein Besuch, den die Prinzessin Solms, eine Schwester der Königin, eines Tages der Generalin machte, und bey dem ich zu erscheinen berufen wurde, schaffte mir die Bekanntschaft der erstern. Damit man mich nun bey meinem hohen Alter nicht etwa einer erheuchelten Entfernung vom schönen Geschlechte zeihe, so will ich etwas bey dieser Prinzessin verweilen.

Nach der ersten Erscheinung bey einer ihrer Theegesellschaften ließ ich mich vom Theedacapo dispensiren, behielt mir auch das Neinsagen bey Mittagseinladungen vor, war aber zum Vorlesen deutscher Schriftsteller, von denen Ihro Königliche Hoheit noch manche unbekannt waren, jederzeit bereit. Da ich weder Oberhofmeister noch Beichtvater[262] der Prinzessin war, so waren unsre Unterhaltungen über Hof-und Stadt-Cedern und Ysop ohne Zwang. Ihr Wohlgefallen an Hebels allemannischen Gedichten veranlaßte mich 19 aus der Sammlung umzudeutschen, und viele versicherten mich, es sey mir ziemlich damit geglückt; als ich aber dem Kirchenrath H. sie gedruckt zuschickte, schrieb mir dieser wackre Mann unterm 2. Aug. 1811: »Sie haben Schwierigkeiten bekämpft, die vielleicht keiner besser als ich durch Erfahrung kenne, ich kam dadurch nie weiter, als zu der Ueberzeugung, daß die Gedichte weniger übersetzt, als neu ins Hochdeutsche hinüber gedichtet werden sollten, denn die gefällige Naivität eines Landmädchens ist nicht mehr das, was sie war, sobald es sich in modischer Kleidung producirt,« und Tiedge, ein gewiß nicht minder competenter Richter, schrieb mir unterm 29. Okt. 1811: »Ihre Arbeit ist mir eine um so liebere Erscheinung, da auch ich schon längst die Uebersetzung einiger dieser allerliebsten Lieder versucht hatte – unter andern fand ich den Morgenstern sehr gelungen. Einige dieser süßen naiven Lieder scheinen[263] mir ganz unübersetzbar. Ein großer, vielleicht der größte Theil ihrer Naivität liegt einzig in der Sprache, und diese geht in der hochdeutschen Mundart verloren. Hebel hat selbst Uebersetzungsversuche gemacht, und sie zurückgelegt; unsere Sprache ist längst zu vornehm geworden, um in den Ton eines naiven Landmädchens einzustimmen etc.«

Verzicht auf alle Prinzeßlichkeit stellte ihren guten Kopf in vortheilhaftes Licht, auch kam jenem eine gewisse nicht uncultivirt gebliebne Naturcoquetterie,3 wofern dieser Ausdruck nicht ein Bowl ist, und der Ton ihrer sehr musicalischen Stimme zu Hülfe.

Solche Naturcoquetterie scheint mir ein vortrefflicher Boden, der zwar ohne sittliche Cultur hohes blumigtes Steppengras wachsen[264] läßt, das frisch oder gedörrt nur Viehfutter abgiebt; geräth er aber unter die Hände treuer moralischer Bearbeiter, was kann er dann nicht für Früchte tragen, Menschen zu nähren, die auch dem Thiere sein gebührendes Antheil lassen, denn der Gerechte erbarmt sich auch seines Viehes. Freylich kommt es, wenn die Saat gedeihen soll, viel auf Clima und Witterung an, die alle beyde an Höfen gedeihlicher aussehen, als sie wirklich sind; allein sollte man nicht auch hier die wahre Kunst zu Hülfe nehmen können, die schon oft das verbessert hat, was nur darum schlimm war, weil man es zu sehr einer üppigen Natur überließ?

Beym Nachdenken über manches aus der Geschichte dieser Prinzessin hab ich die Wahrheit des Vorstehenden bestätigt gefunden, und wie würd' es mich freuen, wenn manches, was ich Ihr vorgelesen, im Vorbeygehen gesagt habe, oder worüber in kleinen Gesprächen nähere Untersuchungen angestellt wurden, ihren guten Geistesboden fähiger gemacht hätte, in der Folge, je früher je besser, nützliche Früchte für ihre eigne Person und auch für andre zu tragen![265]

Bey ihrer am 5. Jun. 1807. erfolgten Abreise nach dem Töplitzer Bade hatte sie mir zum Beweise ihres freundschaftlichen Zutrauens ein Paar Bändchen eigenhändig geschriebener Collektaneen aus Büchern und eignen Herzensergießungen zurückgelassen, die mich in der guten Idee von der Natur ihres Verstandes und Herzens bestärkten, mir aber auch bey der Zurücksendung Gelegenheit gaben, ihr das Sprüchlein anzuführen: da ihr solches wisset, selig seyd ihr, so ihr es thut.

Ihr vermuthlich gutes Zeugniß von mir schaffte mir im April 1807. Gelegenheit, der Königin, die aus Liebe zu dieser Schwester nicht auf das Schloß, sondern in die eben nicht geräumige Wohnung der letztern zog, persönlich bekannt zu werden. Eine höchstfreundliche Aufnahme machte mich bey der zweyten Aufwartung so dreust, Ihrer Majestät zu gestehen, daß ich ohne solche trauliche Begegnung mich wohl kaum zur dritten Erscheinung vor ihr würde entschlossen haben; worauf sie erwiederte: »und ich hätt' es ihnen auch nicht verdacht.« Viele Stunden hab ich mit dieser, gemüthlich noch mehr als leiblich liebenswürdigen Frau recht[266] behaglich zugebracht. Sie machte beym Lesen und den, mehrentheils weit länger daurenden Gesprächen manche sehr treffende Bemerkung, sprach über Hof-, Zeit- und Lebensumstände so richtig, daß ich ihr manchmal sehr rücksichtslos mein Verwundern über manches Zeitbenehmen nicht verbergen konnte, zu dessen Aufschluß sie mir die vieljährige Gewohnheit, den dadurch vom angebornen verschieden gewordnen Charakter, auch wohl die Pflicht einer Ehefrau, sich ganz dem Geschmack ihres Mannes zu fügen und selbst die Dinge, die ihr viel und wahres Vergnügen machten, dem aufzuopfern, was sie ihm zur Beruhigung oder Zeitkürzung nützlich oder nöthig hält, angab. Von letzterer schien sie so unüberwindlich überzeugt, wie ich es davon bin, daß ein Regent, der es mit dem wahren Regieren ernstlich meint, es nie nöthig haben darf, soll und wird, die Zeitvertreibe seiner Gemahlin zu unterbrechen oder letztere mit zu den seinigen zu machen. Sie hindern sich meines Erachtens dadurch beyde an den wahren Standes- und Geschlechtsgenüssen. – Augen von einem freyern, reinern Blick, eine frohere, fast die Kindlichkeit erreichende[267] Unbefangenheit hab ich in keinem weiblichen Gesicht gesehen und wahrgenommen. Mit wahrem Vergnügen erinnre ich mich noch der Gespräche mit ihr, in denen ich ihr nie etwas Unwahres über Sachen oder Personen gesagt, sie mochten betreffen das Hof- oder das ewige Leben, die fürstliche, von der bürgerlichen sehr verschiedne Erziehung, die schwere Wahl eines Oberhofmeisters, die Wirthschaftlichkeit bey Wohlthaten als Mutter ächter Freygebigkeit, den Schaden vorschneller Gutmüthigkeitsäußerungen, die Nothwendigkeit des Hofetiquets, die höfische Zeitverschwendung etc. von politischen Gegenständen brach sie jedesmal gleich ab. Sie verstand einem alles, und alles Wahre, Gute und Schöne machte viel Eindruck auf sie.

Den 2. Juny 1807. folgte die Königin ihrem schon vorausgegangenen Gemahl nach Memel, und den 15. trank General L'Estocq die Abschiedstasse Caffee bey mir, nachdem die zu vermeiden mögliche Schlacht bey Friedland vom General Bennigsen, dem viel Sonderbares und Eignes im Gesicht geschrieben steht, verloren, und dadurch Königsbergs[268] Schicksal so entschieden war, daß der daselbst kommandirende General Rüchel, der manche Vertheidigungsanstalten mit vielen Kosten vergeblich getroffen, gar nicht nöthig gehabt hätte, ein Paar Tage vor dem Einrücken der Franzosen, eine große Anzahl Häuser und Windmühlen sans rime et sans raison abbrennen zu lassen. L'Estocq zog sich mit seinem kleinen Truppencorps nach dem letzten Flick des einst weiten preußischen Kriegsmantels; am 16. sah ich um 6 Uhr Morgens die Franzosen in großen Haufen mit schöner Kriegsmusik meine Wohnung vorbey ziehen, und alles trat nunmehr unter die physische Gewalt eines Volks, dessen Kraft, Geist und Gewandheit man bewundern muß, wenn gleich der sehr häufig übermüthige Misbrauch jener Eigenschaften den, der ihn sieht, und den, den er trifft, empört und zu Grunde richtet.

Da ich an Königsbergs Eroberung durch die Franzosen noch zweifelte, als ich am 14. von unsern Stadtwällen canoniren sah, so hatt' ich auch keine künstliche Sicherungsmittel gegen einen feindlichen Besuch angewandt, alles stand auf seiner bisherigen[269] Stelle, und der Staub auf Napoleons Büste konnte zeugen, daß ich ihn nicht erst in den letzten Tagen zum Schutzheiligen hingesetzt hatte. Die deponirten Ballen meines Freundes L'Estocq waren an den Wänden meines Saales, in dem ein Billiard stand, aufgestapelt, weil kein anderer Raum für sie war. Ich wartete ruhig ab, was kommen würde, und dachte, im schlimmsten Falle kann es doch bey deinem Alter nicht lange währen; außerdem hab ich durch Kummer- und Sorgenpränumeration nie meine Freudeneinnahme geschwächt. Viele, die ich vom Glauben an göttliche Vorsehung strotzen gesehen, sah ich in dieser Zeit am meisten für Gut und Blut zittern, weil ihr Zutrauen nur auf den Lippen geschwebt hatte. Der Ton wahrer Ergebung in den Willen Gottes klingt im Herzen ganz anders, als der Nachklang der Straßenleyer äußerer Frömmigkeit. Oft ist es rathsam, seine Imagination höchstmöglich steigen zu lassen, um eine Höhe zu erreichen, die eine große Uebersicht gestattet, denn auf der höchsten muß doch alles gut erscheinen, weil im Ganzen alles gut ist.

Mein Hauswirth, der Banquedirektor Crüger hatte den Artilleriegeneral Songis[270] zum Einquartirten, dessen Adjutant und Büreausekretair zwey Zimmer und ihren Morgencaffee bey mir erhielten; fünf Artilleristen und zwey Officiere, die mehrmale gewechselt wurden, lebten außerdem ganz auf meine Kosten, erstre auf dem Hausboden, letztre im Saal. Meine Frau, die sehr gut französisch sprach, stand bey ihnen allen immer in großem Ansehen und wurde in ihren eignen Streitigkeiten oft als Friedesrichterin angenommen. Die bey mir einquartirten Officiere waren zwar lauter Menschen ohne literarische Bildung, bequemten sich aber alle zu meiner gewöhnlichen Tisch- und Hausordnung. Der Adjutant des Generals besuchte mich beynah täglich auf ein Paar Stunden, war ein Erzfranzose, hatte Egypten gesehen und verschiednes gelesen, und nahm auch Bücher von mir, so daß die Unterhaltung mit ihm gar nicht lästig wurde. Einmal besuchte ich in seiner Gesellschaft das französische Lager, und fand seine Nettigkeit sehr abstechend gegen das Aussehen andrer von mir gesehenen Läger. Was hatten aber die Soldaten für Unfug in der Gegend angerichtet um diese Sauberkeit und Verzierung zu schaffen?[271] Hier sah ich auch den Revue haltenden Kaiser, aber nicht ganz in der Nähe, umgeben von seinen stets mit tiefster Ehrfurcht sich ihm nahenden Feldobersten. Seine körperliche Stellung und Haltung hatte etwas ähnliches mit der des Königs Friedrich II. Er ließ das Soultsche Corps bey sich vorbey marschiren, und aus seinem öftern Gähnen schloß ich, daß ihm selbst die Zeit dabey lang wurde. Wenn die Zuschauer sich zu weit vordrängten, wurden sie von reitenden Husaren mit einem en arriére ganz bescheiden zurück gewiesen. Alle Abtheilungen riefen auf einen Säbelwink des Anführers ihr vive l'empereur, nur zwey unterließen es, und der Kaiser that so, als ob er es gar nicht bemerkte. Bey der Rückkehr aus dem Lager ritt Napoleon einige Schritte vor der ihm folgenden sehr großen Officiermenge im gestreckten Galop bis an die Stadt.

Sollte man mir die Frage vorlegen, ob man recht daran thue, die Franzosen und besonders ihren Kaiser zu hassen und zu verfluchen, so würd' ich unbefangen antworten, es sey nach gehöriger Absonderung aller abscheulichen, nicht zum Wesen der Sache[272] gehörenden Ereignisse und reiflicher Erwägung der Vorfälle nicht abzuleugnen, Napoleons Hauptgedanke sey größer, als ihn Heinrich IV. und der gute S. Pierre ausgesprochen haben. Er schien ganz Europa so constituiren zu wollen, wie jede Regierung, will sie Friede und Freude in ihren Grenzen stiften und erhalten, sich längst hätte einrichten sollen – hat aber je eine es versucht? und konnte er dadurch nicht zu dieses Plans Ausführung aufgereizt werden?4 Wenn ich von manchen übrigens[273] guten und vernünftigen Menschen einen oft bis ins Unartige gehenden Haß gegen den Franzosen Kaiser äußern gehört, so hab' ich mir davon keinen leidlichen Grund angeben[274] können, als den uns fast zur Natur gewordnen Glauben an Friedrich II. unübertreffliche Weisheit und Glück, und den daraus entstandenen Stolz, der es uns unausstehlich macht, einen andern das ausrichten[275] zu sehen, wozu wir die preußische Monarchie allein nur berechtigt, und auch fähig dazu dachten. In dem unleugbaren, aber durch Schlafheit und Ungeschicklichkeit über uns gekommnen Unglück liegt freylich eine häßliche Demüthigung, wird man aber sich aus ihr durch Haß und Verleumdung des Demüthigers ziehen, oder sich an ihm rächen? Kömmt nun dazu noch die Empfindung persönlich erlittener Verluste, so müssen einen die schiefen, oft unanständigen Urtheile über Napoleon nicht befremden; sonderbar bleibt es indessen doch, daß die wunderbaren Wirkungen einer rasch angewandten Intelligenz bisher keinen dahin gebracht haben, mehr auf Intelligenz zu achten und ihr zufolge klug und gerecht, das heißt ächt consequent zu handeln. Die Hauptursache der von Napoleon ausgeübten Erniedrigungen liegt wohl in der Zwecklosigkeit der meisten Maaßregeln und in dem unselbstständigen Wankelmuth der einmal ergriffnen, wenn auch kleinlichen Maaßregeln. Würde aber die Vorsehung diese Obergewaltausübung, die Bonaparte, laut angeführter Proclamation, schon so früh ahnte, und die ihn das est Deus in nobis,[276] so laut aussprechen ließ, ihm gestattet haben, wenn die Welt im Großen nicht dabey gewönne, oder noch künftig gewinnen sollte? Wer weiß, wie lange man in Preußen auf das Edikt vom 9. Okt. 1807. noch hätte warten müssen! Die häßlichsten Nachtheile des Tilsitschen Friedens liegen theils in der Uebereilung derer, die die erste Hand dazu boten, theils in der Unfähigkeit der Unterhändler und derer, die ihn durch Conventionen balhornisirten.5 Unser König mag wohl mit Pilatus gedacht oder gesagt haben: »ich wasche meine Hände in Unschuld;« allein hat der römische Landpfleger durch solches Händewaschen seinen Nahmen von den Blutflecken der Creuzigung Christi gereiniget?[277]

Ich wünschte beschreiben zu können, wie mir zu Muth war, als ich am 25. July das Getümmel des französischen Abmarsches aus unsrer Stadt und meiner Wohnung ansah. Das Geräusch, das die bald singenden, bald disputirenden, immer in Bewegung lebenden Franzosen fünf Wochen durch über, neben und unter mir gemacht hatten, verwandelte sich in eine Stille, die sich wie eine Balsamwolke auf mich herabließ, es forderte Zeit, um sie genießen zu können, ich lief sofort in den am Schloßteiche gelegenen Garten, den ich so lange gar nicht betreten hatte, fühlte mich von ganz andrer Luft umflossen, und einen Frieden in meinem Gemüthe, der nichts vom Tilsitschen an sich hatte. Mit Freude trat ich auf meine vorige Lebensbahn und fand Befriedigung für mein Herz und meinen Geist, wenn ich wieder manches Stündchen beym Professor Kraus zubrachte, der mir aber leider schon den 25. August durch den Tod entrissen[278] wurde, und mir durch keinen, so wenig wie Hippel und Fischer ersetzt werden kann und wird. Kraus war ein vortrefflicher Mensch, mit sich selbst ganz im Reinen, und daher auch so klar in allem, was er sagte. In der neusten Zeit wäre vieles anders gegangen, wenn er sie erlebt hätte; durch seine anspruchlose Weisheit wäre gewiß mancher vorschnellen Unweisheit vorgebeugt worden. Als ich ihn etwa 18 Stunden vor seinem Tode besuchte, glaubte ich nicht an sein Sterben, aber er schien bereits gewiß davon zu seyn. Aus seiner Biographie, die unser gemeinschaftlicher Freund der Staatsrath Nicolovius zu schreiben übernommen, wird man sehen, was der Staat und seine Freunde an ihm verloren haben.

Der Hof hielt sich noch immer in Memel auf, und aus Ueberzeugung, daß die Staatsverwaltung eine ganz neue Einrichtung erhalten müßte, hatte man zur Ausräumung des Augiasstalles endlich keinen kräftiger gefunden, als den schon einmal, auf eine wirklich beleidigende Art, des Dienstes entlaßnen Minister Freyherrn von Stein, den man daher zurück rief. Da ich seine Verabschiedungsakte gelesen hatte,[279] so glaubte ich nicht, daß er zurückkommen würde, und als ich ihn lange nachher einmal fragte, wie er eine solche wirkliche Beleidigung habe verzeihen können, versicherte er mich, seine Liebe zum Dienst und die Ueberzeugung, daß er manches Gute würde stiften können, habe ihm keinen Augenblick die Wiederannahme bedenklich gemacht, er sey daher mit der größten Freywilligkeit, und mit den besten Hoffnungen zurückgekommen, deren Erfüllung er aber schon an diesem Gesprächabend im Garten stark bezweifelte.

Da ich mit diesem kräftigen Mann einige Monate nachbarlich umgegangen bin, so würd' es unrecht seyn, wenn ich nicht auch über ihn etwas sagte. In vielen Stücken war er ganz anders wie der Minister Hardenberg, den er in wissenschaftlicher Bildung, vielleicht aber nicht in der Schreibkunst übertraf; mit dem Minister Struensee hatte er manches gemein. Sein Ueberblick und Erfassen des Ganzen waren ausgezeichnet, allein die Lebhaftigkeit seines Geistes und eine gewisse leidenschaftliche Hitze hielten ihn oft von der, bey der Ausführung bisweilen sehr nöthigen Scrupulosität ab, so wie von der[280] Benutzung sehr vieler, auf großen Reisen und beynah in allen Dienstarten selbst gemachten Erfahrungen. Er pflegte sich daher oft über das schlechte Be- und Ergreifen seiner menschenfreundlichen Ideen zu ärgern, welches aber seltner hätte geschehen dürfen, wenn seine Gemüthlichkeit ihn nicht abgehalten hätte, manche höchst mittelmäßige Menschen von sich zu entfernen. Solche Toleranz hat mehrentheils üble Folgen, und Fox hat daher sehr Recht, wenn er die Regierung Karl II. den Zeitraum guter Gesetze und schlechter Verwaltung nennt, mit dem Beyfügen, es sey ein grundloser Wahn, daß Gesetze alles ausrichten könnten, und schwach und verderblich die darauf gegründete Maxime, daß es nur auf die Formen, nicht auf die Menschen ankäme (Geschichte Jakob II. Gött. Anz. 1809. S. 1994.) Er war ein staatswirthschaftlicher Scanderbeg, von dessen Säbel nie seine Faust hätte getrennt werden müssen. Sein ununterbrochnes Studium der Alten machte ihn zum Feinde aller breiten, viel räsonnirenden, mündlichen oder schriftlichen Vorträge. Er sprach außerordentlich schnell, liebte kurze dreuste Erwiederungen und war in eignen[281] Aufsätzen sehr kräftig und lakonisch, ohne Sorge für die Ausdrucksschönheit. Zum eigentlichen Hofleben paßte er schlecht, ob ich ihn gleich es zwanglos ertragen gesehen habe. Daß ihn der König, der Zurückberufung ungeachtet, geliebt habe, glaub ich nicht, weil man dem, dem man einmal weh gethan hat, nicht zutraut, er habe es uns verziehen. Seine Entfernung vom preußischen Dienst, die er sich durch den leider genug bekannt gewordenen und sicher in einer Ermüdungs-Abwesenheit geschriebnen Brief zuzog, bleibt ein wahrer Verlust für den preußischen Staat, dem es zwar eben nicht an Köpfen fehlt, aber wohl an Einem, der sie unter Einen Huth zu bringen, Verstand, Kraft und Muth hat. Die Ehre vom Kaiser Napoleon für einen nicht unbedeutenden Feind gehalten zu seyn, hat der wackre Mann theuer bezahlen müssen.6[282]

Wohl gehe es endlich überall diesem deutschen Baron, der den Adel sehr liebte und schätzte, aber nicht minder richtig über ihn dachte und sprach; lebenslang wird mich jede[283] gute Nachricht von ihm erfreuen. Mehrmals versicherte er mich auf meine freymüthigen Aeußerungen über den wunderlichen Gang der Dinge: »der König selbst ist mehrentheils[284] klüger, wie wir alle, nur er hat nicht Willen genug, es selbst zu seyn, und läßt uns in der Meinungsverschiedenheit sitzen« – wer wird sich nicht ärgern[285] und betrüben, wenn er dieses hört, ob es ihm gleich das viele Zwecklose und Zweckwidrige, was geschehen ist und noch geschieht, hinlänglich erklärt.[286]

Im Januar 1808. kam der Hof endlich aus Memel zurück, wohnte den Winter über auf dem Schloß und zog im May auf das Hufenguth des Regierungsrath Busolt, das einst Hippel besessen und wo er einen englischen Garten angelegt hatte. Der Name dieses Mannes, mit dem ich viele Jahre in genauer Bekanntschaft gelebt, und den ich sehr oft falsch beurtheilen gehört habe, veranlaßt mich zu einem kleinen Excursus über die Lob- und Tadelaustheilungen. Meiner Bemerkung zufolge liegt ihr Grund gewöhnlich in unrichtig angesehenen Nebenumständen, die den Lober und Tadler zu Verurtheilen verleiten, die wie bekannt Passatwinde sind, welche dem in ihren Strich gerathnen nicht erlauben, da zu landen, wo er landen wollte, sondern da, wohin sie blasen.

Hätte man Herrn Busolt nicht oft beneidet, daß er als armer Schulmann Gelegenheit gehabt, reich zu heyrathen, hätten manche es ihm nicht nachgetragen, daß er nicht diesem oder jenem seine reiche Schwägerin zugemäkelt, oder es ihm übelgenommen, und ihn weniger geachtet, weil er weder durch Schüssel- und Flaschenreiche Mahlzeiten,[287] Lustbarkeitsbesuche und Geldverleihungen an Menschen, die Nehmen seliger finden wie Zurückgeben, sein Vermögen zu verkleinern gesinnt war, weil er nicht Feder und Zunge so geschickt zu brauchen und zu wenden verstand, wie andre, die sich auf mancherley Wegen zur Meisterschaft in dieser freylich ganz hübschen Kunst verholfen haben; hätte man beym Urtheil über ihn nicht jenen Ansichten das Uebergewicht eingeräumt; so würde man eingesehen haben, daß manches nicht ganz weltgerechte in seinem Betragen eine beynah nothwendige Folge der Art sey, wie er seine Jugendjahre hat zubringen müssen: es würde ihm sein beym Guteswirken oft zu stoßender Eifer verziehen seyn, um der Rücksichtlosigkeit willen, mit der er Gutes fördert, und manchem zur Kunst – und Gewerbserndte hilft, die ihm nicht zu Theil geworden wäre, ohne das goldne Kalb, das er ihm vor den Produktionspflug spannte. Man würde ihm vieles übersehen haben wegen der Gemüthlichkeit, mit der er den Undank der Wohlthatempfänger ertrug, ohne sich dadurch von fortgesetzer Dienstfertigkeit abschrecken zu lassen. Verdiente auch nicht in[288] leichtsinnigen Zeiten das Bestreben, sein Vermögen haushälterisch zu erhalten, Lob, wenn gleich Lord Lauderdale auf solches Sparen keinen großen Werth setzt? – ohne jene animosen Verkennungen würde ihm gewiß zum Lobe angerechnet seyn das Viele, was er erduldet und sich baar hat kosten lassen, um die pestalozzische Lehr- und Erziehungsmethode, von welcher Geist er wahrlich mehr verstand, als viele, die für und wider selbige geschrieben und über selbige geschwatzt haben – schneller in Gang zu bringen, und ihr unter den jungen Studirenden Freunde zu schaffen.

Jetzt auch ein Wörtchen über die wohlwollende Art, mit der man mich behandelt. – Waren es nicht ebenfalls Meinungen und Nebenumstände, die mich in den Ruf kommen ließen, ein ziemlich kluger, und selbst in Wissenschaften nicht unerfahrner Mensch zu seyn, bey dem es sich Raths zu erholen lohnte, und mit dem sich auch ein Gelehrter über sein Fach unterhalten könne, ob ich mir gleich weder einer vorzüglichen Klugheit bewußt bin, noch irgend eine Wissenschaft förmlich ausstudirt habe, und in manchen ganz unwissend bin. Beruhte also mein[289] guter Credit nicht auch auf den guten Meinungen meiner Freunde und Bekanntschaften von der Unbefangenheit meiner Urtheile und einer, vom Umgangen mir angeschliffnen Bescheidenheit und Heiterkeit, mit der ich sie aussprach, vielleicht auch von einer mir angebornen Diskretion, deren Grenzen doch kein Fremder sicher wissen konnte?

Bey Entscheidung der Präjudicialfrage über Lob und Tadel verdient auch wohl der Umstand nicht übersehen zu werden, daß alle Dinge, also auch die Wissenschaften, zwey Seiten haben, eine blos natürliche und eine künstliche, und daß der, welcher Takt und Ueberlegung genug hat, im Gespräch blos bey der ersten stehen zu bleiben, ohne sich in förmliche, das Unwissenheitsspiel leicht verrathende Discussionen einzulassen, leicht die Vermuthung erweckt, auch die Kunstseite zu kennen. Sind aber erst ein Paar Rathschläge von gutem Erfolg gewesen, oder hat es geglückt, in wissenschaftlichen Unterhaltungen hin und wieder mit dem Naturhammer dem Kunstnagel auf den Kopf zu treffen, so fangen die Menschen bald an, einen für klug und gar für gelehrt zu halten; schlimm ist es indessen, daß das Vorherrschen[290] solcher, aus vorgefaßten Meinungen und Nebenumständen herrührender Urtheile, theils die Menschenkenntniß sehr erschwert, theils dem, der sie benutzt, Gelegenheit giebt, andre zu falschen Urtheilen zu verleiten.

Während dieses Aufenthalts im Busoltschen Garten ließ mich, der zu den hohen Herrschaften nicht anders als auf Specialbefehl ging, die Königin rufen, und ich hatte mit ihr manche Unterredung über die historischen Vorlesungen des jetzigen Staatsraths Süvern, von denen ich ihr eine Abschrift hatte besorgen müssen, über die gehörig einzurichtende Erziehung eines Kronprinzen, in der selbst Friedrich II. fehlgegriffen hatte, und die um so mehr Sorgfalt verdiente, als der Kronprinz gewiß viele Fähigkeiten und eigne Fertigkeiten besitzt, von welchen letztern ich ein Paar anführen will: seine Gabe, nach angehörten Erzählungen oder selbst gelesenen Stellen, sehr charakteristische richtige Zeichnungen zu entwerfen, ich erinnre mich des Gemäldes vom Varus nach der verlornen Schlacht – von Carl dem Großen, der seinen Hofleuten den Müller vorstellt und über ihre Erbärmlichkeit[291] spricht – vieler Situationen aus Ossians Gedichten; – ferner seine Neigung und sein Glück Wasserquellen zu suchen und zu finden – sucht er einst so emsig nach den Lebensquellen des Staats und findet er sie so oft und glücklich – was kann er dem Lande werden!!

In dieser Zeit lernte ich eine Freundin der Königin, die Kammerherrin von Berg kennen, eine wahrlich sehr interessante, höchst lebhafte und für Künste und Wissenschaften sehr löblich eingenommene Frau, die man aber einer gewissen Gelehrsamkeitsaffektation beschuldigte. Im häufigen Umgange mit ihr genoß ich manche frohe Stunde, und sprach mit ihr auch über Dinge, die ihrer königlichen Freundin hätten heilsam seyn können, wären sie ihr so unbefangen wiedergesagt, als sie von mir ausgesprochen worden – da aber Frau von Berg viel unter Fürsten gelebt hat, so bezweifelte ich ihr rückhaltloses Wiedererzählen.7 Ihre Raschheit[292] unterschied sie gar sehr von der Frau von Krüdener, die ihr Roman Valerie sehr bekannt gemacht hat, und die sich zur Zeit ihres hiesigen Aufenthalts mit einem Werke les gens du monde beschäfftigte, aus dem sie verschiedenes hohen, davon sehr erbauten Herrschaften vorgelesen, das ich zwar sehr von diesen Zuhörerinnen rühmen gehört, wovon ich selbst aber nichts gesehen habe. Frau v.K., die als Gattin eines russischen Gesandten beynah alle Höfe, die Königin Antoinette und die Kaiserin Josephine gesehen und näher gekannt hatte, war ein ganz eignes weibliches Wesen, fast immer auf Reisen, fein gebildet, und gehörte zu den mit viel Einbildungskraft begabten Menschen, die ihren sonst richtigen und cultivirten Verstand so lang spannen, bis sie sich selbst und andern ein Räthsel werden, und sich in ihre Visionen so fest[293] einstudiren, daß sie sie selbst glauben und zuletzt das Vermögen sich zu enttäuschen ganz verlieren. In einem langen Gespräch über die Ergebung in den Willen Gottes, in der sie zu excelliren suchte, kamen wir indessen ziemlich überein; ob sich gleich aus manchem, was ich von ihr hörte, schließen ließ, daß sie herrnhuterisirte, und glaubwürdige Leute, die nahen Umgang mit ihr gehabt, haben mich versichert, sie kenne Christum von Person und richte sich in ihren Handlungen stets nach besondern Winken des Himmels.8

Ich muß hier eine Stelle aus der Recension von den Oeuvres posthumes de Nivernois, par Fr. de Neuschateau aus den Göttingischen Anzeigen von 1809. No. 6. S. 60. anführen. »Beym häufigen Genusse, vorzüglich der feinern Geselligkeit erstarrt hohe Kraft. Er tödtet edle große Gedanken, sowohl in politischer als literarischer Hinsicht, im Keim. Feine, artige Sächelchen und Schwänke mögen aus den besten von solchen Cotterien hervorgehen, aber nicht die ersten Meisterwerke, welche aus der Innigkeit des Gemüths, aus dem[294] Zurückziehen der Seele in sich selbst entspringen, und nicht allein die Erzeugung solcher Werke verhindert jener Geselligkeitsgenuß, sondern er stumpft auch den Sinn der Empfindlichkeit für sie ab, wird mithin Hauptquelle der Verderbtheit des Geschmacks.«

Das Hofleben möcht' ich dem Teller an der Luftpumpe vergleichen, den man mit trefflicher Erde belegt, in selbige schöne Saat streut, dann aber die Glocke darauf setzt und die Luft wegzieht. Was kann da die schöne Erde helfen, was aus der trefflichen Saat werden? Vielfältig läßt sich aus den Zeitvertreiben besser und sichrer auf die Sinnesart der Menschen schließen, als aus ihren ernsthaften Beschäftigungen, zu denen sie oft die Noth zwingt, statt daß die erstern frey gewählt werden. Freylich drücken manche Zeitvertreibe die Hofleute aller Art mit Schaarwerkslästigkeit, aber sind nicht auch die ohne allen Zwang getriebenen mehrentheils äußerst frivol, nur Zeit und Geld kostend, nur im Genußaugenblick quasi erfreuend, auf schnellen Wechsel angelegt, um durch Verschiedenheit und rauschendes Aufeinanderfolgen[295] die Besonnenheit und Bereuung des Vergangnen zu vermeiden? Entsteht nicht aus dieser Zerstreuungssucht die fast gänzliche Vergessenheit aller ernsthaften Haus- und Lebenspflichten? Die mehresten Hofleute liegen an der fixen Idee krank, daß alles, was die außerhöfische Welt besitzt, denkt, erwirbt, nur da ist, um vom Hofe requirirt und zur Befriedigung seiner üppigen, sich einander jagenden Einfälle verwandt zu werden?

Wer Hofdienerey, hohe und niedre, nicht aus Noth übernimmt, mit dem steht es entweder im Kopf oder im Herzen, oft in beyden, nicht ganz recht. Die Prinzessin Solms lachte einst gar sehr, als ich ihr sehr ernsthaft versicherte, ich möchte um keinen Preis Kammerherr oder Hofdame seyn. Der Unbefangne muß sich ärgern oder lachen beym Anblick der Wichtigkeit, welche die Hofdienerschaft auf ihre unbeträchtlichen Geschäfte legt, und was für kleine Künste sie anwendet, um die Person der königlichen Herrschaft immer zum Schilde vor sich zu stellen, um dadurch schußfrey zu werden, ich hab' es daher dem Könige nie verdacht, wenn ich ihn mit den Hofdamen mehrentheils ganz unbedeutenden Spaß treiben gesehen.

Wird dieser Geist des Hoflebens nicht[296] dadurch zu ändern gesucht, daß man zu Kammerherren und Hofdamen nur solche Personen bestellt, die Anlage und Lust haben, die ihnen überflüßig zugetheilte Muße zu beßrer Verstandesausbildung zu verwenden, so sind keine bessern Fürsten und Regierungen zu erwarten, denn die auf Erweiterung der Nichtsthuerey und der Frivolität ausgehenden Hofleute sind zu emsig darauf bedacht, die Fürsten zu gleichen Geistesfindern zu machen. Es wäre doch gewiß möglich, auch bey Hofe die Häuslichkeit einzuführen, die von der bürgerlichen so verschieden seyn kann und muß, wie das Wissen eines gewöhnlichen Landbaumeisters von der Kunst und Wissenschaft eines Pallastarchitekten, und ihn dadurch aus dem Rufe zu bringen, indem er schon zu Carls des Großen Zeiten stand, wo der bekannte Eginhard an einen seiner Freunde schrieb: de statu rerum palatinarum nihil mihi scribere peto, quia nihil ex his, quae aguntur, audire delectat. Wenn ich nicht bereits wenig Erfolg von den neuen angelegten Jünglingsprüfungen gesehen hätte, so würd' ich die Fundation einer Examinations-Commission[297] für junge Damen und Herren vor dem Antritt der Cammerherrn-und Hofdamenschaft vorschlagen. Daß es auch in dieser Classe Ausnahmen giebt, haben mir die Gräfin Moltke, eine Tochter der Anfangs meiner Geschichte erwähnten Prinzessin von Hollstein, und die älteste Tochter meines Freundes L'Estocq erwiesen, die beyde ihrer Hofdamenschaft ungeachtet Künste und Wissenschaften liebten und trieben, und vielleicht ohne einige aus der Hofdamenschaft herrührende Eigenheiten mehr auf andre gewirkt haben würden. – Was ich über diese Damen gesagt, könnt ich z.B. vom Schloßhauptmann von Buch und Herrn von Schilden wiederholen, die mir auch mehr wahren Werth in sich zu haben schienen schienen, als viele von ihnen hielten.

Da die beyden Majestäten und die übrigen Prinzessinnen oft in den bey meiner Wohnung gelegenen Garten kamen, wo auch einmal der Geburtstag des Königs von den damals in Königsberg sich befindenden Ministern gefeyert wurde, und ich vor eins meiner illuminirten Fenster geschrieben hatte:


[298] Treu, Wahrheit, rechtes Recht, Verstand, Kunst, Ernst, und Fleiß


Wer diese gute Sieben weiß

Gefühlvoll und mit frohem Muth

zu bringen unter Einen Huth,

der hat erreicht das höchste Gut.

Ist durch und durch ein braver Mann,

Tritt nach durchlaufner Erdenbahn

Zu neuer Thätigkeit ein neues Leben an.

Wer diesen Gnomon hält für wahr,

der wünsch dem Könige zu seinem neuen Jahr,

daß jeder also denkt und handle immerdar:


so blieb ich immer in einer Art von Verbindung mit alle den hohen Herrschaften, die ich näher gesehen zu haben so wenig bereue, wie meine persönlichen Bekanntschaften mit den Herren Altenstein, Dohna, Beyme, Sack, W. Humboldt, Gneisenau, Grollmann, Scharnhorst, Klewitz, Merkel (Oberpräs. in Breslau), Vink, Niebuhr, Schleyermacher, Hufeland, Rhediger, Stägmann, Schön, Schöler. Mit den beyden letztern kam es zum freundschaftlichen Umgange, und ich erlaube mir daher von ihnen mehr als die bloßen Namen anzuführen. Der geheime Staatsrath und Präsident der lithauschen Regierung von Schön9 ist[299] ein, in jeder zu seinem Fach erforderlichen Wissenschaft vollkommen unterrichteter und in ihrer Scienz lebender und webender Mann, von eigner Kraft und Gewandheit.

Scienz, Charakter und Temperament setzen bisweilen Dienstideale zusammen, die sich weder mit dem alten Ordo rerum vertragen, noch der neue erreichen wird, wenn ihm nicht eine vervollkommnete Volkserziehung treulich zu Hülfe kommt, und bey seiner Einführung nicht sehr umsichtig, oft sogar nachsichtig verfahren wird. Wer den Felsen der Staatsverwaltung mit einem ungeschmeidigen Stabe berührt, läßt oft Bitterwasser aus ihm springen, auch wenn er gewiß süßes zu schaffen wünscht, und mengt er in seine oft nothwendigen Widerstrebungen Causticität, so legt man sie ihm für Unwillen gegen jeden über ihm stehenden aus, und mancher, dem er vorgesetzt ist, wird zu nachtheiligem Schmeicheln verleitet oder genöthigt. Ich würde diese aus manchen Gesprächen abgezogne Bemerkungen nicht niedergeschrieben haben, wenn ich nicht gerne ausgezeichnete Dienstköpfe warnen möchte, sich nicht durch spröde Laune ohne Noth furchtbar, wenigstens unbeliebt zu machen,[300] und sich endlich selbst aus dem Dienst zum Schaden des Dienstes zu bringen, wenn mich nicht der aufrichtigste Wunsch, kluge Männer auch überall geliebt werden zu sehen, wenn mich nicht die Ueberzeugung, daß man weder in Täuschungen dem Erzvater Jacob gleichen, noch so wie der gewiß nicht schlechte Esau seine Hand wider alle seyn lassen, und aller Hände wider sich erregen dürfe – wenn mich nicht diese Warnlust, dieser Wunsch und diese Ueberzeugung dazu aufgereizt hätten. Aergern sollten sie wahrlich keinen, gut wäre es aber, wenn sie beherziget würden, weil sie wahr und gutgemeint sind.

Der Artilleriemajor von Schöler10 ein Freund des Herrn von Schön, war in Laune sehr von ihm verschieden und von eigenthümlicher Gleichmüthigkeit. Mir ist nicht leicht ein in der schönen Literatur mehr gebildeter Soldat11, mit so großer Lust[301] zum beständigen Fortschreiten vorgekommen. Seine lyrische Phantasie zur Feyer des Edicts vom 9. Oct. 1807. durch welches unter andern Culturbedürfnissen auch die Erbunterthänigkeit aufgehoben wurde, so wie seine Nänie und Apotheose am Grabe der verewigten Königin Luise von Preußen, Berlin, 1811. und die Proben, die ich von seinem angefangenen Gedicht über die Kriegskunst gelesen habe, zeigen von seinem poetischen Talent, und Beweise seiner fast kindlichen Gemüthlichkeit liefert die nähere Bekanntschaft mit ihm reichlich. Gerathen seine vielen Kinder wie er, so verdient seine Vaterschaft gewiß auch durch die großen Landesorden belohnt zu werden.

Auch Herrn von Brinkmann, den korrekten Hexametristen, liebenswürdigen, gewiß nicht wortarmen Gesellschafter und exemplarischen Anhänger an seinen damaligen König, jetzigen Exkönig Gustav IV. dessen Gesandter er am preußischen Hofe war, hab ich damals persönlich kennen gelernt, so wie den Herrn Achim von Arnim, bekannt durch Dichtungen, deren Art und Kunst ich weder aus unsern Unterhaltungen, die viel[302] Sanftes und wenig Excentrisches an sich hatten, mir erklären und noch weniger mit der Feinheit seiner Sitten und Manieren reimen konnte; oft hab ich ihm meine Verwunderung darüber so offenherzig bezeugt, wie man es mit dem genus irritabile vatum selten thun darf; seine Geschichte der Gräfin Dolores ist gewiß sehr reich an ganz vortrefflichen Stellen, die ich in seinem wunderlichen Halle und Jerusalem nicht zu finden vermögend gewesen. Eine von ihm unterm 16. Jan. 1810. erhaltene Aufforderung, mein Leben zu beschreiben, überraschte mich sehr, und warum sollt ich es auch nicht bekennen, daß sie mich sehr erfreut hat.

Nächst diesen weit jüngern Männern hatt' ich auch die wahre Wonne, einen beynah academischen Freund, den Minister Baron Jacobi Klöst wieder zu sehen und ihn so gerad und unbefangen wieder zu finden, als wohl nicht leicht ein anderer auf so vieljährigen Gesandschaften bey Kaisern und Königen geblieben wäre, und ohne welche fein ausgebildete Biederkeit er auch nicht den Umgang mit seiner am 11. Nov. 1811. gestorbenen Schwägerin, der geheimen Räthin[303] v.J. hätte genießen können. Ohne Ewalds Anweisung, ein gutes Mädchen und eine gute Frau zu werden, war diese beydes im hohen Grad gewesen, und selten hab ich so viel Verstand mit so viel Gemüthlichkeit und fein scherzhafter Laune glücklicher verbunden gesehen, wie bey ihr, die viele Jahre mit Beyfall in der Welt gelebt hatte und eben so zufrieden in ihrer kleinen Wittwenstiftswohnung das Leben vollendete.

Den hiesigen Professor Hüllmann führte mir der damalige Professor, jetzige Staatsrath Süwern zu, und ich faßte gleich beym ersten Besuch ein solches Zutrauen zu ihm, daß ich, als mein Freund Nicolovius, der meinen schriftlichen Nachlaß zu besorgen übernommen hatte, nach Berlin zu gehen bestimmt war, mich entschloß, dem Geschichtslehrer Hüllmann die Herausgabe dieser Biographie sowohl, als das Lebens- und Todesrecht über meine sämmtlichen Papierschaften zu übertragen. Vielleicht kann er noch manches aus den Briefen benutzen, deren Abdruck ich hiemit völlig untersage; lieber mögen sie auf der königlichen Bibliothek oder im sogenannten geheimen Archiv niedergelegt werden, weil es[304] manchen Menschen Vergnügen macht, die Handschrift nicht unbedeutender Personen kennen zu lernen. Herders Briefe an mich sind unter die Papiere des Johannes Müller gerathen, zum Behuf der Lebensbeschreibung Herders, die er aber, wie die von Friedrich dem Großen, schuldig geblieben.

Da mir im ganzen Leben nichts Ausgezeichnetes begegnet, noch von mir ausgerichtet ist, so weiß ich auch von den letzten zwey Jahren nichts Erhebliches anzuführen, es wäre denn, daß ich im Jahr 1809. auf den Gedanken kam, das ganz unbrauchbar gewordene Professorgewölbe an der Kneiphöfschen Kirche, in dem auch Kant seine ganz unbemerkt gebliebene Grabstätte erhalten hatte, in einen Spaziergang für die auf dem Collegio Albertino Wohnenden und andre Bewegungsbedürftige zu verwandeln und bey der Gelegenheit auch etwas zu Kants Andenken zu stiften. Es wurde zu diesem Ende die 136 Fuß lange und 15 Fuß breite Gallerie mit Ziegeln ausgelegt, Kants Sarg auf einem Flügel des Ganges angebracht, und ob es nun gleich in der Mahlerey abgeschafft ist, den Personen Zettel in den Mund zu geben, so hab ich doch über[305] den Haupteingang mit großen Buchstabeun STOA KANTIANA und inwendig in eben der Art das aus meinem schlechter gerathnen Hexameter und Pentameter vom Staatsrath Süwern verwandelte Distichon setzen lassen:


Hier, von den Geistern umschwebt ehrwürdiger Lehrer der Vorzeit,

Sinne, daß, Jüngling, auch dich rühme noch spätes Geschlecht.


In der Folge wurde beschlossen, die Marmorbüste Kants, die der Baumeister des hiesigen vorzüglich gerathnen neuen Schauspielhauses, der Regierungsrath Müller, mit einigen Freunden und Verehrern Kants durch Schadow in Berlin hatte besorgen lassen, auf die, mit einem Stein und der Aufschrift: Sepulcrum Immanuelis Kant nati a.d.X. Calend. Maii a. MDCCXXIV: denati pridie Id. Februar. a. MDCCCIV. hoc monumento signavit amicus Scheffner MDCCCIX. bezeichnete Stätte zu stellen.

Obgleich in meine Biographie keine Feyerlichkeitsbeschreibung aufgenommen ist, so will ich doch die aufnehmen, die an der gewöhnlichen jährlichen Feyer des Kantschen[306] Geburtstages, den 22. April 1810., am ersten Ostertage Statt fand. Es versammleten sich an diesem Tage Kants Freunde und verschiedene andre bedeutende Personen, z.B. der Canzler Freyherr von Schrötter, der General von Stutterheim etc. in der Wohnung des Professors Hüllmann, von wo wir in den akademischen Senat gingen, vom Magnificus, Professor D. Remer, empfangen und unter Vortritt der Pedellen in das Auditorium Maximum geführt wurden, um den vom Nachfolger auf Kants Lehrstuhl, dem Professor Herbart, übernommenen Vortrag über die Geistesgeschichte Kants anzuhören, nach dessen Beendigung der ganze Zug sich unter einer angemessenen Musik zu dem Grabe Kants verfügte, und ich der verhangnen Büste die Decke abnahm, nachdem ich Folgendes dabey gesprochen hatte:

Der Glaube und die Hoffnung eines künftigen Lebens, der gutmüthige Wunsch, den Nachkommen Beweise vom Anerkennen und Gerechtseyn gegen Verdienste zu hinterlassen, und auch selbst von ihnen nicht vergessen zu werden, scheinen die Menschen zu verpflichten und aufzumuntern, denen ein[307] Andenken zu stiften, die ehrenvoll das zeitliche Leben mit ihnen genossen haben. Zwar sorgen große Männer selbst hinreichend für ihr Unvergeßlichbleiben im Geiste der Nachwelt durch Schriften und Thaten, da wir aber insgesammt zu sehr an das Sinnliche gewöhnt sind, so wär' es unbillig das Erleichtern solcher Erinnerung durch das Errichten sichtbarer Denkmale nicht eingestehen, oder es für überflüßig erklären zu wollen.

Keinen kann es daher befremden, daß die Freunde und Verehrer Kants, ohne Besorgniß vor dem Spruch: lasset die Todten ihre Todten begraben, darauf bedacht gewesen sind, ein Zeichen ihres Andenkens an den Unsterblichen auf die Erdstätte hinzustellen, unter der seine sterbliche Hülle ruht.

Möchte der Anblick dieses prunklosen Monuments jeden, der es sieht und sehen wird, von der Zeitgenossen Liebe und Hochachtung für den großen Mann überzeugen, und ihn zugleich aufmuntern, so scharf und richtig zu denken, und so lebensweise zu handeln wie


Immanuel Kant.
[308]

Die durch Einladung der sämmtlichen Senatoren vermehrte Anzahl der, sonst etwa aus 20 Personen bestehenden, Tischgenossen ging von da zu dem diesesmal etwas reichlicher angerichteten Mahl, vor dessen Beginnung abgemacht wurde, daß die Geschichte dieses 22. Aprils nebst Herbarts Vortrage gedruckt, und das Kantsche Grabmal in Kupfer gestochen werden sollte, welches auch 1811. ausgeführt ist. (s. die bey Nicolovius erschienene Schrift: Immanuel Kants Gedächtnißfeyer.)

Es freut mich gewiß nicht wenig, dieses Plans Ausführung erlebt und meinem Freunde Kant ein schickliches Grabmal bereitet zu haben. Gern hätt' ich ihm das Krausische beygefügt, da aber das Begraben im Professorgewölbe nicht mehr Statt findet, so liegt Kraus auf dem entfernten Kirchhofe der Cathedralkirche unter einem mit 4 Linden umpflanzten großen Stein, auf den sein Hauptfreund, der Landhofmeister v. Auerswald, nachstehende, vom jetzigen Bischofe von Ermeland, Prinzen von Hohenzollern gemachte Inschrift hat setzen lassen:


Instus et Sapiens

patriae profuit.
[309]

Anführen muß ich aber doch, daß es mir viel Mühe gekostet, die Besorgniß vor der Beschuldigung einer bey dieser Gelegenheit geäußerten Eitelkeit zu überwinden, denn Mirabeau antwortete einem damals sehr bekannten Schriftsteller, der etwas wider ihn geschrieben hatte: es schiene ihm, als ob er zu ihm spräche: rendés moi un peu ridicule, pour que je profite de vôtre immortalité. – Bey mir ist das wahrlich nicht der Fall, und meine Zeitgenossen hätten das Weglassen meines Namens vom Stein für eine hochmüthige Demuth erklären können. Hoffentlich wird die folgende Generation milder urtheilen und mich, der nie mit etwas zu prahlen versuchte, mit solchem Verdacht verschonen.

Im August 1809. wurde das Haus, in welchem ich wohnte, vom Könige gekauft, und der Kronprinz bezog mit seinen damaligen Lehrern und Erziehern, Delbrück und Gaudi, die untern Zimmer, so daß ich bis zu meinem Auszug um Michael hier Gelegenheit hatte, den Kronprinzen oft zu sehen. In einer kleinen Gesellschaft wurden beynah wöchentlich Vorlesungen gehalten, die er sowohl, als ein Paar ihm zugesellte junge[310] Leute, so wie sie selbige gefaßt, zu wiederholen pflegten. Im Behalten der Worte übertrafen den Prinzen mehrentheils die andern, aber sein kurzer, oft nicht fließender Vortrag zeugte deutlich, daß er die Hauptmomente gut gefaßt hatte, und oft setzte er noch etwas Eignes schicklich hinzu. Ich las vor: Etwas über Scanderbeg, über die Frage: ob man einen jungen Prinzen mit den vorigen glücklichen Tagen seines Hauses bekannt machen dürfe, auch wenn das Zeitunglück alles anders gestellt hätte? Am Sterbetage des großen Friedrichs, den 17. August, las ich in Gegenwart der Königin einen Aufsatz, der mancherley zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung enthielt, alles von Friedrich II. hergenommen.

Ferner wurde in diesem Jahr meine alte Bekanntschaft mir der Fr. v.d. Recke erneuert, und Tiedge schickte mir die vierte Ausgabe seiner mir unendlich gefallenden Urania mit einem sehr freundschaftlichen Briefe.

Im August erschien auch der vom Staat berufne Oberschulrath Zeller, der durch seine Unterrichtsbehandlung in Zürich und Würtemberg einen gewissen Namen für sich[311] hatte, und das hiesige Waisenhaus zum Institut zur Bildung künftiger Landschulmeister einrichtete. Die Wirkungen seiner, in manchen Stücken vortheilhaft abgeänderten Pestalozzischen Methode, die aber immer der Hauptgrund von allem bleiben muß, haben jeden, der sie zu sehen Gelegenheit gehabt, vorzüglich für sie eingenommen, mit Einschluß der Hofleute, des Königs und der Königin. Ich, der von jeher den Elementarschulunterricht für die Hauptbasis aller Regierungsoperationen gehalten, bekenne, daß mir Zeller ein zum Beginnen sehr geeigneter Mann geschienen, der, wenn er seinen warmen Kopf blos auf die Sache gerichtet und sich nicht von dem gewöhnlichen Genialitätsfehler, dem Mangel am geduldigen Beharren, hätte hinreißen lassen, das mit Kindern begonnene Werk auch mit den Alten in guten Gang gebracht haben würde. Vom Könige wurd' ich mittelst eines sehr schmeichelhaften Cabinetsschreibens zum Beysitzer der zur Beförderung der neuen Schuleinrichtungssache angesetzten Commission ernannt. Wäre es mit der im August 1810. gehaltenen Versammlung verschiedener Pfarrherren, denen Zeller die Methode beybringen [312] sollte, aber nicht konnte, besser geglückt, und hätten sie das aus selbiger Gefaßte nur ein Paar Jahre möglichst ernsthaft mit ihren Schulmeistern treiben wollen, so bin ich überzeugt, es müßte aus diesem Elementarunterricht in Landschulen, besonders, wenn er auch in alle Mädchen- und Industrieschulen eingeführt würde, unendlich viel Ersprießliches für alle Schulen schon entsprungen seyn, und die ihm jetzt am ärgsten widerstrebenden gelehrten Schulmänner würden erkennen, daß diese Methode sie zwar nöthige, manches in ihren bisherigen Manieren abzuändern, aber daß auch alle ihre Vorträge mehr Eingang bey den Schülern finden, und diese wirklich geschickt machen würden, das in den Schulen Gelernte auf der Universität besser zu benutzen und so sich zu Staatsbürgern auszubilden, welches sie bisher nicht oft in den Schulen erreichet haben, und um welches Nichterreichens willen auch die Vortheile der löblichen Municipal- und Communaleinrichtungen noch lange ausbleiben werden. Der Mensch muß sich überzeugen, daß der Saame alles Klugen, Guten, Schönen und Kräftigen in ihm selbst liegt, alsdann wird er Hoffnung,[313] Lust und Muth bekommen, das in ihm Liegende zum Hervorwachsen zu befördern. Wirkt nicht die Ueberzeugung vom Besitz eines eignen Capitals zu einer Unternehmung ganz anders, als ein dazu blos erborgter Fond? Ersterer erlaubt sogar eine freyere Benutzung des dazu angeliehenen. Das Gedeihen dieser wahrhaft landesväterlichen Einrichtung gehört jetzt zu meinen Hauptwünschen und beruhigt mich beym Anschauen der, meines Erachtens überflüßigen, Universitätsstiftung in Berlin.

Im Spätherbst dieses Jahres kam die Prinzessin Solms, ihre Schwester, die Königin, zu besuchen, hieher, und unsre mehrmaligen Unterhaltungen gaben mir sehr angenehme Beweise von ihren nicht abgeänderten Gesinnungen über mich und andre Dinge, so wie der Brief, den sie mir am Morgen ihrer Abreise schrieb, da ich nicht mündlich von ihr hatte Abschied nehmen können, mir zeigte, daß sie mir keine bewiesenen Offenheiten übel genommen hatte.

Am 7. December war ich zur Prinzessin Wilhelm, die der Minister Stein eine ächte deutsche Prinzessin zu nennen pflegte, zum Abschiednehmen gerufen. Während ihres[314] Hierseyns hatt' ich ihr unter andern Klingers Geschichte eines Deutschen und, ihrer großen Liebhaberey der Alten wegen, einige Gatyren des Horaz von Wieland vorgelesen, auch ihr, bey näherer Bekanntschaft mit ihren Talenten für Künste und Wissenschaften und Wahrnehmung einer gewissen Kälte Zurückhaltung in ihrem Aeußern, offenherzig gerathen, ihr Geisteslicht nicht unter den Scheffel zu stellen, denn da die natürliche Sonne selten die Hofzimmer erhelle, müsse man für Herzenserleuchtung sorgen. Ihre Aufnahme bey diesem Abschied hatte viel Herzliches und Freundschaftliches, und was wir in dieser letzten Stunde über die Prinzenerziehung sprachen, zeigte, daß sie über diesen Punkt zwar gleich mit mir dachte, da es aber gleichmißlich ist, sich zwischen Eltern und Kinder über die Erziehungsweise, und zwischen Eheleute über ihre Betragensart zu mischen, so werden diese Gespräche wohl ohne Anwendung geblieben seyn, wie Vieles, das ich in dieser Zeit über diesen Gegenstand zu höchst bedeutenden Männern und Frauen geredet, und wodurch ich wenigstens meiner Einsicht[315] und meinem patriotischen Gefühl Beruhigung geschafft hatte.

Am 11. December ward ich so bedeutend krank, daß ich in manchen Stunden mich meines Todes gewiß glaubte. Da ich meine Gattin in gleicher Gefahr sah und wußte, so fand ich etwas beruhigendes in dem Gedanken, kurz vor ihr oder bald nach ihr sterben zu können, denn unter so alt beysammen gewordnen Eheleuten muß langes Zurückbleiben des Einen hinter dem andern höchst unbehaglich seyn, theils weil der Zurückbleibende einen neuen Zuwachs von Sorgen durch das bekommt, was der nun nicht mehr Lebende übernommen hatte, theils weil man gewohnt ist, nichts allein, also auch nicht das Leben, zu genießen in welchem manches einem nur dadurch interessant wird, wenn man sieht, daß es auch dem andern Freude macht.

Die Betthüterey, von der unser scharfsinniger, scharfsichtiger und dreuster Arzt und Freund Motherby uns endlich befreyte, entband mich vom Abschiedsbesuch annehmen und machen. Hufeland kam vor unser Bett und auch der liebe Nicolovius, von dem mir die Trennung recht[316] schwer wurde, denn hatten wir gleich keinen häufigen Umgang mit einander gepflogen, so hatten wir doch, wenn wir uns sahen, stets nach unserm Herzen über alles gesprochen. Ich pflegte ihm manchmal vorzuwerfen, daß er mich beynah wie eine Respektsperson behandle, welches der Freundschaft, die auf das Gleichheitsrecht besteht, nicht angemessen oder zuträglich zu seyn scheinet, man muß aber in solchen Fällen den Glauben, von seinem sich zurückhaltenden Freunde herzlich wieder geliebt zu seyn, zu Hülfe nehmen, und hoffentlich hab ich recht gethan, diesen Glauben an Nicolovius nicht fahren zu lassen.

Während meiner vielwöchentlichen Krankheit war die Stadt ganz fremdenleer geworden, und also auch das ganze Hofwesen in sein Centrum, die Residenz, zurückgekehrt.

Mit Vergnügen erinnre ich mich mancher Natur-und Kunstprodukte, die ich gesehen habe, und wünsche mit unter, sie auch wiedersehen zu können. Einen Hof wünsch' ich aber nicht wieder zu schauen, denn ich glaube, an einem, den man mir als einen vorzüglichen gerühmet, doch wahre Wesenlosigkeit bemerkt zu haben. Die Weltjämmerlichkeit[317] dürfte also wohl zur Ordnung der Dinge gehören, denn alles, was geschieht, hat mehrentheils Eine, oft sogar die Hauptwurzel im Hoferdreich geschlagen. Und wer bearbeitet dieses Erdreich? Ist man nicht schon zufrieden, wenn es narkotisch süßduftende Blumen trägt, und unter dem wenigen Korn auch viele Trespe wächst?

Persönlich hat mich der Hof wahrlich nie gedrückt, vielmehr haben mich seine ersten Personen mit Gnade und Zutrauen behandelt und ertragen, indessen wurde mir doch nach seinem Abzuge ungefähr zu Muthe, wie einem Menschen, der sich in der Niederung aufhielte, ohne eben krank von ihren wässerigen Dünsten zu werden, aus dieser aber in eine höhere Gegend zieht, wo er, von ganz andrer Luft angeweht, seine leibliche Beschaffenheit umgeändert fühlt. Die so zu sagen unsichtbare Coexistenz mit Menschen, die Verstand und Willen, und was sie sonst im Vermögen haben, auf eine Art anwenden, die dem nicht so gearteten ganz fremd ist, hat etwas unangenehmes für letztern, und seine Misbilligung ihres Zustandes scheinet ihm den seinigen einzuschränken und zu zerstückeln. Soll man nun[318] den bedauern oder auslachen, dem es eine bittre oder schmerzhafte Empfindung macht, wenn Menschen jenes Geschlechts ihn nicht freundlich ansehen, oder ihn vergessen zu haben scheinen? Meiner Gleichmüthigkeit kommt es lächerlich vor, wenn diese wähnen, ein vernünftiger, unbefangener Mensch werde sich durch solchen Vergessensanschein gekränkt oder gedemüthigt fühlen. Müßte man sich nicht wundern über den, der bey eignem innern Lebensfeuer einen schönangestrichenen Ofen, oder italiänischen Marito, (bey uns Feuerstübchen) zur Erwärmung nothwendig hielte?

Meine Hingebung in alles, wovon ich glaube, ich könne dadurch andern nützlich oder lieb werden, schaffte mir unter meinen zahlreichen Bekanntschaften mehr Beyfall, als ich mir selbst zu geben geneigt bin; indessen hat sie mich doch zu manchen, mir eben nicht behaglichen Zeitverwendungen genöthigt, so daß diese Einsprüche in meine häusliche Stille mich gewiß zum Verzicht auf das aktive und passive Besuchswesen gebracht haben würden, hätte mich nicht zurückgehalten jene gutmüthige heimliche Hoffnung, manches gute Saamenkorn bey[319] dieser Gelegenheit ausstreuen zu können, oder manchem keimenden durchs Begießen zum weitern Ausschossen zu helfen.

Daß ich nicht ganz gleichgültig übersehen wurde, erkläre ich mir daraus, daß man meine uneingeschränkte Offenheit als ein seltnes Phänomen ansah, und in meinen aus der Erfahrung genommenen Bemerkungen über vergangne Zeiten und Personen manches fand, das auch auf die neuen paßte, und bey manchem, so bald er in seinen eignen Busen griff, genau zutraf. Meine Gewohnheit, bey Menschen, die ein gutes Wort verstehen und zu seiner Ausübung Macht und Kraft haben, solche gute Worte nur hinfallen zu lassen, ohne durch Erläuterungen über ihre Wahrheit und Güte ihrem etwanigen Eigendünkel ein Bücken zum Aufheben abzunöthigen und auf ihre Befolgung zudringlich zu bestehen, hab ich in diesem Lebensinterim sehr bewährt befunden, und Selbstbefolgung des Angeführten wird jeden von der Nützlichkeit meines Betragens überzeugen, so wie auch ihm heimliche Freude machen.

Wer weiß, wäre der pestalozzische Unterrichtsweg schon mit einiger Betriebsamkeit[320] betreten, hätt' ich nicht, nachdem ich mich von seiner Fürtrefflichkeit überzeugt, obige Maxime befolgt, und bey jeder Gesprächsgelegenheit sine ira et studio geäußert, daß es ohne gehörigen Jugendunterricht jeder Staatsorganisation an einer dauerhaften Basis fehle, und daß mir in der pestalozzischen Methode die leichtesten unter den bisher erfundenen Mitteln zu liegen schienen, allen Menschen zum eignen höchstnöthigen Verstandsgebrauch zu helfen.

Uebrigens glaub' ich an keine Regeln, nach denen das Vertrauen andrer Menschen zu gewinnen sey, und freue mich daher sehr, daß ich zum vielen Zutrauen anderer zu mir gekommen bin, ich weiß nicht wie. Zu den sichersten Mitteln sich im Besitz solches Zutrauens zu erhalten rechne ich aber Folgendes, daß man die Aeußerungen eines Menschen über den andern ganz bey sich behalte und nicht eher, selbst nützlichen, Gebrauch davon mache, bis man Zeit und Gelegenheit getroffen, jene Aeußerungen so anzubringen, daß der andre sie nicht für aufgefangnes fremdes Strandgut, sondern für eine über ihn vom Vorbringer selbstgemachte[321] Bemerkung und für eigne ihm zu Markt gebrachte Waare halten muß.

Wieland hat mich in dieser Meinung bestätiget, wenn er in einer Anmerkung zu einem Briefe des Cicero an den Attikus, (I Bd. S. 490.) sagt: »Attikus lebte als bloßer anspruchloser, aber unabhängiger und begüterter Privatmann, mit allen bedeutenden Römern seiner Zeit in gutem Vernehmen, ohne sich jemals in ihre Händel, Partheyen, geheime oder öffentliche Fehden verwickeln zu lassen; da seine Grundsätze und sein Charakter allgemein bekannt waren, so muthete ihm auch Niemand etwas anderes zu. Im Gegentheil diese mehr weltbürgerliche als patriotische Art zu denken, erwarb ihm Achtung und Zutrauen bey allen, und setzte ihn in den Stand, öfters Personen von den entgegesetztesten Partheyen, wenn sie in Noth geriethen, wichtige Dienste zu leisten, ohne sich dadurch ihren Feinden verdächtig oder verhaßt zu machen.«


Von den Freunden meiner jüngern Jahre, zu denen auch der längst verstorbne Canzler[322] Graf Finkenstein gehörte, ob sich gleich mit ihm nie auf recht freundschaftlichen Fuß kommen ließ, weil er im Reden und Schreiben eine gewisse Verstecktheit liebte und aus Beysorge, seinem Verstande oder seiner Geburt etwas zu vergeben, immer manches von dem zurück behielt, was er ohne allen Nachtheil seiner Verstands-, Geburts- und anderer Verhältnisse öffentlich hätte vorzeigen und sagen können: von jenen Freunden sind mir nur wenige übrig geblieben – Hier zur Stelle nur der Oberconsistorialrath Borowsky12 und der Canzler Freyherr v. Schrötter, abwesend der General v. L'Estocq,13 der Kriegsrath Deutsch und der Minister Freyherr von [323] Schrötter, welcher mir immer besonders lieb gewesen, wegen einer zusprechenden, freundschaftlichen, eine gewisse poetische Wärme verrathenden und nie tragischen, Art über Welt, Wissenschaften und Menschen zu conversiren.14 Ueber diese mir immer interessant bleibenden Personen würd' ich mich umständlicher auslassen, wenn es dann nicht meine Pflicht würde, auch an vielen andern ein Gleiches zu thun: wozu könnte das aber nützen? Zeitgenossen haben die Personen, theils selbst noch genug gekannt, theils mein unbefangnes Urtheil über sie mich selbst aussprechen gehört, und andern, denen sie unbekannt geblieben, kann am Urtheil eines Einzelnen wenig gelegen seyn. Jenen oder diesen meine Aeußerungen zu wiederholen, könnte sogar nach einer Vorliebe für meine Charakterisirkunst aussehen und, im Fall des Nichttreffens fremder Personen, das, was ich über mich selbst zu sagen gesonnen bin, in einen Unrichtigkeitsverdacht bringen. – Statt der Bildergallerie bleib es also nur bey meinem Portrait.[324]

So ungewiß ich über die Entscheidung der Frage bin: ob es besser sey, die Charakterschilderung vorausgehen und die biographischen Thatsachen als einen Codex diplomaticus nachfolgen zu lassen, oder erstere bis ans Ende zu verschieben, so gewiß bin ich von der Schwierigkeit, einen Charakter treffend zu schildern, zumal es dem Selbstbiographen keinesweges frei steht, ad modum des Theophrast und la Bruyere, Züge von mancherley Originalen zusammen zu stellen, sondern er verpflichtet ist, von seiner Individualität nicht abzuweichen, mithin ohne Vorurtheil für sein liebes Ich, und ohne, meistens doch nur geheuchelte, Selbsterniedrigung seiner Ichheit, diese zu beschreiben. Ohne Selbsterkenntniß kann ihm solche Zeichnung sicher nicht gelingen, und es thut mir jetzt doppelt wohl, daß ich das: Erkenne dich selbst15, schon früh für[325] eine der weisesten und nützlichsten Lebenslehren und Pflichten, und die Selbstbetrachtung für eine sichre Schutzwehr gegen die Selbstlerey, dieses der Selbsterkenntniß untergeschobne krüppliche Kind, gehalten habe.16

Freylich ist es nicht leicht, zur wahren Selbsterkenntniß zu gelangen, und einem Temperament wird es schwerer, wie dem andern, weil eins vor dem andern gute[326] Laune zuläßt. Ich wenigstens muß gestehen, daß ich ohne meine gute Laune nicht zu einer ziemlichen Selbsterkenntniß gekommen und vor Selbstlerey sicher geblieben wäre, denn da Zutrauensäußerungen unsrer Bekannten, deren Warum man nicht in sich zu entdecken vermag, leicht zum Ueberschätzen eigner Kräfte verleiten, so helfen Temperament und Laune, mit denn wir jene Aeußerungen ersehen und aufnehmen, zu einem Gefühl und Urtheil, die uns zwar innerlich froh machen, doch aber auch nicht stolz darauf werden lassen, vielmehr uns erhalten bey einer bescheidnen Gnügsamkeit mit dem, was wir wirklich haben und vermögen.17 Verleiten einen aber schlimme Laune und zur Gewohnheit gewordne Leidenschaften zu den täuschenden Meinungen, es sey etwas in uns verborgen, das wir selbst zwar nicht sehen, das aber andre in uns erkennen, und wodurch sie genöthiget, wenigstens veranlaßt[327] würden, sich zutraulich an uns zu wenden, dann wird die Selbsterkenntniß beynah unmöglich, indem die Zunahme jenes Ahnens zum Selbstglauben an den in uns verborgnen Schatz bringt, und dieser bald in ein Uebelnehmen ausartet, wenn andre die Anweisungen auf ihn nicht für baare Münze wollen gelten lassen. Gewinnen kann und wird man indessen nichts bey solchem Glauben an sich selbst, ohne sichres Wissen von sich selbst, vielmehr reizt es, hartherzig, anspruchmachend und lieblos zu werden.

Gott Lob! daß ich unpharisäisch sprechen kann: ich danke dir Gott, daß ich keines von diesem allen bin. Meine Selbsterkenntniß hat mich jederzeit in der Demuth erhalten, die mir manchen frohen Augenblick gemacht hat, wenn ich selbst solche Leute auf mein Wort achten gesehen, von denen ich überzeugt war, sie würden sich das, was sie von mir hörten, besser selbst gesagt haben, wären sie bey Selbstprüfung so ehrlich zu Werke gegangen, wie ich bey der meinigen ging und gehe.18 Vorgefaßte und zur[328] Lieblingschaft gediehene Meinungen sind häßliche Verhacke im Wege zur Selbsterkenntniß, ohne deren Wegräumung keine Straße durch den Lebenswald der Täuschungen und Unwahrheiten zu schaffen ist.


Jetzt zur Selbstschilderung, die ich zwar schon in den Spätlingen S. 332. und in den Studien in Versen über mich und über das Alter en gros versucht habe, hier aber en detail zu liefern willens bin, doch ohne das ne quid nimis zu vergessen[329] und ohne nach den inquisitorischen: quibus auxiliis, cur, quomodo, quando zu verfahren; denn die Schnirkler, die aus kleinen Buchstaben Figuren zusammensetzen, pflegen öftrer einen Beweis von der Mühseligkeit ihrer Kritzeley, als von ihrer Geschicklichkeit im Zeichnen und ihrer Treffkunst abzulegen. Die diesen Lebensaufsatz einst zu Gesicht bekommen, mögen in ihrer inappellabeln Instanz untersuchen, ob ich mich selbst gekannt habe, weder zu weit diesseits geblieben, noch zu weit jenseits gegangen bin, besonders mag sein künftiger Herausgeber, im großen Abstande vom Objekt, die Fehler rügen oder bessern, die ich beging, weil ich dem Objekt zu nahe stand.

Obiges war längst geschrieben, als ich in den Manuscripts de Necker publiés par sa fille p. 69 las: les hommes, qui ont une opinion parfaite d'eux mêmes, sont des heureux ridicules; les hommes, qui se querellent, sont des infortunés estimables. On observe difficilement un juste milieu. Il faudroit se regarder à distance, et se juger sans amour, sans aigreur, et comme une simple connoissance.
[330]

* * *


Mutter Natur hat mir einen guten Kopf und ein sehr rührungsfähiges Herz zugetheilt, aus der vielleicht nicht recht gegen einander abgemessenen Mischung dieser meiner Hauptbestandtheile erkläre ich meine Abneigung gegen schulgerechtes Studiren, dessen Unterlassung ich vielfältig sehr merklich gefühlt habe, so gut wie mancher vornehme Mann zum Nachtheil des Dienstes seinen Sprung in die höchsten Dienststellen, ohne Vorbereitung zu selbigen auf niedrigen, fühlen mag. Ein gewisses muthiges Zutrauen zu meinem natürlichen, ziemlich richtigen Geistestact tröstete mich indessen über die scientifischen Lücken und den Mangel an der Kunst oder Gabe, eine förmliche Disposition zu einem Aufsatze zu machen. Gemeinhin ergreif ich nur Einen Gedanken, oft nur Einen Ausdruck, trag diesen so lange still in meiner Seele herum, so daß ich mich seiner blos als eines Tones erinnre, bis ich ein förmliches Bedürfniß fühle, mich schriftlich über ihn auszulassen, welches nie lang geräth. Das Hingeschriebene les' ich einige Zeit nachher wieder durch, corrigir es mit Bleystift und suche zugleich[331] die Sätze in beßre Ordnung zu bringen; dann bleibt es wieder manchmal einige Monate liegen, bis ich die Bleystiftiaden mit Tinte nachziehe, die oft bey dieser Gelegenheit abermals abgeändert werden. Ich habe dieses Verfahren bey der Durchsehung eigner Arbeiten sehr probat gefunden und empfehle es daher dreust auch andern zum Gebrauch. Daß meine Seele doch nach einem Plan gearbeitet hatte, hat mir Hippel manchmal durch eine von ihm aus solchem Aufsatz gezogne Disposition erwiesen. Mein Geist liebte eigentlich, am Springstock zu wandeln und, statt Hindernisse wegzuräumen, über sie wegzusetzen. Montaigne erwähnt irgendwo des esprit primsautier (auf den ersten Ansprung), zu dieser Gattung scheinet der meinige zu gehören, der mithin eigentlich nichts ausstudiren kann, aber auf den ersten Blick und das erste Wort oft gut versteht.19 Ob ich gleich schnell eine[332] eine meistens treffende Antwort geben konnte, so vermochte ich doch höchst selten ein Räthsel oder eine Charade zu lösen, und wurde über diese Unfähigkeit oft ausgelacht, mit eben so vielem Recht, wie mancher bekanntmittelmäßige Kopf durch solche Enträthselungen in Verstandsrenomee gekommen ist.20

Auch mag aus solcher verfehlten Mischung mein Eigensinn entspringen, von dessen lauter Aeußerung mich oft nur die Schüchternheit abhält, die sich aus meinen frühesten Jahren herschreibt, mich aber nicht hindert, meine vorschnellen Meinungen, oft ohne die mindeste Rücksicht auf meine Gegner, vorzubringen, wiewohl nie mit langem Beharren bey selbigen, oder einem sichtbaren Bestreben, den andern für sie zu gewinnen.

Meinem Eigensinn, der mir nicht erlaubte, zur Meinung eines andern leicht überzugehen, verdank ich manches Beharren bey einem Guten, das ich als solches einmal erkannt und angenommen hatte, so wie er[333] auch die Schnelligkeit veranlaßte, mit der ich mich von manchen Dingen, die mir zum Bedürfniß geworden waren, entwöhnen konnte, ohne zu ihnen zurück zu kehren, ingleichen meinen Widerwillen gegen das Dingen bey Einkäufen. Ich biete gern gleich mein Höchstmöglichstes, und stehe lieber vom Kauf ab, als daß ich zulege.

Meine Offenheit gränzt bisweilen an das Unbedachtsame, und es kommt mir selbst und meinen Freunden manchmal wunderbar vor, daß man sie mir beynah durchgängig zu gut hält. Ich sage mein Urtheil, wenns verlangt wird, ins Gesicht, und bin nicht minder unbefangen beym Rathgeben. Der Grund von der Nachsicht meiner Freunde und Bekannten liegt vielleicht in ihrem Anerkennen meiner innigsten Liebe zur Wahrheit, die es mir nie erlaubt, etwas abzuleugnen, was mich betrifft, und gereichte auch das Bekenntniß zu meinem offenbaren Schaden, so oft ich dem Frager eine Befugniß zum Fragen zugestehe. Diese Offenheit ist aber kein Verdienst an mir, weil es, wie gesagt, mir von Natur unmöglich ist, etwas abzuleugnen oder verschlossen zu seyn. Freylich läßt sich nicht jede Wahrheit in die[334] Augen sagen, wer mir aber scharf in die meinigen sieht, und Wort und Ton mit ihnen vergleicht, muß oder darf wenigstens nicht mir die Schuld beymessen, wenn er nicht merkt, was ich von und zu der Sache denke. Auch kann ich ohne die mindeste Gleisnerey versichern, daß mir keine, mir selbst ohne Umschweif gesagte Wahrheit, keine Critik im mindesten zuwider ist, und daß man sie mir ohne alle Besorgniß vor empfindlichem Nachtragen sagen und machen kann – jede irgend geahnte Schonung kränkt mich aber.

So scheu und redekarg ich bis in mein Mittelalter in Gesellschaften war,21 so dreust und unverlegen bin ich um den Ausdruck im[335] Gespräch mit vornehmen Leuten, von denen ich doch viele gekannt habe, immer, ohne ihnen partheyisch oder clientisch anzuhängen, weil, wer sich ihnen zu sehr hingiebt, Gefahr läuft, gleich dem kleinen Vogel, der sich auf des Adlers Rücken setzt, um mit ihm zur Sonne zu fliegen, beym Schütteln der Aarflügel herabzufallen, und wenigstens ein Glied zu brechen.

Vermöge einer besondern Empfindlichkeit schäm' ich mich in die Seele eines andern, wenn ich höre oder sehe, daß er, es sey wie es wolle, beschämt wird und dadurch doch nicht in Verlegenheit zu kommen scheint. Mir ist solche Dreustigkeit und solches leichte Vergessen unbegreiflich. Hatte ich daher ein Paar Männer sich zanken oder sich Böses, besonders mit Unrecht, einander nachreden gehört, so blieb mir ihre nachherige etwanige Vertraulichkeit anstößig und verdächtig. Meinem Beschämer hätt' ich nie dreust in die Augen sehen können. Mit den Weibern hatt' es in solchen Fällen eine andre Bewandniß. Ich erinnere mich sogar noch manches, gewiß von andern längst vergeßnen, oder wohl gar nicht einmal[336] wahrgenommenen linken Benehmens.22 Indessen wag ich es nicht, diese Empfindlichkeit meiner Fühlhörner in das Inventarium meiner guten Eigenschaften aufzunehmen.

Eigen ist mir auch eine Anhänglichkeit an das väterliche Haus; gern sprech ich daher unter den Meinigen von der Art und Weise, wie man sich da gegen einander betrug, was und wie man da alles machte. Bis in meinen vorletzten Wohnsitz bracht ich noch einen altmodischen Spiegel, der in der väterlichen Wohnstube hing, nebst einem Paar Armstühlen, die schon vor meiner Geburt existirt hatten, und bin noch in diesem Moment unwillig, daß erstern mir die Bauleute zerschlugen, von letztern einer bis zur Reparaturunmöglichkeit zerbrochen ist.[337]

Meine Rasirmesser stecken noch in dem alten Futteral, dessen sich mein Vater bediente. Aus dieser Anhänglichkeit entspringt gewiß auch das Vergnügen, welches mir das Besorgen kleiner Hausgeschäfte macht, mit denen ich mich öfterer und mehr beschäftigen möchte, wenn meine Frau nicht ihrem Departement mit einer Art von Eifersucht vorgestanden hätte, oder die Prediger-Wittwe, die seit länger als ein Viertel Jahrhundert bey uns ist, es mir erlaubte. Im Knabenalter gab ich dem Stubenmädchen meine Frühstücksemmel, wenn es mir das Bett selbst zu machen gestattete. Zum Küchenzettel geb ich gern mein votum consultativum, vergeß aber bis zur Tischzeit mehrentheils seinen Inhalt, besonders wenn er keins von meinen Lieblingsgerichten, die zu der strengsten Hausmannskost gehören, enthält. Die Tasse, aus der ich, nach viele Jahre lang abgeschafftem, jetzt (1813) aber wieder mit großem Appetit genossenen Nachmittagscaffe, zwischen 6 und 7 Thee mit Honig trinke, wasch ich mehrentheils selbst aus.

Meine Anlage zum Auffinden der comischen Seite, oft bey für ganz ernsthaft gehaltenen[338] Sachen, gewöhnte mich zu einer Jovialität, die mir oft sehr treulich half, vornehme Menschen ganz säuberlich vom hohen Standes- und Geburts-Roß herabzubringen und sie so in Fußgänger neben mir zu verwandeln. Bey ihren vier Beinen weniger ward es mir dann minder schwer mit ihnen gleichen Tritt zu halten, ja sie manchmal im Gehen zu unterstützen. Feyerlichkeit ist die Hauptcircumvallationslinie der Vornehmen, sie ist die Contrescarpe ihrer Vestung, die sie sorgfältig sichern müssen, wenn sie vermeiden wollen, von klugen Menschen der untern Stände unter das gewöhnliche Cantonmaaß gestellt23 und bis auf Zoll und Strich abgeschätzt zu werden. Der längst gestorbne Großcanzler Freyherr von Fürst war ein Amtsstolzer, auf Geburt haltender Justitzgelehrter, peinlicher, sonst aber sehr redlicher Mann, der sich gegen seine Untergebnen sehr hoch hielt und nahm. Einst wurd ich von der damaligen Cammer abgeschickt, mit ihm eine Verabredung zu[339] treffen; bey dieser Gelegenheit entwischte mir ein lustiger Einfall, den er mit Erwiederung aufnahm, und von diesem Moment an verging mir das respektuöse Grinseln so, daß er nicht mehr dazu kommen konnte, mir die spanischen Reuter der Großcanzlerschafft vorzuhalten. Der bekannte Herzog von Ni vernois schrieb an den französischen Staatssecretair: Je voudrois, que mon caractère put se porter à un peu de hauteur, qui, quand elle sera jointe avec de la sagesse et de la raison, fera toujours un bon effet à Rome. Je sens, que cette qualité me manque, mais je ne chercherai pourtant pas à affecter de l'avoir, parceque ne l'ayant pas interieurement, il seroit impossible, que je l'affectasse si bien, que le naturel ne me trahit souvent, et je pense, qu'il ne faut jamais se proposer systeme de conduite, qui ne s'accorde pas avec le caractère, qu'on a. Car celuici venant à dementir le systeme, comme il arrive toujours en ce cas, la conduite d'un homme ne peint plus, qu'une bigarrure, lissue d'inegalités, ce qui est fort prejudiciable à la reputation et par consequence aux affaires. (Oeuvres[340] posthumes du Duc de Nivernois p. Fr. Neufchateau. Paris 1807. Göttingsch. G.A. No. 7. von 1809 p. 67.)

Der verstorbne Minister von Gaudi, der ein kluger, äußerst witziger, gewandter Mann war, gab durch seine Scherztreiberey fast zu oft Gelegenheit, sich mit ihm al pari zu setzen. Hier fällt mir eine Stelle aus der vorher schon angeführten Recension der Lettres et Pensees du Prince de Ligne bey, wo es heißt: »Das Espritmachen ist zwar nicht die schändlichste, und aus naürlichen Gründen nicht die gewöhnlichste Neigung der Großen, hat aber doch viel dazu beygetragen, den Menschen den wahren Halt des Gemüthes, der nur aus einer innern vollen Ueberzeugung entsteht, durch das Blitzen des Espritmachens, das gerade des Heiligsten und Ehrwürdigsten am wenigsten schonte, zu rauben. Es verführt auch die Großen selbst, mehr in gesetzlose, gefährliche, schlecht berechnete Plane hinein zu gehen, als sie wahrscheinlich ohne selbiges gethan hätten. Wo Witz und Bonmots für Gründe gewöhnlich gelten, da hat der Geist der Unruhe, der Durst nach Gloriole nur zu leicht gewonnen[341] Spiel, dieser kleinliche Geist, wo er vorherrscht, kann zu den unterhaltenden Gesellschafften bilden, erstickt und beschränkt aber fast unfehlbar den lebendigen Sinn für das Edle und Höhere.«

Vielleicht ist es bloße Chimäre, daß mein Herz von keinem Menschen, wenn ich auch noch so viel Gutes und Schönes von ihm lese oder höre, recht Notiz nimmt, bevor ich ihn nicht selbst nahbey gesehen: der französische Dichter du Rozay mag wohl eben den Whim gehabt haben, denn er sagt irgendwo: L'ami n'aime un ami, qu'alors qu'il le connoit; das connoit erkläre ich von den leiblichen Augen, weil es sonst zu trivial wäre. Diesem Halten auf Ocular-Inspektion ungeachtet, hab ich mich einigemal häßlich getäuscht, theils weil ich mich auf fremde, öftere Besichtigung zu viel verlassen, theils weil ich auf einem sonst reinen Gesicht das Händchen nicht bemerkt, das die Natur am Rande beygesetzt hatte, wie sonst in alten gedruckten Büchern bey merkwerthen Stellen zu geschehen pflegt. Mein Glaube an die Wahrheit der Physiognomik ist aber deshalb nicht verschwunden, so weit ich übrigens entfernt bin, Lavaters[342] Grundsätze alle anzunehmen; vielmehr ist eben dieses Glaubens wegen mir meine Kurzsichtigkeit, der ich aber durch das mir auch jetzt noch auffallende immerwährende Brillentragen einiger Nasen nicht abhelfen mag, sehr beschwerlich, da sie mich in der Gesellschaft an der Gesichterlektüre hindert und mir es auch nie erlauben wird, Erfahrungen zur Bestätigung der Schädellehre des D. Gall zu machen, die ich, so wie die Luftschifferey und den animalischen Magnetismus für Erfindungen halte, durch welche man in der Folge gewiß große Fortschritte in den wichtigsten Dingen machen wird.

Ueber Menschengesichter hab' ich ein beßres Gedächtniß, als über die schönsten Gegenden und Gemälde, welche ich daher leicht und oft beynah ganz vergessen habe.

Hören konnt' ich in meinen jüngern Jahren unglaublich scharf, um so empfindlicher ist mir die Harthörigkeit, die mich in der Nacht vom 25. August 1804. auf einmal befiel und mir einen unangenehmen Strich durch meine gesellschaftlichen Genüsse und Mittheilungen machte, dessen Wegschaffung nicht mehr zu hoffen ist, da er immer[343] gröber wird. Woher mag es aber gekommen seyn, daß bey einem vielmonatlichen Klingen in den Ohren ich nur immer den Ton des Glöckleins vernahm, das ich als Knabe des Morgens, wenn ich nach der Schule ging, läuten hörte? Nie hörte ich einen andern. Der Sprachton eines Menschen drückt sich gleich so sehr mir ein, daß ich ihn sofort daran wieder erkenne und selten irre.

Meines jovialischen Humors ungeachtet, hab ich viel Mürrisches und Ungefälliges in meinem Betragen, und ob ich gleich jedem gern alles, was ich vermag, zu Gefallen thue, besonders wenn ich reellen Erfolg davon absehen kann, so fällt mein Ja doch selten in dem ersten Moment; ich fange gemeinhin mit einem, oft sogar störrischen Nein an und erhole mich hernach zum freundlichern Ja. Wer meine manchmal heftige Vorschnelligkeit und Aufwallung unbemerkt oder unerwiedert vorbeyschießen läßt, findet mehrentheils im zweyten Augenblick an mir den sanftmüthigsten Menschen; innere Beschämung macht mich dann sehr nachgebend.[344]

Meine Neigung, allen Menschen etwas zu gefallen zu thun und zu dienen, ist so uneingeschränkt, daß man mich oft über mein Bemühen, meinen Hausleuten eine Arbeit zu ersparen oder zu erleichtern und Gänge zu verkürzen, ausgelacht hat, und daß ich es nie habe begreifen können, wie ein Herr seinen fortreitenden Diener, der, auf einem unruhigen Pferde sitzend, den Huth verliert, lieber absteigen und Zeit verlieren lassen kann, als ihm den Huth aufzuheben und zuzureichen.

Wenn meine Leute eine beschwerliche Arbeit besonders unverdrossen ausführen, suche ich ihnen gleich dafür aus Erkenntlichkeit eine kleine Freude zu machen, so wie ich mich förmlich ärgre, wenn ich Menschen ein Thier auf irgend eine Art überladen sehe.

Meine stets bereitwillige Dienstleistung24 leidet aber eine Einschränkung, sobald sie[345] mit etwas beträchtlichen Geldkosten verbunden ist. Diese Art von Knauserey weiß ich mir, da ich sonst nicht die mindeste Anlage zum Geitz oder zum Sparen habe, nur daraus zu erklären, daß ich mein größtentheils von meiner Gattin herkommendes Vermögen auf keinerley Weise durch Ausgaben für Fremde schmälern möchte, zumal ich eher als sie zu sterben glaube und selbst Geld zu verdienen gar nicht geeignet bin – mit meiner eignen Person und allem, was diese zu leisten vermag, bin ich stets dienstfertig. Sonderbar ist es, daß die meisten Menschen das Helfen mit Geld für die eigentlichste Hülfsleistung halten, ob ich gleich gefunden habe, daß mancher Rath und Gang oder manches Gespräch, sogar manche Verweigerung der Geldhülfe nützlicher gewesen sind, als wenn man Geldsummen geliehen oder geschenkt hätte.

Da ich von Natur lebhaft bin, so gebricht es mir auch nicht an Ungeduld; indessen kann ich doch unglaublich lange geduldig[346] warten, sobald es verlangt wird und ich es verspreche; ist der Termin vorbey, dann bin ich merklich ungeduldig und empfindlich gegen den, der mich warten läßt. Meine Abneigung gegen das Warten macht es mir sogar unangenehm, andre zu sehen, die warten lassen; ich thue es niemals. Dieser Widerwille entspringt vielleicht aus meiner Achtung für die Zeit, die man doch wahrlich dem Wartenden raubt. Ich finde daher im Wartenlassen eine Art von Hartherzigkeit, deren sich die Weiber öftrer wie die Männer schuldig machen. Möchten doch kleine und große Dienstleute bedenken, wie viel Schaden sie oft dem thun, den sie Stundenlang im Vorzimmer warten lassen, ob sie ihn gleich in einer Minute hätten abfertigen können.

Für den gemeinen Mann ist meine Vorliebe fast leidenschaftlich, weil ich ihn für die eigentliche Basis des Menschengeschlechtes und alles seines Bösen und Guten halte. Wenn ich daher etwas von ihm fodre, so beurtheile ich die Miene, die er bey der Ausrichtung macht, nach der, die ich selbst machen würde, wenn man mir eben das beföhle. Aus dieser Ursache nehme ich meinen[347] Dienstboten manches unfreundliche Gesicht nicht übel und schein es nicht zu bemerken, welches ich auch bey andern verdrüßlichen Hausvorfällen beobachte, so bald ich sehe, daß sie nicht vermieden werden können, wenn man nicht sehr viel Angenehmes des häuslichen Lebens entbehren will. Das Schwere des Dienens ist ganz gleich der Leichtigkeit des Befehlens. Würde aber den Befehlenden nicht seltner ihr Recht bestritten und den Gehorchenden die Dienstpflicht erleichtert werden, wenn beyde sich zum Freundlichaussehen gewöhnten? Die Gesichtsfreundlichkeit ist ein Oel, welches das Starre geschmeidig macht und das Rauhe glättet.

Oberwähnte Vorliebe ist die Quelle meiner unaufhörlichen Lust zur Verbesserung der Landschulen, so wie der vielen Mühe, die ich mir gegeben habe, das große Werk der Erbunterthänigkeitsaufhebung bey denen, die dazu beytragen konnten, oft mit Zudringlichkeit zu befördern.25 Allein so häufig[348] mir auch dabey Interessirte das Edle und Nützliche der Loslassung im Gespräch zugaben, so suchte man doch auf allerhand Wegen die Erreichung des Ziels zu hindern und schnitzte immer Sprossen zur Leiter, ward aber nie damit fertig, um sie an die Knechtschaftswand anlegen und auf ihr die Freyheit ersteigen zu lassen. Es wurde viel davon geredet, auch manches Unwiderlegbare geschrieben, zur Erfüllung dieses großen Menschheitwunsches aber wenig gethan, bis endlich das Edict vom 9ten October 1807. diesem großen Uebel ein Ende gemacht hat, ob es gleich bey der Ausführung noch an manchen Stellen hapert, doch Gott Lob nicht so wie in Liev- und Esthland. Beneideten nicht die großen Edelleute im ehemaligen Preuß. Antheil von Pohlen ihre Standesbrüder im Russischen, wo die ansehnlichsten oft recht arg behandelt wurden, aber die Freyheit hatten, ihre Unterthanen nach Willkühr[349] zu plagen, welches im Preußischen nicht Statt fand.

Auch bin ich ein eingefleischter Preuße, so daß ich, das Clima etwa abgerechnet, dieses mein Vaterland über alles liebe und nicht einsehe, wie man ihm andre Länder an Justitz, Moralität und politischer Freyheit vorziehen kann. In der letzten Zeit hat sich zwar manches geändert, mancher Text scheint verloren gegangen und blos durch Melodietriller ersetzt zu seyn; allein es wird sich hoffentlich alles wieder zurecht finden, wenn die Menschen werden gelernt haben, mit fester Besonnenheit von mancher guten Einrichtung, oder vielmehr erst guten Verordnung zur erstern, Gebrauch zu machen. Ich pflegte daher vor einigen Jahren meinen stöhnenden Freunden zum Schweigen zu rathen, damit nicht unbillige Staatshaushalter durch vieles Nachfragen erführen, wie mild es in Preußen hergeht. Das si tacuisses philosophus mansisses läßt sich öfter anwenden, wie man denkt; in spätern Zeiten ist es indessen so ziemlich zu einer, wenn gleich vielen nicht behagenden, Parität gekommen.[350]

So sehr ich Freund der ländlichen Natur bin, so kann ich doch nie blos spazieren gehen, noch weniger einen vielbesuchten Lustort besuchen, und kenne daher die der Stadt nahgelegenen beynah alle nur den Namen nach. Ich muß stets an einen gewissen Fleck, aus einer gewissen Ursache hingehen und, um einen Spazierort zu genießen, allein seyn. Im Berlinschen Thiergarten hatt' ich mir daher die entlegensten und einsamsten Plätze ausgewählt. Auch kann ich in der freyen Natur nichts aus arbeiten, meine Gedanken zerstreuen sich gleich wie ein Rauch, und der Gegenstand verschwindet mir aus dem Gesicht. Beym Spazierengehen in Gesellschaft halt ich mich gleich an die begleitenden Menschen und kümmre mich weiter um nichts.

Gelacht hab ich gewiß über mehreres und mehrere, als ich vielleicht hätte lachen sollen, weil ich Lachen und Weinen für beynah gleich kräftige Ableiter verdrüßlicher Wetter des Lebensschachtes halte, zum erstern aber mehr Neigung hatte. Wenn ich mich mit Hippel in Gesellschaft befand, oder nur ein Dritter, wär' es auch nur sein Aufwärter gewesen, zugegen war, so[351] fiel ich gleich mit ihm ins Lustige und neckte ihn mit seinen mancherley Sonderbarkeiten; waren wir aber ganz allein, selbst erwärmt vom Champagnerpunsch, so kam uns nie Lachen in den Sinn, weil wir dann immer über Dienstsachen oder über Natur und Kunst der Menschen sprachen. Ueberhaupt bin ich im Tete a Tete zum Ernst geneigt, und sag ich dabey etwas zum Lachen, so gehört es mehr zum bittern Salsen, als zum Honig.

Gehaßt hab ich meines Wissens keinen, und ob ich gleich Vergessen und Vergeben durchaus nicht zu paaren verstehe, oder vermag,26 so bin ich doch immer stolz oder gutmüthig genug gewesen, im Hülfsfall keinem ein Versehen gegen mich anzurechnen. In meiner frühsten Jugend hatte eine viel ältere Cousine mich in Abwesenheit meiner Eltern, kindischer Streiche wegen, an den Ofenfuß gebunden, und ich behielt seit dieser Bestrafung, die mir ungerecht geschienen,[352] eine Art von Scheu vor ihr und Abneigung gegen sie, die sich selbst in den Jahren nicht verlohr, wo ich ihr weit übern Kopf gewachsen und sie meiner Dienste bedürftig war, die ich ihr auch bis an ihr Lebensende nie verweigert habe. Ich muß hier eine Stelle aus des vortrefflichen klugen Kraus Briefe an seinen Herzensfreund Auerswald hersetzen, weil sie eine sehr richtige Bemerkung enthält. »Einer Bosheit sind ich mich leider fähig genug, nämlich einen Menschen blos darum zu hassen, weil ich ihn lieben will und doch nicht lieben kann. Die Unmöglichkeit oder Schwierigkeit, ihm von Herzen gut zu seyn, macht mich sinnreich in Erfindungen von allerley Ursachen, die ich, statt sie in mir mit aufzusuchen, nur in ihm allein voraussetze, und das Bewußtseyn, ihm darin vielleicht Unrecht zu thun, macht, daß ich ihm wirklich gram werde, und so geschieht es dann, daß, weil ich nicht halb lieben kann, ich Menschen, gegen die ich schlechterdings nicht gleichgültig bleiben will, wirklich hasse, wenn ich finde, daß sie sich nicht ganz lieben lassen.«[353]

Ueber meinen Zorn laß ich nie die Sonne untergehen, und bin nach einer Scheltexplosion wieder so gelassen und freundlich, als ob sie gar nicht vorgefallen wäre, oder ich auf ihre gute Wirkung sicher rechnen könnte. Rachsucht ist mir daher so fremd, wie Drohen, beydes veracht ich förmlich, und da mein haarscharfes Gewissen mir nicht die mindeste eigne Schwachheit ungerügt hingehen läßt, so schieb ich gerne meine Rache dem ins Gewissen, der sich an mir versündiget.

In meinen jüngern Jahren war ich ein unermüdlicher Briefschreiber, wurde aber in spätern Jahren, außer gegen Hippel, lässiger. Doch war ich durch Borowsky in eine Correspondenz gerathen mit dem Diaconus und Beichtvater der Gemahlin König Friedrich Wilhelms II., Lüdeke, den ich noch von seiner Hofmeisterschaft im Domhardtschen Hause her kannte, und dessen unerschöpfliche Witzergießungen in Prose und Versen bis zu seinem Anno 1806. erfolgten Tode aushielten.

Der Umgang mit klugen lebenskundigen Menschen hat für mich unendlichen Werth, der mit blos gelehrten fast gar keinen. Bey[354] Tisch bin ich in spätern Jahren gesprächiger geworden, als ich es in frühern war, wo ich oft kein Wort sprach und durch mein Schweigen zu manchem falschen Urtheil über mich Anlaß gab. Große Gesellschaften sind mir beynah so zuwider, wie mir das wechselseitige Küssen der Männer unschicklich vorkommt. Schon hat mir das Küssen der Weiberhände von je her lästig und übel angebracht geschienen, weil ich den Kuß für eine Besiegelung des freundschaftlich Gesagten, oder für ein Mittel halte, Gefühle zu bezeichnen, die man nicht auszudrücken vermag. Es scheinet mir die Aeußerung einer innern Exaltation und der Handkuß eine hohe Dank-und Achtungsbezeugung zu seyn.

Ich bin ein schlechterer Wirth als Gast, in welcher letztern Qualität ich mich verpflichtet halte, dem Wirth einen Ersatz für die Aufnahmkosten durch meine Conversation zu geben, wenigstens einen Beytrag dazu. Die Wirthsrolle spiel ich nicht mit der gehörigen Gewandheit, die ein Wirth haben muß, wenn er ein wirklich zufriednes Tischleben stiften und erhalten will, ob ich gleich meinen Gästen mit dem frohsten Herzen[355] Essen und Trinken gebe und auch mit ziemlicher Sorgfalt darauf bedacht bin, daß nur Zusammenpassende auch zusammen eingeladen werden. Eine Schwalbe macht zwar keinen Sommer, aber ein Gast kann zuweilen die Freudenkeime aller übrigen welk machen, und man sollte daher solche Sortirungen nicht für unbedeutend halten. Wer zur Unterhaltung bey Tisch nicht beytragen kann, müßte auf das Zugastgehn Verzicht thun, so wie ein stummer Wirth jedesmal durch reichlicheres Anrichten den Gästen eine Entschädigung für seine Redekargheit zu geben verpflichtet wäre.

Einen ganzen Tag in Gesellschaft zu seyn, hab ich auf alle mögliche Weise zu vermeiden gesucht, und an denen, die es ohne Zwang ertragen können, meistens etwas noch viel ärgeres, als bloßen Sybaritismus wahrgenommen.

Im kleinen Cirkel, im Zwiesprach mit einem klugen Mann, möchte wohl mein Seelenfeuerzeug die mehrsten Funken gesprüht haben. Zum Klubbmithalten hab ich mich nie entschließen können, und außer meinem Hause brachte ich in den ersten zehn Jahren meines hiesigen Aufenthalts nicht zwey Abende[356] zu. In den Jahren 1807. 8. und 9. litt diese Gewohnheit wohl manche Ausnahme, indem ich zu activen und passiven Soupers, und dem mir unlieben späten Aufbleiben genöthiget wurde; Freude und Geschmack hab ich aber nicht daran gefunden und bin daher gern und leicht, doch nicht ganz, nach dem Abzuge der fremden Stadtbewohner zu meiner alten Lebensweise möglichst zurückgekehrt.

Bis ich Soldat wurde, waren die Abendstunden meine angenehmsten zum Lesen und Schreiben. Im Felde lernt ich früh aufstehen und schlafen gehen, und behalte letzteres noch gerne bey. Nachtfleißige Langschläfer haben nach meiner Bemerkung immer etwas pedantisches und doch unordentliches an sich. Obgleich Morgenstunden ein unbestreitbares Vorzugsrecht zu Geschäften haben27, so habe ich doch immer, was meines Amtes war, auch gleich nach der Mittagsmahlzeit vornehmen können. Vor dem Schlafengehen muß ich mich aber von[357] einer sehr anziehenden Lektüre, noch mehr aber von einer lebhaften Unterredung hüten, beydes bringt mich ums baldige Einschlafen, das ich für eine große Glückseligkeit halte, und dessen Aufschub ich mir nie durch Nachschlafen des Morgens habe ersetzen können. Hippel ließ sich von seinem Bedienten von halb 10 bis 10 die Zeitungen vorlesen und pflegte zu sagen: diese Vorleserey lehrt mich so trefflich das Einschlafen, daß ich es vollkommen kann, so bald ich ins Bett komme.

Der Eintritt in mein Bett, an das ich eine ganz besondre Anhänglichkeit habe, hat seit langer Zeit schon etwas feyerliches für mich, und geschieht nie ohne einen Gedanken an den Tod. Ob ich gleich über das künftige Leben nie nachgrüble, so ist doch der Gedanke daran jedesmal ein Windstoß auf die Aeolsharfe meines Lebens, zwar keine Melodie, aber doch eine Harmonie wie im Somnio Scipionis, wodurch das Einschlummern befördert wird.

Mit einer fast an Gefühlsmangel gränzenden Inmichgekehrtheit ertrag ich alle Menschen, bin aber in der Wahl ihrer zu[358] meinem Gebrauch schwürig, vielleicht gar lecker oder übermüthig.

Des Dienstes, den ich für eine Art von Unterthänigkeit halte, die dem Staat das volle Recht giebt, alles zu fordern, was im Bestallungsurbar benannt ist, hab ich mit Leib und Seele gewartet, und es macht mir noch wahres Vergnügen, mich mit rechtlichen Leuten über ihn zu unterhalten, so wie es mich oft bis zum Bitterwerden verdrüßt, wenn ich Miethlinge sehe, die es dem Bauer zum geißelwürdigen Verbrechen machen, wenn er sich schlechtbezahlten, oft willkührlichen Diensten harter Herrschaften zu entziehen versucht, während daß sie ihr ganzes Leben in Vernachläßigung bestimmter, die Seelenkräfte gar nicht übersteigender und fast durchgängig reichlich bezahlter, leider meistens Federdienste hinbringen.

Vom weiblichen Geschlecht, aus dem mir manches Einzelwesen sehr anziehend und lieb geworden, hatt' ich keine so hohe Meinung wie Hippel. Die Nothwendigkeit weiblicher Keuschheit leuchtet mir indessen so stark ein, daß es mich jedesmal verdroß, wenn man mit ihr lauten Spaß trieb, oder ihre Widernatürlichkeit mit leichtsinnigen[359] Gründen zu erweisen suchte. Zweydeutige Scherze, besonders in Gegenwart der Weiber, waren mir daher von jeher so unleidlich, daß mir, dessen Phantasie oft nicht die reinste war, nur selten eine kleine Zweydeutigkeit entschlüpfte. Ein Weib, das über diesen Punkt nicht äußerst verschämt war, ward mir auf immer verächtlich, fast noch verächtlicher, als eine Religionswidersacherin. Da die Weiber, meines Erachtens, öfterer die Eva, wie wir den Adam äußern, so hab ich, wie schon oben erwähnt, stets sehr dringend angerathen, zuerst die Mädchen sorgfältiger zu erziehen, weil ohne ihr vorgängiges Gedeihen die Knabenerziehung nicht glückliche Fortschritte machen und gar nicht auf die Dauer bestehen kann.

Mögen Rumfort, Cadet de Veaux etc. noch so viel herrliche Erfindungen zur Verminderung der Wirthschaftkostbarkeit machen, mag Erfahrung ihre Ausführbarkeit noch so laut bestätigen, so lange nicht der fast unglaublichen Denkbiegsamkeit der Weiber über alles, was Luxus, Moden und überhaupt die Feinsinnlichkeit (Frivolität) betrifft, durch frühern Unterricht eingeschränkt und auf das, was dauerhaften[360] Nutzen schafft, hingeleitet werden wird, so lange wird das starrsinnige Beharren bey der Mutterweise die Anwendung jener Erfindungen hindern, und der Gebrauch der Sparküchen und Knochensuppen etc. nicht allgemein werden. Manche Frauen gestehen die Vortheile ein, gleichen aber den Schuldnern, die bey Erblickung des Creditors seiner Mahnung durch ein freundliches: »ach ich bin ihnen noch immer schuldig« zuvorkommen, aber gemeinhin die saumseligsten Bezahler sind. Von der vielfältigen Wahrnehmung, daß viele Frauen den in den Kinderjahren genoßnen guten Unterricht in den spätern beynah ganz vergessen zu haben scheinen, weiß ich mir keinen bessern Grund anzugeben als den, daß ihr Unterricht nicht elementarisch gewesen, daß man also ihre eignen Geistesquellen nicht fließend gemacht, sondern ihre Köpfe wie Cisternen behandelt, die bey ausbleibendem frischen wissenschaftlichen Regen austrocknen. Ob durch das immer häufiger werdende Besuchen wissentschaftlichern Vorlesungen, besonders in Tagesstunden, die der Mütterlichkeit und Hauswirthschaft ungekürzt bleiben sollten, jenem Wassermangel werde abgeholfen werden, läßt[361] sich aus mancherley Ursachen so stark bezweifeln, als sich, als Erfolg jener Zuhörereyen, eine größre Dürre in andern zur Weiblichkeit natürlicher gehörenden Erlernungen besorgen läßt. Unserm Geschlechte würde es nicht besser ergehen, wenn nicht Amts- und andre Lebensbedürfnisse uns zur Unterrichtsfortsetzung nöthigten, und unsre wissenschaftlichen Wasserbehälter vor der Austrocknung bewahrten.

Mehr als einmal hab ich mit fast siegwartischer Empfindsamkeit und catullischer Ueppigkeit geliebt, aber auch schon längst eingesehen, daß ich beyde Arten zum Besten des Leibes und der Seele hätte unterlassen können und sollen, und daß jedem Manne viel Vorsicht bey dieser Leidenschaft Pflicht sey, zumal die Aufforderung zu ihrer Befriedigung bei einem auch nur etwas gebildeten Manne nie so stürmisch ist, es sey denn, daß er sich selbst unnöthigerweise dazu verwöhnt habe. Man lache indessen nicht über mich, wenn ich bey dieser Gelegenheit mit einem honny soit, qui mal y pense bekenne, daß ich das Hausmittel des Greises David, dessen im ersten Capitel des ersten Buchs der Könige gedacht wird, nicht verwerflich[362] halte, besonders wenn man die lezten Worte des vierten Verses zu beobachten nicht vergißt.28 Nach blos augenblicklicher sinnlicher Lustbefriedigung ohne alle Beymischung eines physischen, wenn auch nur von meiner Seite gedachten Vergnügens, hab' ich so wenig greifen, als mich zum Trinken hinsetzen können, um zu trinken, daher ich mich auch nur auf drey von ungefähr gehabte förmliche Räusche besinne.

Das erste Glas Wein über das Maaß, welches ich vertragen kann, warnt mich jedesmal durch eine gewisse traurige Stimmung, die es in mir veranlaßt, vor dem Mehrtrinken. Ein Dienstmann, von welcher Sektion er sey, kommt selten ohne Kraftbanquerout davon, wenn er nicht über diese zwei Einnahmen und Ausgaben Buch hält.

Aus meiner Denkungsart über die Weiber läßt sich indessen die Möglichkeit meines Herausfindens aus dem Labyrinth der Liebe[363] erklären, und ob ich gleich mit schönen und klugen Weibern manchen Straus hatte über die mir aus Gewohnheit zur Natur oder aus Natur zur Gewohnheit gewordne Spötterey im Ton oder in der Miene, wenn ich Damen etwas verbindliches sage, so ist doch nie eine Frau meine wirkliche Feindin gewesen, und der Umgang mit dem andern Geschlecht hat mich zu mancher Verstandsübung und Sittenverfeinerung getrieben, an die ich ohne den Handels-Verkehr mit ihm vielleicht nicht gedacht, noch weniger sie besser ausgebildet hätte.

Wieland, der nun auch schon am 23. Januar 1813. gestorben, sagt, als Stellvertreter des Apollonius von Thyana: »der Hang zur Wollust, durch Vernunft verändelt, geläutert und gemäßigt, kann glücklich organisirte und unter günstigen Gestirnen, wie man sagt, geborne Menschen auf einem sehr angenehmen Wege zu einem nicht gemeinen Grad von sittlicher Vollkommenheit, innrer Harmonie, Zufriedenheit und Lebensgenuß führen.« (Wielands Schrift. 32. B. Agathodäm. 1. B.n. 6.) und die Richtigkeit dieser Bemerkung bezeug ich Wielanden in meinem jetzigen hohen Alter.[364]

Nach einer bis nahe an die goldne Hochzeit gelangten kinderlosen Ehe muß doch auch etwas über mein ehemännisches Betragen seine Stelle finden, und da Freund Hippel, der nie verheyrathet gewesen, ein dreymal aufgelegtes Buch über die Ehe hat schreiben können, so will ich doch auch ein Wörtchen über die alte Heyrathssitte sagen. Mir scheint die Ehe das Gleiche mit der bürgerlichen Verfaßung zu haben, daß sie einem manchmal unangenehme Tage, wenigstens Stunden macht; wer möchte aber wohl ohne bürgerliche Verfassung leben und ihrer kleinen Beschwerlichkeiten wegen auf ihre vielen großen Vortheile Verzicht thun? Wie im Staat, so ist auch in der Ehe alles auf das mutuum adjutorium (wechselseitige Hülfsleistung) berechnet, und wenn eine Hand nicht die andre wäscht, so bleiben beide schmutzig. Alle andere, außer diesem wechselseitigen Beystande, von Philosophen und Juristen angegebene Ehestandszwecke haben mir daher immer, theils nebenseitig, theils untergeordnet geschienen, und ich kann daher auch die Verbindung zweyer, im Alter sehr verschiednen Personen, nicht gut heißen. Einige Jahre älter wie die Frau[365] sollte der Mann aus mehr als Einer Ursache seyn. Poetische Liebe sind ich zur Ehestiftung entbehrlich, dagegen die Sorge für anständiges, wenn auch nur bey Sparsamkeit zureichendes Auskommen so unentbehrlich, daß ich ohne selbiges eine glückliche Ehe beynah für unmöglich halte. Nächst dem gehörigen Auskommen setz ich das wechselseitige Zutrauen, dessen natürliche und gewöhnliche Folge die Freundschaft ist, die eigentlich im ganzen Umfange nur unter Eheleuten statt findet, und die ich zu den höchsten Lebensgenüßen rechne, weil sie schon durch ein Nebeneinanderseyn befriedigt. Ich spreche darüber aus Erfahrung, da ich weiß, wie behaglich es mir war, wenn meine Frau mit ihrem Buch oder ihrer Handarbeit sich in meiner Stube aufhielt, ohne alle weitre gesprächliche Unterhaltung, ob mir gleich das gesprächsarme Beysammenseyn mit bloßen Besuchern ganz unendlich lästig fällt und ich daher lieber zu manchem selbst hingehe, um das Weggehen in meiner Gewalt zu behalten. Auch die Schönheit mag ich nicht zu den Nothwendigkeiten des Eheglücks zählen. Einer meiner alten Bekannten hatte unter seinen stereotypischen Einfällen auch den:[366] Schönheit vergeht, Häßlich bleibt immer; und er hat Recht, denn es fragt sich, ob sich nicht der Eindruck der Schönheit bald bis zur Unbemerklichkeit verliehre, und der der Häßlichkeit noch schneller sein Unangenehmes schwinden lasse? Ich glaube, ein recht kluges, aber häßliches Weib sey letztres nur in der ersten Viertelstunde, bleibt sie es aber einem auf die Dauer, so ist es ein Beweis, daß sie durch und durch und bis zur Ungebühr häßlich ist, oder daß ihr Verstand nicht Bildung und Gewandheit genug erhalten hat. Die Gesichtshäßlichkeit eines Frauenzimmers erregt selbst dadurch, daß die Natur sie manchem Mitgliede des schönen Geschlechts zu Theil hat werden lassen, eine Ahnung, es müsse doch irgend etwas andres Schönes zur Entschädigung für jenes Häßliche erhalten haben, so daß Lady Montagu ganz Recht haben mag, wenn sie versichert, sie sey in den türkschen Weiberbädern überzeugt worden, daß, wenn es Sitte wäre, nackt zu gehen, das Gesicht kaum bemerkt werden würde.

Ausgemacht bleibt es wohl, daß zum glücklichen Eheleben sehr viel gehöre, und daß der oder die, welche rein glücklich es führen zu wollen gedenken und hoffen, am[367] besten thun, wenn sie es nicht zum Versuch kommen lassen, um nicht zu erfahren, daß man auch auf dieser Reise Rechnungen ohne Wirth mache.

Sankt Paul hat, obgleich in einem andern Sinn, von der Ehe gesagt; es liege in ihr ein großes Geheimniß: ich mag daher auch über und aus der meinigen nicht schwazzen. Daß elektrische Wolken meinen Ehestandshimmel bisweilen getrübt haben, kann ich nicht leugnen; dies scheint in der Natur der Matrimonial-Atmosphäre zu liegen. Eben so aufrichtig bekenn ich aber auch zur Ehre meiner mit mir alt gewordenen, verständigen und in allen weiblichen Geschäften keiner nachstehenden Susanne Elisabeth, daß mir in meinem Leben keine ihres Geschlechtes begegnet sey, die ich zur Gattin für mich passender gefunden hätte, und der frühere Tod des einen von uns wird gewiß dem Nachbleibenden viel Thränen der aufrichtigsten Trauer kosten.

Zum Beschluß noch etwas über meine Leserey, über Tod und Religion.

Da ich bei Büchern so dachte, wie Holofernes nach Buch Judith XII., 12. über die Weiber, die in sein Lager kamen, so[368] las ich jedes Buch, das in mein Haus kam, las aber und lese noch jedes Buch ohne Unterschied so schnell, wie man es mit Romanen thut, und überlaß es meinem einst erwehnten esprit primsautièr, was er daraus behalten will oder kann. Nachzudenken beim Lesen ist eben nicht meine Sache, Auszüge zu machen noch weniger, und nur selten streich ich eine Stelle mit dem Bleystift an. Ein vornehmer Mann, der den Gracian und Chesterfield fleißig studirt hatte, sagte mir einst, als ich ihn um die Mittheilung eines Buchs ersuchte: »Wenn ich nicht wüste, daß sie mich von langer Zeit her schon kannten, so gäb ich es ihnen nicht, weil ich vieles darin angestrichen habe, und solche Beystriche Selbstbekenntniße sind, die man nicht jedem machen mag.«29

Soviel bleibt mir indessen fast immer vom Geiste des Buchs, daß ich, wenn auch nicht einen Aufsatz darüber, wie der ganz treffliche vom Regierungsrath Dellbrück über Göthes Wahlverwandschaften[369] (im Januar der Jenaischen Literatur-Zeitung von 1810) machen, ich doch dem andern mein Urtheil darüber sagen, mit ihm darüber reden und ihm widersprechen konnte, wenn er etwas anführen wollte, was nicht im Buche stand – jetzt (1813) ist es auch in diesem Stück anders, und ich lese eigentlich nur für den Augenblick, in dem ich lese.

Ein weitläuftiges Vernünfteln über mein Lesen zu ersparen, will ich die Bücher nennen, von denen ich mich erinnre, sie mehr als einmal gelesen zu haben.

Gellerts Fabeln, Neukirchs Telemach, Koppens Uebersetzung des befreyten Jerusalems von Tasso, den Horaz, den Tibull, den Tacitus de moribus Germanorum und das Leben des Agricola, den Baco de augmentis scientiarum und seine sermones fideles,30 den Haller, [370] Hagedorn, Uz, Kleist, Creuz, Musarion, Agathon und Oberon von Wieland, das meiste von Göthes und Schillers Werken, Vossens Luise und Homer, Klopstocks Meßias, Shakespear von Wieland, Eschenburg Schlegel, Montesquieu, Rousseaus Emil, N. He loise, Briefe an Alembert und Beaumont, Machiavels Discorsi und Prencipe, Diderots Theater, beynah alle Lessingschen Schriften, viele von den Voltairschen, Robertsons Einleitung zu seiner Geschichte Carls V., Hume Versuche, A. Smith vom Nationalreichthum, den Boileau, viele Stücke von Moliere, Racine und P. Corneille, Youngs Klagen und Nachtgedanken, Miltons verlornes Paradies von Bodmer und Zachariä, Geßners Schriften, vieles von Rabner und Zachariä, Müllers Geschichte der Schweiz und Briefe an Bonstetten, Gleims Grenadierlieder und Hollodat, viele von Weissens und Bürgers Gedichten, Mösers Geschichte von Osnabrück, Bonnets Betrachtungen der Natur, Reimarus natürliche Religion, den Priester von Wackefield,[371] den Thom Jones, Yoricks Reisen, den Gilblas von Santillana, ein Paar Bände von Don Quixote und Tristram Shandy, die ich beyde nie beendigt habe – erstere will ich aber noch lesen,31 vieles im Seneca und von Ciceros kleinen Schriften, Mengs Betrachtungen über die Mahlerey, Engels Philosoph für die Welt, Tiedges Urania, Pope Versuch vom Menschen, Thomsons Jahreszeiten, Winkelmanns Geschichte der Kunst, Schaftsbury, Hartleys Betrachtungen über den Menschen, Spinozas Opera omnia, Glovers Leonidas, den Ossian in vier Uebersetzungen, Raynals histoire des établissements etc., Pauw sur les Americains, Bruyere, Duclos sur les moeurs du tems, die Söhne des Thals von Werner, das Niebelungen-Lied, Schlegels Vorlesungen über die Geschichte der alten und neuen Litteratur, Göthes Wahrheit und Dichtung, und zwar nicht in beßrer Ordnung, als wie sie hier benannt sind. Mein Lieblingsbuch wurde Montaigne, den, wenn ich[372] genöthiget wäre, von allen Büchern mir Eins zu wählen, ich mir unbedenklich zum Gesellschafter wählen würde.

In Delille's Gedicht sur l'imagination fand ich im sechsten Gesange, der le bonheur et la morale überschrieben ist und mir am besten zugesprochen hat, folgende Stelle über ihn, die ich mit froher Zustimmung, wie jene so eben (15. Febr. 1814) gelesene aus J. Müllers Werken (6ter Band pag. 326) hersetze.


Riche du fonds d'autrui, mais riche par son fonds,

Montaigne les vaut touts: dans ses brillants chapitres

Fidele à son caprice, infidele à ses titres,

Il laisse errer sans art sa plume et son esprit,

Sait peu ce qu'il va dire, et peint tout ce qu'il dit.

Sa raison un peu libre et souvent negligée

N'attaque point le vice en bataille rangée,

Il combat en courant, sans dissimuler rien,

Il fait nôtre portrait en nous faisant le sien,

Aimant et haïssant ce qu'il haït, ce qu'il aime,[373]

Je dis ce que d'un autre il dit si bien lui même:

»C'est lui, c'est moi.« Naif, d'un vain faste ennemi,

Il fait parler en sage et causer en ami.

Heureux on malheureux, à la ville, à la campagne,

Que son livre charmant toujours vous accompagne.


»Nach diesem les' ich wieder einmal den weisen Montaigne eben zur Gesundheit, wie man ein calmant (niederschlagendes Pulver) nimmt, er ist so heiter, verständig, vergnügt, er verbreitet über alle Lebensgeschäfte eine so wohlthuende teinte (Anstrich), dabey hat er gut scharfsinnig seyn; wenn nichts den Blick trübt, so ist er hell. Welche Beredsamkeit manchmal und Horazens Amönität« (liebliche Laune).

Ehe ich zum Tode gehe, noch etwas über ein Paar Krankheitszustände. Der eine hielt mich viele Wochen beynah immer im Bett, und mein Körper war so schwach, daß ich nur mit Zwischenausruhungen ganz leise sprechen und die Feder nicht zum Schreiben halten konnte. Meine Seele aber war während dieser Leibesentkräftung immer[374] gespannt und geschäftig, machte Abhandlungen und Briefe in Prosa und in Versen, die ich aber weder in die Feder sagen noch selbst niederschreiben konnte. Mit der Zunahme der Leibesstärke nahm dieser Abhandlungsirrsinn zum Glück ein Ende.

Ob ich den andern Zustand eine Krankheit nennen kann, weiß ich nicht, denn ich war eigentlich ganz gesund, sah aber einige Jahre lang am hellen Tage bey verschlossenen und in der Nacht, völlig wachend, bey offnen Augen ganze Reihen von menschlichen und thierischen Gestalten, auch Landschaften, alles sehr lebhaft gefärbt, bey mir vorüberziehen, wenn ich versuchte, alles recht genau zu beschauen, so veränderten sich die Formen gar wunderlich, aus der schönsten Gestalt ward eine Fratzenfigur, aus dem Riesen ein Zwerg, aus dem Pferd ein Schooshund und aus einem Claude Lorrain eine Wagenmalerlandschaft. Als ich Nicolais Aufsatz über seine Phantasmen las, fiel mir meine eigne Art von fata morgana bey, die mir übrigens gar nicht lästig war, seit vielen Jahren sich, wenigstens nicht anhaltend, hat wiedersehen laßen, und aus welchen Erscheinungen sich vielleicht viele erklären[375] ließen aus Göthe's höchst reichhaltiger Farbenlehre, die meines Erachtens wohl nicht dem großen Newton das himmelschreyende Unrecht thut, dessen sie die Erzmathematiker beschuldigen, wenn sie gleich im polemischen Theil einen sehr schnöden Ton angenommen hat, dessen sich kein Schriftsteller gegen einen andern, am wenigsten ein Göthe gegen einen Newton bedienen sollte.

Nun zum Tode, der allem Lebensjammer und Spaß ein Ende macht.32[376]

»Unter andern Capiteln, die uns der angenehme Schwätzer Montaigne hinterlassen, hat mir immer das vom Tode am wenigsten gefallen. Es ist das 19. im 1. Buch. Man sieht durch alles hindurch, daß sich der wackre Philosoph vor dem Tode gefürchtet, und durch die gewaltsame Aengstlichkeit, womit er den Gedanken wendet und selbst zu Wortspielen dreht, ein sehr übles Beyspiel gegeben hat. Wer sich vor dem Tode wirklich nicht fürchtet, wird schwerlich davon mit so vielen kleinlichen Trostgründen gegen ihn zu reden wissen, als hier Montaigne beybringt.«

So steht in Lichtenbergs nach seinem Tode von Kries herausgegebenen Schriften[377] 2. Bd. S. 283. geschrieben, und so sehr ich dieses Mannes scharfsichtige Urtheile sonst verehre und ihnen gerne beytrete, so glaub ich doch, er trete in diesem meinem Lieblinge zu nah. Ich habe das angezogne Capitel französisch und deutsch mehreremale gelesen und kann darin keine Furcht vor dem Tode entdecken. Montaigne spricht über ihn, wie er über andere Gegenstände zu sprechen gewohnt ist, und sollt ich ihn irgend einer Sünde zeihen, so wär es die, daß er auf seiner Waage Tod und Leben von gleichem Gewicht findet, da meinem Glauben und meiner Bemerkung nach, das Leben, das man noch lebend wägt, immer ein wenig den Ausschlag vor dem Tode bekommt. Das Leben ist ein Hausfreund geworden, der Tod ist ein besuchender Bruder, bringt und letztrer auch das logengerechteste Certificat und das beste Empfehlungsschreiben, so behält erstrer doch den Vorzug. Der Mensch will immer etwas erlebt haben und ist heimlich mißtrauisch gegen das, was noch zu erleben seyn möchte und worüber ihm weder Geschichte noch Nachdenken etwas Gewisses gesagt haben oder sagen können. Außerdem ist ein großer Unterschied zwischen[378] dem: den Tod nicht fürchten, und: den Tod sich wünschen; das Erste besinne ich mich nie gethan zu haben, ob mich gleich der Soldatenstand und manche Krankheit ziemlich auf die Lebenswippe stellten; während meiner Jünglingsschaft schwärmt ich zuweilen über den Tod bis zum Wunsche nach ihm; späterhin verging und vergeht auch noch kein Tag, an dem ich nicht aus Sterben gedacht hätte oder noch denke. In meiner vorletzten Wohnung erinnerten mich die um meine Grabstätte gepflanzten Pappeln, die aber wohl nach meiner Wohnsitzveränderung nicht meine Asche beschatten werden, bey jedem Ausgang an meinen letzten Ausgang, allein diese Memento mori haben mich zu einer Art von Familiarität mit dem Tode gebracht, die ich beim Montaigne wahrnehme, und die mich eben so leicht zum Schwätzer über das Sterben machen könnte. Worüber man viel und oft gedacht, und immer gefunden hat, es lasse sich darüber eigentlich nichts Gewisses denken oder herausbringen, das wird einem zuletzt beynah gleichgültig, und ich halte eine solche Gleichgültigkeit in articulo mortis für ein so behagliches Kissen, daß ich wünsche, es möge keine schmerzhafte[379] Krankheit mir selbiges unter dem Kopf hervorziehen. De ma mort, si je la rencontrois babillarde, comme font d'autres, donnerois – je encore volontiers avis au peuple en delogeant.

Montaigne l. III, ch. 12.


Da ich den Grund der Ehrwürdigkeit und die Pflicht zur Verehrung des Alters, selst bey der Annäherung meines achtzigsten Geburtstages, nicht einsehe und auch nicht die mindesten Ansprüche darauf mache, so find ich auch im langen Leben keine ausgezeichnete oder auszeichnende Glückseligkeit, wenn gleich der wunderliche Mercier bey Gelegenheit des im 90sten Jahre gestorbnen Türpins schreibt: »Ein langes Leben deutet auf manche moralische Eigenschaft, und ich könnte leicht in Versuchung kommen, Alter und Tugend, zu gleichbedeutenden Wörtern zu machen. Um fast ein Jahrhundert lang durch die Menschen und ihre Leidenschaften und durch seine eignen hindurch zu kommen, muß man mehr als Einen Sieg davon getragen und gewissenhafter, als die meisten andern Menschen, den heiligen Gesetzen der Natur gehorcht haben, die immer die Ehrfurcht belohnt, die man für sie beweist. Viele[380] Jahre durchlebt haben, heißt also: in den meisten Fällen philosophirt haben. Möchten doch unsre Zeitgenossen weniger daran denken, geschwind und vielgewinnend, als gemeinnützig und durch freye Entsagung still verdienend zu leben.« – Wohl aber sind ich darin eine durch nichts vergütete Unannehmlichkeit, die im Ueberleben alles dessen und aller derer besteht, wodurch und mit denen man das Leben eigentlich genossen hat. Als vor einigen Jahren der Exbuchhändler Wagner starb, mit dem ich über 30 Jahre in mancherley Verkehr gestanden, ohne daß er eben meinem Herzen wichtig geworden war, so wollte mir sein Verlust dennoch recht lange nicht aus dem Sinn; das, was man noch erleben kann, scheint gar keinen wahren Ersatz für das verlorne Erlebte abgeben zu können. Als ich den 18. März 1806 das Hündchen verlor, mit dem ich, der die Hunde seit seinem 40sten Jahr sehr geliebt hat, funfzehn Jahr, ungeachtet seiner wunderlichen Laune, die ihm nicht erlaubte, sich mit den Häuslingen, oft selbst nicht mit mir vertraut zu machen, gelebt hatte, wie viele Monate wandten sich nicht[381] meine Augen traurig nach der Stelle, wo dies Thierchen zu liegen pflegte!

Der Gedanke, daß ich vielleicht nächstens ohne einen einzigen Jugendfreund allein stehen werde, schlägt mich oft nieder, und Montaigne's Versicherung: »gestorben seyn sey nichts, aber das Sterben sey so eine Sache,« möcht ich lieber so ausdrücken: das Sterben sey nichts, aber das Lebenbleiben, nach dem die uns lieb waren gestorben sind, sey eine schlimme Sache – die Wahrheit dieser Bemerkung hab ich sehr lebhaft empfunden:

a) den 29. Novbr. 1790 beim Tode meiner Schwester Justina, die ein kluges braves Weib war;

b) den 23. April 1796, als Hippel starb;

c) den 19. Sept. 1801, als der Hospitalpfarrer Fischer das Leben verließ. Ein von allen Seiten vortrefflicher Mann, reich an natürlicher Einsicht und an wissenschaftlichen Kenntnissen, ohne auf beyde groß zu thun; im höchsten Grad aufrichtig und wahr. Im Ernst mild wie Honigseim, im Scherz zart wie ein Vergißmeinnicht, auf dessen Worte und Werke die Begriffe[382] sein Mein und Dein, keinen Einfluß zu haben schienen, weil er durch und durch ächt geistlich und goldreinreligiös war. Wer diesen Johannes kannte, mußte ihn lieben und ehren. Die Bitte auf dem Todbette an seine Freunde: nicht um ihn zu trauren, ist wohl unerfült geblieben, und seiner herrlichen Predigten wird noch immer mit großem Beyfall gedacht, da sie einzig in ihrer Art waren. Dieser edle, weise, liebreiche Mann war auch mir gut, und mit ihm ist mir mehr gestorben, als ich bey seinem Leben denken konnte;

d) den 25. August 1808, da der Professor Kraus in die andre Welt ging. Das Leere, das nach seinem Tode in meinem Geist und Gemüth entstand, vermag ich nicht zu beschreiben; noch immer fühl ich, daß mir der Freund fehlt, mit dem ich über alles sprechen konnte, weil wir uns beständig wechselseitig verstanden. Wer erfahren hat, was aus dem sich nicht verstehen, selbst zwischen sonst guten und gescheidten Menschen für üble Folgen sich ereignen[383] können, wird wissen, was das Lesen einer Seele in der andern für eine Glückseligkeit, was sein Verlust für eine gegründete Ursache zu trauren ist.

Möchten mich doch meine wenigen noch lebenden Freunde nicht durch ihren Tod zum vollkommnen Freundschafts-Eremiten machen.


* * *


Von seiner Religion muß Niemand viel reden, ihre Theorie gehört ins Kämmerlein, ihre Praxis in die Welt, in jenem muß sie herzlich und in der Welt und im Hause thätig seyn;33 doch will ich über mein Beten ein Paar Worte anführen. Im väterlichen Hause wurde formaliter gebetet, in meinen Mitteljahren kamen die Formulare mir aus dem Sinn, fielen mir aber in den spätern wieder ein, und ihr Buchstabe verwandelte sich in ein Geistiges, so daß er mich nicht hin[384] hinderte, wahre Andacht dabey zu haben. Meine Idee von Gott erlaubt mir eigentlich kein Beten, ich bete aber doch, weil dieses Erzählen meiner Lage und Gedanken, wenn ich es Gott, der doch alles ohne mich weiß, vortrage, eine Herzenserleichterung ist, die, wenn ich mich ihr überlasse, ihre gute Wirkung nie verfehlt.

In Pestolozzis Nachforschungen über den Gang der Natur in der Entwickelung des Menschengeschlechts. Zürich 1797. fand ich vor einiger Zeit folgende Stelle Seite. 217. die sich unsre Zeit merken sollte. »Die Religion muß die Sache der Sittlichkeit seyn, als Sache der Macht ist sie in ihrem Wesen nicht Religion, und das Finanzgeschrey der durch ihre philosophischen Irrthümer und durch ihre politischen Gewaltthätigkeiten bankerout gewordnen Staatskünstler, daß wir wieder zur Religiosität zurückgestimmt werden müssen, dieses Finanzgeschrey einer Staatskunst, die, nachdem sie das Menschengeschlecht auf das Aeußerste gebracht hat, sich auch nun selber auf diesem Aeußersten befindet, wird uns, so wie es ist[385] weder zur Religion, noch zur Sittlichkeit, noch irgend wohin bringen.«34

Der erste Unterricht, den ich in der Religion genoß, war, wie gewöhnlich, geistbetäubend, in der Folge ward ich dogmatisch gerichtet, und als mir über die Principien und Postulate dieser Methode Zweifel einfielen,[386] die ich mir nicht zu lösen vermöchte, so gerieth ich auf den Abweg, mich über Religions-Angelegenheiten weder mit mir selbst, noch mit andern einzulassen. Jerusalems Betrachtungen etc., besonders das letzte Stück, weckten mich aus diesem Schlummer, und Semler etc. half mir vollends auf die Straße, die ich meine richtige nennen möchte, und so wenig liturgischen Glauben ich auch habe, so besorg ich bey meiner herzinnigen Ergebung in Gott doch gar nicht, daß die Kleinheit seiner Portion im Stande seyn werde, ein Glückseligkeits-Interdikt auf meine künftige Zeit zu legen.35

Garve schreibt an Zollikoser (Briefwechsel Seite 248.) ganz aus meiner Seele:
[387]

»Für mich sind das die glücklichsten Augenblicke meines Lebens, wo der Begriff von Gott und die Ueberzeugung, daß er da sey, in meiner Seele lebhaft wird. Mehr brauch' ich nicht zu meiner völligen Beruhigung, als dieses Einzige. Nur daß er da sey, nur daß ein höchster Verstand und eine höchste Güte irgendwo vorhanden sey und die ganze Welt und auch mich kenne und regiere, nur dieses wünsch' ich mit Gewißheit einzusehen. Alles übrige mag in Dunkelheit und Zweifel verhüllt seyn. So lang jene Wahrheit feststeht, so kann in dieser Dunkelheit keine Gefahr für mich stecken. Aus mir wird gewiß das Beste, was aus meiner Natur werden kann.«

Fußnoten

1 In No. IV. der Pieces interessantes relatives aux derniers evenemens en France, Octobre 1815. le Ministere, fand ich heut (20. Nov. 1815.) einige Stellen, die wohl nicht blos von Ludwig XVIII. beherzigt zu werden verdienen, und die ich daher hier folgen lasse.

Nous avons besoin de talents dans nos hommes d'état sans doute, mais nous avons encore plus besoin de moeurs et de probité, d'une conduite passée, qui reponde de leur conduite à venir, d'une fidelité éprouvée à leurs de voirs et à leurs engagemens, en un mot de toutes les garanties morales, qui ne peuvent pas se trouver dans des hommes accoutumés à se jouer de tout, à changer chaque matin de visage et à fabriquer sans cesse des revolutions – Ces hommes si renommés pour leurs talens ne sont accoutumés à gouverner qu' avec des sophismes, des mensonges et de loix de circonstance, ou plûtot ils n'y' sont pas accoutumés du tout; car denaturer le sens des loix, ou en faire de nouvelles á chaque difficulté, qui se presente, ce n'est pas gouverner, c'est revolutioner. S'ils etoient obligés de marcher droit, et sans toutes ces resources, ils seroient plus embarrassés que d'autres, ils trebucheroient à chaque pas. – Le respect pour l'opinion publique est le plus sure garant de la liberté, il a souvent suffi pour l'assurer – Il-y-a des blessures nombreuses à guerir, qu' on ne craigne pas d'en sonder la profondeur. Les plus dangereuses, on ne les trouvera pas dans les meaux de la guerre, on les trouvera dans nôtre demoralisation; qu'on porte là la principale attention, c'est le moien de meriter la reconnoissance des races futures. Là est le veritable danger. Qu'on ote le timon des affaires publiques et des gens, à qui personne ne voudroit confier ses affaires particuliéres. – Qu'on donne au malheureux le mojen de se consoler de ses peines, mais de lui en demander l'oubli, sans chercher même à les soulager, c'est s'abuser, c'est insulter au malheur, p. 52. 53. 54. 62. 63. 65.


2 Nun danket alle Gott, für den nach solcher Schreckensnacht erlebten Morgen, möchte ihm doch auch ein guter Tag folgen! 1814.


3 Eine solche Coquetterie ist auch unserm Geschlecht nicht fremd, denn Kant sagte zum Hagemann, den Schadow nach Königsberg geschickt hatte, um den alten Philosophen zum Behuf der Marmorbüste zu modelliren, als er ihn frug: ob er ihn ganz treu nachbilden sollte? »so alt und häßlich, wie ich nun bin, dürfen sie mich eben nicht machen?«


4 In den Zeitungen stand 1799. folgende Proclamation vom Obergeneral Bonaparte an die Einwohner von Cahiro. »Scherifs-Ulemas, Redner in den Moscheeen, lasset das Volk wohl erkennen, daß diejenigen, welche sich freywillig für meine Feinde erklären, keinen Zufluchtsort, weder in dieser noch in jener Welt finden. Könnte es einen Menschen geben, der blind genug wäre, um nicht zu sehen, daß das Schicksal selbst alle meine Operationen dirigirt? könnte es jemand geben, der ungläubig genug wäre, um zu bezweifeln, daß alles in dem weiten Universum der Herrschaft des Schicksals unterworfen sey? die wahren Gläubigen mögen für die Wohlfahrt unsrer Armeen bitten. Ich könnte jedem von euch Rechenschaft von den geheimen Gesinnungen eines Herzens abfordern, denn ich weiß alles, selbst was ihr Niemanden gesagt habt. Aber es wird ein Tag kommen, wo alle Welt mit Evidenz erkennen wird, daß ich durch höhere Befehle geleitet bin, und daß alle Bemühungen der Menschen nichts gegen mich vermögen. Glücklich sind diejenigen, welche zuerst aufrichtig sich mit mir vereinigen!«

Im Jahr 1787. schrieb ein Professor der Rhetorik im College d'Orleans M.B. an den Großvicar von Bastia, der eine Reise durch Corsica geschrieben hatte, eine poetische Epistel, in der folgende Stelle steht:


Par vos conseils, que l'on va suivre,

Touts les Corses seront François.

»Qui sait, si du fond de cette Isle,

La Bontany-Bay des Romanis,

Quelque Solon, ou quelque Achille,

N'en orgueillira pas les humains

Pourquoi ce peuple fier et brave

Ne reprendra-t-il pas son rang?

Il est sobre, actif, constant,

Servit-il fait pour être esclave?«

C'est ainsi que parle Rousseau,

Son ame ainsi s'est soulagée,

Dans un fatidique tableau

Il predit le destin nouveau

De cette isle tant saccagée

Un jour elle sera vengée,

(Dit-il dans son fameux Contract

Ou j'ai souvent dit lux fiat)

Elle enfentera le grand homme,

Qui, Rival des heros de Rome,

Parcourra l'Europe en Vengeur

Puis, mot pour mot ma plume cite,

Oui, j'en ai le presentiment,

Bientot cette isle petite

Etonnera le Continent.


Etwas Großes ist es nicht, aber doch etwas Sonderbares, daß, wenn man aus den zwey Worten revolution francaise die zum Wort Veto erforderlichen Buchstaben wegnimmt, aus der Versetzung der übrigen herauskommt: un Corse la finira.

Gleiches gilt wohl von den zwey Worten nunc Gallicidium, deren römische Zahlbuchstaben das Jahr 1813. geben, das ich schon 1811. als das Unglücksjahr für die Franzosen mehrmals bestimmen hörte. Da indessen Irren menschlich, und nur das Beharren im Irrthum teuflisch ist, so bitt ich nicht zu überschlagen, was ich im December 1812. in der Beylage E über Napoleon niedergeschrieben habe.


5 An dieser den damaligen Zeitumständen gewiß nicht unangemessenen Stelle werden sich zwar viele ärgern, nach Lesung der vorangeführten Beylage E mich indessen hoffentlich gerechtfertigt hinabgehen lassen, ohne meine weitern Bekenntnisse über die bis zum heutigen 29. May 1814. besonders durch aufgeregte Volkskraft möglich gewordne Ereignisse zu verlangen. Brächten doch Erinnerungen an das herrlich geschehene auch Muth, Weisheit und Stärke, es künftig für Land und Leute zu benutzen, wie es selbst mittelmäßigen, aber redlich gesinnten Köpfen als höchst ausführbar einleuchtet, und in der Flammenschrift: über Preußens rheinsche Mark und über Bundesvestungen unwiderleglich klar und dringend gezeigt ist, damit nicht, wie Fürst Blücher in seinem Toast beym Herzoge Wellington sagt: »die Früchte, welche durch die Schwerdter der Armeen gesichert worden, durch die Federn der Minister wieder vernichtet würden.« Was in Rom, Hannover und Madrid geschehen ist und geschiehet, bliebe es doch ewig entfernt von Wien, Berlin etc.!!


6 Als ich Ende Januars 1813. den Freyherrn von Stein in Königsberg wieder sah, schien er mir zwar nicht ganz wie vorher, und in einem schon lang daurenden aber noch nicht ganz siegreich beendigten Kampf mit sich selbst und der verwornen Welt begriffen zu seyn, von seiner Stoßkraft aber nichts verloren zu haben. Wenn die Deutschen sich jetzt nicht wider den geschwächten und vielleicht sogar gedemüthigten Napoleon erheben, und ihn die von ihm so lang geduldeten Erniedrigungen wollen entgelten lassen, so ist es warlich nicht die Schuld des Ministers v. Stein, der in diesen, ihm nicht zu verdenkenden Gesinnungen unterhalten und bestärkt wird von seinem Begleiter dem Professor Moriz Arndt, den man aus seinen trefflichen Reisen und kühnen drastischen Aeußerungen im Geist der Zeit etc. kennt, und der wohl nicht leicht einen bey persönlicher Bekanntschaft mit ihm an das minuit praesentia laudem erinnern, aber wohl zu dem Wunsche bewegen wird, daß er sich bisweilen zu einer der guten Sache unschädlichen Mäßigung des Ausdrucks über manche Zeitsachen und Personen entschließen möchte; das blanke breite Schlachtschwerdt schriftlicher Darstellung trifft nicht immer siegreich. Der Himmel gebe indessen, daß solcher Männer große, muthige Ideen ein Ende gewinnen, wie sie es hoffen und ich nebst vielen tausenden es eben so gewiß erwarten! – O Gott Lob, Gott Lob, daß diese Hoffnungen und Erwartungen nicht vergebens gewesen, und möchte doch die Geschichte den Kraftmann Stein und seinen Geist- und Muthgenossen volle Gerechtigkeit wiederfahren lassen! (2. Jan. 1815.)

Da ich glaube, man könne diesen großen deutschen Mann nicht oft genug den, seinen edlen Wünschen nicht genug zusprechenden Germanen ins Gedächtniß bringen, so erlaub ich mir ein Paar Stellen über ihn anzuführen, die ich im September 1815. gelesen. »Diese haben unsre ehrwürdigsten Namen, einen Mann, dem jedes andre Volk schon in hundert Städten Bildsäulen errichtet haben wurde, sie haben den Freyherrn Karl von Stein, durch dessen Festigkeit und Tugend am meisten wir wieder jenseit des Rheins stehen, im Angesicht der Welt und der richtenden Geschichte einen Aufrührer, einen Jakobiner genannt, aus Zorn, daß er den Jakobinern und Illuminaten ihr Wesen zerstört hat. Diese machen es wie der Satan, der den Frommen häufig die Gestalt eines Engels vorgaukelt und ihnen einbildet, die Engel seyn die Teufel.«

Ueber Preußens rheinische Mark und Bundesfestungen, 1815. S. 20.

»Sie (die Gräfin Rosamunde) hatte die Verordnungen der neuen preußischen Staatsorganisation bekommen, die ich freylich nach öffentlichen Blättern kannte, doch nie beachtet hatte.« »Ich nehme daran Theil,« sagte sie, »denn ich verehre ihren vornehmsten Urheber, den Freyherrn von Stein: Wahrscheinlich bringt er den Winter in Prag zu. Sie finden bey ihm eine sehr bedeutende Unterhaltung. Er hat einen scharfen, strengen Geist und Charakter, und doch zugleich ein Wohlwollen in sich, welches jede Volksklasse der bürgerlichen Gesellschaft beglücken möchte. Dieß an ihm wahrzunehmen, freute mich um so mehr, weil er auf alten Adel, seines Geschlechts, viel hielt. Ich möchte wohl sagen, er hat in seinen Tugenden einen ritterlichen Sinn, in seinen Begriffen und Neigungen Freyheit und Trieb eines Britten. Aus der englischen Literatur scheint er mir vorzüglich seine Cultur hergeholt zu haben. Die Staatswissenschaft ist bey ihm zur Gemüthssache geworden, und giebt ihm eine solche Befriedigung, daß ich an seiner so lebendigen Natur keine vorzügliche Empfänglichkeit für die schöne Kunst bemerkte. Man sollte darum glauben, daß er das entgegengesetzte Extrem von Göthe sey, und gleichwohl hat er mich an diesen erinnert. Solchen Eindruck zu entziffern, hab ich hin und her gedacht, und zuletzt fand ich doch keinen Aufschluß, als die Vermuthung, ihre Aehnlichkeit komme von der Gewandtheit, mit welcher Göthe die Kunst und das Leben als Stoff für den Künstler praktisch, Stein aber als Geschäftsmann die Wissenschaft und ihre Entdeckungen für das Leben praktisch anzugreifen weiß. Was in jenem die Phantasie, ist in diesem das Temperament, und ist jener vergnügt, wenn das Leben nur eine Gestalt gewinnt, so ist dieser nur mit einem rastlosen Handeln zufrieden. Beyde sind, wenn ich nicht irre, am Mayn gebohren, und es giebt ein gewisses scharfes Blicken schwarzer Augen, das gar nicht besonders gutmüthig aussieht, welches ich häufig an Menschen aus jenen Gegenden gefunden habe. Weiche Lippen sind selten damit vereinigt, und der scharfe Ausdruck wird daher durch den Mund verstärkt.«

»So beschrieb mir die Gräfin einen Staatsmann, welcher in der Geschichte vorzüglich durch seine Opposition gegen Napoleon leben wird.« Als ich dieß äußerte, setzte sie hiezu: »und wenn er gleichwohl Ursache hat für seine Person den Machthaber Frankreichs zu hassen, so denkt er doch daran gar wenig, weil er im Namen Deutschlands und als ein preußischer Patriot ihn unermeßlich haßt.«

Memoiren des Freyherrn von S–a 1. Bd. S. 281 etc. in denen auch manches Lesenswerthe über die Herren Schulenburg, Haugwitz, Hardenberg und über manches Berlinerwesen im Jahr 1806 steht.


7 In ihrer 1814. erschienenen Schrift: die Königin Louise, der preußischen Nation gewidmet, erwartete man gewiß mehr, als sie geliefert hat, und hätte liefern können und sollen, um dieser herrlichen Frau ganz Recht wiederfahren zu lassen.

Doch scheint mir in der Anzeige, die ich in No. 91. der Jenaischen Lit. Zeitung am 24. Jun. 1815. gelesen, eine Art von unwilliger Persönlichkeit gegen die Verfasserin und viel Hämisches zu liegen, das weniger Lust und Kraft zum rechten Richten, als Neigung zum sich rächen oder wehthunwollen verräth.


8 Was ich in N. 332 des rheinischen merkurs von 1815 und in N. 78. der allgemeinen Zeitung von 1816 gelesen, zeigt, daß Christus nicht alle Teufel aus dieser fahrenden Heiligen getrieben, daß ein politischer sich wieder bey ihr eingefunden, und sie in die Kunst der Hexe von Endor und der Pythia eingeweiht habe. Wehe dem Lande, dessen Regent ein Mystiker wird, oder sich mystifizieren läßt. Undmuß man nicht eins oder das andre besorgen, wenn man die heilige Bundesakte liest, die laut der Petersburg'schen Hofzeitung dort am Wayhnachtstage publicirt, und vermuthlich in Paris, vielleicht gar von hoher hand aufgesetzt ist? Sollte nicht Einer ihrer Unterzeichner bey sich gedacht haben: dumm Zeug, dumm Zeug! Denn obgleich in einem Hamburgschen Blatte gedagt wird: »der gewöhnlichen Tripet-Quadrupet-Allianzen waren so viele, daß die Geschichte sie größtentheils vergessen hat; allein eine Tripel-Allianz wie diese, ist die originellste aller Conventionen dieser Art, und einzig in der Geschichte der Diplomatik. Eine solche Allianz der verehrtesten und trefflichsten Monarchen bleibt eine unvergleichliche Denkwürdigkeit unsers Zeitalters.«!!??

Ob nun gleich dieses – Werk beynah von alles Herrschaften und Regenten, den türk'schen Sultan vor der Hand ausgeschlossen, angenommen ist, wird es damit nicht gehen, wie mit den ehemaligen nach Zeit und Umständen gebrochnen und vergeßnen Tripel-Allianz? Wird man dann nicht wieder sagen müssen: Verlaßt euch nicht auf die gekrönten Menschen, denn sie sind auch weiter nichts als Menschen?


9 Jetzt 1815. Oberpräsident in Danzig.


10 1815. Generalmajor.


11 Den Verfasser des mir sehr gefallenden epischen Gedicht Xantippus und des nicht minder wohlgerathnen Diocles, den preußischen Generalmajor von Boguslavsky ausgenommen.


12 Seit dem 18. Jan. 1816, Bischoff in Preußen.


13 Der auch schon am 5. Jan. 1815. in Berlin gestorben ist. Geboren den 16. Aug. 1738. hat er dem preußischen Staat in mehr als funfzigjährigem Kriegsdienst manches Gute gethan, das ihm nicht so erkannt und belohnt wurde, wie andern, die ihm an Geist und Gemüth nachstanden, aber Belohnungen zu erschmeicheln oder zu fordern jede Gelegenheit benutzten, wozu er, der alles, was er that, für Dienstpflicht hielt, sich nie entschließen konnte.


14 Auch er starb am 30. Jun. 1815. in Berlin, siehe in den Nachträgen.


15 Der bekannte Charron fängt sein Buch de la Sagese, sehr recht mit folgender Stelle an: Le plus excellent et divin conseil, le meilleur et le plus utile advertissement de tous, mais le plus mal pratiqué est, de l'estudier et apprendre à se cognoistre. C'est le fondement de sagesse et acheminement à tout bien; c'est folie non pareille, que d'estre attentif et diligent à cognoistre toutes autres choses plustost, que soy même; la vraye science et le vray éstude de l'homme c'est l'homme; was weiter folgt, ist nicht weniger schön und wahr und beachtenswerth.


16 Illi mors gravis incubat,

Qui notus nimis omnibus

Ignotus moritur sibi.


Von diesem Text sagt der bekannte V.J. Duval:

Il y a long temps, que ce text d'un poete philosophe est ma divise et il le sera tant que je vivrai.

Oeuvr. de Duval Tom. 2. p. 282.


Willst du dich selber erkennen, so sieh wie die andern es treiben:

Willst du die andern verstehn, blick in dein eigenes Herz.


Schillers Werke 9r Bd. S. 242.


17 Das Lesen guter Biographien (vielleicht selbst den langweiligen) halte ich für ein Hülfsmittel zur Selbsterkenntniß, weil man darin oft Dinge ausgesprochen liest, die man selbst lange heimlich gefühlt hat, ohne darüber mit sich selbst ins Klare gekommen zu seyn.


18 Der General Klinger hat in seinen vorzüglich auf Lehre, Strafe und Besserung der großen Dienst-und Weltmenschen ausgehenden vortrefflichen Betrachtungen und Gedanken (Werke 12r Band No. 162. No. 582) nachstehende kurze Regeln in Fragen zur Selbsterkenntniß angegeben. »Welchen Gebrauch hab' ich von meinen physischen Kräften gemacht? Wie hab' ich meine moralischen Anlagen, Kräfte und Fähigkeiten entwickelt und angewandt? Was hab' ich aus mir gemacht? Was hätt' ich aus mir machen können? Was kann ich noch aus mir machen? Was gehört dazu, daß der Mensch etwas aus sich mache und durch den ihm verliehenen Stoff, mit Geist, Muth und Aufrichtigkeit besorgt und verarbeitet, zum Schöpfer an sich selbst werde?«


19 Man verzeihe mir, daß ich hier eine kleine Stelle aus Hippels eigenhändigem Manuscript seiner Selbstbiographie anführe. »Haman pflegte mir zu sagen, er wüßte keinen, dessen Eindruck und Urtheil er so viel als dem Eindruck und Urtheil des Kr. S. – traue.«


20 Der verst. Prof. Kraus soll gesagt haben: sein Kopf sey in solchen Dingen ordentlich vernagelt, aber ein guter Kopf müsse sich auch mit solchen Dingen nicht abgeben.


21 Schiller sagte: »es gab eine Zeit, in welcher Unverträglichkeit mit den Menschen ein Hauptzug meines Charakters war, nicht als wenn ich ihnen diese Unverträglichkeit thätlich erwiesen hätte, nein, es war eine stille Unverträglichkeit, ein stilles Mißfallen an allem, was Menschen unternehmen. Ich weiß wohl, woher das kam: ich fühlte mich zu jener Zeit nicht in dem Wirkungskreise, den ich gern ausfüllen möchte.« Schillers Biographie und Anleitung zur Kritik seiner Werke vom J.K.S. Wien p. 178.


22 Ich kam aus des damaligen Professors, jetzigen Staatsraths, Süwern Vorlesung über die Geschichte zum sich krankbefindenden Minister v. St., bey dem ich die Frau von B. zum erstenmal sah. Beyde frugen mich nach dem Hauptgegenstande des Vortrages, und ich gab darüber eine so schlechte Auskunft, daß ich mich noch jetzt drüber ärgre, so wie ich mich gefreut habe, daß beyde nicht in der Folge etwas darüber äußerten.


23 Rochefaucoult sagt: die Gravität ist ein Geheimniß des Körpers, um Mängel der Seele zu decken.


24 Ueber die Dienstfertigkeit sollte man die Begriffe der Kinder in Zeiten gehörig berichtigen, und sie besonders auch belehren, daß Geschenke geben und Dienste erzeigen, an innern Werth sehr verschieden sind, ja daß ersteres oft beinah gar keinen Werth habe, wenn der Geber sich dadurch nichts von seinen Bedürfnissen entzieht, oder aus leichtsinniger Weichlichkeit wegschenkt. Im letzten Fall wird der Empfänger dadurch manchmal verschlimmert.


25 Die Sclaverey verhindert die Vereinigung des Interesse zwischen Armen und Reichen, zwischen höhern und niedern Ständen. Der Reiche, welcher Sclaven im Ueberfluß hat, kann der Arbeit des Armen entbehren, und der Arme hat auf keine Weise Vortheil von dem Vermögen des Reichen. Nur eine Berührung des gegenseitigen Interesse leitet zu einem Verkehr unter beyden. Mitfordts Geschichte Griechenlands, übersetzt von Eichstädt. 1 B.S. 274.


26 Lehmann läßt in seiner Beschreibung von Graubundten die Velteliner sagen: pardonar le iniurie é da christiano, ma obliar le da bestia.


27 Prometheus sagt in Göthes Pandora S. 13. – Aller Fleiß der männlich schätzenswertheste Ist morgendlich, nur er gewährt den ganzen Tag Nahrung, Behagen, müder Stunden Vollgenuß.


28 Im Vertrauen, daß keiner von meinen Lesern schlimmer deshalb von mir denken werde, werd ich dem dritten Bändchen der Gedanken und Meynungen einen kleinen Aufsatz über etwas, das in diese Materie einschlägt, beylegen.


29 Aus dem Durchsehen fremder Bücherrechnungen im Buchladen hab' ich selbst manchen richtigen Schluß auf den Charakter des Käufers gemacht.


30 Als der Graf Purgstall, jetzt kaiserlicher Kammerherr und Gubernialrath, der ein und ein halb Jahr, die Philosophie unter Kant zu studiren, sich hier aufhielt, von mir verlangte, ihm bey seiner Abreise in die französische, italiänische und schottische Welt ein Buch zu schenken, auf welches ich selbst großen Werth legte, so gab ich ihm eine Duodezausgabe vorbenannter zwey Schriften, in denen ich sehr vieles angestrichen hatte.


31 ist 1811 geschehen in der Soltauschen Uebersetzung.


32 Großes ewig muß der Mensch erzeugen,

Weil zum Himmel auf sein Wesen strebt.

Doch der Große muß der Zeit sich beugen

Der im Busen wieder Größres webt;

Schlinge so sich hie ein Götterreigen,

In dem Schönes Schöneres belebt.

Nur ein Leben aus dem Tod entfalten

Ist der Menschheit schmerzumwölktes Walten.


W.v. Humboldt, Rom 1806. p. 33.


Was ist der Tod? der König aller Schrecken

Nennt ihn des Sünders schuldbeladne Seele,

Und furchtbar faßt er des Tyrannen Kehle,

Der Eumeniden Rache zu vollstrecken.

Nur er, den täglich Gram und Trübsal wecken,

Der duldend wünscht, damit ihn nichts mehr quäle,

Daß Ewigkeit sich bald der Zeit vermählte,

Und Grabeshügel seine Sorge decken:

Der Held, gewohnt im Kampfe nie zu wanken,

Er fordert kühn den Würger in die Schranken,

Der Weise sieht ihn ohne zu erbeben.

Was ist denn Tod? Ein wesenloser Schatten,

Er kann euch Gutes, kann euch Böses geben,

So wie ihr selbst vermögt ihn auszustatten.


nach dem Italiänischen des Vinzenzo Monti

vom General von Schöler.


33 Im dritten Bändchen der Gedanken und Meinungen wird man vielleicht einen schlechtgeschriebenen kleinen Aufsatz über meine Dogmatik finden, die aus der mir ganz zusprechenden des de Wette verbessert werden kann.


34 Wer diesen Aeußerungen eines klugen und frommen Mannes zustimmt, was wird er zu den obrigkeitlichen Vorkehrungen zu neuen liturgischen Fabrikationen sagen, und zu den Mode werdenden Bibelgesellschaften, die durch Vermehrung der Exemplare das vernünftige Lesen dieses herrlichen Buchs allgemeiner zu machen wähnen? Luther sagt von der Taufe: Wasser thut's alleine nicht – und das gilt gewiß auch vom Besitz einer Bibel. Freylich ist es leichter, Bibeln zu verschenken, als sie brauchen zu lehren. Hätte nicht dieser Bibelspende eine genaue Revision der Lutherschen Uebersetzung, ob ich sie gleich im Ganzen für unübertreffbar halte, vorausgehen sollen? denn nach allgemeinem Urtheil ist doch manche Stelle verfehlt und manches nicht aus der Urschrift verdeutscht. Wie denn auch manche zu veraltete Ausdruck zum Besten der Verständlichkeit hätte abgeändert werden können. Sollte es eine Veruntreuung der Bibelcasse seyn, wenn man ein Paar sorgfältig ausgesuchte Lesebücher cansteinischwohlfeil durch sie unter das Volk gebracht


35 Schiller sagte: »Scepticismus und Freygeisterey sind die Fieberparoxismen des menschlichen Geistes, und müssen durch eben die unnatürlichen Erschütterungen, die sie in gut organisierten Seelen verursachen, zuerst die Gesundheit befestigen helfen. Je blendender, je verführender der Irrthum, desto mehr Triumph für die Wahrheit, je quälender der Zweifel, desto größer die Aufforderung zur Ueberzeugung und festen Gewißheit.«



Quelle:
Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich, Johann George Scheffner, es selbst beschrieben. Leipzig 1823, S. 388.
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