Entdeckung des Kritikers.

[229] Noch immer blieb der Schurke unentdeckt, kroch wie ein blinder Maulwurf umher und verwüstete Ackermanns Garten, an dem solange mit so viel Fleiß und Kosten gearbeitet war. Mein Bruder und ich hatten unsern freundschaftlichen Zirkel zu uns geladen, und wir wollten zusammen lustig sein. Mein Essen, das ich den Abend haben wollte, ließ ich zum Teil aus dem Haus machen. Alle sind in meiner Stube fröhlich und vergnügt. Mein Essen wird gebracht vom Koch. Wie ich die Schüsseln abnahm, hatte man, um die Servietten nicht fettig zu machen, Papier auf den Braten gelegt. Gewohnheit oder Neugierde, was es war, Papiere, die gedruckt oder beschrieben waren, immer nachzusehen, was darauf stand, und wenn's auch noch so ein kleines Stückchen war, das mir auf die Art in die Hände kam, bewog mich auch damals. Es waren Zeitungen, sehe solche an, und siehe: Da ist dieselbe, in welcher ich das nun gedruckt lesen konnte, was ich vor so mancher Woche abgeschrieben erhalten. »Freye Nachrichten aus dem Reiche der Wissenschaften und der schönen Künste.« Achtes Stück. Hamburg, den 21. Februar 1766. »Triumph! Triumph!« kam ich ins Zimmer gesprungen mit der Leitung, die durch die fetten Kapaunen erst Fett und Salz bekommen und davon triefte. »Freut euch mit mir, da habe ich nun den Schurken unvermutet entdeckt.« »Wen?« »Den Kritikenschreiber. Da, da[229] ist er. Wer schreibt die Zeitung? Wer gibt sie heraus?« »Wissen's nicht.« Nicht? Fort, fort! Keiner bekommt eher einen Bissen zu essen. Das muß ich erst wissen. Hurtig nimmt einer die Zeitung und damit fort, kommt wieder und sagt: »Löwe!« »I, du infame Kanaille! Ist noch so ein Schuft auf Gottes Erdboden? Hab' ich dem Kerl je was zu leide getan? Komm nach Hamburg! Sollst an mich denken!« Meine Freunde waren mir alle zu lieb, als daß ich weniger munter hätte sein sollen, und mein langer Wunsch ward endlich erfüllt. Wir blieben fröhlich beisammen bis spät in die Nacht.

Den Morgen kam ich mit meiner Zeitung zur Tanzprobe und nannte nun öffentlich Löwe das, was er war. Sein Herr Schwager, der auch in einem Eckchen stand und spionieren wollte, den zog ich vor und ersuchte ihn, als seines Herrn Schwagers Packesel, nur brühwarm zu berichten, daß er nicht mehr blindschleichen dürfe, daß wir ihn nun kennten, solle machen, daß er nach Hamburg käme, damit wir nun alle unsern Spaß mit ihm haben könnten. Der alte Junge wußte nicht, wie er vom Theater kommen sollte und war bange um seine schiefen Knochen, daß die etwa unter die Hände der Tänzer geraten könnten oder noch schiefer gemacht würden. Er wählte also den besten und kürzesten Weg, lief davon und ließ sich bei keiner Tanzprobe mehr sehen. Herr Löwe, den seine ökonomischen Umstände nötigten, wagte seinen Rücken; denn auch der Hunger tut weh und kann nicht so bald geheilt werden wie blaue Flecke; kam nach Hamburg. Er schlich herum, wie jeder schleicht, der kein gutes Gewissen hat, kurz, so gebückt und demütig auch vor dem Niedrigsten von uns, daß es nicht der Mühe wert gewesen wäre, den Wurm zu treten. Mit jedem schüchternen Blick, womit er den letzten Figuranten und den, der Briefe zu bringen hatte und Stühle auf dem Theater setzte, versah, las man auch die Worte: »Ja, ich bin der vorlaute Schurke, weiß das Unrecht, das ich euch angetan. Aber habt Erbarmen mit meinem ohnedies gebeugten Rücken! Was tut man nicht ums Brot?« – Kurz, er kroch so, daß jeder sich selbst geschämt haben müßte, an den verzagten Bärenhäuter Hand anzulegen. Und es war sein[230] Glück. Denn hätte er ein Wort, ja, nur eine Miene gemacht, er wäre so zugerichtet worden, daß ihn seine Frau auf dem Bette hätte zu Tode füttern müssen, wär's auch nur mit Kartoffeln gewesen. Auch hielt er sich gemeiniglich nur sehr nahe bei Mad. Hensel auf, im Fall der Not es etwa ja Ohrfeigen oder Nasenstüber setzen möchte, sie seine Schutzwehr ein sollte, um sich hinter sie zu verkriechen. Denn so ein Männchen, wie das, konnte sie leicht zudecken.

Acht Tage gingen so vorbei. Am neunten hatte ich ein Stück; dann wurde »Serva Patrona« gegeben, in welchem ich nichts hatte, als bis wieder zum Ballett, war auch dazu angezogen und saß und strickte an Strümpfen, als der arme Sünder, sehr gebeugt, es wagte, mich folgendermaßen anzureden: »Mademoiselle! Sie werden mich für einen Mann ohne alle Lebensart halten, da ich schon acht Tage hier bin, ohne Ihnen noch mein Kompliment gemacht zu haben. Ich weiß, Sie sind aufgebracht wegen den vielen Kritiken, die geschrieben worden, und halten mich für den Verfasser; aber so wahr Gott le –« »Herr Löwe, von allen den Kritiken ist ja nicht die Rede. Ich bin's ja nicht allein, die angetastet worden. Hier ist die Rede von meiner Seite, und von dem ersten, das Sie in Ihre Zeitung rücken ließen, über die Ode von Schiebeler –« »Mamsell, ich – so wahr – Gott –« »Lassen Sie mich ausreden! Herr, erinnern Sie sich, wie ich Sie das erstemal sprach auf dem Theater und dann in Bubbers' Haus?« »Aber Mamsell, ich weiß von nichts!« »Wollen Sie Ihre Zeitung leugnen? Kann sie Ihnen weisen, das Bratenfett ist noch daran zu sehen. So geht man mit Ihren Beurteilungen um. Ihr Schwager wird's Ihnen bereits geschrieben haben. Das ist ja Ihr Packesel von neuen Zeitungen.« »Ja, Mamsell, es steht in der Zeitung; aber ich bin nicht der Verfasser. Es ist mir durch einen Unbekannten zugeschickt worden.« »Herr, Sie müssen's fühlen, wie gottverworfen Sie da vor mir stehen. Was sind Sie für ein erbärmlicher Kerl!« Er wollte reden. Aber mit einem Blick, den ich ihm zuwarf, schwieg er mäuschenstill. »Nun haben Sie Zeit, daß Sie schweigen und mich ausreden lassen. Noch einmal, denken Sie an den Nachmittag bei Bubbers, an[231] jedes Wort, was Sie mir sagten? An jeden Ausdruck, wie Sie mich baten um meine Freundschaft, an jeden Wunsch, den Sie äußerten, mir Beweise Ihrer Freundschaft, Ihrer Hochachtung zu geben, an den Eifer, mir einst dienen zu können? Bat ich Sie darum? Schrieb ich Ihnen, Sie sollten mich loben? Was war meine Antwort? – Da stehen Sie nun wie der ärmste Sünder und wissen nicht zu antworten. Nun, Herr, stellen Sie sich an meine Stelle! Gesetzt, Sie wären das, was ich bin und ich wäre so – – so – – so ein Zeitungsschreiber, wie Sie sind. Ein Unbekannter schickte mir was zu, zu Ihrem Nachteil in meinen Wisch zu setzen, das Ihnen auswärts, wo man Sie nicht kennt, an Ehre, Aufnahme und Brot schadete. Was würde ich getan haben? Hätte es dem Unbekannten zurückgeschickt mit den Worten: ›Der Mann verdient das nicht. Tut es nicht! Aber wollt Ihr's gegen meinen Wien doch tun, so setze ich's doch nicht in meine Zeitung.‹ Hätte ich so nicht handeln müssen, wenn ich Ihnen meine Freundschaft so versichert hätte, wie Sie mir? Und wäre ich nicht die infamste Kanaille, der größte Schurke, die weggeworfenste, kriechendste Bestie gewesen, die auf Gottes Erdboden herumkriecht, wenn Sie mir als mein Freund nicht lieber gewesen wären, als der unbekannte Pasquillante? Nun reden Sie!« »Ja, Mademoiselle, da haben Sie recht.« »Nun gut, Herr! Die infame Kanaille, der größte Schurke, die weggeworfene, kriechende Bestie, mit einem Wort der H.F. sind Sie, bleiben's, so lange Sie sich nicht legitimieren. Können Sie's, daß Sie an allem, was geschrieben worden, keinen Teil haben, so tue ich Ihnen eine öffentliche Ehrenerklärung, wo Sie wollen. Können Sie's nicht und finden sich beleidigt, so gehen Sie hin und verklagen mich. Das sage ich Ihnen hier, vor dem Richter noch mehr. Von dem bekommen Sie, notabene in Handschuhen, Nasenstüber. Und nun weg von mir, und hüten Sie sich, mir in Wurf zu kommen!«

Sollte man denken, daß der Kerl mit einer demütigen Verbeugung fortging, auch nicht ein Wort sagte, daß ich ihm den Leuchter oder sonst was hätte nachwerfen können? Ja, nicht einmal eine Miene, auf die ich lauerte. Kann man sich[232] was Elenderes denken als so eine Memme? Und mußte man nicht vor ihm ausspucken? Das geschah denn auch. So oft er mir in Weg kam – denn seine Rechtfertigung kam nicht –, spie ich aus. Und so machte es jeder, bis auf die Hensel; auch Ekhofs und Boecks nicht; hatte aber seine Ursachen, die sich auch bald aufklärten. H. Ekhof hatte er in seinen Wischen auch gelobt. Ja, oft saß ich mit ausgestreckten Füßen da und hatte meine Lust, ihn anzusehen. Wenn er bei mir vorbei mußte und sich doch sorgfältig hütete, mich nicht anzustoßen, da kam er mir ebenso vor, wie mein Allegro; wenn ich ihn nicht auf den Schoß nehmen wollte, stieg er auf den Tisch, sah sich schüchtern um, ging so behutsam bei Lichtern und Gläsern, Tellern oder was sonst noch darauf stand, vorbei, nahm sich in acht, daß er an nichts stieß, und kam so zu mir und wartete auf, bis ich ihn nahm. Nur daß ich Löwe nicht so sanft in meine Arme genommen haben würde, wenn der über meine Füße gestolpert oder mir auf den Schoß gefallen wäre. Und verdient auch nicht ein Hund mehr Achtung, als so eine Mißgeburt, so ein Scheusal? Doch leider, zur Schande der Menschheit sei's gesagt, gibt's noch mehrere.

Quelle:
Schulze-Kummerfeld, Karoline: Lebenserinnerungen. Berlin 1915, S. 229-233.
Lizenz:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Bunte Steine. Ein Festgeschenk 1852

Bunte Steine. Ein Festgeschenk 1852

Noch in der Berufungsphase zum Schulrat veröffentlicht Stifter 1853 seine Sammlung von sechs Erzählungen »Bunte Steine«. In der berühmten Vorrede bekennt er, Dichtung sei für ihn nach der Religion das Höchste auf Erden. Das sanfte Gesetz des natürlichen Lebens schwebt über der idyllischen Welt seiner Erzählungen, in denen überraschende Gefahren und ausweglose Situationen lauern, denen nur durch das sittlich Notwendige zu entkommen ist.

230 Seiten, 9.60 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon