[137] Ich war also in Eisenach. Herr Bellomo war just den Tag allein dort, der Einrichtung des Schauspielhauses wegen. Die Gesellschaft spielte diese Woche zuletzt in Gotha, dann käme sie auch zum Landtag nach Eisenach. Ich mußte sie also erwarten. Wäre gerne nach Gotha kutschiert. Aber ich sollte nicht. Wie ich H. Bellomo das erste Mal sah, so dachte ich: Wenn jeder nach seiner Art solch eine Figur spielt wie er, so weiß ich nicht, was Herr N. wollte.
Die Gesellschaft kam, den 4. Juni wurde zum ersten Male gespielt; »Der argwöhnische Liebhaber«. Alle zusammengerafft waren sie nicht. Ich fand wirklich gute, welche, die werden konnten und freilich auch noch Zusammengeraffte. Madame Ackermann war der erste Aktrice bei Bellomo, vorher, glaube ich, noch nirgends. Wenigstens ich hatte nie von ihr gehört. Aber wer hört auch von allen Aktricen was? Sie hatte einen schönen Wuchs und vielen Anstand. Auch fehlte es ihr nicht an Talenten, einst besser werden zu können. Und besonders, daß man ihre, über alle Maßen schnarrende Sprache mußte gewohnt werden. Aerger schnarren habe ich nie gehört. Aber ich gestehe es, ich wurde es auch so gewohnt nach einem Vierteljahr, daß es mir nun im mindesten nicht mehr auffiel. Die Opern gingen besser wie bei Großmanns in Bonn, ohngeachtet Bellomo nicht die guten Sänger hatte.
Meine erste Rolle war in »Emilia Galotti« die Claudia. Zum ersten Male spielte ich so eine Art Rolle und war mit meinem Debüt vollkommen zufrieden. Der große Beifall des Publikums (wovon mich noch keiner spielen sah, ich auch nicht mein altes Publikum habe mitbringen können, das mich vor 17 Jahren oder in Innsbruck, Augsburg und Linz spielen sah) machte mich alle Großmannsche Ungerechtigkeit vergessen. Bestellt konnte ich's auch nicht haben; denn ich hatte nicht die Ehre, einen einzigen zu kennen.
Wenige Reden im dritten Aufzug, bei der Szene mit Marinelli, sagte ich, die nicht auch alle lauten Beifall erhielten.[137] Und was man selten sieht, selbst die Schauspieler standen in den Szenen mit Tränen in den Augen. Falschheit war es nicht, was sie mir sagten; denn H. Regglen, H. Metzner, H. Leonhard, H. Felser hatten mehr gute Claudiaspielerinnen gesehen, aber, wie die Kummerfeld sie spielte, doch nicht. »Emilia Galotti« war auch kein neues Stück. Und das zu bewirken in meiner oft gesehenen Rolle, was ich über Publikum und Schauspieler wirkte durch mein Spiel, ist der sprechende abermalige Beweis, daß ich Meisterin in meiner Kunst war. Wir spielten in Eisenach bis zum 6. August.
Nachdem der Landtag vorbei und der Hof erst weg war, war die Einnahme sehr wenig. Man wollte es zwingen mit ein paar Balletten. Ich, doch wieder die gutwillige Närrin, tanzte mit und hatte Linz vergessen. – Eisenach gefiel mir sehr wohl. Ich hatte wieder Berge vor mir, die Wartburg, die Hohe Sonne und von da nach dem Wilhelmstal. Oh, was war das für mich für eine Lust! An jedem müßigen Tage machte ich mir's zunutze. Ich war so zufrieden, wie ich's keinen Tag in Bonn war.
Und doch! Wären wir nur schon in Weimar! Eines Tages vor der Komödie hatte ich die Ehre, den Herrn Hofsekretär, jetzigen Herrn Landkammerrat Kirms zu sprechen. Er frug mich, wie es mir gefiele. »Gut,« sagte ich, »und ich freue mich, auf den Winter nach Weimar zu kommen. Bin ich erst einmal in Weimar, so werden Sie mich nicht wieder los. Sie denken, es ist mein Spaß? Nein, nein, mein wahrer Ernst.1
Wir reisten den 9. August ab, und weil es, nach Weimar zu gehen, noch nicht die bestimmte Zeit war, so blieben wir in Erfurt und gaben den 11. zuerst Oper. In Erfurt ging es schlimm, und sehr selten waren so viele Zuschauer da, die das einbrachten, was die Gesellschaft, trotz der wenigen Gage, kostete. Denn die höchste war à Person 5 Taler, bis auf Herrn und Madame Ackermann, die besser standen.[138]
Auch in Erfurt tanzte ich einmal und hatte das Unglück, daß mir der Schuh platzte. Ich tanzte mit Todesangst und getraute mich nicht mehr, den Fuß mit dem ausgerissenen Schuh hart auf den Boden zu bringen. Zu Herrn Regglen, der das Ballett gemacht, sagte ich, wie es aus war: »Da, sehen Sie das Spektakel!« Denn beide Schuhe waren nun entzwei. Herr Bellomo kommt: es wäre recht gegangen. »Ja, wenn mein Schuh mir nicht den Streich gespielt.« Er lachte darüber recht herzlich. Ich versicherte ihn aber, mir wär's nicht lächerlich gewesen.
Leider erfährt sie nicht rechtzeitig, daß übermorgen das Ballett wiederholt werden soll. Ihre Art ist es nicht, einen Direkteur am Geldverdienen zu hindern. In Linz lag die Sache anders. Da wollte man sie »scheren«. Denn dort waren sieben Frauenzimmer da, und war das Theater so schmal, daß, wenn nur sechs Paare tanzten, sich keine einzige Figur ausnehmen ließ, sie, aufeinandergepfropft, anrannten und so ausweichen mußten, wie bei den Englischen Tänzen auf Maskenbällen. Noch dazu war sie damals krank. In Erfurt war sie gesund, bekam sie aber über den Sonntag keine Schuhe gemacht. Die entzweigegangenen mit neuem Damast beziehen zu lassen, wie Bellomo vorschlägt, oder neue Vorderblätter einziehen zu lassen, wie die Schustersfrau empfiehlt, scheint nicht ratsam. Anders war's früher, da lagen in ihrem Theaterkorb immer ein paar Reserveschuhe. Jetzt hat sie nur noch zum Tanzen unbrauchbare Schuhe mit hohen Absätzen.
Es ereignete sich noch ein Vorfall. Herr Leonhardt, der die ersten Liebhaber in der Oper wie in der Komödie spielte, war in Erfurt abgegangen. Zur Oper war Herr Frankenberg dazugekommen. Aber nun zur Komödie – wo den hernehmen? Wie ich noch in Eisenach war, schrieb mir Herr Kunst, daß er von Herrn Großmann aufgesagt worden und kein Engagement hätte, ob für ihn nicht ein Platz bei dem Bellomoschen Theater sei. Ich sprach mit Herrn Bellomo davon: »Als ersten Liebhaber kann ich ihn nicht vorschlagen. So gut wie Herr Leonhardt ist er bei weitem nicht. Aber zum zweiten hätten Sie ihn höchst nötig. Denn Herr Regglen hat seine Chevalier- und Charakterrollen, und da brauchen Sie ja nach Weimar einen zweiten Liebhaber, wie den Bissen Brot im Munde. Auch braucht Herr Kunst keinen Vorschuß und kein Reisegeld. Letzteres können Sie ihm geben bei Gelegenheit.« Aber da hatte Herr Bellomo keine Ohren. Denn es[139] ging ihm wie dem Geizigen: Geld wollte er einnehmen, aber es sollte ihm nichts kosten. Weimar war ihm gewiß, auch die Nachsicht des Hofes und Publikums. Was ging ihn das an, ob viel oder wenig brauchbare, gute Leute da sind.
Die Nachtstücke waren ihm seine Lieblingsstücke. Wenn im dritten Aufzuge Nacht wurde, so blieb es Nacht auch noch die zwei letzten. Wären nur Leute genug bei der Gesellschaft gewesen, so hätte ich ihm gerne »Die zwei schlaflosen Nächte« von Gozzi gegeben. Wenn es einem auch eingefallen wäre, Tag zu machen, so war der Kasten mit den Lichtern schon nach Hause geschickt. Alle Herren hatten, um sich aus- und anzukleiden, hinter dem Theater ein oder zwei Stumpfen Lichte, die Frauenzimmer oft gar keins. Die sollten von dem Nachtschein des Theaters sehen. So was fordern? Oder gar darum zanken? Bewahre der Himmel! Da brachte ich mir einen Wachsstock mit und brannte diesen.
Nun war Not an allen Enden. Wo einen Liebhaber hernehmen, der sowohl entbehren, als haben und nicht haben mußte? Diese drei Eigenschaften mußte der erste Liebhaber haben. Denn entbehren mußte er Vorschuß und Reisegeld und große Gage. Haben mußte er: eine eigene Garderobe, um als erster Liebhaber wenigstens den Rock zu haben; denn in der Garderobe war gar nichts. Nicht haben: ein anderes Engagement, um ja gleich kommen zu können. – Welch Glück, diese Eigenschaften hatte H. Kunst alle! Das war also alles, was H. Bellomo in der Situation, in der er war, brauchte.
Abgeschrieben hatte ich's H. Kunst, und er schrieb mir wieder, er ginge nach Hamburg und nach Bremen. Nun schickte ich an beide Orte Briefe ihm nach, ob er noch zu haben wäre. Und siehe da, er kam! H. Kunst war keiner von den vorzüglich hübschen Männern. Herr Leonhardt sah besser aus. Um also H. Kunst nicht zu schaden, machte ich ihn häßlicher von Bildung und Figur, daß selbst Madame Bellomo sagte: »Nun, so garstig ist er doch auch nicht, wie Sie ihn gemacht.« Nun noch, daß er nicht so gut wie H. Leonhardt spielte, aber doch besser, wie der und der, das war das größte Freundschaftsstück, das ich für H. Kunst tun konnte. Mein Gerede hatte[140] sich bis Weimar verbreitet. Ich vergaß auch nicht zu sagen, Herr Kunst sei ein ordentlicher, fleißiger Mann, kein Säufer, nicht liederlich, kein Zänker oder Kabalenmacher. So kannte ich ihn und nicht anders in Bonn. Dieses die Ursache, warum er in Weimar gefiel. Man forderte nicht mehr, als man zum voraus wußte, was er würde leisten können.
Herrn Leonhardt brachten wir nicht mit, aber doch keinen schlechtern in seinem Fach als die, die Weimar schon gesehen hatte das Jahr vorher. Im ganzen war die Gesellschaft besser, wie den Winter vorher. Das sagte jeder; denn auch H. Regglen mit seiner Frau waren neu dazu gekommen. Wie glücklich spielte es mit H. Bellomo. Hätte er nicht die Hoffnung gehabt, nach Weimar kommen zu dürfen, in Erfurt hätte seine Gesellschaft wieder auseinandergehen müssen. Weimar allein verdankte er sein Glück, solange Direkteur zu sein, Weimar allein, daß sich so mancher gute Schauspieler bei ihm engagierte, daß seine Gesellschaft auch einen Namen bekam, daß er es wagen konnte, an anderen Orten zu spielen, ja, daß man ihn bis Grätz berief. Weimars Gnade allein, die die Geduld hatte, sein Spektakel den ersten Winter auszuhalten, ihm den zweiten Winter auch noch zu kommen erlaubte, und er nach und nach zu dem kam, was er hatte.
1 | Auf einem angehefteten Zettel fragt seine »verpflichtete Kummerfeld« den »verehrungswürdigen« Mann, ob sie seinen Namen drucken lassen dürfte. |
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