[93] Nichts ist so sehr geeignet, ein junges Mädchen zu empfehlen, als ein guter Brief. Die Briefe seien gut hinsichtlich des Inhaltes und hinsichtlich der Form, d.h. der verschiedenen Äußerlichkeiten, die beim Briefschreiben berücksichtigt werden müssen.
Briefschreiben ist gewiß nicht jedermanns Sache. Doch habe ich schon osc gehört, daß Frauen das Briefschreiben leichter fällt als den Männern. Das hat wohl seinen Grund darin, daß beim Briefschreiben die Subjektivität vorherrscht; also ist die Tatsache leicht erklärlich.
Dennoch gibt es manche Damen, selbst in den gebildeten Kreisen, bei denen die Korrespondenz unendlich viel zu wünschen übrig läßt. Wie peinlich berührt es, wenn grobe orthographische Fehler uns in jedem Satze begegnen! Freilich bei den so schnell wechselnden Methoden der Rechtschreibung, wie wir sie in den letzten Jahren erfahren, braucht man sich wegen der Orthographie keine unnötige Sorge zu machen. Es gibt der streitigen Punkte eben zu viele, und es ist wohl am besten: jeder richtet sich nach dem Schriftgebrauch, der sich durch vieles Lesen einprägt. Ob du also schreibst »im Ganzen oder im ganzen«, mannichfach oder mannigfach ist schließlich einerlei.[93] Etwas anderes jedoch sind sprachliche Fehler, die stets verraten, daß der Schreiber seine eigene Sprache nicht beherrscht. Zu diesen Fehlern gehören vor allem der unrichtige Gebrauch der Fälle, der sich in einzelnen Gegenden ganz eingebürgert zu haben scheint. Es reizt zum Lachen, wenn »mir etwas reut«, »mich etwas gefällt« oder »ihr etwas ärgert« usw.
Solche Verwechslungen dürfen in Briefen eines jungen Mädchens, welches auf Bildung Anspruch macht, nie und nimmer vorkommen.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Jeder Brief muß nach Stil, Grammatik und Orthographie sowie Interpunktion fehlerfrei sein.
Der Inhalt sei vor allem klar und natürlich; se einfacher und natürlicher du dich im Schreiben gibst, desto mehr wird der Empfänger überzeugt sein, daß du auch im Umgang einfach und natürlich, also angenehm bist.
Es hat einmal jemand gesagt: »Le style c'est l'homme«, der Stil ist der Mensch; beim Briefe findet dieses Wort seine volle Anwendung. Also vor allem keinen geschraubten Stil, der gleichsam auf Stelzen einhergeht. Vermeide alles schwulstige Phrasenwerk, jede Übertreibungen und gesuchten Satzbau, alles dies erschwert die Verständlichkeit und trübt die Klarheit des Inhaltes.
Der Inhalt eines Briefes richtet sich natürlich nach seinem Zweck und der Person, an die er gerichtet ist.
Die Briefe eines jungen Mädchens wenden sich meistens an die nächsten Verwandten, Bekannten und[94] Freundinnen. Was du mitzuteilen hast, geschehe ganz in dem Ton, in dem du mit ihnen sprichst. Für die Art, wie du deine Mitteilungen einkleidest, ist das Verhältnis zu dem Empfänger maßgebend oder auch dessen Verhältnisse und Eigentümlichkeiten.
So wirst du z.B. mit einer alten, kränklichen Dame anders sprechen und schreiben als wie mir einer lebensfrohen, jugendlichen Freundin.
Der Zweck eines Briefes kann ein gar verschiedener sein, so daß es fast unmöglich ist, hier für alle denkbaren Fälle Winke und Ratschläge zu geben. Dennoch will ich die bei dir am meisten vorkommenden Briefe hier berücksichtigen und für die einzelne Art einige Bemerkungen niederschreiben.
sei es zu Namenstagen, Geburtstagen, Neujahr, Verlobungen, Hochzeit, halte stets einfach und kurz. (Es handelt sich hier jedoch um Briefe, nicht um einfache Gratulationskarten. Personen, die uns nahe stehen und gegen die wir große Verpflichtungen haben, könnten es leicht als eine Vernachlässigung ansehen, wenn wir sie mit einer Karte abfertigen wollten.) Aber, wie gesagt, einige herzliche Worte genügen – die Aufmerksamkeit liegt schon in dem Brief. Zudem ist nichts so ermüdend, als lange Abhandlungen zu lesen, die weiter nichts enthalten als eine Aufzählung aller möglichen Wünsche.
[95] Selbstredend bildet bei solchen Briefen der Gegenstand des Verlustes den Ausgangspunkt und fast immer das einzige Thema. Es ist taktlos, in Kondolenzbriefen andere gleichgültige Dinge zu berühren; nicht einmal in einem Postskriptum soll dies geschehen. Hat die Person, deren Verlust man beklagt, dir selbst auch nahe gestanden, so lasse doch deinen eigenen Schmerz zurücktreten; er muß immer als gering dargestellt werden gegenüber dem Schmerze, den der Nächststehende empfinden muß. Auch andere Schickungen als Todesfälle können zuweilen ein Beileidsschreiben erfordern, z.B. der plötzliche Verlust des Vermögens, die Auflösung einer Verlobung, die Trennung von einer geliebten Person. Immer wird ein ausgesprochenes inniges Mitgefühl den Betroffenen herzlich berühren und ihm Trost bereiten. Deshalb möchte ich dir raten, in solchen Fällen nicht mit dem Ausdruck der Anteilnahme zu geizen; wie wir ihn äußern, hangt natürlich von den obwaltenden Verhältnissen ab.
Es ist sehr zu empfehlen, Glückwunschschreiben und Kondolenzbriefe spätestens innerhalb acht Tagen nach erhaltener Anzeige zu beantworten. Dagegen müssen Briefe zu Namens- und Geburtstagen pünktlich am Tage an Ort und Stelle sein
werden jetzt gewöhnlich gedruckt. Wir sollen sie stets beantworten, gleichviel ob wir der Einladung Folge leisten oder nicht. Ist letzteres der Fall, so bedarf es[96] einer Entschuldigung mit Angabe der Gründe; es berührt gar eigen, wenn die Ablehnung nicht motiviert wird.
Oft kommt ein junges Mädchen in die Gelegenheit, für eine Aufmerksamkeit, eine ihm bereitete Freude und Überraschung zu danken. Danke immer, selbst da und in dem Falle, wo der Dank nicht erwartet wird. Wenn du ein dankbares Herz hast, wird es dir nicht schwer werden, die richtigen Ausdrücke zu finden.
Benütze stets einen ganzen Briefbogen; nur bei sehr guten Bekannten ist hier eine Abweichung gestattet. Das Papier sei rein und unbeschädigt.
Im Privatverkehr sind alle Arten von Briefpapier zulässig; auch ist Damen und jungen Mädchen der Gebrauch sogenannter Phantasiebogen in allen Farben und Formaten gestattet; dennoch muß und wird dir auch hier das Taktgefühl sagen, bei welchen Personen du solche Spielereien benützen darfst. Zu Briefen an Höherstehende benütze stets weißes Papier.
Es ist unhöflich, den Briefbogen gedrängt und bis an die äußersten Ränder voll zu schreiben; zur Linien des Bogens bleibt ein Raum, etwa 1–2 Finger breit, völlig leer. Auch an dem oberen und unteren Rande ist ein ebenso breiter Raum frei zu lassen. Im ganzen gilt die Regel: Je höher die Person, an die du schreibst, desto breiter der Rand und die einzelnen Abstände.[97]
Beginne stets mit Ort und Datum; es kann dies mitunter von großer Wichtigkeit sein. Die Gewohnheit, das Datum an den Schluß des Briefes zu setzen, ist veraltet.
Unter Ort und Datum setzt man nach einem entsprechenden Abstande die Anrede, und nach dieser entweder ein Ausrufungszeichen oder ein Komma, jedoch keinen Punkt.
Dann folgt wieder ein Abstand und sodann der eigentliche Anfang des Briefes. Derselbe sei nie gesucht und nichtssagend; beginne lieber direkt mit der Sache, anstatt durch alle möglichen Phrasen zu zeigen, daß du um den Eingang verlegen gewesen bist. Einige finden es unhöflich, den Brief mit Ich zu beginnen; in England indes gilt dies als eine besondere Höflichkeit. Wir wollen jedoch lieber bei dem Grundsatze bleiben, daß man anderen Leuten den Vortritt lassen soll, also auch in Briefen.
Alle Wörter, die sich auf die angeredete Person beziehen, also die Fürwörter schreibt man mit großem Anfangsbuchstaben. Schreibt man einer hochgestellten Person, so wird man im mündlichen Verkehr das Sie durch den Titel ersetzen. Zum Briefschluß sind eigentlich drei Linien erforderlich; die erste ist nur für das den Empfänger bezeichnende Anredewort be stimmt, die zweite für die Eigenschaft, welche, die Schreiberin sich beilegt, die dritte endlich für deren Namen. Also z.B. so:
Ihre
sehr ergebene
N.N.
[98]
Es macht sich nicht gut, wenn die Anrede allzu häufig im Text wiederkehrt.
Ein Brief an Höhergestellte soll niemals vertrauliche Bemerkungen enthalten, es sei denn, daß die persönliche Beziehung es gestatte. Junge Mädchen werden nur selten in der Lage sein, solche Briefe zu schreiben; doch kann es geschehen, wenn es sich z.B. um die Erlangung einer Stelle oder einer Gunst für sich oder andere handelt.
In diesen Briefen darf man sich kein Postskriptum erlauben. Anders verhält es sich mit Briefen vertraulichen Inhalts, die nur den Zweck haben, gemütlich zu plaudern, Kleinigkeiten zu erzählen. Ein Glück, daß das Postskriptum hier nicht ins Reich des Verbotenen gehört, denn Tante Lisbeth, die sehr viele Briefe aus weiblicher Feder erhält, kann nicht anders als jener Behauptung beistimmen, daß das Postskriptum ein Zeichen des Weiblichen sei. Dem Nachsatz pflichtet sie indes nicht so unbedingt bei: »weil man beim schönen Geschlecht unlogisches Denken und Vergeßlichkeit voraussetzen kann«. – Es gibt jedenfalls zahlreiche Vertreter des starken Geschlechts, die uns darin die Hände reichen, wenn nicht voraus sind.
Streiche in deinen Briefen nichts aus, setze nichts Vergessenes zwischen die Linien, vermeide das Radieren, – alles Kleinigkeiten, die ein junges Mädchen beobachten muß. Die Linien dürfen nicht schief laufen; der Rand nach unter nicht enger oder weiter werden.[99]
Hinsichtlich der Anrede merke dir folgendes:
Im Privatverkehr heißt es gewöhnlich:
Sehr geehrter Herr, Verehrte Frau, Gnädige Frau; an ein älteres Fräulein: Verehrtes Fräulein. Die persönliche Bezeichnung ist hier auch maßgebend.
Schreibst du an eine adelige Dame, die mit einem Bürgerlichen verheiratet ist, so gebrauche das Prädikat Hochwohlgeboren oder Hochgeboren. Im übrigen erhalten Frauen den Titel ihres Mannes, ohne jedoch, wie es in vielen Gegenden geschieht, die Silbe in anzuhängen. Also nicht: Frau Doktorin, Frau Bürgermeisterin.
Auch der Titel Exzellenz, der in Preußen den Ministern, Gesandten, Generälen, Oberpräsidenten und Hofwürdenträgern verliehen wird, kommt den Gemahlinnen der betreffenden Herren zu. Geistliche Herren werden mit »Hochwürden« oder Hochwürdiger Herr – mit und ohne Beifügung des Titels ungeredet. Protestantischen Geistlichen kommt das Prädikat »Ehrwürden« zu.
Als Anrede dient gewöhnlich nur ein Titel und zwar der höchste; doch kann man in der Überschrift und auf der Adresse mehrere angeben. Ist also ein Amtsrichter Amtsgerichtsrat, so wird er mit letzterem Titel angeredet. Der höhere Geburtstitel hat vor dem niederen Amtstitel den Vorzug und umgekehrt. Bei Geistlichen steht jedoch der geistliche Titel immer an der Spitze; so tituliert man also einen gräflichen Domkapitular nicht »Herr Graf«, sondern »Herr Domkapitular«.[100]
Ich denke, daß diese wenigen Bemerkungen für euren brieflichen Verkehr genügen, möchte jedoch noch hinzufügen, daß dieselben Titulaturen auch im mündlichen Verkehr gebraucht werden.
Die Adresse schreibe deutlich und gerade auf die vordere Seite des Kuverts. Es ist im Privatverkehr allgemeiner Brauch geworden, möglichst kurz und einfach zu adressieren; der früher übliche Zusatz »Wohlgeboren« fällt weg.
Das Hochwohlgeboren oder Hochgeboren hat sich jedoch erhalten; ersteres wird für höhere Beamte, Offiziere und Personen von Adel, letzteres bei gräflichen Personen angewendet.
Bei anderen Personen setze also einfach den Titel, oder wenn es mehrere sind, die verschiedenen Titel auf die Adresse; es gibt Personen, die auf die ihnen zukommenden Ehren großen Wert legen, und es ist ja in diesem Falle ein leichtes, ihren Wünschen gerecht zu werden. Die Adresse muß auch genau sein, damit die Beförderung keine allzu große Mühe verursacht. Z.B.
Frau Sanitätsrat Dr. P.
Münster i. W.
Die Freimarke wird rechts in die obere Ecke geklebt; sorge vor allem, daß deine Briefe stets genügend frankiert sind, Strafporto ist ein ärgerliches Geld, und es gibt Leute, die grundsätzlich die Annahme unfrankierter oder ungenügend frankierter Briefe verweigern.[101]
Noch möchte ich bemerken, daß wir intimere Mittilungen nur in Briefen machen sollen, da der Empfänger dieselben vielleicht diskret behandelt haben will.
Sorge, daß das Kuvert mit dem Briefbogen übereinstimmt, sowohl was Format wie Farbe angeht. Der Briefbogen wird sorglich zusammengefaltet, die erste beschriebene Seite nach innen gekehrt.[102]
Buchempfehlung
Aristophanes hielt die Wolken für sein gelungenstes Werk und war entsprechend enttäuscht als sie bei den Dionysien des Jahres 423 v. Chr. nur den dritten Platz belegten. Ein Spottstück auf das damals neumodische, vermeintliche Wissen derer, die »die schlechtere Sache zur besseren« machen.
68 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro