2. Nur keine übertünchte Höflichkeit!

[9] Wer überall gern gesehen sein möchte, muß vor allem über Takt, also über das Gefühl und die Sicherheit verfügen, alles richtig zu machen und alles zu vermeiden, was andre verletzen könnte. Es ist aber immer sehr zwischen innerem und äußerem Takt zu unterscheiden. Man kann auch sagen zwischen gefühlsmäßigem und verstandesmäßigem, zwischen angeborenem und erworbenem Takt. Ein Takt, der nur äußeren Anforderungen gerecht wird, etwa ein vor dem Spiegel gut einstudiertes Nachahmen wirkungsvoller Gesten und Posen andrer ist nur eine Tünche, die bald abblättert und allzuleicht zur Lächerlichkeit führt. Der Lippenstift ist eben kein Kulturfaktor.

Treffend spricht das Molière in seinen »Femmes savantes« aus:


»Wer sich nach andern bilden will und achten,

hat ihren guten Sitten nachzutrachten.

Das heißt gewiß sein Vorbild nicht erreichen,

im Räuspern nur und Spucken ihm zu gleichen.«


Wer fehlendes Sein durch Schein ersetzen will, wer Geist oder Seele vortäuschen will, wird bald als Blender entlarvt. »Angeber« nennt man heute solche Leute, die niemand ernst nimmt. Es mag ein Trost für sie sein, daß sie selbst das nicht merken.

Wer Sonne ausstrahlen will, muß selbst ein sonniges Gemüt haben. Wer edel erscheinen will, muß über eine edle Gesinnung verfügen und wer einen ästhetischen Eindruck machen will, muß in geistiger wie seelischer Hinsicht wahrer[9] Ästhet sein, also ein Mensch, der unaufhörlich der Verinnerlichung und Ausreifung des Menschlichen lebt. Ästhetisches Empfinden ist überhaupt die beste Grundlage für den sogenannten guten Ton im Leben. Wer darüber verfügt, wird in jeder Lebenslage zu beurteilen wissen, was richtig und was falsch ist. Allerdings ist dabei Voraussetzung, daß er die vielen Regeln und Gesetze kennt, die sich der Mensch im Verkehr mit Menschen gegeben hat. Die muß jeder beherrschen, der im Leben vorwärts kommen will. Ein angeborenes, vorbildliches Taktgefühlt allein genügt also nicht.

Aus allem erkennen wir, daß immer zwei Faktoren zusammenwirken müssen: der innere Takt, den wir angedeutet haben und der äußere Takt, das heißt die Form, über die wir in der Folge plaudern wollen.

Quelle:
Volkland, Alfred: Überall gern gesehen. Mühlhausen i. Thüringen 1941, S. 9-10.
Lizenz:
Kategorien: