Aeußerlichkeiten und Gewohnheiten.

[50] »Freund, ich hab' einmal kein Glück bei den Damen! Ich merk's und fühl's. Laß Deine gutgemeinten Trostworte! Ich weiß, wie sie mir aus dem Wege gehen, wie sie den jüngsten Grünschnabel mir vorziehen, – warum, das habe ich allerdings nie ergründen können.«

»Warum? Hast Du Dir dies nie klar gemacht, mein Lieber? Du bist ein großer Gelehrter, Bruno, aber über all dem Studium Deiner Bücher hast Du vergessen, die Forderungen der Welt zu erfüllen, den Gesetzen des guten Tones zu folgen.«

»Ach, laß mich mit dem guten Ton zufrieden!«

»Mein Bester, Du kannst und wirst ihn nicht aus der Welt schaffen. Die Gesetze der Sitte sind wohlberechtigt und wohlthätig. Sie verlangen Gefolgschaft, sonst – nun, Du lernst ja ihre Macht an Dir selbst kennen! (Sich ereifernd:) Betrachte Dich einmal im Spiegel! Glaubst Du mit deinem ungepflegten Bart, Deiner Haarmähne,[50] in die kein Schermesser kommen darf, mit Deinen Trauerrändern unter den Nägeln den Damen ein willkommener Anblick zu sein?«

»Du, das ist stark! Du entwirfft da ein Bild von mir...«

»Das wahr ist, durchaus wahr. Daß Dir die Wahrheit nicht schmeckt, ist natürlich. Pflege Dein Aeußeres nach den Regeln der Sitte, und Du wirst um vieles begehrenswerter sein.«

(Polternd:) »Regeln der Sitte! (Nach einer Pause:) Und die wären?«

»Der gute Ton verlangt vor allem peinliche Sauberkeit unseres Körpers. Eine geregelte Hautpflege, häufiges Baden, tägliche, gründliche Waschungen, alles dies wirkt günstig auf die Stimmung. Besonderer Pflege bedarf das Haar. Man lasse sich den Kopf allwöchentlich waschen, das Haupthaar alle drei bis vier Wochen schneiden.«

»Und wohl auch brennen, wie ein richtiger Zierbengel?«

»Nein, dazu rate ich Dir allerdings nicht! Außerdem ist eine peinliche Mundpflege nötig. Man dulde keinen kranken Zahn im Munde und reinige die Zähne täglich zweimal, morgens mit einem unschädlichen Zahnpulver, abends durch Bürsten und Ausspülen mit einem desinfizierenden Mundwasser. Reine, saubere Zähne, ein appetitlicher Mund verschönern auch das wenig hübsche Gesicht, während ungepflegte Zähne uns ein sonst klassisches Antlitz widerlich machen können.«

»Und wenn man schlechte Zähne hat wie ich?«[51]

»Dann lasse Dir an Stelle des kranken einen künstlichen Zahn befestigen! Ich sage mit Absicht befestigen. Ein schlecht sitzendes Gebiß ist peinlich für den Träger wie für seine Umgebung. Die Zeit, wo man sich über falsche Zähne aufhielt, ist längst vorüber. Jeder sieht ein, daß nicht nur aus ästhetischen, nein, auch aus gesundheitlichen Rücksichten ein Zahnersatz geboten ist.«

»Und für meinen Scheitel, der sich zu lichten beginnt, rätst Du mir wohl eine Perücke, für meine fahle Gesichtsfarbe das Schminktöpfchen?«

»Nein, davor kannst Du ruhig sein! Wenn ich und mit mir alle gebildeten Menschen etwas verdammen und verachten, so ist es das Schminken. Es ist unglaublich, wie kurzsichtig die Damen sind und nicht begreifen, wie sehr sie sich durch Anwendung derartiger kosmetischer Mittel schaden und einer falschen Verurteilung aussetzen. Eine wirklich vornehme Frau wird lieber mit einem blassen Teint zum Ball gehen als sich und andere durch Auflegen von Schminken belügen. Es giebt heute Spezialisten für Hautpflege. Lieber eine Kur, wobei die Diät eine Rolle spielt, um Blut und Blutzirkulation und dadurch Farbe und Aussehen zu bessern, als nach den Requisiten der Scheinwelt greifen. Doch wir sind vom Thema abgekommen.

Was die Perücke betrifft, so ist sie in einem Fall, wo Krankheit uns den Haarschmuck raubte, besonders bei Damen erlaubt, ja geboten, denn wir haben die Verpflichtung, uns unsern Nebenmenschen nicht abschreckend, sondern anziehend zu zeigen. Das Haarfärben dagegen ist zu vermeiden. Es ist ein Betrug,[52] der sich rächt, denn gefärbte pechschwarze Haare allein werden dem Antlitz nie die verlorene Jugendfrische wiedergeben. Die jugendliche Haarfarbe, die von den welken Zügen absticht, wird als künstlich erkannt und bespöttelt.

Besonderer Pflege bedarf auch die Hand. Die Hand verrät den Bildungsgrad der Menschen. Die rote Hand des Bauern, die abgearbeitete harte Handfläche des Dienstboten erzählen von Stand und Gewerbe.«

»Nein, nein, und wenn Du Engelszungen hättest, dazu kannst Du mich nun und nimmermehr bereden, daß ich mir lange Nägel anschaffe.«

»Wer verlangt denn das? Lächerlich lange Fingernägel waren einst eine beliebte Spielerei, sind aber längst abgethan von der Mode. Wohl aber rundet man den Nagel mit Schere und Feile so weit, daß er über dem Fleisch der Fingerspitze vorsteht und dasselbe schützt. Man drückt die Haut am Fuße des Nagels täglich herab, und will man ein Uebriges thun, so poliert man den Nagel dann und wann mit einem in den Droguerien erhältlichen Pulver und weichem Leder.

Wie viel besser schmeckt uns ein Apfel, der von einer schönen Hand geschält ist! Wie viel lieber führen wir eine gepflegte Hand an die Lippen! Hast Du es noch nicht selbst an Dir erfahren? Eine gepflegte, schöne, wohlgestaltete Hand adelt die ganze Erscheinung.«

»Wohlgestaltet! Da haben wir's! Da sieh einmal meine Pranke! Glaubst Du, daß das klassische Form sei? Haha!«

»Darüber läßt sich streiten, aber pflege sie, und Du[53] wirst erstaunt sein, wie viel schöner sie erscheint. Gerade bei der Hand thut die Pflege außerordentlich viel. Man freut sich bald der geringen Mühe.«

»Nun, ist dies das ganze Schönheitsrezept, mein Lieber, oder...«

»Bruno, sei nicht böse, gönne mir noch einen Augenblick! Sieh, ich meine es gut mit Dir. Bezähme Deine Ungeduld, höre mir zu!

Richtig – den Bart hätte ich beinahe vergessen! Du rasierst Dich nicht selbst, nicht wahr? Schade, ich thue es seit lange und befinde mich herrlich unabhängig, besonders auf Reisen, dabei. Wenn Du Dich dem Barbier anvertraust, so thue es wenigstens regelmäßig. Ein unrasiertes Kinn, ein Bart, an dem noch die Reste der Mahlzeit kleben, können uns einen sonst charmanten Menschen widerlich werden lassen.

Bruno, laß Dir noch eins sagen – aber zünde Dir lieber eine Friedenscigarre an, damit Dein Zorn gegen mich und Deine Kampfgelüste sich legen. Halte Dich besser! Erinnerst Du Dich nicht, wie Du als Einjähriger stramm und gerade gingst? Das hat der vielbelesene Herr Professor aber leider ganz vergessen. Und doch, wie anders präsentiert sich selbst die unbedeutendste Figur, wenn sie gerade geht, den Kopf nicht von der Last der Gedanken gebückt, sondern frisch in die Höhe gerichtet. Der Gang sei rasch, ohne eilig zu sein, stramm, ohne zu laut aufzutreten, elastisch, ohne allzu beweglich zu werden. Wer einen schlechten Gang hat, der nehme Unterricht im Turnen und Tanzen und übe seine Glieder, bis er sie völlig in der Gewalt hat.[54] Ein Mensch, der seine Arme und Beine nicht beherrscht, über seine Füße stolpert oder sie in Gesellschaft so unterbringt, daß andere darüber stolpern müssen, der mit seinen Armen nichts anzufangen weiß und sich so unsicher fühlt, daß er sich nicht einmal getraut, seine leere Theetasse abzustellen, sondern wartet, bis sie ihm ein mitleidiger Lohndiener abnimmt, verrät sofort, daß er in der Gesellschaft nicht zu Hause ist. Man sagt von ihm: ›Er hat keine Kinderstube!‹ Wer also nicht den Segen gehabt hat, schon in früher Jugend auf diese so notwendigen Aeußerlichkeiten aufmerksam gemacht worden zu sein, der scheue sich nicht, durch Unterrichtsstunden solches nachzuholen, wohlverstanden in aller Heimlichkeit.

Und soll ich Dir noch ein Schönheitsmittel verraten, ein radikal wirkendes, ein Mittel, das nichts kostet als ein wenig guten Willen und Selbstüberwindung? Geh nicht so finster durch die Welt, nur die Beute Deiner ernsten Gedanken! Gehst Du unter Menschen, so sei heiter und bereit, alles leicht und fröhlich zu nehmen; Du wirst Dich besser amüsieren und besser gefallen; denn nichts verschönt ein Antlitz mehr als ein angenehmer Gesichtsausdruck. Und wodurch wird dieser erreicht? Nur durch eine heitere liebenswürdige Stimmung.«

»Das ewige Lächeln steht mir nicht!«

»Wer spricht denn von einem forcierten Lächeln, welches das Gesicht zur Maske herabwürdigt? Ich meine das wahre, liebenswürdig verbindliche Wohlwollen, die echte Nächstenliebe, der wir Raum in unserer Brust[55] geben sollen, und die alsdann unser ganzes Wesen verklären und verschönen wird.«

»Das klingt ja alles sehr schön, und ich möchte Dir beinahe recht geben – aber sieh, es ist gegen meine Gewohnheit.«

»Halt, da haben wir's, dieses schreckliche Wort: Meine Gewohnheit! Die beliebte Entschuldigung für alle Unarten, Unerzogenheiten und Nachlässigkeiten unserer werten Persönlichkeit! Was wird nicht alles mit dem Deckmantel der Gewohnheit umkleidet! Da greift der Gast mit den Fingern ins Salzfaß. ›Entschuldigen Sie, 's ist so meine Gewohnheit!‹ Hier tritt der Hausherr dem Besucher in Pantoffeln entgegen. ›Verzeihen Sie, aber ich bin es so gewöhnt!‹ ›Unbegreiflich,‹ denkt der Gast bei sich; ›die gute Sitte verlangt doch, daß man sich gleich morgens fertig anzieht.‹

Was soll ich Dir lange alle Unarten aufzählen, deren wir uns im Laufe des Tages schuldig machen! Merke Dir lieber den Spruch:


Zu den Besseren bist Du gehörig, freilich,

Und dennoch prüfe Dein Wesen täglich!

Gar mancher Fehler ist wohl verzeihlich,

Doch nicht erträglich!«

Frida Schanz.
[56]

Quelle:
Wedell, J. von: Wie soll ich mich benehmen? Stuttgart 4[o.J.], S. 50-57.
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