|
[338] Du sitzest am Schreibtisch, lieber Leser, und vor dir liegt eine Menge der Beantwortung harrender Briefe, denn du hast wie so mancher die böse, böse Eigentümlichkeit, mit der Beantwortung deiner Korrespondenz so lange zu zögern, sie so lange unter täglicher Beschwichtigung des mahnenden Gewissens hinauszuschieben, »bis es wirklich nicht mehr länger geht!«
Und doch ist im brieflichen Verkehr die Pünktlichkeit, die wir schon an anderer Stelle betonten, ebenso wichtig, ja fast noch wichtiger wie im gesellschaftlichen und geschäftlichen Leben. Hast du es nicht schon selbst erlebt, als etwas Unangenehmes, Peinigendes, auf die Nerven Fallendes empfunden, dieses Warten auf einen Bescheid, die Beantwortung einer Frage, einer Bitte um eine Auskunft? Und du willst dich der gleichen Unterlassungssünde schuldig machen?
Doch nein, ich vergaß ja, du sitzest am Schreibtisch, bereit deine Briefschuld abzutragen. Und du willst nun gewiß von mir wissen, was du schreiben sollst, nicht wahr?[338]
Was ist das Haupterfordernis für einen Brief? Daß er das natürliche, ungekünstelte Selbsterzeugnis des Schreibers ist. Briefsteller benutzen heute nur noch die Dienstboten oder der Musketier, welcher der Babette seine Verehrung mit fremden Worten besser bezeigen zu können vermeint als mit seinen eigenen. Die schwülstigen Versicherungen, die blumenreichen Wendungen, welche ein Briefsteller vor hundert Jahren empfehlen mußte, da sie von jedermann erwartet wurden, hat unsere Zeit aus dem Briefstil völlig verdrängt. Willst du also einen Brief schreiben, so überlege dir, was du darin sagen willst, und was du zu sagen hast; mache dir unter Umständen eine kleine Disposition, indem du dir einzelne Schlagworte aufschreibst. Alsdann versuche, den Stoff in klaren, einfachen Sätzen vorzutragen.1
Daß deine Orthographie und Grammatik tadellos sein sollen wie dein Papier und deine Schrift, die dem andern nicht etwa Rätsel aufgeben darf, versteht sich von selbst. Bist du in ersterer nicht sicher, so hilft nur aufmerksames Studium einer guten Grammatik oder Unterricht.
Der Brief ist das Spiegelbild deiner Person. Denke[339] stets daran! Und wie du gewiß wünschest, daß der Spiegel nur ein hübsches und angenehmes Bild von dir zurückstrahlen soll, so bemühe dich, daß auch dieses Spiegelbild zu deinen Gunsten rede.
Sprich nicht zuviel von deiner Person und deinen Angelegenheiten. Wohl magst du diese, bist du eines Interesses dafür bei dem Empfänger gewiß, im zweiten Teile deines Schreibens erwähnen, die erste Hälfte sei jedoch der gewissenhaften Beantwortung der in dem Brief enthaltenen Fragen gewidmet. Zu diesem Zweck mußt du letzteren nochmals sorgfältig durchlesen, ehe du an seine Beantwortung gehst. Vergiß nicht die Nachfrage nach dem Ergehen des Adressaten, nach seiner und seiner Familie Gesundheit.
Briefe sind etwas Bleibendes. Wer weiß, in wieviel Hände dein Brief später noch gelangen kann! Sei darum auf der Hut, daß er nicht zu einer Urkunde deiner Flüchtigkeit und Nachlässigkeit werde.
Geheimnisse dem Papier anzuvertrauen, ist nur dann ratsam, wenn man dem Couvert den Vermerk »eigenhändig« aufschreibt oder am Eingang des Schreibens erwähnt, daß dasselbe von Wichtigkeit und nur für den Empfänger bestimmt sei. Briefe von solchem Wert sollte man jedoch nur eingeschrieben schicken, ebenso jene, in denen man auf Befragen genaue Auskunft über Privatverhältnisse oder Personen giebt.
Wähle für deine Korrespondenz ein gutes, kräftiges, gelbliches Papier in Oktavformat und für kurze Mitteilungen an Gleich-, nie an Höhergestellte (diese müssen stets Briefform haben) sogenannte cartes de correspondance,[340] ebenfalls gelblich weiß. Jener bunten Papiere, wie sie als Modespielereien in den unglaublichsten Formaten auftauchen, kannst du gern entraten. Ihre Benutzung bleibt ausschließlich auf den intimsten Freundeskreis beschränkt. Du könntest dich unglaublich lächerlich machen, wolltest du dich ihrer für ernsthafte Mitteilungen bedienen.
Auch Goldrand und prahlerische Monogramme verraten wenig guten Geschmack. Man wähle ein elegantes Monogramm von der Farbe des Papiers. Von Jahr zu Jahr findet die berechtigte Vorliebe, das Wappen oder Siegel erhaben gepreßt auf dem Papier anzubringen, mehr Eingang. Briefe an Behörden oder Geschäfte zeigen niemals Monogramme.
Die Anrede beim Beginn eines Briefes setzt man in die Mitte des Briefbogens, drei bis vier Finger breit vom oberen Rande entfernt. Nach zwei Finger breitem Abstand folgt dann der Text. Man versäume nicht, an der linken Seite stets einen, wenn auch schmalen, Rand frei zu lassen, ebenso den Briefbogen am unteren und oberen Rande zwei Finger breit unbeschrieben zu lassen. Der Schluß des Briefes stuft sich gefällig ab.
Schließt man etwa: »Mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung ergebenst,« so steht »ergebenst« in einer Linie allein, darunter in einigem Abstand der Name. Je höher die Person des Adressaten steht, desto größer ist der Abstand zwischen Schluß und eigenem Namen.
Von großer Nachlässigkeit zeugt das Fehlen des Datums. Dasselbe findet in der rechten oberen Ecke[341] neben dem Ortsnamen Platz, bei Briefen an Respektspersonen dagegen am Schluß des Briefes links unten. Bei diesen Briefen bedient man sich auch des Papiers in Quartformat. Eingaben an Behörden verlangen einen Foliobogen, welcher, in der Mitte gebrochen, nur auf der rechten Seite zu beschreiben ist. Links oben ist in kurzen Worten der Zweck des Gesuches anzugeben.
Eine Nachschrift oder ein Postskriptum soll das charakteristische Erkennungszeichen – so geht die böse Nachrede – eines weiblichen Briefes sein. Dasselbe hat nur dann Berechtigung vor dem Forum des guten Geschmacks, falls es wirklich Dinge von Wichtigkeit enthält, die ein gänzliches Umschreiben des Briefes notwendig machen würden. Eine immer mehr in Aufnahme kommende Sitte bestimmt, daß wir an den Kopf des Briefes unsere eigene Adresse setzen, also z.B.: Berlin, Klopstockstr. 33, den 14.2.97. Es erleichtert dies die Beantwortung des Briefes. Der Schreiber kann nicht die Adressen aller derer, mit denen er in Korrespondenz steht, im Kopfe haben.
Jeder Brief verlangt einen zum Briefpapier passenden geschlossenen Umschlag. Es gilt für wenig sein, eine beschriebene Visitenkarte offen als Begleitung einer Blumengabe zu senden, einen Brief ohne Couvert in ein Paket zu legen oder gar eine Einladungskarte ohne Umschlag abgeben zu lassen.
Die Adresse auf dem Umschlag sei leserlich und genau. Die Rücksicht für den Adressaten verlangt, daß wir seinen Namen richtig schreiben. Ist man nicht ganz sicher in Betreff von Straße und Hausnummer, so[342] gebe man den Absender auf der Rückseite des Couverts an. Man entgeht somit dem etwaigen Oeffnen des Briefes zum Zweck der Kenntnisnahme des Absenders durch die Post.
Die Adresse eines dienstlichen Briefes an eine Behörde, einen Vorgesetzten etc. wird vollständiger und förmlicher lauten wie diejenige eines freundschaftlichen Briefes. So schreibt der junge Lieutenant an seinen Regimentskommandeur:
An den
Königl. Obersten und Kommandeur des 2. Sächsischen
Dragoner-Regiments, Ritter hoher Orden,
Herrn von Pleß
Hochwohlgeboren.
Die Verwandten dieses Obersten jedoch werden sich nicht alle dieser Umständlichkeit befleißigen. Es genügt:
Seiner Hochwohlgeboren
Herrn Oberst von Pleß.
Der Geburtstitel kommt immer direkt vor den Namen. Also schreibt man nicht:
An den Freiherrn Hauptmann von Welk
sondern:
An den Königl. Hauptmann und Kompagniechef
im Feld-Artillerie-Regiment Nr. 60
Herrn Freiherrn von Welk
Hoch- und Wohlgeboren.
nicht
An den Herrn Grafen Landrat von Pleß
sondern:
[343]
An den Königl. Landrat
Herrn Grafen von Pleß
Hochgeboren.
Ein Formfehler in der Adresse wirst immer ein ungünstiges Licht auf den Absender. Ganz falsch ist es z.B., wenn einige Leute in dem Glauben, richtig zu gehen, die Aufschrift der Besuchskarte abschreiben.
Herrn Dr. Bernhard,
Geheimer Medizinalrat
oder:
Bruno Freiherr von Welt.
Es muß im ersteren Falle heißen:
Herrn Geheimen Medizinalrat
Dr. Bernhard
im zweiten Fall
Herrn Freiherrn Bruno von Welt.
Wie wir aus diesen Beispielen ersehen, gebührt dem Grafen das »Hochgeboren«, dem Freiherrn das, »Hoch- und Wohlgeboren«. Im Uebrigen schreibt man »Sr. Hochwohlgeboren« resp. »Ihrer Hochwohlgeboren« oder läßt dies bei titellosen Leuten ganz fort. »Wohlgeboren« schreibt man an Untergebene, die man ehren will.
Anders verhält es sich mit der Adresse an die Frau. Man gebe der Frau den ihr durch die Geburt zukommenden Titel, nie aber den Titel des Mannes. Stets setze man den Vornamen hinzu, schreibe also:
Frau Sophie Sommer
statt:
Frau Rentner Sommer
oder auch:
Frau Sophie Sommer
geb. Sanden
[344]
oder (zur rascheren Auffindung durch die Post, besonders in kaufmännischen Kreisen beliebt):
Frau Adolf Sommer.
Nur Eitelkeit auf der einen, Schmeichelei auf der andern Seite konnten die »Frau Oberst«, »Frau Direktor« in Aufnahme bringen. Man wird sich besonders älteren Damen gegenüber von dieser gottlob im Aussterben begriffenen Sitte noch keine Ausnahme gestatten dürfen, wohl aber sollte man Adressen an alle Gleichstehenden nur aus Vor- und Zuname bestehen lassen. Folgte jeder und jede diesem Beispiel, so könnte die Sitte der Titulatur mit unserer Generation als überwunden zu Grabe getragen werden.
Der gesteigerte Verkehr hat uns an den Gebrauch der Postkarte gewöhnt, jedoch bedient man sich ihrer nur zu kurzen Mitteilungen. Nie vertraue man ihr Persönliches oder Intimeres an. Postkarten kann man nur an ganz genaue Bekannte senden. Fernerstehende würden mit Recht über diese wenig förmliche Art klagen. Ebenso ausgeschlossen ist es, auf einer Postkarte jemandem zu gratulieren oder zu kondolieren. Ausgenommen sind Neujahrsgratulationen an Gleichstehende oder Untergebene.
Frankiere deine Briefe genügend. Strafporto zahlt niemand mit Vergnügen.
Lassen wir nun noch kurz die verschiedenen Briefformen Revue passieren.
Ueber Gratulationsbriefe ist das Wichtigste in den Kapiteln über »Taufe«, »Brautstand« »Geben und Nehmen« gesagt. Beglückwünschungen bei Gelegenheit[345] von Beförderungen sind in Briefform zu halten und werden ebenso dankend erwidert. Gleichgestellten oder Untergebenen gegenüber bedient man sich wohl auch der Besuchskarte mit einigen Worten des Dankes oder der Postkarte.
In Beileidsbriefen vermeide man noch mehr wie sonst die Phrase, schreibe einfach, natürlich und herzlich und schließe mit der Versicherung, daß man dem Verstorbenen ein treues Andenken bewahren werde.
Ueber Einladungen und ihre Beantwortung ist bereits in einem besonderen Abschnitt die Rede gewesen.
Empfehlungsbriefe sollen peinlich, genau und der Wahrheit entsprechend abgefaßt sein. Man empfehle nur Menschen, die man wirklich kennt, und gebe ihnen das Empfehlungsschreiben unverschlossen mit. Stellen dieselben sich nun durch einen Besuch dem Adressaten vor, so senden sie das Empfehlungsschreiben mit ihrer Besuchskarte hinein. Der Empfänger ist alsdann orientiert.
Dankschreiben jeglicher Art sollten umgehend nach Empfang der Gabe, nach Genuß der Wohlthat oder der Freude geschrieben werden. Sie berühren den Empfänger alsdann doppelt so herzlich und angenehm.
Bei Geschäftsbriefen steht als Anrede die Adresse, was jedoch nicht hindert, daß je nach dem Grad der Wertschätzung oder Bekanntschaft noch ein: »Sehr geehrter Herr!« etc. folgt.
Empfängst du Briefe in Gegenwart anderer und beabsichtigst sie sofort zu lesen, so hast du dich an deine[346] Umgebung zu wenden und sie um Erlaubnis zu bitten, in ihrer Gegenwart die Briefschaften lesen zu dürfen.
Zum Schluß möchten wir die Pflicht des Briefgeheimnisses der besonderen Beachtung des Lesers empfehlen. Wir kennen so manche niedliche, kleine Frau, deren zarte Finger ohne Gewissensskrupel die Briefe an ihren Mann öffnen: »Es steht ja nichts darin, was ich nicht wissen darf!« Freue dich, daß dem so ist, aber überlaß es deinem Mann, dich mit dem Inhalt seiner Korrespondenz bekannt zu machen.
Dienstbriefe darfst du weder öffnen, liebe Leserin, noch annehmen, wenn du nicht einen speziellen Auftrag von deinem Gatten dazu hast. Gewöhne dir an, alle eintreffenden Postsachen auf einen bestimmten Platz zu legen, auf dem dein Mann sie zu suchen gewohnt ist. So allein beugst du dem unangenehmen Mißgeschick vor, dich wegen verlegter Briefe entschuldigen zu müssen.
Sehr praktisch erweist sich die Gewohnheit, abzusendende Briefe etc. in eine, im Zimmer des Hausherrn befindliche Posttasche zu stecken. Wer ausgeht, hat die Verpflichtung, die Sendungen mit zur Post zu nehmen.
1 Gute Ratschläge und Winke für korrekte, gewandte Abfassung aller Korrespondenzen, die der gesellschaftliche, familiäre, geschäftliche und amtliche Verkehr im Leben mit sich bringt, giebt Constanze v. Frankens Buch »Wie schreibe ich meine Briefe? Die Kunst des Briefschreibens« in leicht verständlicher Sprache und in großer Mannigfaltigkeit. Verlag von Levy & Müller in Stuttgart.
(Anm. d. Verl.)
Buchempfehlung
1880 erzielt Marie von Ebner-Eschenbach mit »Lotti, die Uhrmacherin« ihren literarischen Durchbruch. Die Erzählung entsteht während die Autorin sich in Wien selbst zur Uhrmacherin ausbilden lässt.
84 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro