Auf Logierbesuch.

[331] Erste Scene.


A. »Wie, Du hier, Ernst? Welche Ueberraschung! Wie kommst Du denn nach H.?«

E. »Ich bin bei C.'s zu Besuch, Du weißt doch, unserem gemeinsamen Studiengenossen in Heidelberg.«

A. »Ah, bei dem Justizrat? Nun, wie gefällt es Dir dort? Nettes Haus, nicht wahr? Schön gelegen! C.'s sollen sehr liebenswürdige Wirte sein!«

E. »Ja, ja, das Renommee mag ihnen zustehen, das kann ich mir denken. Aber siehst Du, gerade das Zuviel an Liebenswürdigkeit ist es, welches mir den Aufenthalt in ihrem Hause trotz allem Komfort verleidet. Die Frau Rat läßt mich keinen Augenblick aus den Augen. ›Was unternehmen Sie jetzt, mein lieber Herr B.? Wie, Sie wollen ausgehen? Aber in einer Stunde sind Sie doch zum Kaffee zurück?‹ Will ich ihr entschlüpfen, um in meinem Zimmer auch einmal fünf Minuten auszuruhen, so glaubt sie, ich langweile mich, und da ihr dieser Gedanke natürlich entsetzlich ist, verdoppelt sie das Geschützfeuer gastfreundlicher Aufmerksamkeit.[331] Eben bin ich ihr und ihrer Begleitung nur dadurch entronnen, daß ich angab, unbedingt zum Raseur zu müssen.«

A. (lachend). »Und dabei ist die gute Dame sich gewiß nicht bewußt, Dich in einer Art Gefangenschaft zu halten.«

E. »Bewahre! Aber die Fesseln drücken doch! Wie gern verlebte ich mal ein ungestörtes Stündchen in Euerem herrlichen Museum! Wie gern streifte ich einmal in der Umgegend umher! Aber ich fürchte mich, diese Wünsche zu äußern, da meine Wirte annehmen würden, ich sei mit ihrer Gastfreundschaft nicht zufrieden. Ja, der Gast muß eine gewisse Freiheit der Bewegung haben, das fühle ich diesmal so recht!«

A. »Und C., wie ist er gegen seinen Gast?«

E. »O, er ist rührend liebenswürdig, und es berührt mich förmlich peinlich, wenn ich sehe, wie er mir zuliebe Rheinwein trinkt, er, dieser Verächter des Weißweins, wie er alle Erinnerungen an früher einmal ausgesprochene Liebhabereien aus der Junggesellenzeit treu bewahrt hat und mich mit allen Lieblingsgerichten überrascht. Aber als ich ihm neulich vorschlug, ihm ein wenig seine Hausbibliothek zu katalogisieren, da schlug er es mir rund ab: Arbeiten dürfte ich nicht unter seinem Dach! Nein, das dürfte ich ihm nicht anthun! Ich solle mich ausruhen, und was dergleichen mehr ist. Und dabei war es mir wirklich um eine kleine Thätigkeit zu thun.«

A. »Bist Du schon lange hier?«[332]

E. »Nein, knapp acht Tage. Lange schwankte ich, ob ich die schon öfter ausgesprochene Einladung annehmen sollte. Vorschnell eine Einladung anzunehmen, ist sehr unklug; giebt es doch eine Menge Leute unter unsern Bekannten, ja Freunden, welche die Angewohnheit haben, ›auf den Pelz einzuladen‹. Erst einer erneuten Einladung, deren Wiederholung in mir die Ueberzeugung erweckt, daß dieselbe keine Form-, sondern Herzenssache ist, leiste ich Folge.«

A. »Und bist Du mit Deinem Quartier zufrieden? Ich habe mich verschworen, nie wieder auf Gastbesuch zu gehen, nachdem ich einmal bei einer Tante ein Zimmer bekam, in dem es zwar Handtücher, aber keine Möglichkeit sie aufzuhängen, zwar ein Sofa, aber keinen Tisch gab.

Nein, heirate ich einmal – wovor mich der Himmel bewahren möge! – dann wird eine Mustergaststube bei mir eingerichtet. Kein enges Gemach nach dem Lichtschacht, in dem die Schneiderei vorgeht, das Eingemachte aufgehoben wird, und aus dem bei unerwarteter Ankunft eines Gastes erst die Wäsche, die dort zum Austrocknen ausgebreitet liegt, herausgeholt werden muß, nein, ein sonniges Zimmer mit dem Fenster nach dem Garten, weit abgelegen von dem Getriebe des Haushalts und den intimen Gemächern des Gastgebers. Darin ein bequemes Bett, nicht das ausgediente Bett aus der Knabenzeit des erwachsenen Sohnes, ein Waschtisch mit einer großen und einer kleinen Waschschüssel, ein Kleiderschrank und eine verschließbare Kommode, meist unbekannte Größen in der Durchschnittsgaststube, ein einladender Sessel und ein Tisch, kein[333] Nipptisch, sondern ein Tisch, groß und stark genug, um einen Brief daran schreiben und den Koffer darauf packen zu können. Richtig, bald hätte ich den Stiefelknecht und das Feuerzeug vergessen! Eine Lampe wäre übrigens auch nicht überflüssig.«

E. »Denke Dir nun noch ein Rosenbouquet auf dem Tisch dazu, ein Kistchen Cigarren daneben, so hast Du mein Gastzimmer bei C.'s. Mustergültig, nicht wahr? Und doch...«

A. »Vielleicht halten sie Dich so fest, weil ihr letzter Besuch, wie mir jetzt einfällt, ein junges Ehepaar aus D., ihnen den ganzen Tag weglief. Die hatten das nette Freiquartier gut brauchen können, wollten die Großstadt genießen und nahmen weiter keine Rücksicht auf ihre Wirte, als daß sie ihnen morgens beim Kaffee erzählten, was sie den Tag alles zu unternehmen gedächten.«

E. »Unbegreifliche Menschen! Dieser Mangel an Rücksicht! Doch die Zeit zum Rasieren ist abgelaufen – hilf Himmel, was sehe ich, sogar überschritten! Leb' wohl! Wann und wo können wir uns nochmals treffen?«

A. »Bei Siechen morgen um acht Uhr.«

E. »Gut, ich will sehen, mich loszumachen. Und nun will ich schnell noch ein paar Rosen für die Gestrenge erstehen. Adieu!«


Zweite Scene.


Fr. Justizrat C. »Ja, meine Beste, der Dr. E. war ein ganz charmanter Mensch, aber als Gast ein wenig auf[334] die Nerven fallend, Ich liebe so die Menschen die sich recht wie zu Hause fühlen, mit uns leben, mit uns ausgehen u.s.w. Den Hang, sich zu isolieren, muß der Gast zu unterdrücken wissen.«

Fr. B. »Mein Besuch, den Sie ja auch kennen lernten, machte mir durch das Gegenteil zu schaffen. Wie gern hätte ich mich ein Stündchen hingelegt! Die außergewöhnlichen Arbeiten, die die Anwesenheit eines Gastes mit sich bringt, wollen doch auch erledigt sein. Die ungewohnten Anstrengungen des Fremdenführer-Spielens ermüden. Aber daran dachte meine Freundin nicht. Reizend war dagegen ihre Aufmerksamkeit gegen meinen Mann und mich; helfend sprang sie herzu und hatte bald unsere kleinen Schwächen entdeckt und verwöhnte uns. Immer wollte sie mithelfen, und doch lasse ich mir und mit mir gewiß manche andere Hausfrau, die selbst mit angreift, nicht gern hinter die Coulissen sehen.«

Fr. C. »Sehen Sie, ich sage immer: Wer zu Besuch geht, muß sich sagen, daß er seine Wünsche denen seiner Gastfreunde unterordnen muß. Er muß sich in die Essenszeit schicken und nicht immer sagen: ›Bei mir geht es so her!‹ ›Ich halte das so!‹ und wenn er zehnmal davon überzeugt sein mag, daß seine Art und Weise die bessere ist und er dem andern diese Wohlthat seiner Auffassung auch gönnen möchte. Nehmen, zugreifen, wie es geboten wird, anstandslos sich der Hausordnung fügen, das ist das Richtige. Aber der gute Dr. E. – nie war er zur Zeit da! Einmal, als er zum Rasieren ging, kam er sogar drei Viertelstunden[335] zu spät! Und dann, wie kritisierte er meine armen Kinder!«

Fr. S. (sauersüß). »In den Kindern kritisiert man gewissermaßen ja die Eltern!«

Fr. M. »Das hätte ich von ihm aber nicht gedacht! Ein angenehmer Logiergast!«

Alle Damen zusammen: »Wie unartig! Wie entsetzlich! Aber wissen Sie, was mir passierte, was ich erleben mußte?«

Lassen wir den Vorhang lieber fallen, und beschäftigen wir uns noch einen Augenblick mit dem Verhalten des Gastes nach genossener Gastfreundschaft.

Der Abschied des Gastes sei herzlich und dankerfüllt. Er wird seine Wirte bitten, ihn in gutem Andenken zu behalten. Bei seinem Scheiden hat er das Dienstpersonal reichlich zu beschenken. Da der Begriff »reichlich« sehr verschieden aufzufassen ist, so möchten wir etwa folgende Sätze aufstellen:

Ein Junggeselle, der 3–4 Tage in der Familie geweilt hat, giebt, falls ein Dienstbote gehalten wird, 3–4 Mk., sonst jedem der vorhandenen Dienstboten 1–2 Mk., eine Familie von drei Köpfen dagegen 2–3 Mk. pro Dienstbote. Bei längerem Aufenthalt genügt eine verhältnismäßig geringere Summe. So wird eine einzelne Person, die mehrere Wochen zu Besuch weilte, jedem Dienstboten 45 Mk., ist nur einer vorhanden, 8–10 Mk. geben. Von einem Herrn erwartet man stets größere Generosität wie von einer Dame. Für eine einzige Nacht kann ein Herr nicht unter 1 Mk. pro Dienstbote geben.[336]

Die Gabe des Trinkgelds soll unbemerkt gespendet werden. Die Sitte, das Geld in Papier zu wickeln, ist aus dem Grunde nicht empfehlenswert, da der Dienstbote die Markstücke nicht erkennt und sein Dank nach Groschenstücken schmeckt.

Sowie du in deiner Heimat angelangt bist, lieber Leser, hast du einen herzlich resp. verbindlich gehaltenen Brief an deinen Gastfreund zu richten, in welchem du für alle dir so reichlich bewiesene Güte und Freundschaft dankst und sagst, daß dir die in seinem Hause verlebte Zeit stets eine liebe Erinnerung sein werde. Du kannst, falls du verheiratet bist, mit einer Einladung oder der Bitte schließen, dich aufzusuchen, falls ihn sein Weg an deiner Stadt vorbeiführt.

Damen, besonders junge Mädchen, arbeiten wohl auch eine Kleinigkeit, verwirklichen einen der Hausfrau oder den Kindern abgelauschten Wunsch. Herren senden eine erlesene Jagdbeute. Solche Gastgeschenke werden nie sofort wie die Bezahlung für einen Dienst, sondern bei passender Gelegenheit, Weihnachten, Geburtstag der Hausfrau, Neujahr, gesandt und dürfen auch keinenfalls in etwas bestehen, dessen Fehlen der Gast im Hausstand der Freunde übel vermerkt haben könnte.[337]

Quelle:
Wedell, J. von: Wie soll ich mich benehmen? Stuttgart 4[o.J.], S. 331-338.
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