[236] Das Freifräulein von Stern galt in X. als unbestrittene Autorität auf dem Gebiet der Etiquettefragen; war sie doch in ihrer Jugend lange Jahre am Hof in B. gewesen und war erst vor einem halben Jahr aus ihrer Hofdamenstelle in S. geschieden.
Was Wunder, daß Marie von O. heute Abend atemlos die Treppen zu dem altjungferlichen Reich hinaufstürmt, sie, die den Hofball im kommenden Monat mitmachen soll, wie ihr ihre Tante, die Gräfin S., in einem vor einer Viertelstunde erhaltenen Briefe anzeigt.
»Tantchen, liebes Tantchen, seien Sie einmal die Fee, die mit ihrem Zauberstabe hier ihr Reich in das Hofparkett verwandelt, damit ich mich ein wenig bewegen lerne in diesen ungewohnten Formen...«
»Gern, mein Kind! Was willst Du wissen? Natürlich zuerst, ich kann mir's denken, was Du anziehen sollst, denn diese Frage bewegt ein junges Mädchenherz gar sehr.«[236]
»Ach ja, erraten! Bitte, bitte!«
»Als junges Mädchen ein ausgeschnittenes Kleid nach Art der jeweiligen Tagesmode. Deine liebe Mama, die hat es freilich weniger leicht...«
»Aber sagten Sie nicht immer, daß gerade am preußischen Hof eine ausgesprochene Vorliebe für Einfachheit herrscht?«
»Gewiß, ein Streben danach, hervorgerufen durch den militärischen Geist. Aber die verheiratete Frau wird bei manchen Gelegenheiten im Glanz der robe de cour zu erscheinen haben. Früher sagte man ›manteau de cour‹, da die lange und kostbare Schleppe dieser Robe wie ein Mantel an den Schultern befestigt wurde. Heute beginnt die Schleppe an der Taille. Sie besteht immer aus einem vom übrigen Kleid abstechenden Stoff.«
»Ja, ich entsinne mich. Liest man doch oft in der Zeitung bei der Beschreibung von Hoffestlichkeiten: Ihre Majestät trug ein hellrosa Brocatkleid mit dunkelroter Schleppe –«
»Außer einer derartigen Schleppe, welche jedoch stets die gleiche für alle Feste sein kann, nur das Unterkleid wechselt, muß Deine Mutter wie Du noch den traditionellen Kopfschmuck, die Barbe, tragen, ein schmales, etwa 5–8 cm breites Ende kostbarer Spitzen. Für Dich paßt besser ganz seinplissierter weißer Seidentüll. Genaue Toilettebestimmungen enthalten die Hofansagen. Die Herren erscheinen in der ihnen zustehenden Uniform. Der Adel, soweit er nicht andere Uniformen trägt, in der Uniform der Ritterschafts-oder der Standesherren,[237] der Rector magnificus in schwarzer Amtstracht, Geistliche im Talar. Die Tracht der Civilpersonen regelt ein Erlaß des Kaisers neueren Datums. Vor fünfzig Jahren trugen die Offiziere außer den Husaren noch Escarpins bei Hofbällen, heute tragen sie zu Hofcouren Galaanzug, d.h. Waffenrock, Epauletts, Helm, event. mit Busch, Schärpe, lange Kasimirhose, Orden, event. großes Ordensband, Degen resp. Säbel, zu großen Diners, zu Militärcouren und zur Beglückwünschung Sr. Majestät am 27. Januar Paradeanzug, d.h. Waffenrock, Epauletts, Helm event. mit Busch, Schärpe, Stiefelhose und hohe Stiefel, Orden event. großes Ordensband, Degen resp. Säbel. Der Anzug für Tänzer auf Hofbällen ist der erstgeschilderte, jedoch ohne Schärpe. Der Offizier legt die Waffe nur so lange ab, wie er tanzt.«
»Ach, Tantchen, es ist zu schön, von all diesen Herrlichkeiten zu plaudern! Wie ich mich auf das Tanzen freue. Aber nun erzählen Sie mir vor allem, wie komme ich denn zu einer Einladung, und wann werde ich den Majestäten vorgestellt?«
»Am preußischen Hof finden alljährlich während des Karnevals gewisse Festlichkeiten statt. Sie beginnen am ersten Donnerstag nach dem Ordensfest mit der Cour der Königin und endigen mit einem großen Ball. Wer courfähig ist und sie zu besuchen wünscht, wendet sich, falls er Civilperson und Inländer ist, an eine schon bei Hofe vorgestellte Persönlichkeit, die ihn bei dem Oberstkämmerer, bei dem Oberhof- und Hausmarschall und dem Oberceremonienmeister – dieser ladet ein – einführt und gewissermaßen Bürgschaft[238] für ihn übernimmt. Damen wenden sich durch Vermittlung einer bei Hof bekannten Dame an die Oberhofmeisterin Ihrer Majestät. Die Meldung derer, die an den Wintervergnügungen teilnehmen möchten, muß alljährlich von neuem abgestattet werden. Man schreibt in das auf dem Hofmarschallamt wie bei der Oberhofmeisterin Ihrer Majestät aufliegende Meldebuch recht genau seinen Namen, Stand, woher man kommt, derzeitige Wohnung und Dauer des Aufenthalts in Berlin. Die Vorstellung erfolgt bei dem nächsten Hoffest, die Berufung zur Cour geht vom Oberceremonienmeister aus.«
»Und wenn man auch den übrigen Prinzen und Prinzessinnen vorgestellt sein möchte?«
»So wendet man sich, nachdem man die Ehre gehabt hat, Ihren Majestäten vorgestellt worden zu sein, an die Hofmarschälle resp. Oberhofmeisterinnen der betreffenden Prinzen und Prinzessinnen.
Ausländer müssen sich durch ihren Missionschef in der gleichen Weise wie Inländer bei dem Oberstkämmerer u.s.w. einführen lassen. Anspruch auf Empfang haben nur Gesandte, Botschafter und Minister. Wollen Körperschaften, z.B. Deputationen von Universitäten, vorgestellt werden, so haben sie sich an den Ressortminister zu wenden, welcher die nötigen Schritte thut und die Vorstellung bewirkt oder übernimmt.«
»Tantchen, wer ist denn eigentlich courfähig?«
»Die Hoffähigkeit hängt ab vom Geburtsrang, von der amtlichen oder dienstlichen Stellung. Bei Damen hängt sie vom Geburtsrang oder der Stellung[239] der Männer ab. Unverheiratete Damen erlangen durch die Würde einer Hof- oder Stiftsdame Hoffähigkeit.«
»Und wer nicht courfähig ist, muß der ganz darauf verzichten, an Hof zu kommen?«
»Nicht hoffähige Personen können Einladungen zu Bällen, Abendgesellschaften und, sind die Herrschaften auf Reisen oder im Bade, noch zu ähnlichen Festen erhalten, aber nie zu großen Hofcouren oder zu Gelegenheiten, bei welchen die Damen en robe de cour, die Herren in großer Gala erscheinen.«
»Also vorgestellt werden diese eigentlich nicht?«
»Sie können sich zu Audienzen, aber immer mit Angabe des Grundes melden. Hat z.B. ein Herr in einem Badeort, den Seine Majestät besucht, einen Orden erhalten und wünscht sich unterthänigst dafür zu bedanken, so wendet er sich an den Oberstkämmerer, den dienstthuenden Flügeladjutanten oder den Oberhof- und Hausmarschall, bei Ihrer Majestät an deren Oberhofmeisterin, bei Prinzen an den Hausmarschall, bei Prinzessinnen an den dienstthuenden Kammerherrn. Kaiser Wilhelm I. pflegte den Betreffenden dann meist zur Tafel zu befehlen und gewährte ihm zuvor in einer Audienz Gelegenheit, seinen Dank auszusprechen.
Daß man, sobald man sich mit derartigen Vermittlungsgesuchen an Hofbehörden wendet, gleichzeitig bei allen in Betracht kommenden Chargen Karten abgiebt, also Besuch macht, ist selbstverständlich. Diese Besuche werden von den Betreffenden nicht persönlich erwidert, sondern die Dienerschaft überbringt eingebogene Karten. Im neuen Palais zu Potsdam[240] befindet sich z.B. ein Kasten mit verschiedenen Spalten und Aufschriften. Man wirst für jede betreffende Charge eine Karte hinein. Erhält man eine Audienz bewilligt, so erscheint der Herr im Frack resp. Uniform mit Orden, die Dame in eleganter Besuchstoilette, z.B. in einem dunkelseidenen Kleid mit Capothut ohne Gesichtsschleier (ein solcher ist meines Erachtens stets unpassend bei feierlichen Besuchen), in den Händen keinen Schirm, sondern höchstens einen Fächer. Mittelfarbige Handschuhe sind auch hier geboten.«
Selbstverständlich erscheint man einige Minuten vor der Zeit, legt wie bei andern Besuchen ab – Herren lassen demnach Ueberzieher, Schirm und Ueberschuhe, Damen Mäntel, Schirme und Galoschen im Vorraum – und stellt sich der die Vorstellung übernehmenden Hofcharge vor. Bei Eintritt der fürstlichen Person verbeugt man sich, ebenso bei der Namensnennung. Man wartet die Anrede ab, bemüht sich, kurze, knappe, aber dennoch verbindliche Antworten zu geben, in welche man die Anredeform »Majestät«, »Königliche Hoheit«, »Durchlaucht« öfters einfließen läßt. Man werde nicht weitschweifig, wenn man eine erzählende Mitteilung zu machen hat, und widerspreche nur dann, wenn man es für unbedingt erforderlich hält, aber auch dann nur mit einer Wendung wie »Königliche Hoheit wollen gnädigst verzeihen, aber....«
»Majestät wollen zu Gnaden halten!« nicht wahr, das könnte ich sagen, Tantchen? Sagen Sie mir nun, was muß ich denn noch weiter alles thun und lassen bei solchem Besuch?[241]
»Du befolgst einfach die Formen der guten Gesellschaft. Du trittst bescheiden mit Deinem Ich zurück, redest wenig von Dir und nur auf Befragen. Auch bist Du es nicht, die den Besuch beendet. Du wirst verabschiedet, indem die fürstliche Person sich erhebt. Du folgst sofort ihrem Beispiel. Reicht sie Dir die Hand, so beugst Du Dich mit tiefer Verneigung, sie zu küssen. Reicht ein Prinz einer Dame die Hand, so verbeugt sie sich. Herren küssen einer Prinzessin selbstverständlich die dargereichte Hand. Einem greisen Fürsten die Hand zu küssen, ziemt sowohl jungen Damen wie Herren.«
»Zu schade, daß eine Fürstlichkeit uns nicht wieder besucht! Wie geweiht würde mir unser ganzes Haus vorkommen, wenn Ihre Majestäten es einmal zu betreten die Gnade haben würden!«
»Ja, das wird wohl allerdings nicht so bald vorkommen. Immerhin betritt auch zu mancher Gelegenheit eine fürstliche Person das Haus eines Staatsdieners, Offiziers oder Künstlers. Prinz A. ist z.B. zum Paten gebeten worden und erscheint nun zur Taufceremonie, oder er kommt, um der Tauffeierlichkeit eines verdienten Beamten beizuwohnen. In solchen Fällen empfängt ihn der Hausherr oder dessen Vertreter am Wagen. An der Treppe wird er von den Damen des Hauses begrüßt. Bietet man dem Fürsten eine Erfrischung an, so geschieht es nicht durch die Hand des Dienstboten, sondern Wirt oder Wirtin nehmen diesem das Tablett ab und halten es so lange, bis der hohe Herr sich bedient hat.[242]
Dem Vertreter eines Fürsten, der in seinem Auftrag und an seiner Statt kommt, erweist man dieselben Ehren wie dem Fürsten selbst.«
»Ach, was für Eventualitäten giebt's da nicht zu bedenken! Stundenlang könnte ich mir welche ausdenken, und stundenlang müßten Sie, antwortbereitestes Tantchen, das ich kenne, meine Neugier befriedigen! Eigentlich müßte ich gehen – aber wir sitzen hier gar so gemütlich zusammen! Liebstes, einzigstes Tantchen, erzählen Sie mir noch ein wenig von den Hoffestlichkeiten!«
»Am Hof zu Berlin finden hauptsächlich sogenannte Couren statt. Couren sind Huldigungen, die die Hofgesellschaft den Majestäten darbringt. Es giebt Defilier-,Sprech- und Spielcouren. Bei der Defiliercour (salut du trône) defilieren zuerst alle Damen, dann alle Herren und verneigen sich vor dem Throne. Die erste Verneigung geschieht vor dem König, die zweite vor der Königin, die dritte vor beiden. Die bekannteste Defiliercour ist die am Krönungs- und Ordensfest im Rittersaal, wo nur die Ritter, die an dem Tage mit dem roten Adlerorden, dem Kronenorden und dem Hausorden der Hohenzollern dekoriert wurden, klassenweise in alphabetischer Ordnung vorbeidefilieren. Auch bei Taufen, Trauer und ähnlichen Gelegenheiten finden Defiliercouren statt.
Die sogenannte Spielcour findet am Abend der Vermählung königlicher Prinzen und Prinzessinnen im Weißen Saale statt und hat ihren Namen daher, daß früher die Majestäten und ihre fürstlichen Gäste[243] an Spieltischen saßen und Karten spielten, während die Hofgesellschaft vorbeidefilierte. Auch heute sitzen die Majestäten mit dem Brautpaar unter dem Thronhimmel an einem Spieltisch, aber es wird nicht mehr gespielt.
Sprechcouren sind diejenigen Couren, bei welchen die eingeladene Gesellschaft nach Rangklassen geordnet in verschiedenen Zimmern aufgestellt ist. Die Majestäten gehen hindurch, um die Versammelten zu begrüßen, viele anzureden. Die Hoffestlichkeiten während der Karnevalszeit werden durch eine solche Sprechcour, welche die Cour der Königin heißt, eröffnet. Wer die übrigen Hoffestlichkeiten mitzumachen wünscht, darf bei der Cour der Königin nicht fehlen, da bei dieser Gelegenheit die zum ersten Male an Hof Erscheinenden vorgestellt werden. Der Cour folgt meist ein Konzert.
Außer den festlichen Veranstaltungen der Couren kennt man am Hofe feierliche Tafeln.
1. Ceremonientafeln. Sie finden nur selten, z.B. bei Vermählungen preußischer Prinzen und Prinzessinnen, statt und werden unter dem Thronhimmel errichtet. Nur Prinzen von Geblüt nehmen daran Platz, bei politischen Festen auch außerordentliche Botschafter. Bis zum ersten Toast servieren die Obersten Hof-, Oberhof- und Hofchargen sowie die dazu berufenen Militärs und Damen, später die Pagen.
2. Galatafeln, d.h. solche mit Pagendienst. Hieran nehmen auch Feldmarschälle, ihnen im Rang gleichstehende Häupter der fürstlichen oder ehemals reichsständischen gräflichen Familien, Minister, Generale, Wirkliche Geheimräte, vornehme Fremde, königliche und[244] prinzliche Hofstaaten teil. Pagen servieren bei den Majestäten und den Prinzen und Prinzessinnen aus regierenden Häusern. Wer keine Leibpagen hat, dem wird ein Hospage zugeteilt. Galatafeln finden statt z.B. beim Krönungs- und Ordensfest, bei Vermählungen am Tage nach dem Kirchgang oder auch als Soupers auf den Hofbällen.
3. Größere Tafeln, bei denen die Hofdienerschaft serviert. Im königlichen Schloß zu Berlin haben auch diese offiziellen Charakter. Sie finden statt z.B. bei Paradediners, Grundsteinlegungen u.s.w.
Ferner finden Konzerte, Bälle, Theater statt. Die Königin giebt regelmäßige private Soireen, Theater-und Konzertaufführungen, welche nicht offiziell sind.
Das erste Konzert findet, wie ich schon erwähnte, nach der Cour der Königin statt. Nach der Cour nehmen die Herrschaften den Thee im Kurfürstensaal, dann findet Cour der Offiziere in der alten Kapelle und in der Bildergalerie statt. Bei dem nun folgenden Konzert nehmen die Majestäten, königlichen Prinzen, fremde Souveräne oder Prinzen, das Gefolge, die Obersten Hof- und Oberhofchargen, der Reichskanzler und Generalfeldmarschälle auf einem Haut-pas, einer trittartigen Bodenerhöhung, an der Thronseite Platz.
Die Hofbälle finden im königlichen Schloß statt. Entweder wird soupiert, oder es giebt nur Erfrischungen an zahlreichen Buffets, an welchen man nach Rangkategorien erscheint. Die Gäste versammeln sich in verschiedenen Sälen, die tanzenden Damen im Weißen Saal auf der Estrade, die tanzenden Herren in der Ecke[245] zwischen den Damen und der Lustgartenseite. Wenn der Hof kommt, beginnt die Polonaise. Den Majestäten tanzt der Flügeladjutant vom Dienst und eine der dienstthuenden Damen vor. Ein Ceremonienmeister mit zwei Offizieren sorgen für die Ordnung. Wenn Prinzen oder Prinzessinnen tanzen, dürfen sich bei Rundtänzen nur drei Paare anschließen. Um 11 Uhr ist Souperpause. Die Einladung ressortiert vom Hofmarschallamt: über den Anzug sprach ich bereits.
Bei allen Veranstaltungen der Hofgesellschaft, in denen Ihre Majestäten zu erwarten sind, wird große Toilette gemacht; die Offiziere z.B. tragen Galabeinkleider zu kleiner Uniform, d.h. Waffenrock, Epauletts, Helm, Orden. Gesellschaften bei den königlichen Prinzen gelten für Privatgesellschaften.
An den Galavorstellungen im Opernhaus nehmen nur Eingeladene teil. Nach dem ersten Akt findet Empfang im Saale hinter der königlichen Loge, ebenso Vorstellung statt. Damen erscheinen in runden Kleidern (robe ronde) d.h. ohne Schleppe und Barbe, Civilpersonen in Gala mit dunklem Beinkleid und Orden, Offiziere im Paradeanzug ohne Schärpe.
Bei Festvorstellungen wird nur ein Teil der Vorgestellten eingeladen. Alles außer dem ersten Rang und den Fremdenlogen ist dem Publikum käuflich. Elegante helle Toilette genügt hier, Offiziere tragen Gesellschaftsanzug, d.h. Waffenrock, Epauletts, Helm, lange Tuchhosen, Orden und Ehrenzeichen, Degen resp. Säbel. Die Einladung erfolgt durch den Generalintendanten der königlichen Schauspiele.«[246]
»Tantchen, halt ein, es schwirrt mir der Kopf! Wie werde ich arme Landpomeranze das alles behalten! Aus jeder Ecke des dämmrigen Zimmers sehe ich eine goldblitzende Uniform mir drohend entgegenwinken. O ich Aermste, was werde ich für faux pas machen!«
»Beruhige Dich, liebes Kind, Dein natürlicher Takt und Deine aufmerksame Beobachtungsgabe werden Dir die Sache sehr erleichtern.
Zudem giebt Dir der Oberceremonienmeister Anweisungen. Wegen Details, wie das Ausziehen des rechten Handschuhs, das Aufnehmen der Schleppe, wende Dich ruhig an die Oberhofmeisterin Ihrer Majestät. An diese wird auch Deine liebe Frau Mutter die Bitte zu richten haben, daß ihr erlaubt sein möge, aus Gesundheitsrücksichten eine hohe Taille zu tragen.
Ich habe noch vergessen, Dir zu sagen, daß eine Hofeinladung nur beantwortet wird für den Fall, daß man verhindert ist. Ein stichhaltiger Absagegrund ist Trauer, Erkrankung, Notwendigkeit zu verreisen, nicht aber die Annahme einer andern Einladung. Die Hofeinladung hebt alle andern Einladungen auf. Man entschuldigt das Nichtkommen durch einen Privatbrief an die zuständige Hofbehörde.«
»Tantchen, ich habe immer Großpapa so viel vom Fackeltanz erzählen hören. Was ist das eigentlich? Haben Sie das einmal mit angesehen?«
»Gewiß, und zwar habe ich ihn bei der Hochzeit unseres Kaiserpaares zum letzten Mal miterlebt. Die Fackeln spielten schon im Altertum in den symbolischen Hochzeitsgebräuchen eine Rolle. Hymens Fackel hast[247] Du wohl auch schon citieren hören. Jedenfalls liegt die Idee der Versinnbildlichung des im Herzen des Brautpaars entzündeten Feuers dem alten Herkommen des Fackeltanzes zu Grunde. Hierzu gesellt sich noch der alte Brauch der Heimbegleitung des jungen Paares unter dem Licht der Fackeln und der Abschied von den bisherigen Verhältnissen und Umgebungen. Unter den Klängen von Marschmelodien schreiten die zwölf Staatsminister in ihrer Galauniform paarweise unter Vorauftritt des Oberstmarschalls mit dem großen Stabe nach dem Thron. Jeder trägt auf einem silbernen Handteller eine dicke Wachskerze. Sie machen vor dem Thron ihre Verbeugung und alsdann einen einmaligen Umgang, worauf sie vor dem neuvermählten Paar Halt machen und es zum Umgang einladen. Dasselbe macht zuerst den Umgang allein mit großem Gefolge, alsdann fordert die hohe Braut mit tiefer Verneigung den Kaiser auf, der Bräutigam seinerseits später die Kaiserin u.s.w., bis die Reihe der fürstlichen Herrschaften zu Ende ist.
Nachdem das prinzliche Brautpaar sich zurückgezogen, findet die Verteilung des Strumpfbandes der hohen Braut an die Herren des Hofes durch die Obersthofmeisterin der Braut statt. Während zur Entstehungszeit der Sitte das wirkliche Strumpfband in kleine Stücke geschnitten wurde, werden jetzt besondere Seidenbänder hierzu angefertigt, deren jedes den Namenszug trägt. Bei der Hochzeit unseres Kaiserpaares waren es weiße Moireeenden mit Gold und der Silberchiffre der hohen Braut.[248]
Aber mich dünkt, da ich Dir bis jetzt nur ein glänzendes Bild des Lebens am Hofe gezeichnet habe, daß ich Dir nun auch erzählen sollte, wie es dort bei eintretender Trauer hergeht. Auch für diese Fälle ist die Hofetikette bis ins kleinste Detail festgesetzt. Bei dem Ableben Seiner Majestät des Königs oder Ihrer Majestät der Königin resp. der Königin Witwe findet eine Hoftrauer von einem Vierteljahr statt, bei dem Tode des Kronprinzen und der Kronprinzessin wird vierwöchentliche Trauer angesagt. Drei Wochen wird um fremde Kaiser und Kaiserinnen sowie Könige und Königinnen getrauert, vierzehn Tage um Kurfürsten, Großherzöge und deren Gemahlinnen, acht Tage um Prinzen und Prinzessinnen aus kaiserlichen oder königlichen Häusern, kurfürstliche und großherzogliche Kinder, Fürsten und Fürstinnen aus souveränen altfürstlichen Häusern, die mit dem preußischen Hof näher verwandt sind, drei Tage um Fürsten und Fürstinnen aus souveränen altfürstlichen Häusern, die mit dem preußischen Hause nur entfernt oder gar nicht verwandt sind. Der Oberceremonienmeister holt über Beginn und Dauer der Trauer die allerhöchsten Befehle ein und macht sie durch Hofansagen bekannt. Alle Hofpersonen haben, auch wenn nicht im Dienst, in einer Hofloge, sei es in der Kirche oder einem Kunstinstitut in vorgeschriebener Trauerkleidung, über die ich Dir auch noch Mitteilung machen will, zu erscheinen. Wenn der König oder die Königin, ein Prinz oder eine Prinzessin während der Hoftrauer in einem Privathause eine freudige Festlichkeit mitmachen,[249] so wird die Trauer für diesen Tag abgelegt. – Bei der dreimonatlichen Hoftrauer tragen alle bei Hofe erscheinenden Damen während der ersten sechs Wochen schwarze, wollene, hohe Kleider, schwarzlederne Handschuhe (sogenannte dänische, keine Glacés) schwarze Fächer und schwarzen Kopfputz. Derselbe besteht in den ersten zwei Wochen aus einer tiefen Flebbe mit ganz kleiner Spitze und breitem Saume, Haube mit gesäumten Strichen und zwei Schleiern, einem langen zurückgesteckten, der bis zur Erde reicht, und einem kurzen, um das Gesicht zu bedecken; in der dritten und vierten Woche kleinere Flebbe mit längerer Spitze und schmälerem Saum und nur dem langen Schleier: während der fünften und sechsten Woche kleine Flebbe mit langer Spitze. In der nun folgenden zweiten Hälfte der Trauer werden schwarzseidene Kleider angelegt, und es wird hierzu in der siebenten, achten und neunten Woche ein Kopfputz von glattem, schwarzseidenem Flor mit gesäumten Strichen getragen, in den letzten drei Wochen ein weißer Kopfputz. Zu dem ersteren sind schwarze Glacéhandschuhe, schwarzer Fächer und Schmuck, zum weißen Kopfputz hingegen weiße resp. hellgraue Handschuhe, weißer Fächer und Perlen vorgeschrieben. Das Hoftheater bleibt sechzehn Tage geschlossen.
Bei der sechswöchentlichen Hoftrauer ist die Kleidung die gleiche, nur ist die Dauer der betreffenden Abstufungen in der Trauer eine geringere. Das Hoftheater bleibt acht Tage geschlossen. Bei der vierwöchentlichen Trauer tragen die Damen nur schwarzseidene Kleider und während der ersten vierzehn Tage[250] schwarzen Kopfputz, Handschuhe, Fächer, Schmuck, die folgenden acht Tage weißen Kopfputz, Fächer, Perlen, weiße resp. hellgraue Handschuhe, die letzten acht Tage bunten Kopfputz, Fächer, Juwelen. Bei dreiwöchentlicher Hoftrauer stuft sich die Trauer von acht zu acht Tagen ab.
Während einer vierzehntägigen Hoftrauer werden die ersten acht Tage schwarzseidene Kleider, weißer Kopfputz, weiße resp. hellgraue Handschuhe, weißer Fächer, Perlen, die letzten acht Tage schwarzseidene Kleider, bunter Kopfputz, Fächer und Juwelen getragen.
Die Trauervorschriften bei einer Hoftrauer von acht Tagen bestimmen schwarzseidene Kleider, weißen Kopfputz, weiße resp. hellgraue Handschuhe, weißen Fächer und Juwelen. Für eine kürzere Trauer gelten dieselben Regeln.
Auch der Anzug der Herren ist selbstverständlich in ähnlicher Weise festgesetzt. Bei Hoftrauer tragen die Herren Handschuhe in der gleichen Abstufung, erst matte, stumpfe, später Glacés, zuletzt weiße ganz wie die Damen. Bei Militärs hat man zwischen Hof-und Armeetrauer zu unterscheiden, welche sich jedoch oft decken. Die Einstörung der Abzeichen bei Armeetrauer wird besonders befohlen. Gemeinsam ist der Hof-, Armee- und Familientrauer ein Flor um den linken Unterarm (auch am Paletot). Der Flor liegt mit dem untern Rand hart über dem Aufschlag, so daß bei brandenburgischen Aufschlägen der obere Teil der Patte bedeckt ist. Hoftrauer muß von allen Offizieren angelegt werden, wenn sie an Hof erscheinen.[251] Familientrauer darf bei Hofe dagegen nicht getragen werden.
Du wirst nun genug haben, Kind, nicht wahr? Man sagt ja, wenn Leute alt werden, so werden sie geschwätzig. Wenn wir aber doch einmal bei diesen Etikettefragen sind, so möchte ich Dir noch ein paar Worte über die Landestrauer sagen. Ich halte es für die Pflicht jeder patriotisch denkenden Dame, für die bestimmte Zeit in Schwarz gekleidet zu erscheinen und diese Trauer nicht willkürlich abzukürzen, ebenso wie ich von jedem Herrn, der zu den gebildeten Kreisen gehört, erwarte, daß er Hut und Arm umflore. Doch es ist spät geworden und dunkel – –«
»Gerade so war es hübsch und traulich bei Ihnen, Tantchen; keine Lampe, bitte, nein, sonst empfehle ich mich sofort –«
»Doch, doch, Kind, wir wollen nach der Lampe schellen und uns den Thee bestellen, ich bin wirklich ganz trocken in der Kehle.«
»Das kommt von dem langen Vortrag, Tantchen, den Sie mir gehalten haben. Aber wirklich, er verdient gedruckt zu werden, damit jeder Rat daraus schöpfen kann, nicht bloß ich, Ihr böser Quälgeist, der Ihnen doch so sehr, sehr dankbar ist.«
Buchempfehlung
Diese »politische Komödie in einem Akt« spiegelt die Idee des souveränen Volkswillen aus der Märzrevolution wider.
30 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.
424 Seiten, 19.80 Euro