VI.

Erster Schritt auf die Bühne.

[87] Inzwischen hatte ich auch zwei kleine Lustspiele geschrieben, das eine in zwei Akten »Die Gleichgiltigen« (nicht mehr vorhanden) und den Einakter »Hinterm Rücken«, erst in Prosa, dann in gereimten Versen. Mit diesen beiden heiteren Stückchen hoffte ich mir den Weg auf die Bühne bahnen zu können.

Das Königsberger Theater stand damals unter dem Direktor Arthur Woltersdorff in einem gewissen Ruf. Er hatte Jura studiert, aber den Referendar an den Nagel gehängt und aus Neigung zur Sache das arg verwahrloste Theater in Pacht genommen. Da er nicht ohne Vermögen war, gelang es ihm die wirtschaftliche Ordnung herzustellen. Als ein Mann von Bildung und literarischem Geschmack fand er Novitäten von Bedeutung aus den Wust von Zusendungen heraus und ging in manchen Fällen mit der Aufführung den grossen Theatern voran. Auf seinen Reisen oder bei Probespielen in Königsberg entdeckte er mit feinem Spürsinn schauspielerische Talente und wusste sie längere oder kürzere Zeit zu fesseln. Da sie dann auch auswärts anerkannt wurden, verbreitete sich mehr und mehr die Meinung, man müsse bei Woltersdorff die hohe Schule durchgemacht haben, wenn man auf Engagements bei den grossen Bühnen rechnen[88] wolle. Man sah deshalb wenig auf hohe Gage. Wer einmal in Königsberg war, konnte auch, besonders vor Eröffnung der Eisenbahn, schwer, wieder fort, da die Reise immerhin erhebliche und oft genug unerschwingliche Kosten verursachte. So konnte der Direktor ein grosses Personal für Schauspiel, Oper und selbst Ballet halten, ohne dass bei mässigen Eintrittspreisen sein Etat überbürdet wurde. Die Ausstattungen freilich waren meist recht dürftig und hatten selten einen individuellen Charakter für bestimmte Stücke. Stadt, Dorf, Wald, Rittersaal, Prunk-, Bürger- und Bauernstube, Burg, Kerker etc. waren bei gleicher Gelegenheit verwendbare Hintergründe; die Seitenkoulissen wechselten nicht einmal so oft. Möbel kamen nicht mehr auf die Bühne, als ein paar Diener bei Verwandlungen der Szene rasch abräumen konnten. Auch die Thüren und Fenster wurden auf dieselbe Weise bei offenem Vorhang auf- und abgetragen. Daran nahm damals niemand Anstoss, und schlimmstenfalls wurde die Ungeschicklichkeit der Träger einmal belacht. Nur für die grosse Oper, auf deren besondere Zugkraft zu zählen war, wurde mehr gethan. So erhielt Meyerbeer neue Ausstattungen und später Richard Wagner, der in Königsberg kurze Zeit Kapellmeister gewesen ist. Am wenigsten geschah in dieser Hinsicht für die Klassiker, die ja auch die bunten Lappen am leichtesten schienen entbehren zu können. Gespielt wurde aber gut und jedenfalls hatten die wenigsten Königsberger damals auswärts etwas besseres gesehen.

Ich reichte Woltersdorff die kleinen Lustspiele ein und knüpfte zugleich mit seinem ersten Regisseur, Reinhardt, Bekanntschaft an, der zugleich ein vortrefflicher Väterspieler war, während seine ebenso begabte Frau namentlich als komische Alte erfolgreich wirkte. Er hatte die Stücke gelesen, fand sie ganz hübsch, nur nicht genug auf die Bühnenwirkung gearbeitet, und meinte, man könne ja abwarten, ob sich einmal eine Gelegenheit ergebe, das eine oder[89] andere einem nicht den Abend füllenden Stück anzufügen. Ich merkte wohl, dass er mich freundlich hintröstete, hatte aber Grund, ihn für wohlwollend zu halten und sah den Umgang mit dem literarisch gebildeten und bühnenerfahrenen Mann als einen Gewinn für mich an. Deshalb erbat ich mir die Erlaubnis, ihn mitunter nachmittags in seiner Wohnung besuchen zu dürfen. Eine richtige »Schauspielerwirtschaft« lernte ich da nicht kennen; die Vorderstube sah stets sauber aufgeräumt aus und Frau Reinhardt schien auch sonst ihr kleines Hauswesen recht bürgerlich in Ordnung zu halten. Wir plauderten über Dinge, die das Theater angingen, alte und neue Stücke, Inszenierung, Darstellung, Wirksamkeit der Rollen, Fächer etc. Ich habe von dem kundigen Praktiker viel gelernt.

Zwischenein beschäftigte ich mich schon damals viel mit der Geschichte meiner engeren deutschen Heimat Ostpreussen, der älteren sowohl, als der neueren. Dabei kam mir denn auch Droysens Lebensgeschichte des Generals York in die Hände und interessierte mich so lebhaft, dass rasch der Plan zu einem vaterländischen Schauspiel fertig war, das ich » Unser General-York« taufte. Es schildert die Erhebung Preussens nach der Konvention bei Tauroggen, die York, dem ebenso braven Soldaten als warmen Patrioten unter Umständen den Kopf kosten konnte, seinen Streit mit Stein, die Vermittlung Schöns und schliesst mit dem Auszug der Freiwilligen nach dem Aufruf des Königs. Träger der dramatischen Fabel ist ein Student, der in der trübsten Zeit nach Russland geht, um sich beim Yorkschen Chor als Gemeiner einstellen zu lassen, durch seine Tüchtigkeit rasch avanciert, mit seinem Onkel, einem französisch gesinnten und ängstlichen Kriegsrat, dessen Tochter er liebt, vorübergehend zerfällt, ihn aber wieder versöhnt und den neuen Ideen gewinnt, zuletzt aus den Studenten der Albertina ein Freikorps organisiert und dessen Führer wird. Studenten, Bürger, Soldaten spielen munter mit, allerhand eigene studentische[90] und militärische Erinnerungen sind eingewebt. Es ist in der Dichtung ein frischer Zug und warmer Hauch der Begeisterung, doch liegt es im Stoff, dass die drei letzten Akte wie ein Nachspiel der beiden ersten erscheinen müssen, da hier der Held nur noch stehen bleibt und sich gegen Zumutungen wehrt, die mit seiner preussischen Soldatenehre nicht verträglich scheinen; auch fehlt ein befriedigender dramatischer Abschluss, weil der Zuschauer auf seine Kenntnisse der folgenden historischen Ereignisse angewiesen werden muss.

Wer weiss, ob ich mich nun endlich mit diesem Stück, das 1857 geschrieben ist, vorgewagt hätte, wenn mir nicht ein Zufall zu Hülfe gekommen wäre. Ich las es eines Abends im Hause meines Onkels Marenski vor und erzielte eine überraschend starke Wirkung. Mein Onkel fragte, was ich damit nun anfangen wollte. Ich antwortete, das wüsste ich nicht; zur Aufführung scheine es mir wenig geeignet, und ein Verleger werde sich schwerlich seiner annehmen wollen. Die preussisch patriotische Stimmung, die in meinem Schauspiel lebendig war, hatte damals auf die Sympathie des Publikums nicht zu rechnen. Am wenigsten vielleicht bei meinen Ostpreussen. Sie waren anno 1813–15 die opferfreudigsten Patrioten gewesen, hatten es dann aber schmerzlicher, als wohl irgend ein anderer Volksstamm, empfunden, dass dem Volke nicht Wort gehalten war. Der Freisinn der vierziger Jahre verspottete deshalb die damalige Begeisterung und in den fünfzigern war Ostpreussen so sehr das Versuchsfeld der wüstesten Reaktion, dass allgemeine Verstimmung herrschte. Mein Onkel meinte, er könne mir vielleicht doch zu einem Verleger verhelfen. Er hatte nicht lange vorher für den Hofbuchhändler R. Decker in Berlin ein Rechtsgutachten verfasst, das diesem nützlich gewesen war, kannte ihn auch persönlich und meinte deshalb auf seine Empfehlung bauen zu können. Er schickte das Manuskript ein, suchte mir auch ein Honorar auszuwirken. Bald darauf wurde ich benachrichtigt,[91] dass mein Schauspiel angenommen sei, doch könne für die erste Auflage von 500 Exemplaren prinzipiell kein Honorar gezahlt werden: um meinen Wünschen aber entgegenzukommen, wolle der Verleger gleich die zweite ebenso starke Auflage drucken und mit einem kleinen Satz pro Bogen im voraus honorieren. Ich erhielt 56 Thaler 20 Gr. – meinen ersten schriftstellerischen Verdienst! Das Büchelchen erschien, recht hübsch ausgestattet und meinem lieben Freunde Heinrich Bohn zugeeignet, noch im Herbst desselben Jahres und fand eine günstige Beurteilung in verschiedenen Blättern. So war ich nun auf einem wunderlichen Umwege ans Ziel gelangt: Das Rechtsgutachten eines Advokaten, der zufällig mein Onkel war, hatte mir zu einem Verleger verholfen. Die Bahn war endlich gebrochen; wenigstens bildete ich mir das damals in meiner ersten Autorfreude so ein.

Daran aber, das Stück au die Theater zu versenden, dachte ich doch nicht. Die wenigen Freiexemplare, die ich erhielt, waren ja auch bald an einige Respektpersonen und Freunde verausgabt. Eines Tages aber liess Woltersdorff mich zu sich bitten. Fortwährend auf-und abgehend, wie seine Gewohnheit war, sagte er mir, nach jedem dritten oder vierten Worte absetzend: »Sie haben da – ein paar kleine Lustspiele eingereicht, Verehrtester – lassen Sie doch den Quark – in der Schublade liegen – Sie haben ja viel was besseres geschrieben – Ihren General York – habe das Buch gelesen – gleich in einem Strich durch – hat mir recht gut gefallen.« Verwundert fragte ich ihn, ob er das Stück aufführen wolle. Er schluckte. »Ennä –! man könnt's einmal – mit dem Ding versuchen – verspreche mir nicht gerade – einen Bumserfolg davon – ist aber immer für Sie – ein guter Anfang, Verehrtester – bin bereit, Ihnen – fünf Prozent Tantieme zu zahlen – soll auch noch etwas – dazu gemalt werden.« Wer war glücklicher als ich? Mein Schauspiel angenommen, ohne auch nur eingereicht zu[92] sein, die Aufführung in naher Aussicht, Tantieme –! Und was nicht am geringsten wog: die Erlaubnis, jederzeit das Theater unentgeltlich besuchen zu dürfen.

Woltersdorff hielt Wort. Die Rollen wurden ausgeschrieben und verteilt, die Proben angesetzt. Ich durfte denselben beiwohnen, was mir freilich mehr Missbehagen als Vergnügen bereitete. Denn bis zur letzten holte sich jeder Mitspieler seinen Part aus dem Souffleurkasten und die Hauptthätigkeit des Regisseurs bestand darin, Stellungen anzugeben und Abgänge nach rechts, links oder durch die Mitte zu bestimmen. Man sprach mit leiser Stimme, »deutete nur an«, selbst in der Generalprobe, die am Vormittag des Aufführungstages stattfand. Am Abend werde sichs ganz anders machen. Die einzigen Fragen, die an mich gerichtet wurden, bezogen sich auf das Kostüm, wobei sich dann aber herausstellte, dass die Theatergarderobe für die in Rede stehende Zeit höchst armselig ausgestattet war. Am 2. März 1858 fand die Aufführung statt. Das Haus war gut besetzt und nahm an der Aktion von Anfang an recht lebhaften Anteil. Die Darsteller wurden nach den Aktschlüssen gerufen, auch wohl auf offener Szene beklatscht. Das Publikum zeigte sich im ganzen gutmütig. Ich sah aus einem Versteck nahe der Bühne zu, manchmal mit grossem Herzklopfen, wenn Stockungen zu entstehen drohten oder meine Sätze eine ganz andere Form erhielten. Der Freiherr von Stein trug im Zimmer beständig einen Pelz, wahrscheinlich weil er aus Russland kam, und Präsident Schön sah aus wie einer von den Vettern aus Bremen als Schulmeister. Zuletzt gestaltete sich der Auszug der Freiwilligen ziemlich dürftig, fand aber auch Beifall, und ich wurde hervor gerufen. Der Erfolg sei »sehr anständig« gewesen, versicherte Woltersdorff. Ich hielt ihn an diesem Abend natürlich für viel bedeutender. Aber er behielt recht oder wollte recht behalten. Wahrscheinlich anderer Dispositionen wegen liess er die Wiederholung ganz schnell – irre ich nicht, schon am nächsten Tage – folgen,[93] der Kassenrapport lautete nicht günstig und das Schauspiel »Unser General York« verschwand vom Repertoire. Tantieme – 14 Thaler 5 Silbergroschen!

So weit meine dramatischen Anfänge. Sie mögen manchen unserer jungen Autoren trösten, wenn es ihm so schwer gelingt, sein erstes Stück auf die Bühne zu bringen. Und von dem »sehr anständigen« bis zum »durchschlagenden« Erfolge – wie weit ists da meist noch!

Quelle:
Wichert, Ernst: Richter und Dichter. Ein Lebensausweis, Berlin und Leipzig 1899, S. 87-94.
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