Brief von Lotte Michaelis

[103] Lotte Michaelis an Luise.


Ich habe dir von zwey Bällen rechenschaft zu geben aber erst höre das ich heute bey Heynens biß 8 Uhr gewesen bin unnd mit Theresen allein spatzierengegangen. Das dies Mädchen mir die stelle eines Mannes ersezen könte versichere ich dir, ja ich glaube das keine unangenehme Lehre je sich bey mir einstellen könte wenn ich Theresen zur Freundin haben dürfte das ich dan keinen gegenstand brauchte an den sich mein Herz weiter Intreßiren brauchte, Therese – wenn ich aufrichtig sein soll – ersezt mir über alle erwartung deine stelle oder würde sie vielmehr ersezen wenn ich mehr mit ihr umgehn dürfte, sie erreth die Geheimsten Gedanken meines Herzens, sie tadelt mich wo zu tadeln ist, wofür ich sie Herzlich umarmt habe, wir hatten ein sehr ernsthaftes Gesprech, ein Gesprech das davon Handelte das Mädchen in unsrer Lage nur höchst selten beinah niemals aus Liebe Heirathen könten das wir also noch weniger Romanhaft sein dürften wie andre sondern unns keine zu hohe Idee von den zukünftigen Mann u. von den nie zu erreichenden Glück einer Heirath aus Liebe machen müsten, u. uns früh an den gedanken gewöhnen müsten von Heußlichen glück ohne sonst – bei uns wenigstens – überspanten Begrif der Ehe zu machen. Wie sehr diese Unterredung auf meine Lage Past, brauch ich dich nicht erst aufmerksam zu machen, u. doch kahms sehr von ohngefehr, ich habe Theresen so lieb das ich jede gelegenheit suchen werde mit ihr sprechen zu können denn ich fühle wie viel werth mir dieser Nachmittag sein muß, was für eine Glükliche Rewolution der Ideen er in mir hervorgebracht die Nach den beiden gelegenheiten Mila [?] immer um mich zu haben, einer Ther. bedurften um wieder gehoben zu werden.

Quelle:
Wiedemann, Luise: Erinnerungen von Luise Wiedemann, geborene Michaelis, der Schwester Carolinens. Nebst Lebensabrissen ihrer Geschwister und Briefen Schellings und anderer, zum ersten Mal herausgegeben von Julius Steinberger, Göttingen 1929, S. 103.
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